Es streamt sich so schön… Während das Stuttgarter Ballett als „Porsche Ballett“ erscheint, wird das Ballett-Ostern 2021 vom Bildschirm regiert: online und auch im Fernsehen tut sich was

Das Ballett-Ostern 2021 findet vorm Bildschirm statt

„Cendrillon“ alias „Aschenbrödel“ hat in der Version von Rudolf Nurejev das Flair eines Filmstars. So zu sehen aus der Pariser Opéra auf arte, wo sonst. Videostill: Gisela Sonnenburg

Das ist kein trauriger April-Scherz, sondern die zugleich triste und bunte Realität: Die Staatstheater sind weiterhin geschlossen, auch die privaten Spielstätten dürfen nicht öffnen, also befinden sich die Ballettfans weiterhin im streamenden Winterschlaf, allen frühlingshaften Temperaturen zum Trotz. Immerhin: Es gibt so Einiges anzuklicken, und auch im Fernsehen gibt es mehr als nur einen Hauch Ballettglamour. Und zwar am Karsamstag, den 03. April 2021, gleich um 9.50 Uhr morgens: auf arte. Man merkt zwar, dass wir Ballettleute hier ein wenig Lückenbüßer sind. Aber just vor dem letzten vorösterlichen Shopping kann „Aschenbrödel“ alias „Cendrillon“ in der Version von Rudolf Nurejev aus der Pariser Opéra als wahrer optischer Festschmaus gefallen. Auch wenn die Inszenierung zeitweise anmutet wie ein Kessel Buntes, der mal eben rasch zusammengerührt wurde. Eine King-Kong-Parodie und Indianerfolklore ist da ebenso inklusive wie elegischer Zwanziger-Jahre-Schick. Manches darin ist aber auch absolut goldig: Dorothée Gilbert springt uns als böse Stiefschwester so komisch entgegen wie einst nur die wilde Katherina Marcia Haydée in John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“. Und Karl Paquet als Prinz ist immer ein Hingucker. Valentine Colasante ist ein elegantes, sogar zurückhaltend elegantes Aschenputtel. So etwas ist selten! Dafür ist das Orchester in Hochform, und Vello Pähn dirigiert mit souverän erfahrenem Charme. Er hat schon so viele Ballettabende zu Highlights gemacht, auch in Deutschland, wie eben auch diesen in Paris von 2018. Aber bevor wir zu sehr in Erinnerungen schwelgen: Das Pariser „Aschenbrödel“ steht bei arte.tv schon jetzt ganz gegenwärtig online und wird dort bis zum 2. Mai 21 auch bleiben.

Eher exklusiv und meist deutlich kürzer in der kostenfreien Online-Zeitspanne sind dagegen die Streams der großen Opernhäuser. Hier beginnt gleich morgen, am 1. April 21, die hoffentlich angemessen große Gaudi zum Osterfest.

Das Ballett-Ostern 2021 findet vorm Bildschirm statt

So eine tolle Truppe wie das Stuttgarter Ballett muss seinen Sponsoren im Untertitel der Online-Premiere zur Schau tragen? Tragisch. Faksimile vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg

Mit Spannung bereits erwartet: Die Online-Live-Premiere „Beethoven-Ballette“ aus dem Stuttgarter Schauspielhaus mit dem  „Porsche Ballett“, also dem Stuttgarter Ballett, präsentiert vom Autobauer Porsche. Der Name des Sponsoren rangiert dabei weit vor denen der Tanzkünstler. Beginn des Spektakels ist morgen um 19 Uhr.

Mit dabei: Ein Neuling von Starchoreograf Mauro Bigonzetti. Zu Musik von Beethoven, logischerweise, sonst wäre der Titel des Programms ja hinfällig.

Außerdem beglückt  – und zwar mit zwei so bekannten wie oftmals gerühmten Stücken – die choreografische Handschrift von Hans van Manen. Eine Triple Bill ist somit komplett.

Schade ist nur, dass ein weltbekanntes Ballettensemble wie das Stuttgarter Ballett eine Online-Premiere nicht ohne vielfache, drastisch nach vorn geschobene Nennung seines Sponsors hinbekommt.

In einem der oberflächlichen „Rahmenprogramm“-Trailer macht zudem Stuttgarts Ballettintendant Tamas Detrich einen ultimativen Knicks vor dieser Autofirma, ganz so, als hänge sein ganzes Seelenheil von ihr ab. Mehr noch: Als sei das Stuttgarter Ballett ohne diese zusätzliche Finanzspritze komplett handlungsunfähig. Sollte es so sein, ist das schlimm genug.

Im Grunde verantwortlich ist aber wohl nicht Detrich, der einem hier bestenfalls wie ein Strohmann vorkommt. Da wirken andere Kräfte, nämlich solche aus der geschäftlich denkenden Abteilung.

Das Ballett-Ostern 2021 findet vorm Bildschirm statt

Der Ballettintendant Tamas Detrich als Handlanger der Industrie: So macht er ehemalige Startänzer keine gute Figur. Faksimile vom Stuttgarter Ballett: Gisela Sonnenburg

Die gemeinte Geschäftsfrau ist die Geschäftsführerin vom Stuttgarter Ballett, Fränzi Günther. Sie hatte noch nie viel Geschmack, so beliebt sie bei Sponsoren auch sein mag – und ihr ist es zuzutrauen, den Namen „Porsche“ gar nicht groß und oft genug ins Ballettspiel bringen zu wollen. Ob sie persönlich da was von hat?

Tamas Detrich jedenfalls hält öffentlich den Kopf für ihre Geldpolitik hin und muss es sich gefallen lassen, fortan als „Mister Porsche“ in der Ballettwelt zu rangieren. Er dankt im Trailer nicht den Choreografen Bigonzetti und van Manen – sondern allein dem Autobauer. Auch in der Unterzeile der Premierenankündigung fehlen die Namen der Choreografen. Dafür liest man – na, was wohl.

Alles in allem hat man den Eindruck, dass der Milliardenkonzern Porsche das kleine Stuttgarter Ballett rückhaltlos benutzt. Soviel Autowerbung gehört wirklich nicht in die Hochkultur.

Umweltverschmutzung, Herzkrankheiten und Schlaganfälle durch Feinstaub sowie regelmäßig Unfalltote – all das fällt einem zum Namen „Porsche“ aber ohnehin auch ein.

Und das mindert den Spaß an der Veranstaltung erheblich.

Überraschend hingegen und äußerst passend ins Online-Programm gekommen ist ein Hit, sozusagen ein Evergreen, aus Berlin: der bezaubernde, seinerzeit wirklich überragend gelungene „Caravaggio“ von Mauro Bigonzetti mit dem Staatsballett Berlin (SBB), mit Vladimir Malakhov in der Titelrolle. Und auch Polina Semionova ist hierin unübersehbar toll!

Wie aus einer anderen Zeit: „Caravaggio“ von Mauro Bigonzetti mit dem Staatsballett Berlin. Foto: Maria-Helena Buckley

Das SBB ist insgesamt in seiner Bestform von 2008 zu sehen, und es würde mich sehr wundern, wenn die Stuttgarter „Beethoven-Ballette“ gegen dieses hohe Niveau eine Chance hätten.

Zumal von Bigonzetti, das muss man leider so sagen, zwar immer mal wieder was zu sehen war, aber er erreichte bislang nie mehr auch nur annähernd sein Level von „Caravaggio“, dieser getanzten Biopic-Collage rund um den revolutionären Maler der italienischen Renaissance.

Der Einfluss von Vladimir Malakhov hat die Produktion eben stark geprägt, von der Uraufführung in Berlin über die DVD-Einspielung bis zur vorletzten Vorstellung Malakhovs als Starballerino in Berlin (das war 2014, und es gab eine Dreiviertelstunde Jubel mit standing ovations, ach ja).

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Die aufwändige Film-Aufnahme dieses „Caravaggio“ durch Andreas Morell, die auch als DVD zu haben ist, lohnt sich wirklich immer wieder.

Beginn ist schon um 18 Uhr am 1. April, also morgen, online beim Staatsballett Berlin – und das gute Stück ist ab dann, wie alles im bis Juni reichenden Digitalpaket vom SBB, für 24 Stunden kostenfrei zu genießen. Wiederholungen stehen übrigens im Mai und Juni 21 an. Dieses Angebot wird auch bleiben, falls sich die Vorhänge der Opernhäuser unerwartet, aber schnell doch wieder öffnen dürfen.

Das Ballett-Ostern 2021 findet vorm Bildschirm statt

Wer da keine Lust auf Ballett im Heimtraining bekommt, der muss halt noch weiter zuschauen! Auch schön. Mit dem Ballett Dortmund immer! Videostill von theaterdo.de: Gisela Sonnenburg

Wer aber lieber selbst trainingsmäßig aktiv ist, kann sich morgen um 19 Uhr auf den digitalen Weg zum Theater Dortmund begeben und beim Ballett Dortmund einfinden.

Dort werden übrigens jeden Mittwoch – nicht nur morgen – online „Open Classes“ abgehalten. „Hometraining unter professioneller Anleitung“ bezeichnet der Untertitel die sehr seriöse Veranstaltung. Und: Man kann sich auch per Chat mit den Ballettprofis von Xin Peng Wangs Ballett Dortmund in Verbindung setzen.

Ansonsten lohnt in diesen Tagen auch ein Ausflug in die Welt der Oper oder auch in die der Konzerte. Wie die Staatsoper Unter den Linden und viele weitere renommierte Häuser bietet zum Beispiel die Hamburgische Staatsoper ein österliches Digitalprogramm an – einfach mal reinschauen! Am Karfreitag, also dem 2. April 21, lockt zum Beispiel „Parsifal“ von Richard Wagner in der Inszenierung von Achim Freyer und mit der exquisiten musikalischen Leitung von Kent Nagano.

Ab kurz nach Mitternacht in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag steht bei den Hamburgern ein ganzes „Oster-Paket“ opernmäßig online, bis Ostermontag kurz vor Mitternacht.

Das ebenfalls aus Hamburg ins Fernsehen kommende Projekt namens „La Passione“ von Romeo Castellucci widmet sich, wieder mit dem einfühlsamen Dirigat von Nagano, Bachs „Matthäus-Passion“. Es ist in einer Aufzeichnung von 2016 aus den Hamburger Deichtorhallen am 3.4.21, also Karsamstag, nach Mitternacht, also eigentlich schon am Ostermorgen, auf den Bildschirmen zu sehen.

Um 0.10 Uhr geht es los, und zwar auf arte – wo sonst – und bis 3.10 Uhr läuft die szenische Inszenierung.

Die Matthäus-Passion von John Neumeier in Hamburg

John Neumeier in seiner „Matthäus-Passion“, so zu sehen auf der DVD, die bei Arthaus Musik erschien. Videostill: Gisela Sonnenburg

Als Vergleich zur „Matthäus-Passion“ von John Neumeier mit dem Hamburg Ballett – deren gleichnamige DVD hier mal wieder wärmstens empfohlen wird, zumal Neumeier selbst darin mittanzt – ist das Castellucci-Projekt vielleicht besonders interessant.

Und auch, wenn man das in Stuttgart beim „Porsche Ballett“ offenbar noch nicht weiß und sich mit Beethoven als Musik zu Tanz als angeblich selten feiert: Auch das kreative, vielschichtige Ballett „Beethoven-Projekt“ von John Neumeier ist bereits als DVD und BluRay erschienen und zu den Feiertagen sehr zu empfehlen. Es geht darin um die Schöpfung und den Schöpfungsakt, um Musik und Bewegung, um Mensch und Kunst – und um das Miteinander, das Menschen und Götter in einer ganz bestimmten Hinsicht pflegen sollten.

Um angewandte Spiritualität im Theater geht es auch in „Ghost Light“ von John Neumeier – diese DVD / BluRay vom Hamburg Ballett habe ich bereits als Osterfestgeschenk dringend angeraten.

Überhaupt sollte man nie vergessen, dass auch digitale Kunstdarbietungen höchsten Respekt verlangen. Man darf sich auf dem Sofa lümmeln, keine Frage. Aber der Geist sollte so aufnahmebereit sein wie im Theater oder in der Kirche.

"Ghost Light" endlich als DVD

Licht und Schatten in der Geistersphäre der fast leeren Bühne: Hélène Bouchet und Jacopo Bellussi nebst Schattenrissen in „Ghost Light“  von John Neumeier. Foto vom Hamburg Ballett: Kiran West

Der Ostersonntag beginnt – nach dem notwendigen Schönheitsschlaf – dann am besten mit einer hörbaren Matinee, etwa um 11 Uhr: Mozart und Schönberg kommen im versöhnlichen Nacheinander aus der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, das Zepter der Orchesterführung hat dabei Daniel Barenboim inne. Dieses Konzert wurde erst kürzlich, also in diesem Jahr, aufgezeichnet, und es steht auch schon online – aber wegen der innigen Stimmung ist es als musikalischer Osterbrunch ohne Kalorien absolut zu empfehlen.

Abends am Tag der Auferstehung, und zwar um 19 Uhr, lockt dann Klaus Florian Vogt seine Fangemeinde nach Wien, weil der Stream von Beethovens „Fidelio“ aus der Wiener Staatsoper beginnt. Beethoven hat ja seit seinem Jubiläumsjahr unaufhörlich Konjunktur, es ist, als werde er immer wieder neu entdeckt. Seine einzige Oper verdient da natürlich auch gebührende Aufmerksamkeit.

Weiter geht es am nächsten Tag wieder mit Klaus Florian Vogt, der am Ostermontag um 15 Uhr, wenn fast alle Schokoladeneier vernascht worden sind, online aus Dresden tiriliert. Die Semperoper zeigt dann ihre aktuelle Version von Mozarts „Zauberflöte“. Was für ein hübsches Osterei, immer und für jede Altersstufe einfach passend!

Vogt, den beliebten Wagner-Tenor und vor allem Muster-Lohengrin, hört man zudem auch nicht so sehr oft mit Beethoven und Mozart. Ostern bietet also gute Gelegenheiten, die Bildung genussvoll zu vervollständigen. Der wahre Ballettfan ist für gute Musik immer offen – auch wenn der Tanz dazu noch in den Sternen steht.

Dass Opern wieder verstärkt ans Ballett heranrücken und sich mit tänzerischer Begleitung oder mit hochkarätigen Tanzeinlagen bestens ergänzt sehen, ist schließlich nicht nur mein Traum für die Zukunft.

Das Ballett-Ostern 2021 findet vorm Bildschirm statt

Laura Tiffany Schmid in „Mit Mondlicht im Herzen“ nach Beethovens „Mondscheinsonate“ von Gisela Sonnenburg, fotografiert von Franka Maria Selz.

Was die seltene Einheit von Musik, Tanz und Gebet angeht, so darf ich außerdem auf die „Musikalische Andacht“ aus Sankt Ludwig in München mit Laura Tiffany Schmid mit drei Soli von mir verweisen – sie stehen nach wie vor als Online-Stream parat. Die Reihe dieser Tänze beginnt übrigens mit einem, jawohl, Beethoven…
Gisela Sonnenburg

www.arte.tv

www.staatsballett-berlin.de

www.stuttgarter-ballett.de

www.theaterdo.de

www.staatsoper-hamburg.de

www.staatsoper-berlin.de

www.semperoper.de

Die tänzerischen Gebete von mir sind zu folgenden Zeitpunkten im Stream zu sehen: um 50:40 „Mit Mondlicht im Herzen“; um 1:00:28 „Traum der Rettung“, und um 1:24:15 „Schicksal und Vergebung“, und zwar unter folgendem Link:

https://www.youtube.com/watch?v=OQ322aIwB8k

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