Rampentanz und Glück für alle Kurzkritik der modernen „Kammerballette“ beim Stuttgarter Ballett. Ein Gastbeitrag

Kleine Ballette eher groß.

Das „Kammerballett“ von Hans van Manen gab dem Abend den Titel. Zarte zwischenmenschliche Begegnungen sind hierin zeitlos auf den Punkt gebracht. Foto: Stuttgarter Ballett

Dieser Abend hätte statt ins kleinere Schauspielhaus in Stuttgart auch ins große Haus, ins Opernhaus gepasst! Denn trotz seines Titels „Kammerballette“ bietet er Spektakuläres an, und das gleich in zweierlei Sinn. Denn nur begeisternd kann ich dieses Programm nicht nennen, wiewohl hier Vieles absolut sehenswert ist. Zu Beginn macht der mittlerweile 83-jährige niederländische Altmeister Hans van Manen, der bei der Premiere den Jubel auch selbst dankend entgegen nahm, mal wieder alle glücklich. Sein „Kammerballett“ von 1995 wirkt gar nicht alt oder altbacken, sondern zeigt schöne Zwischentöne in den Begegnungen der Tänzerinnen und Tänzer auf der sorgsam ausgeleuchteten Bühne (Licht: Joop Caboort). Es ist nicht so auftrumpfend oder verblüffend, wie man es oft bei van Manen sieht, dafür gibt es tolle kleine Geschichten, die nahezu behutsam tänzerisch erzählt werden. Sehr sehenswert!

Kleine Ballette eher groß.

„Arena“ von Glen Tetley: Große Sprünge, starkes Thema – aber irgendwie fehlte die inhaltliche Verbindung. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden…. Foto: Stuttgarter Ballett

„Arena“ von Glen Tetley aus dem Jahr 1969 hingegen ist ein schwerer Brocken, nicht einfach zu stemmen und noch weniger gut verdaulich. Musikalisch wie inhaltlich wird man mächtig gefordert. Aber die Tänzer scheinen nicht ganz auf der Höhe ihres Könnens mit dem Stück. Da bleibt ihnen viel Raum, ihre Parts zu interpretieren – doch sie können mit dieser Freiheit scheins nicht umgehen. Was sich übermittelt, ist kraftvoll und martialisch, aggressiv und spannungsreich in der Anmutung. Einen tieferen Sinn muss man jedoch erahnen oder sich zusammen reimen. Figuren, die nicht sauber genug getanzt werden, brechen in sich zusammen, verlieren die Form und transportieren dann gar nichts mehr. Tetleys umfassende Konzeption (siehe www.ballett-journal.de/stuttgarter-ballett-kammerballette/ und www.ballett-journal.de/stuttgarter-ballett-bronwen-curry-arena/) erschließt sich beim Anblick des Stücks beim Stuttgarter Ballett derzeit jedenfalls mitnichten. Vielleicht ändert sich das ja noch – eine weitere Beprobung und ein engeres Zusammenwachsen von Tänzern und Stück sind beim Ballett ja Usus. Nur Mut!

Kleine Ballette eher groß.

Alle waren neugierig auf die Uraufführung „Neurons“ von Katarzyna Kozielska, aber nur die Anhänger technisch überdrehten Leistungstanzes kommen auf ihre Kosten. Foto: Stuttgarter Ballett

Enttäuschend für mich dann die Uraufführung „Neurons“ von der Stuttgarter Tänzerin Katarzyna Kozielska. Das ist Rampentanz! Um alles, was man schon mal gesehen hat, zu übertreffen. Das sollte aber nicht die Absicht von Choreografie sein. Im Zirkus geht das vielleicht. Oder beim Showdance. Aber im Ballett genügt so etwas nicht. Da drängen sich mir ob der vielen überkandidelten technischen Spielereien zwar Vergleiche mit William Forsythe auf, vor allem mit seinem Frühwerk. Aber zu überzeugen vermag „Neurons“ darum noch lange nicht, dazu klafft zwischen aufgedonnerter Chiffrierung der Körpersprache und erkennbarem Inhalt (Leere, wohin man sieht!) doch eine zu große Lücke. Der tosende Applaus war für mich völlig unverständlich, er galt ja vermutlich auch vor allem den virtuos gezeigten technischen Leistungen der Tänzer, denen ihre im Publikum sitzenden Kollegen fleißig Beifall spendeten. Bei solchem Tanz, der als reiner Selbstzweck dasteht, ist meiner Ansicht nach nichts mehr zu retten.
Martin Kummer

Termine: siehe „Spielplan“

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www.stuttgarter-ballett.de

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