Stunden der Schönheit, der Brillanz, der Bitternis Elegant, expressiv, extravagant: Jürgen Rose kreierte für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan die neue, passende Ausstattung, und das Stuttgarter Ballett feiert darin Triumphe

"Mayerling" in neuem Gewand

„Mayerling“ in neuem Gewand: Bühnen- und Kostümdesigner Jürgen Rose (vorn mittig) mit den Stars und dem Ensemble vom Stuttgarter Ballett nach der Wiederaufnahme-Premiere. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Die Geschichte ist ein Evergreen: Der erweiterte Suizid von Sisi-Sohn Rudolf und seiner Geliebten Mary Vetsera im Jagdschloss Mayerling bei Wien ist zugleich ein Rührstück aus dem Geschichtsbuch, aber auch eine menschliche Tragödie, wie gemacht für literarische und sonstige künstlerische Ergüsse. Kenneth MacMillan, der britische Experte für filmreife tänzerische Themen („Manon“), ließ 1978 sein abendfüllendes Ballett „Mayerling“ Premieren, das den Kronprinzen Rudolf im zärtlichen Würgegriff von sechs äußerst liebesfähigen Damen zeigt. Wie nebenbei wird der Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie beschworen, und zwischen Politik und Repräsentanz, zwischen Macht und Militär und eben zwischen diesen Frauen wird der an Syphilis leidende sensible Prinz aufgerieben. Was für ein Sujet für einen großen Abend! Jürgen Rose, die wandelnde Legende unter den Ballettausstattern, schuf nun in dreijähriger minutiöser Geniearbeit ganz neue Bühnenbilder und umwerfend schöne neue Kostüme für das Stuttgarter Ballett, von denen jedes ein Unikat ist. Fazit: Endlich wirkt MacMillans Werk nicht mehr nur düster, sondern psychologisch fasslich durchwirkt. Ach, und dann erst die Tänzer! Friedemann Vogel triumphiert als Rudolf mit schier unglaublich präzisem Spiel, mit Virtuosität und Herz, er öffnet sich so weit, wie ein Mensch auf der Bühne das überhaupt kann. An seiner Seite: Meisterballerinen von höchst unterschiedlichem Flair, aber jeweils hohem Karat, wie Elisa Badenes, Miriam Kacerova und Alicia Amatriain. Ihre Pas de deux mit dem Prinzen strotzen nur so vor tiefem Gefühl! Bei der Premiere standen dann auch noch mit Marcia Haydée, Egon Madsen und Georgette Tsinguirides  drei weitere lebende Legenden des Stuttgarter Balletts mit auf der Bühne: Es rührte einen zu Tränen, Marcia und Egon im prächtigen Ball-Outfit noch einmal miteinander Walzer, einen Seniorenwalzer, tanzen zu sehen. Und wenn der kraftvoll-elastische Friedemann und die geschmeidig-zarte Elisa im dritten Akt ihre todessüchtige Liebe bis zum bitteren Ende, bis zur letzten Konsequenz zelebrieren, dann werden die intensivsten Verschmelzungen zweier Menschen deutlich, die ballettös überhaupt denkbar sind. Chapeau!

"Mayerling" in neuem Gewand

Friedemann Vogel und Elisa Badenes proben für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan. Foto: Roman Novitzky Photography

Anfang und Ende bildet die Begräbnis-Szene: Dunkel und verregnet ist es, ein Dauerregen aus Licht wabert herab, der Horizont im Hintergrund ist eine grauschwarze Regenwand, cineastisch inspiriert, in gemalten Nebel gehüllt.

Jürgen Rose hat sich – vom Prolog an – mal wieder selbst übertroffen. Mit 81 Jahren hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt. Ein wohl verdientes!

Kaum zu fassen, was sein bildnerisches Verständnis aus der sonst stets ein wenig muffig wirkenden Monarchentragödie gemacht hat! Jedes Detail stimmt hier, dennoch wirkt nichts perfektionistisch-langweilig oder aufgeblasen-überladen. Kein Zweifel: Rose ist einer, der gelernt hat, ist einer, der immer weiter lernt – und der aus dem Gelernten etwas zu machen weiß.

Von Rudolf Noelte, dem 2002 verstorbenen Theaterregisseur, lernte er den Umgang mit Räumen, mit Naturalismus, mit konkreter Bedeutung im Bild.

Von John Cranko lernte er den Umgang mit Farbe und Stoffen.

Von John Neumeier lernte er das Wechselspiel von Abstraktion und Realismus.

Und so verführt sein Bühnenbild, ohne das Hirn zu betäuben: Man befindet sich wie am Filmset in der nachgebauten Realität und doch auch oftmals in einer nur skizzenartig angedeuteten fiktiven Welt.

Dabei war das Ganze durchaus ein Wagnis für Rose: Noch nie hat er ohne Rücksprache und Feedback eines lebenden Choreografen für ein Ballett kreiert. Da war jetzt niemand, der ihn bremste, ihn lenkte, ihm Hinweise gab, ihm verbot, ihn bat, ihn anregte, ihn forderte. Rose musste sein eigener Boss sein, und dass ihm das in so hohem Ausmaß gelang, liegt daran, dass er nicht nur Kostüme und Bühnenbilder schuf, sondern gleichermaßen auch ein Regiekonzept, ein Inszenierungskonzept für „Mayerling“.

Zum Glück stimmte die Witwe von MacMillan als Inhaberin der Lizenzen zu. Und so ist das neue „Mayerling“-Ballett sowohl psychologisch wirksamer als auch politisch konkreter als das Original.

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20 Minuten Applaus am 18. Mai 2019 nach „Mayerling“ von Kenneth MacMillan beim Stuttgarter Ballett: erstmals im neuen Gewand von Jürgen Rose. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Und es ist, auch das sei angemerkt, dazu hoch anständig von Rose,dass er seine beiden Assistenten – Christian Blank für das Bühnenbild und Moritz Haakh für die Kostüme – nennt und bedankt. Dennoch hat niemand Zweifel daran, wessen Inspiration und Detailbesessenheit, wessen Pragmatismus und Kühnheit hier zu den sichtlich originellen und faszinierenden Problemlösungen geführt haben.

 Jürgen Rose ist nun mal einmalig, und er hat mit „Mayerling“ nach vielen unsterblichen Arbeiten erneut eine geschaffen, die ihn als intelligenten, sinnfällig-kreativen, niemals nachlässigen oder gar übergeschnappten, sondern stets bodenständig-fantasievollen  Künstler zeigen.

Er ist zweifelsohne ein Genie, und so, wie Tamas Detrich, Stuttgarts Ballettintendant, nach der Premiere vor seinen wunderbaren Tänzern auf offener Bühne kniete, so möchte man in der Erinnerung auch vor Rose knien, der diesen Abend überhaupt erst ermöglicht hat.

Ein kleiner Rückblick mit Namedropping: „Romeo und Julia“ für Cranko, „Onegin“ für Cranko“, „Der Widerspenstigen Zähmung“ für Cranko, „Der Nussknacker“ für Neumeier, „Ein Sommernachtstraum“ für Neumeier, „Romeo und Julia“ für Neumeier, „Die Kameliendame“ für Neumeier– das sind nur die Höhepunkte seines umfassenden Schaffens, und weil er auch als Opernregisseur wirkt, weiß Rose ganz genau, welch wichtige Funktion ein Bühnenbild, eine Kulisse, ein Kostüm, ein Requisit haben kann.

Hier, in „Mayerling“, geht es nach der einsamen Tristesse des Friedhofs auf zum Hofball, der die Vermählung von Kronprinz Rudolf mit der dadurch zur Kronprinzessin avancierenden Stephanie feiert.

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Wunderschöne Linien, ausdrucksstarker Tanz, Anmut noch im kleinen Finger: Weltstar Friedemann Vogel im neuen Outfit von Jürgen Rose als Rudolf in „Mayerling“ – zum Ergötzen! Foto: Stuttgarter Ballett

Wo die Originalausstattung von Nicholas Georgiadis zwar auch dramaturgisch schlüssig ist, jedoch etwas plakativ wirkt und dabei in Purpurrot mit Mattgold, auf simples Schwarz gesetzt, nahezu absäuft, hat Rose sich für die Innenräume vergrößerte Skizzen in Schwarz-Weiß ausgedacht, die in ihrer Feinheit und dem detailgetreuen Strich wie realistische Lithografien oder Radierungen wirken.

Ein fantastischer Kunstkniff!

Kronleuchter und dreidimensionales Mobiliar ergänzen mit symbolhaftem Charakter diese schwelgerischen Befindlichkeitswelten, in denen das Gute so nah und doch so fern zugleich erscheint.

Keines der Bühnenbilder ist hier einfach nur so und sozusagen objektiv vorhanden. Sondern jede Kulisse spiegelt zugleich die Seelenwelt dessen, der hier wohnt.

Oder feiert!

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Die Hofdamen von Sisi in der neuen Ausstattung von Jürgen Rose für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan. Foto: Stuttgarter Ballett

Hellgrau tragen die Hofdamen, jede ist dabei anders und eigenwillig schattiert. Besonders entzückend ist das zitronengelbe Überwurf-Outfit von Louise, der Schwester der Braut, sehr hübsch und leichthin getanzt von Veronika Verterich, mit der der schürzenjagende Bräutigam unverschämterweise offenherzig flirtet, während seine frisch Angetraute fassungslos-traurig daneben steht.

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Diana Ionescu als Kronprinzessin Stephanie – in „Mayerling“ keine glückliche Frau. Aber sie hat ein Brautkleid von Jürgen Rose! Foto: Stuttgarter Ballett

Dafür ist ihr Kostüm ein Traum in Weiß, mit Spitzenrock über der Satinwolke, die den eigentlichen Rock ausmacht. Diana Ionescu tanzt die hier von Beginn der Eheschließung an unglückliche Zwangsverheiratete – und sie passt sich ein ins hehre Brautkleid, mit ihrem hoffnungsvollen Blick und den fein gesetzten Spitzenschuhfüßen, als wäre im Dunkel der Verkuppelung noch irgendein Bodensatz aus Licht zu finden.

Auch Rudolf trägt hier Knallweiß: Friedemann Vogel erstrahlt in der Strumpfhosenuniform mit Orden und Schärpe, der Haltung und dem Äußeren nach scheint er als Kronprinz nachgerade märchenhaft.

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In der Realität war die Ehe zwischen beiden übrigens in den ersten Jahren ausgesprochen glücklich; schon als Verlobte waren die beiden verliebt ineinander, schrieben sich mit Spitznamen (er nannte sich „Coco“, sie sich „Coceuse“), und als 1883 ihr erstes und einziges Kind zur Welt kam, nächtigte Rudolf im Zimmer seiner Frau am Boden neben ihrem Bett.

Doch im Ballett – und diese künstlerische Freiheit ist selbstverständlich an sich legitim – handelt es sich um eine typische Heiratsmarktehe, eingefädelt von machtbewussten Eltern, denen es um die Fortsetzung ihrer politischen Bestände geht.

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Als Offizier geboren: Kronprinz Rudolf, hier verkörpert von Friedemann Vogel in der neuen Uniform von Jürgen Rose für „Mayerling“. Foto: Stuttgarter Ballett

Ein historisches Detail passt sehr gut dazu: Rudolf wurde von seinem Vater, Kaiser Franz-Josef, schon als Neugeborenes zum Offizier der kaiserlichen Armee ernannt.

Die Soldateska ist denn auch in „Mayerling“ präsent, zwar nicht mit soldatischen Heerscharen, die eine Bühne allein füllen könnten, aber mit prägnanten Auftritten und Details in den Kostümen, die die Struktur der österreichisch-ungarischen Monarchie bezeichnen.

Über der Szenerie prangt zudem mitunter ein riesiger doppelköpfiger Adler, mal in leuchtendem Alarmrot, mal in nüchternem  Schwarz-Weiß.

Und sogar die Nutten im Bordell tragen pickelhaubenähnliche Helme, dazu Miederröcke und Netzstrümpfe.

Die militärische Macht ist überall, so scheint es.

Spannend und sinnlich anzuschauen ist aber vor allem die vornehm gekleidete Damenwelt, der Rudolf – sozusagen ebenfalls von Geburt an – verfallen ist. Immer wieder lässt er sich auf neue Liebesbekundungen ein, auf neue Liebschaften, auf neue Liebesfreuden, auch auf neuen Liebesschmerz.

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Miriam Kacerova als Sisi im neuen Kleid von Jürgen Rose für „Mayerling“. Foto: Stuttgarter Ballett

Die wichtigste Frau in seinem Leben ist seine Mutter, Kaiserin Sisi, von Miriam Kacerova mit nachgerade umwerfender Grandezza getanzt.

Was für eine Femme fatale, eine Majestät ohne Allüren, dafür mit bis zur Arroganz reichender Selbstbewusstheit!

Den ersten großen Szenenapplaus der Premiere erntet denn auch der innige Paartanz von Rudolf mit seiner Mutter in ihrem Zimmer nach dem Hochzeitsball.

An der Wand hängen lauter Zeichnungen, die Dressurpferde zeigen, eine Sprossenwand ist da, an der Sisi ihre Gymnastik vollführen könnte, und mittig steht ein Canapé, das noch aus dem Biedermeier stammt.

Hier vertraut sich Rudolf seiner Mutter an, wie er fühlte sie stets auch literarisch-versponnen und politisch nicht gerade gefestigt im Monarchiedenken.

Rudolf tanzt für sie, mit ihr, wird von ihr gehalten, erklärt ihr seine Träume und Bedenken. Er ist wie sie, im Innersten – und während es Sisi häufig auf Fernreisen zog, suchte Rudolf zum Teil in Prag, zum Teil in anderen gesellschaftlichen Schichten als am Hofe sein Glück.

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Fantastische Innigkeit: Sisi und Rudolf alias Miriam Kacerova und Friedemann Vogel auf der Probe für „Mayerling“. Foto: Roman Novitzky Photography

Leider hat Kenneth MacMillan eine wesentliche Facette von Rudolf außer Acht gelassen, die durchaus ins Ballett gepasst hätte (allerdings nicht ins kommunistenfeindliche England, wo „Mayerling“ am Covent Garden uraufgeführt wurde): Rudolf war nicht nur befreundet mit ungarischen Seperatisten, die hier im Ballett immer wieder als herrlich-bedrohlicher Reigen, bestehend aus männlich-militärischer Eleganz, auftauchen.

Rudolf war auch als Publizist aktiv, zumal er mit Moriz Szeps (der sich wirklich so schrieb) eng befreundet und von diesem auch stark beeinflusst war. Szeps war ein mächtiger Verleger und Chefredakteur einer fortschrittlichen Zeitung, er war zwar wissenschaftsgläubig und ein Aufklärer im konventionellen Sinn, aber auch entsprechend antiklerikal und antifeudalistisch. Rudolf schrieb – freilich anonym – für Szeps, und wie dieser verehrte er Frankreich aus politischen Gründen zutiefst.

Damals galt die Französische Revolution als Sinnbild für Freiheitsbestrebungen.

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„Mayerling“ von Kenneth MacMillan in der neuen Ausstattung von Jürgen Rose, mit Miriam Kacerova und Friedemann Vogel als Sisi und Rudolf. Foto: Stuttgarter Ballett

Inwieweit ein geborener Kronprinz einer mächtigen Monarchie mit so demokratischen, letztlich sogar sozialistischen Bestrebungen seinen (zukünftigen) Job überhaupt noch machen kann oder will, sei dahingestellt. Man weiß nicht, ob Rudolf die Monarchie konkret abschaffen und durch eine Demokratie ersetzen wollte. Aber mit den herrschenden Verhältnissen war er in höchstem Maße unzufrieden.

Seine Bewunderung Frankreich gegenüber hatte ihr Gegenstück in der Gegnerschaft zu Bismarck und dessen als übermächtig empfundenen Preußenbild. Bismarck wiederum erwiderte die Feindschaft und ließ Rudolf bespitzeln.

Die Nuance der Frankreich-Vorliebe ist jetzt im Ballett „Mayerling“ als Anspielung deutlich enthalten: Während einer kaiserlichen Geburtstagsfeier knallt eine Scherzzigarre, und es entrollt sich solchermaßen mit Getöse die französische Flagge.

Auch Flugblätter sind auf der Bühne zu sehen, sie werden in einer Kaschemme verteilt, in der der Prinz inkognito logiert.

Während Sisi melancholische Gedichte schrieb, verfasste Rudolf politische Kommentare.

Das erste Buch, das der intellektuelle Kronprinz veröffentlichte, widmete sich allerdings seiner Liebe zur Ornithologie – und folgerichtig schmückt Jürgen Rose den Schreibtisch des Prinzen mit Vogelpräparaten.

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Friedemann Vogel als Kronprinz am Schreibtisch – so zu sehen in „Mayerling“ in der Ausstattung von Jürgen Rose. Foto: Stuttgarter Ballett

Hier greifen Dramaturgie und Regiekonzept ineinander, im sehr empfehlenswerten Programmheft erzählt Rose davon, wie sehr ihm eine Korrespondenz mit dem Choreografen gefehlt hat und wie er das kompensieren konnte. Details lassen aufmerken: Da sind die grün-schwarzen Schottenmuster für die Jagdröcke der Hofdamen von Hand am Computer gezeichnet worden, um dann in Italien auf Baumwolle und leichte Wollstoffe gedruckt zu werden. Denn echte Schottenstoffe sind zum Tanzen zu schwer, um an den Ballerinen noch anmutig und natürlich zu wirken.

Für jede Figurine kreierte Rose neue Gewänder. Spitzenbänder, Über- und Unterkleider, Mäntel, Hüte, Blumendekore – man kann sich gar nicht genug sattsehen an den vielen Feinheiten, die doch stets ein überzeugendes Gesamtbild abgeben.

Sogar die Hausmädchen, die einen entzückenden Auftritt als Schar mit Vortänzerin haben, sind durchgestylt, als würden sie für eine Fernsehserie von Kameraaugen hautnah immer und immer wieder abgegrast.

Schwarze Spitzenschuhe zu weißen Strümpfen unter graumelierten Kleidchen – das Hausmädchen-Design hat hier einen starken Effekt, erinnert sowohl an die Jungs in Balanchines Ballettschule als auch an Schulmädchen-Uniformen.

Aber vor allem bezaubern natürlich die Roben der Ersten Solistinnen.

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Kokett und verliebt, jung, aber dominant: Elisa Badenes als Mary Vetsera in „Mayerling“ von Kenneth MacMillan im neuen Gewand von Jürgen Rose. Foto: Stuttgarter Ballett

Elisa Badenes als Baronesse Mary Vetsera wirkt raffiniert und teenagerhaft zugleich, ihr Mantel ist korallenrot, und als sie dem Prinzen nach einem leidenschaftlichen Koitus-Paartanz in den Tod folgt, trägt sie nur ein durchsichtiges schwarzes Negligé.

Die Leiche von Mary wurde – das ist historisch verbürgt – zur Vertuschung angezogen und, von einem Spazierstock zwischen Kleid und Rücken gestützt, aufrecht von dannen geschleppt. Hier trug sie in der Realität ein olivgrün-schwarzes Kleid; Rose lässt ihr stattdessen die  pflaumenrote Ehrenfarbe angedeihen, die sonst Sisi hier trägt.

Miriam Kacerova ist – ob im Pas de deux mit Rudolf, mit ihrem Liebhaber „Bay“ oder im Quartett mit ihren ungarischen Freunden – stets eine souveräne Dame, beflügelt von ästhetischen Ideen und einem insgeheim freiheitlichen Lebensstil. Das dunkle, beerenfarben schimmernde Rot steht ihr dabei blendend!

Ebenfalls Rot-Schwarz, allerdings in klassisch-klarer Nuance, trägt Mitzi Caspar, vorzüglich getanzt von Anna Osadcenko. Die Halbweltdame Mitzi (in Stuttgart „Mizzi“ geschrieben) war lange die Geliebte von Rudolf, und in der historischen Überlieferung der Realität fragte er zuerst sie, ob sie gemeinsam mit ihm in den Tod gehen wolle. Sie lehnte ab und versuchte, seinen erweiterten Suizid zu verhindern, indem sie ihn polizeilich anzeigte. Erfolglos. Denn man glaubte ihr erstens nicht – und zweitens sagte Mary bei Rudolfs tödlichem Ansinnen sofort ja.

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Anna Osadcenko als Mitzi in Jürgen Roses neuer Ausstattung für „Mayerling“. Foto: Stuttgarter Ballett

Real war Mary schon in Rudolf verliebt, bevor sie ihn kannte. Mit aller Macht drängte sie danach, ihm vorgestellt zu werden, und sie schaffte es dann zügig in sein Schlafzimmer. Aber sie war noch blutjung, ohne Erfahrung, und weil sie wusste, dass die Standesunterschiede zwischen ihr – aus niederem Adel kommend – und dem ohnehin verehelichten Kronprinzen zu hoch waren, um ihr eine gute Zukunft zu bieten, willigte sie in den gemeinsamen Tod als schwarzromantische Anti-Vermählung ein.

In MacMillans Ballett „Mayerling“ ist Mary hingegen weniger ein Opfer ihrer Verliebtheit in Rudolf, als vielmehr aus demselben Holz wie er geschnitzt.

Als sie auf seinem Schreibtisch den Totenschädel entdeckt, mit dem er seine Braut in der Hochzeitsnacht fast gewalttätig erschreckt hatte, ist sie sofort fasziniert. Ohne Angst nimmt sie den Schädel und tanzt mit ihm, schier sehnsüchtig mit dem Tod anbandelnd.

Und als sie die Pistole des Kronprinzen entdeckt, nimmt sie sie sofort in die Hand, spielt damit, zielt auf Rudolf, sie tanzen ihre Dominanz und seine Subordination, schließlich wirbelt er sie durch die Luft, und beinahe wären sie ein ganz normales, neckisch verspieltes Liebespaar. Aber eben nur beinahe – die Ernsthaftigkeit, mit der der frühe freiwillige Tod für beide eine Option darstellt, grundiert das Vergnügen, das sie aneinander haben, maßgeblich.

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Alicia Amatriain als Gräfin Larisch – verführerisch bis in die Fingerspitzen in Jürgen Roses neuem Kostüm für „Mayerling“. Foto: Stuttgarter Ballett

Ganz anders war Rudolfs Liebschaft mit der Gräfin Larisch verlaufen. Auch sie ist historisch verbürgt; Rudolf war noch recht jung, die Gräfin recht hemmungslos und noch unverheiratet bei Beginn, und als ihre Liaison aufzufliegen drohte, wurde die Larisch rasch mit dem eher leidenschaftslosen Grafen verheiratet.

Auch sie ist eine tragische Persönlichkeit im Reigen um Rudolfs Männerseele. Denn sie liebt ihn weiterhin, ist ihm Freundin und Erfüllerin zugleich und muss doch auf ihn verzichten.

Alicia Amatriain tanzt diese anhängliche Verführerin, die sich an den Mann anschmiegen kann wie eine raffinierte Perserkatze, mit Verve.

Petrol-schwarze Streifen zieren ihr Kleid, sie ist eher der Rüschen-Typ als der für Spitzen. Ihre schönen nackten Schultern sind so verlockend, dass man es kaum versteht, wenn Rudolf ablehnt. Aber er ist nun mal bei weitem nicht so in sie verliebt wie sie in ihn.

Die Larisch ist interessant, auch im Ballett, weil sie sich nicht wie eine hyperhysterische Rivalin zu anderen Frauen verhält. Im Gegenteil: Sie transportiert einen Brief von Mary an Rudolf, vielleicht, weil sie den Backfisch als weibliche Konkurrenz nicht ganz ernst nimmt.

Trost kann ihm indes nur eine Frau spenden, die ihn versteht, weil sie ähnlich ist wie er.

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Applaus für das Stuttgarter Ballett und die Ausstattung von Jürgen Rose für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan! Foto: Gisela Sonnenburg

Wenn er von rasenden Kopfschmerzen und Entzugsschmerzen – er nahm Morphium – gequält wird, ist ihm nur Mary eine Zuflucht. Sie, die keine Grenzen akzeptiert, die ihr Gefühl über alles stellt und die, wie er, den Tod als letztes Abenteuer begreift, verspricht ihm wortlos, aber körperlos beredt, durch ihren schlängelnden, passionierten, akrobatisch gewagten Tanz ewige Heilsamkeit.

Die sechs Frauen, die Rudolf hier beeindrucken, sind also seine Mutter Sisi, seine Geliebten Mary, Mitzi und Marie Larisch, seine Ehefrau Stephanie und ihre Schwester Louise.

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Marcia Haydée als Erzherzogin Sophie, also als des Kaisers Mutter, in „Mayerling“ von MacMillan – in Jürgen Roses neuem Kostüm. Grandios. Foto: Stuttgarter Ballett

Doch die matriarchale Macht im kaiserlichen Patriarchat hat hier noch mehr zu bieten.

Da gibt es einen Moment, in dem gehört die ganze Bühne Marcia Haydée.

Fantastisch geschminkt, frisiert, angekleidet für einen Ball, stützt sie sich auf ihren eleganten Gehstock und atmet aus. Sie hält den Blick dabei ins Nichts gerichtet, dennoch steht sie im Bühnenzentrum, im Profil, als halte sie nur kurz mal eben inne. Und es scheint eine Verbindung zu geben zwischen ihr und der Unendlichkeit.

In diesem Moment beherrscht sie die Welt, ihre Präsenz lässt alle den Atem anhalten.

Sie ist die Übermutter, die Kaiserinmutter im Stück, und nichts geht, was sie nicht will. Sophie, so ihr Name, war bekannt für ihre Hartherzigkeit.Marcias Sophie hat vor allem Grandezza. Aber auch dieses unbestreitbar Souveräne, Autonome, Uneinnehmbare.

Was für eine Majestät!

Aber auch Georgette Tsinguirides, die ihre Hofdame spielt, hat eine innere Stärke, die auf der Bühne leuchtet. Und wenn sie eine hilfreiche Handreichung leistet, so ist das, als verzaubere sie damit wie eine Fee ihre Umgebung.

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Georgette Tsinguirides – mit 91 Jahren noch auf der Bühne. Als Hofdame von Erzherzogin Sophie – und mit großer Geste. In „Mayerling“ von Kenneth MacMillan im Kostüm von Jürgen Rose. Toll. Foto: Stuttgarter Ballett

Tanz ist eine solche Macht, verkörpert von diesen Ladies, die mit 82 Jahren (Marcia) und 91 Jahren (Georgette) noch längst nicht am Ende sind. Grazie, Standsicherheit, Geradheit – und Lebenserfahrung, die sich in jeder Geste bündelt.

Es ist ein Genuss, die beiden so fantastisch auf die Bühne gebracht zu sehen!

Und auch Egon Madsen kann hier brillieren, mit 76 Jahren und schlohweißen Locken als Vater von Rudolf durchaus glaubhaft. Es ist eine andere als nur körperliche Kraft, die die Magie des Tanzes ausmacht – und die eine Schauspielkunst erlaubt, die viel weniger behauptet, etwas zu sein, als dass sie es wirklich ist.

Natürlich haben im Stück „Mayerling“ – auch wenn die Damenwelt hier so reich bebildert ist – die Männer das Sagen.

Das Stück deckt eine historische Zeitspanne von knapp neun Jahren ab, von 1881bis 1889. Der Patriarch, der Kaiser, erfüllt das Bild vom Übervater, der für alles verantwortlich ist, alles darf und alles tun soll.

Die Absurdität der Unterdrückung der Frauen, die umso absurder ist, als ja normalerweise mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, war vor 1900 nur sehr selten ein Thema.

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Ein tragisches, aber dramatisches Paar: Rudolf und Mary alias Friedemann Vogel und Elisa Badenes in „Mayerling“ von Kenneth MacMillan, neu ausgestattet von Jürgen Rose. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Tragödie von Mayerling ereignete sich am 30. Januar 1889, elf Jahre, bevor Sigmund FreudsTraumdeutung“ erstmals erschien.

Das Lebensgefühl der Hauptperson Rudolf ist dennoch eher modern als klasssich.

Und Modernität – zumal in Form von Wissenschaft – stach in diesen Dekaden seiner Zeitgenossenschaft gelegentlich deutlich hervor aus dem festgefügten Bollwerk aus Konventionen.

Aber nicht mal der passioniert inszenierte Freitod bleibt ihm unverdorben.

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Friedemann Vogel in „Mayerling“ von MacMillan, in der Neuausstattung von Jürgen Rose. Tödlich gut! Foto: Stuttgarter Ballett

Rudolf setzt die Pistole an die Schläfe – und wird gestört. Der Schuss, mit dem er Mary tötete, schreckte die drei Freunde auf, die das Paar nach Mayerling begleiteten. Sie stürmen herbei, und Rudolf hat Mühe, sie wieder herauszukatapultieren. Danach ist ihm die melancholische Stimmung genommen. Wie aus der Zeit gefallen, hantiert er hinter dem Paravent, hinter dem Marys Leiche liegt, mit der Pistole. Er hat Angst vor Entdeckung, muss sich beeilen. Und drückt ab.

Der Paravent kippt nach vorn. Rudolf mit ihm. Das Elend ist offenbar.

Jürgen Rose befreite diese Szene von allem Mief und Muff. Für die Darstellung von Mayerling schuf er zunächst eine Zeichnung, die das Anwesen aussehen lässt wie einen russischen Gutshof. Sie wurde auf Vorhangformat vergrößert.

Das Schlafzimmer des Todes besteht dann nur noch aus kaltem, grauen Licht – und aus einem ebenfalls grauen Paravent.

Rudolfs Schlafzimmer hingegen prangte mit einem schwarzen Bettgestell, auf dem ein schwarzer Adler unheilverkündend die Schwingen ausbreitet, und beim zweiten Treffen mit Mary dortselbst war sogar die Bettwäsche schwarz, satinglänzend.

Die Anklänge an heutige Modetrends macht diese Neuinszenierung von „Mayerling“ so eingängig. Aber sie enthält genügend Historismen, um vor allem auch das Daseinsgefühl der Belle Époque zu suggerieren und speziell die handelnden Personen individuell zu kennzeichnen.

Eine Figur, die hier stark stilisiert ist, was ihr zum Vorteil gereicht, ist Bratfisch. Der Mann dieses Namens war der Leibfiaker des Kronprinzen, mehr noch: ein Vertrauter und wenn man so will ein Freund. Er ist auch der einzige Trauergast bei der Grablegung am Ende, beim traurigen Dauerregen auf dem Friedhof in Heiligenkreuz.

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Adhonay Soares da Silva probt für die Rolle von Bratfisch in „Mayerling“ von Kenneth MacMillan. Ein Augenschmaus! Foto: Roman Novitzky Photography

Zuvor aber hat er zwei Soli, in denen das Leben selbst zu funkeln und zu strotzen scheint!

Mit Adhonay Soares da Silva ist er mit einem Jüngling besetzt, dem die Lust, auch die Wut zu tanzen, aus allen Poren des für Tanz vorzüglich gebauten Körpers quillt. Adhonay ist nun kein schmaler Hänfling, sondern hat schon Einiges an Muskeln zu bieten, sodass seine Sprünge und Beinwürfe nachgerade Bolschoi-Flair haben. Vor allem aber hat er – neben außergewöhnlicher Geschmeidigkeit und einem schelmisch-clownesken Talent – jenes Temperament, das ihn auch für folkloristische Elemente vorzüglich geeignet macht.

Und genau das ist Sache der Soli von Bratfisch, der in Kaschemmen, die der Kronprinz inkognito besucht, auftritt und zu begeistern weiß.

Heißa, da flutschen die Fußsohlen nur so über den Bühnenboden! Die Fußspitzen sind mal gestreckt, mal angezogen, und kosakentanzartig geht Adhonay in die Knie, springt empor, dreht sich, springt erneut – es sind nicht so noble Touren in der Luft, wie sie der Kronprinz häufig zu tanzen hat, aber die markanten Wellen, die hier durch den Körper zu gehen scheinen, fluten auch das Publikum mit Begeisterung.

Es gibt viel Applaus für diesen jungen tänzerischen Draufgänger, der sicher noch Einiges lernen muss, den man dann aber sehr gern in Hauptrollen sehen würde. Auf die Gefahr hin, dass so viel Talent leicht übermütig machen kann!

Mayerling“ ist choreografisch längst nicht so schlüssig und mitreißend wie sein Ballett  „Manon“, das als das überragende Meisterwerk von Kenneth MacMillan gelten muss. Aber es gibt einzigartige Passagen in „Mayerling“, die das ganze Werk zusammenhalten und die man unbedingt möglichst mehrfach gesehen haben muss.

Dazu gehören die beiden großen Auftritte von Bratfisch, natürlich gehören auch die Pas de deux mit Rudolf dazu, aber auch die energischen ungarischen Offiziere sind so expressiv wie wirkungsstark.

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Marcia Haydée und Egon Madsen proben für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan – was für ein Wiedersehen im Ballettsaal! Einst führten die beiden „Die Kameliendame“ von John Neumeier auf… Foto: Roman Novitzky Photography

In der Premiere tanzten Alexander Mc Gowan, Flemming PuthenpurayilAdrian Oldenburger und Martí Fernández Paixà diese vier Herren: makellos und rasant, kraftvoll und verwegen.

Und dann gibt es da eine Szene, die den Charakter von Theater im Theater hat: Einmal findet die Hofgesellschaft im Guten zueinander, ohne verkrampfte Anlässe, nur, um schöner Musik zu lauschen. Es singt die Geliebte des Kaisers, und MacMillan lässt hier keine Ballerina, sondern eine Sängerin als Katharina Schratt auftreten. Maria Theresa Ulrich ist eine stimmliche Erscheinung wie Mathilde Wesendonck und trägt mit Wagnerianischem, manchmal auch Strauss’schen Impetus die passioniert-melancholischen Klänge von Franz Liszt vor.

Es geht um Abschied dabei, und die Art, wie die Tänzer, still stehend und gruppiert wie lebende Skulpturen, dem lauschen, macht deutlich, wie stark dieses Stück an den Grundfesten von Sein und Nichtsein rüttelt.

Ohnehin trägt die Musik zum Erfolg des Stücks bei.

John Lanchberry riet MacMillan seinerzeit zu Franz Liszt für das Sujet von „Mayerling“. Und er orchestrierte die collagierten Stücke neu, sodass sie – ähnlich wie die von Kurt-Heinz Stolze bearbeiteten Tschaikowsky-Partituren für „Onegin“ – nochmals tänzerischer und schwelgerischer, gleichsam cineastischer anmuten.

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Egon Madsen als Kaiser Franz Joseph I. im neuen Kostüm von Jürgen Rose für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Premiere dirigierte mal nicht James Tuggle (wie meistens beim Stuttgarter Ballett), sondern Mikhail Agrest, der aus Sankt Petersburg stammt und vom dortigen Mariinsky Theater aus international Erfahrung sammelte.

Auch er steigerte sich während der Premiere, immer stärker führte er die Streicher und die Bläser zusammen, brachte sie schließlich in einen wohl geordneten Strudel musikalischer Leidenschaft. Ein Hochgenuss!

Auf den Punkt dirigiert Agrest für die Tänzerinnen und Tänzer, und sie danken es mit akkuraten Landungen, Balancen, Pirouetten.

Allein vom Niveau her hat das Stuttgarter Ballett damit mal wieder sein Weltniveau bewiesen, und von den Ersten Solisten bis zu den Nachwuchskünstlern in den hinteren Reihen sei dieses fähige Ensemble bitte herzlichst bedankt!

Für die Einstudierung zeichnen der international bewährte MacMillan-Experte Karl Burnett, ferner Grant Coyle und Edward Watson (der die Rolle des Rudolf lange am Royal Ballet in London tanzte) verantwortlich. Aber auch die Stuttgarter Ballettmeisterinnen und Ballettmeister haben das Ihrige zum Erfolg beigetragen, last not least Ballettintendant Tamas Detrich, der ein begnadeter Coach ist.

Seine Ansprache auf der öffentlichen Premierenfeier – überwiegend in Deutsch gehalten und erst, als ihn die Emotionen fast übermannten, auf Englisch fortgesetzt – zeigte, dass er und Stuttgart eine enge Liebesbeziehung haben, und Tamas und seine Familie sind dort angekommen, wo es gilt, das Lebenswerk von Reid Anderson und letztlich von John Cranko fortzuführen.

Das ist im Sinne aller, darum muss man überhaupt nicht streiten – und mit Abenden wie dieser Premiere, die der Höhepunkt der diesjährigen Ballettsaison in Deutschland sein dürfte, festigt Tamas Detrich seinen Ruf als Erneuerer und Traditionsbewahrer in Eins.

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Wie es überhaupt dazu kam, dass Jürgen Rose es noch mal so richtig wissen wollte (und dadurch auch uns zu Wissenden macht)?

Nun weiß ich, dass Rose in den vergangenen Jahren gern nochmal mit John Neumeier an einer Kreation gearbeitet hätte. Da Neumeier aber dazu überging, vorwiegend selbst Bühnen- und Kostüm-Designs für seine Ballette zu übernehmen, fand sich kein passender Anlass. Und „Die Kameliendame“ neu einzukleiden, würde vermutlich von den meisten Kennern als Frevel empfunden werden, auch wenn ich mir hierzu sehr gut neue Farben und Konzepte vorstellen könnte.

Also stieß Tamas Detrich, als er vor vier Jahren, anlässlich der Wiederaufnahme von „Dornröschen“, an Rose mit seinem Ansinnen, etwas von MacMillan neu aufzubereiten, herantrat, wohl nicht nur auf taube Ohren. Allerdings bestand für Rose die Arbeit fürs Ballett bisher stets in einer Kooperation mit dem lebenden Choreografen. Er lehnte denn auch erstmal ab.

Dennoch schickte Tamas ihm ein „Mayerling“-Video und spannte schließlich Marcia Haydée ein. Sie konnte in diesem Fall nicht nur reden, sondern auch gewinnbringend träumen, um Jürgen Rose vom Projekt zu überzeugen: John Cranko, so erzählte sie Rose, sei ihr im Traum erschienen und habe gesagt: „Der Jürgen muss das machen“, und Kenneth MacMillan habe wartend dabei gestanden.

Das ist nun umso überzeugender, als MacMillan und Cranko seit ihrer Ausbildungszeit eng befreundet waren.

MacMillan – Jahrgang 1929 starb übrigens 1992 während einer Wiederaufnahmepremiere von „Mayerling“ in London im Backstage-Bereich, während John Cranko während eines Heimflugs nach Stuttgart aus den USA 1963 verstorben war. Marcias Traum hat also eine engelhafte Note.

Rose konnte ja auch nicht anders, als sich auf das Wagnis einzulassen. Es folgten drei Jahre minutiöse Detailarbeit, viele Ideen wurden geprüft, manche umgearbeitet, manche verworfen, andere umgesetzt – und wie!

Aber erst die Kostümprobe am lebendigen Künstler ist für Jürgen Rose der entscheidende Akt, was das Outfit angeht. Die tänzerischen Bewegungen, das Schwitzen, der Faltenwurf – alles spielt eine Rolle, will bedacht und berücksichtigt sein.

"Mayerling" in neuem Gewand

Ein gutes Gefühl herrscht vor – auch bei der Premierenfeier nach „Mayerling“ am 18. Mai 2019 beim Stuttgarter Ballett. Hier scharen sich die Stars wie Friedemann Vogel (ganz links) um Ballettintendant Tamas Detrich (rechts oben mit Mikrofon). Zweiter von rechts unten: Bühnenbildner, Licht- und Kostümdesigner Jürgen Rose. Foto: Gisela Sonnenburg

Natürlich ist es eine luxuriöse Ausnahmesituation, drei Jahre lang die erstklassigen Werkstätten eines staatlichen deutschen Theaters sowie weitere Fertigungsbetriebe im In- und Ausland beschäftigen zu können. Aber Jürgen Rose nutzte diese Chance, um etwas Niedagewesenes im positiven Sinn auszutüfteln und zu realisieren.

Das Licht, das er ebenfalls selbst designte, ist hell genug, um die Feinheiten zu erkennen. Man mag es als nüchtern, kühl und fad einstufen, und tatsächlich habe ich mir manchmal stärkere Farben im Licht gewünscht. Aber andererseits wird so die unterkühlte Atmosphäre des Wiener Hofes exzellent ins Gedächtnis gerückt.

Es war nun mal keine Wohlfühlgesellschaft, diese untergehende Monarchie, auf die zwei Weltkriege folgten.

Die Bedeutung von Wende- und Endpunkten erschließt sich hier denn auch Stück für Stück, Szene für Szene stärker.

Der Drive, den das Stück entfaltet, ist enorm.

Der erste Akt zeichnet die Konflikte und Probleme noch nur skizzenhaft, lässt sie nur anklingen. Dann nehmen die Spannungen zu, im zweiten Akt lösen sich bereits alle Bande, das Unheimliche tritt immer öfter hervor. Im dritten Akt schließlich knallen die Gegensätze aufeinander, der Prinz mutiert zum abgewrackten Junkie, mit entgleisten Gesichtszüge leidet er – bis zum großen letzten Verschmelzungsakt, der von seiner Morphiumspritze unterbrochen wird und zum Totschießen der Geliebten führt.

Als er sich selbst das Leben nehmen will und dabei von seinen Freunden gestört wird, mag man noch hoffen, das Blatt könne sich wenden und den Prinzen ins Leben zurückschubsen. Aber die Zeichen stehen auf Tod, in der Musik wie szenisch.

"Mayerling" in neuem Gewand

Diana Ionescu und Friedemann Vogel proben für „Mayerling“ von Kenneth MacMillan. Foto: Roman Novitzky Photography

Friedemann Vogel stirbt als Kronprinz Rudolf denn auch einen großartigen, gebührend schäbigen und dennoch funkelnden Tragödentod, ob der etwas labile, auch skrupellose historische Rudolf das als theatrales Denkmal nun so verdient hat oder nicht.

Die letzten Sekunden gehören der Musik, die langsam, ganz langsam abstirbt und erlischt.

Dreieinviertel Stunden der Schönheit, der Brillanz, der Bitternis:

Stehende Ovationen und zwanzig Minuten lang stürmischer Beifall waren nach diesem künstlerischen Ereignis beinahe eine Selbstverständlichkeit.

Dankeschön.
Gisela Sonnenburg

 www.stuttgarter-ballett.de

Bei Jürgen Rose gibt es klassische Lüster, hier moderne Designstücke: Ein fantastisches Hotel ist das Althoff Hotel am Schlossgarten in Stuttgart, mit drei Minuten Fußweg zum Opernhaus. Hier wird man nicht allein gelassen, etwa wenn das Ladekabel fürs Handy versehentlich daheim blieb. Familiär auf hohem Niveau – das trifft sowohl für die Atmosphäre vom Stuttgarter Ballett als auch fürs Althoff Hotel am Schlossgarten zu. Beste Empfehlung!

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