Telekinese aus der Theatermaschinerie Das Stuttgarter Ballett nimmt mit „Krabat“ den Erfolgscoup von Demis Volpi nach dem Jugendroman von Otfried Preußler wieder auf

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Alles Böse hat in „Krabat“ ein Ende: David Moore in der Titelrolle (links) und Marijn Rademaker 2013 in der Uraufführung des Balletts von Demis Volpi beim Stuttgarter Ballett. Foto: Stuttgarter Ballett

Im Buch liest sich die schwarze Magie wie eine Vorläuferfantasie auf Harry Potter: „Der Meister spie eine schwarze Maus auf den Tisch, sie war einäugig wie er selbst.“ Und doch könnte es sich auch um eine politische Allegorie handeln: „Die Mäuse umkreisten einander auf flinken Pfoten, eine versuchte, die andere in den Schwanz zu beißen: die rote die schwarze, die schwarze die rote.“ Zehn Jahre lang schrieb und puzzelte Kinderbuchautor Otfried Preußler an seiner tiefsinnig verschachtelten Geschichte von „Krabat“, dem Zauberlehrling. Dieser Jüngling muss unter vielen Qualen und wie ein Sklave gefangen in einer finsteren Mühle die dunklen Seiten der Macht erfahren – und er kann erst durch die starke Liebe eines Mädchens erlöst werden. Das Ballett „Krabat“, das Demis Volpi 2013 nach einem Libretto der Dramaturgin und Pressesprecherin Vivien Arnold vom Stuttgarter Ballett uraufführen ließ, kann nun nicht so viele Einzelepisoden bieten wie der mehrere hundert Seiten umfassende Jugendroman. Aber der Kern der Geschichte findet sich auf der Ballettbühne wieder: nachdem Dutzende von Theaterfassungen, Hörspiele und sogar zwei Opern mit „Krabat“ gemacht wurden, krönt der Tanz den Stoff mit expressiven Körperbildern.

Mit Augenklappe und Glatze berückte bei der Uraufführung der schöne Marijn Rademaker als abgrundtief böser Meister in der Mühle, der den Pakt mit dem Bösen mit dem kalkulierten Ableben seiner Gesellen bezahlt. Choreografisch ist des Meisters Rolle zwar eher unbefriedigend angelegt, und einige Rezensenten der Uraufführung bemängelten, dass Rademaker sein tänzerisches Können hierin nicht zeigen konnte. Aber die szenischen Effekte des schlanken, in einen fetzig-schwarzen, wabernden Mantel gehüllten Marijn, der mit verschlossenem Blick und verschränkten Armen auf und ab marschierte, um seine Jungenschar zu terrorisieren, waren geisterbahnreif.

Dieses Jahr muss man in Stuttgart ohne Rademaker auskommen, denn er verließ die Truppe, um sich bei Het Nationale Ballet in Amsterdam in anspruchsvolleren Choreografien so richtig austoben zu können. Sein Nachfolger in „Krabat“ ist jetzt Roman Novitzky, der 2016 schon in Demis Volpis jüngstem Stück „Salome“ als Herodes im Rollstuhl sitzen durfte – und also auf neumodische Pantomime-Partien im Ballett spezialisiert zu sein scheint. Mit diesem Rollenprofil wird man vermutlich nur in Stuttgart Erster Solist, so wie Novitzky.

Dafür ist der junge Titelheld mit der Besetzung von David Moore identisch mit der Uraufführungsbesetzung. „Krabat“ bleibt also „Krabat“?!

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Spektakulär sieht das Innenleben der Mühle (Bühnenbild und Kostüme: Katharina Schlipf) mit getürmten Mehlsäcken aus. „Krabat“ beim Stuttgarter Ballett. Foto: Stuttgarter Ballett

Allerdings gab es auch zu seinem Part schon vor Jahren nicht nur jubelnde Heiterkeit. So schrieb Andrea Kachelriess in den „Stuttgarter Nachrichten“: „Was Krabat bewegt, kann man letztlich nur ahnen. Denn choreografisch passiert zu wenig, damit David Moore uns die Entwicklung dieses Jungen und seine Funktion im Kollektiv der Müllergesellen begreifbar machen kann.“

Im Buch, das 1971 erstmals erschien, geht es hingegen ziemlich detailliert ums Erwachsenwerden eines Jungen in einer dörflichen, vor allem auch abgeriegelten Gesellschaft; sogar Stimmbruch und Hormonschwankungen werden poetisch, aber erkennbar beschrieben. Zunächst will Krabat die Macht erlernen, indem er sich dem Zauber verschreibt. Dann rührt sich sein Widerstandsgeist und er plant, den bösen Meister zu vernichten, ihn mit dessen eigenen Waffen, denen der Magie zu töten.

Dass ein böser Zauberer eine Schar junger Menschen gefangen hält und nur die Liebe von Außenstehenden diesen Fluch brechen kann, erinnert nicht nur an etliche vor allem osteuropäische Märchen, sondern auch an den Grundgedanken der christlichen Religion: demnach ist die Liebe unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen der höchste und bedeutendste Wert.

Ein bisschen klingt die Geschichte von Krabat wie „Schwanensee“ für männliche Opfer. Man mag an allgemeine Missbrauchs-Verhältnisse wie an den Odenwald-Internatsskandal denken, oder auch an Märchen als Trostpflaster generell für Kinder und Erwachsene. Es steckt viel drin im „Krabat“, in der Symbolik der Mühle, in der die Kinder etwas ganz anderes lernen, als sie zunächst dachten.

Die Schulpflicht, so scheint es, wird hier angeprangert: Nicht nur der allgemein bekannte Lehrstoff, sondern auch die niederen Triebe zur Machtausübung werden dort gefördert. Die Kinder werden geopfert und in ihrer Wehrlosigkeit verdorben.

Preußler, 1923 geboren, gehörte ja noch einer Generation an, die die Schule als Unterwerfungsanstalt kannte. Und auch heute muss man sich, bei steigendem Leistungsdruck und teilweise unsinnigen Lehrmethoden (die Pisa-Ergebnisse lassen grüßen) fragen, ob Schule an sich nicht ein viel zu wenig beachtetes Problemthema ist.

Im Buch über Krabat schwingt viel mit von der Tendenz einer Gesellschaft, ihre jungen Nachwuchskräfte zu unterjochen und so direkt oder indirekt zu misshandeln – statt sie sinnvoll zu fordern und zu fördern.

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Der Meister und die zwecks Zauberübungen in Raben verwandelten Gesellen – die Mühle in „Krabat“ hat viele dunkle Geheimnisse. Foto: Stuttgarter Ballett

Preußler, der Autor, fummelte nicht umsonst so lange (immerhin eine Dekade) an diesem Werk herum.

Er wollte einerseits den Prozess des Heranwachsens mit all seinen Gefahren für sein junges Publikum zur Identifikation deutlich zeigen, andererseits aber sein märchenhaftes Buch nicht darauf reduziert wissen.

Die Jungs in „Krabat“ sind denn auch nicht nur Opfer, sogar der Titelheld hat Gelüste und sieht sich nicht nur ausgeliefert, sondern auch kämpferisch.

Aber genügt es, ein Mädchen mit Liebeskraft vorbei zu schicken – und schon sind alle erlöst?

Das überraschende Ende kommt im Buch „Krabat“ nach fast ausschweifender Beschreibung der Leidensjahre des Heranwachsenden auf über 200 Seiten (in meiner Ausgabe) recht plötzlich. Ein Hoppla-hopp-Ende! Der Grund: Preußler ging es gar nicht um das Happy End.

Vielmehr wollte Preußler die frühe Verstrickung der menschlichen Seele in die Netze des Bösen aufzeigen; das Gleiten des Geistes in den Sog der Machthaberei ebenso wie in die Gier nach immer neuen Kunststückchen.

Oh, ich habe das keineswegs im Hinblick auf die Ballettwelt formuliert! Machthaberei und Gier nach immer neuen Kunststückchen – das gibt es nämlich überall, auch außerhalb der hehren Balletthallen.

In „Krabat“ gibt es aber gegen all das Widerliche, Bösartige, Unfreie etwas ganz Konkretes, das Abhilfe schafft: die Liebe, die wahre Liebe, die märchenhafte Liebe, die sogar stärker ist als der Tod und die zu übermenschlichen Taten befähigt.

Elisa Badenes – wer sonst – tanzte und tanzt den Part der liebenden Kantorka mit allen Sinnen. Zart, weich, feminin, dennoch zielstrebig und fast unnahbar in ihrer Souveränität gleicht ihre Erscheinung die mangelhafte Choreografie wieder aus.

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Liebe, die standhaft bleibt, auch unter massiven telekinetischen Einflüssen in der Umwelt: David Moore und Elisa Badenes in „Krabat“. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Stärke der Beziehung und des Vertrauens zwischen ihr und Krabat, aber auch die Fürsorge füreinander, kommt im Buch dennoch weitaus besser zum Ausdruck.

Dort lässt Preußler den jungen Helden von seinem Mädchen auch träumen: „Ein paarmal in diesen Wochen, nicht allzu häufig zwar, träumte Krabat auch nachts von der Kantorka. Es war in den Grundzügen immer der gleiche Traum“. Darin lehnt die Kantorka ihren Kopf an seine Schulter – und er muss befürchten, dass, wenn ihr Gesicht für alle kenntlich wäre, jemand seinen Traum „mitträumen“ und Krabat dadurch um das Mädchen berauben würde. Darum halten Krabat und Kantorka ihre Liebe geheim, treffen sich heimlich und tun vor den anderen so, als würde sie nichts Besonderes miteinander verbinden.

Aber dann erkennt sie ihn blind, mit verbundenen Augen, vielleicht am Geruch, vielleicht dank des Zauberrings, den Krabat ihr zukommen ließ – und würde sie das nicht, wäre niemand befreit, sondern das Liebespaar müsste jung sterben.

In nur wenigen Zeilen wendet sich im Buch alles zum Guten, die Liebe siegt mit der Blinderkennung in höchster Not, damit sind alle erlöst, und nach ungeschriebenen Gesetzen wissen dann auch alle, dass der Meister zu Mitternacht, zur Jahreswende, sterben und seine Mühle in Flammen aufgehen wird. Ein fast praktisches Ende für so einen alles in allem doch recht komplizierten Thriller, wie Preußler ihn schuf!

Nun kann und muss man im Ballett nicht alles genau so übernehmen, und Vivienne Arnold und der ausführende Choreograf Demis Volpi haben aus „Krabat“ sowieso eher ein Themen- als ein Handlungsballett gemacht.

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Demis Volpi choreografiert seit 2006 beim Stuttgarter Ballett – mit großem Erfolg auf der Karriereleiter. Er wurde mit „Krabat“ sogar Hauschoreograf bei Reid Anderson, dem Stuttgarter Ballettintendanten. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Leitmotive darin sind stimmig und durchwirken einander, was allerdings fehlt, ist die symbolisch schlüssige zweite Ebene, die jedes Kunstwerk haben sollte.

Statt dessen finden sich hier illustre Methoden, um den Blick zu begeistern. Jahrmarkt auf der Ballettbühne sozusagen, und wir werden mal durch die Geisterbahn geschleudert, mal mit dem Helterskelter einer Looping-Achterbahn konfrontiert. Auch akustisch. Ein „Mühlensound“ wirbelt durchs Opernhaus, um die Atmosphäre der schweren schwarzen Magie in der Mühle, der Schule, zu vermitteln.

Die zahlreichen Bühnentricks in „Krabat“ sind dann am besten, wenn sie auf Ideen basieren, die sich auch im Buch finden. Obwohl man sich dem Harry-Potter-Einfluss beim Stuttgarter Ballett wohl kaum entziehen konnte…

Telekinese aus der Theatermaschinerie!

Da schweben und tanzen die Gegenstände durch die Luft, da surren auch aus der Musik von Philip Glass und anderen monoton quietschende Geräusche ums Ohr, da verwandeln sich die Gesellen flugs für den Unterricht im Zaubern in schwarz gefiederte, gebückte, dennoch schöne Raben, und da löst sich der böse Meister am Ende in weißmehligen Schneestaub auf.

Mit dem endet in einem schier alltagspoetischen Gestus auch Preußlers Roman, das die Flucht des Liebespaares und den Beginn seines neuen Lebens beschreibt: „Während sie auf die Häuser zuschritten, fing es zu schneien an, leicht und in feinen Flocken, wie Mehl, das aus einem großen Sieb auf sie niederfiel.“

Mehl – Kinder mag es vor allem an die Weihnachtszeit und an das Backen von Keksen erinnern. Im „Krabat“ aber hat das Nährmittel eine doppelte Bedeutung: Der Ort seiner Herstellung aus Korn ist die Mühle, in der die böse Macht der schwarzen Magie praktiziert wird. Andererseits ist Mehl aber auch die Grundlage der Existenz der Menschen gewesen– es bewahrte sie in früheren Zeiten vor dem Hungertod. (Heute leiden hingegen viele an einer Glutenunverträglichkeit, für deren Entstehung die Weizenzüchtungen verantwortlich sind, die mehr als dreißig Mal soviel Gluten enthalten wie altes Korn.)

Mit der Verschmelzung von Eis, Schnee und Mehl erfindet sich Preußler eine Metapher, die Leben und Tod zugleich bedeutet. Im Buch erstarrt der Meister zu Eis, bevor er zerstiebt – auf der Ballettbühne ist der Wechsel seines Aggregatzustandes weniger deutlich. Arnold und Volpi kommt es auf reißerische optische Resultate an, nicht auf die Stimmigkeit der Vorgänge.

So erscheint es nahezu schicksalhaft, dass Otfried Preußler nur wenige Wochen vor der Uraufführung des Krabat-Balletts verstarb, im Alter von 89 Jahren.

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Liebe und Zauberei endlich vereint: am Ende von „Krabat“. Hier Elisa Badenes und David Moore beim Stuttgarter Ballett. Foto: Stuttgarter Ballett

Die Grundlagen für Preußlers „Krabat“ finden sich, und zwar ohne Eismehlzauber, in einer sorbischen Sage aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert.

Daher stammen auch die seltenen Namen der handelnden Personen.

Preußler kannte diese in der Lausitz spielende Geschichte schon als Kind, er veränderte sie für seinen Jugendroman aber so, dass eine modern-gruselige Schauergeschichte mit vielen detailfreudigen Nebensträngen daraus wurde.

Das Unheimliche, das Magische im alarmierenden Sinn, auch das Fast-Tragische dieses Stoffs machen ihn für die Bühnenwelt so geeignet. Die Dramatik liegt hier aber nicht nur in der äußeren Konstellation der Figuren zueinander, sondern auch in ihrer psychologischen.

Die allerdings lässt Demis Volpi arg vermissen. Er beschränkt sich auf das Inszenesetzen von Hauruck-Erlebnissen; für Feinheiten ist da kein Platz.

Man könnte das entschuldigen und sagen: Es handelt sich bei „Krabat“ um das erste abendfüllende Stück von Demis Volpi, der 2002 als Ballettstudent von Toronto (Kanada) nach Stuttgart an die John Cranko Schule kam. Aber bei allem, was ich von Volpi kenne und auch von anderen gehört habe, ist „Krabat“ noch am ehesten als gelungenes Werk von ihm zu bezeichnen. Bis zur „Geschichte vom Soldaten“ und zu „Salome“ war es dann ein weiterer intellektueller und ästhetischer Abstieg in den Kitsch um des Kitsches Willen.

Eingefleischte Stuttgarter Fans, die schon vor Freude ausrasten, wenn sie einen ihrer Lieblinge nur auf der Bühne sehen, mögen da anderer Auffassung sein. Aber solche Fans wären als Kritiker wohl auch nicht wirklich die richtige Besetzung.

Der in Argentinien geborene Volpi zeigte jedenfalls verhältnismäßig früh, schon 2006, nur zwei Jahre nach seiner Aufnahme ins Corps vom Stuttgarter Ballett, eine Neigung zur Choreografie. Und wirklich: Wenn man unter Choreografie das einigermaßen hübsch anzusehende Gruppieren von menschlichen Körpern im Raum versteht, dann hat Volpi zweifelsohne viel Talent.

Wenn man aber zwischen Dekoration und Kunst einen Unterschied machen will – dann hat er meiner Meinung nach nur wenig.

Dafür hat Volpi eine in modischer Hinsicht sehr talentierte Ausstatterin zur Seite. Die rettet ihm so Einiges, kreiert für ihn wandelnde Augenweiden und garantiert ihm so Aufsehen erregende optische Aha-Ereignisse.

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Katharina Schlipf besorgt für Demis Volpi Aufsehen erregende Kostüme und Bühnenbilder. Foto: Stuttgarter Ballett

Katharina Schlipf heißt sie, und sie studierte sechs Jahre lang Bühnen- und Kostümbild in Stuttgart. Die Fantasie ihrer Kreationen ist absolut kompatibel mit dem Mainstream der zeitgeistigen Mode, manches könnte man sich auch in Mailand auf dem Laufsteg vorstellen.

Ansonsten aber ist sie eher brav im künstlerischen Ausdruck. Schlipf schockiert nicht, sie provoziert nicht, sie macht nicht stutzen und auch nicht sich wundern. Man staunt nur über so viel Schönheit: Schlipf bedient die an Werbeclips und Fashion-Fotos geschulte Allerweltsästhetik unseres Zeitgeists mit Bravour.

Aber diese Glättungen optischer Art haben auch Nachteile. Wenn man immerzu nur genötigt wird, „schön!“ zu stöhnen, dann hat man für die eigentlichen Abgründe der Kunst kaum noch Aufmerksamkeit übrig.

Ich werde nie vergessen, wie beschämend ich es für die Ballettwelt allgemein fand, dass sie dieses verwöhnten Jungspundgespann Volpi und Schlipf stark pampert, als ich vor einigen Jahren seinen „Karneval der Tiere“ (2011), ein Kinderballett nach der bekannten Musik von Camille Saint-Saens, sah. Darin gibt es, mitten in banalen choreografischen Reminiszenzen, eine Szene, in der herzhaft schmatzend ein Schwan verspeist wird. Ein Schwan! Im Ballett! Als Leckerspeise! Munter flogen da die Federn beim Zerlegen des Tieres.

Tatsächlich galten Schwäne im zaristischen Russland zeitweise als Delikatesse. Aber auf der Bühne und in der Mythologie ist der Schwan seit der Antike ein erotisches Symbol des Schönen, Verzauberten, Edlen. Im Ballett ist dieses Tier dank „Schwanensee“ sogar zu einem gottähnlichen hohen Wert avanciert. Zuvor schon zog der weiße Schwan den Heilsbringer Lohengrin über Wagners revolutionäre Opernbühne. Der Schwan ist im Ballett mehr als irgendein Wildtier, ja auch mehr als ein Haustier. Er verkörpert die Liebe!

Alles Böse hat in Krabat ein End.

Ein Schwan, der seinem Sinn für Körperhygiene frönt. Schwäne sind Menschen gegenüber zumeist – nicht immer – wehrlos. In der Mythologie, im Tierschutz und auf der Ballettbühne verkörpern sie äußerst schützenswerte Wesen. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber Demis Volpi findet es witzig, den Schwan mal eben so fröhlich essen zu lassen, ganz so, wie sie in China ja auch rücksichtslos Hunde und Katzen abschlachten und vertilgen.

Ist das nun missverstandene Toleranz oder einfach nur Dummheit?

Vermutlich meint Volpi es noch nicht mal provokant oder fies, was er da macht. Er ist einfach zu ungebildet, zu gefühllos, zu geistlos, um zu bemerken, was ihm für Fehler unterlaufen, welche politische Unkorrektheit er da um der Effekte willen inszeniert.

Im „Karneval“ wie in „Krabat“ übertüncht die bildschöne, bunte Kostümierung von Katharina Schlipf solche Idiotien. Die Flachheit von Volpis choreografischem Stil, der lediglich Plattitüden aneinander reiht und von simplen Konventionen des in-Reih-und-Glied-Stehens abzuweichen kaum in der Lage ist, fällt bei all dem Budenzauber der Schlipf nur wenigen auf.

Allerdings machte sich in den beiden Vorstellungen, die ich mit dem „Karneval“ besuchte, eine unterschiedliche Stimmung breit: Als das Publikum mit vielen sehr jungen kindlichen Gästen gefüllt war, obsiegte das plumpe Lachen über jeden vermeintlich witzigen Scherz, der auf der Bühne angeboten wurde. Zum Schwanenfressen gab es sogar dumpfbackiges Gröhlen.

Als die Kinder in der späteren zweiten Vorstellung älter waren, war auch deren Feingefühl offenbar stärker ausgeprägt. Grobe Lacher unterblieben, Ratlosigkeit schwebte in der Luft.

Der richtige Instinkt setzt sich mitunter eben vor allem in der Pubertät durch, wenn der Mensch nicht mehr und noch nicht ziemlich stumpfsinnig ist. Es ist schon ein besonderes Alter, welches werdende Erwachsene durchlaufen. Nicht umsonst bezeichnet man die Teenagerzeit als die wichtigste Zeit im Leben, auch wenn Charakter und Persönlichkeit laut Sigmund Freud vor allem zwischen dem zweiten und dem fünften Lebensjahr geprägt werden.

Preußler hat sich mit „Krabat“ mit den Jugendlichen wirklich eine spannende Menschengruppe gesucht, als Protagonisten seines Romans wie als Leser.

Maria Eichwald ist der Star

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Und falls jemand nicht sofort Zugang zur Vielschichtigkeit dieses Werkes findet: Man soll ja nie ausschließen, dass Hans dann doch noch lernt, was an Hänschen glatt vorbeigerauscht ist.

Aber ob das auch für Demis Volpi gilt?
Gisela Sonnenburg

Termine: siehe „Spielplan“

www.stuttgarter-ballett.de

 

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