Schwäbisches Doppelspiel: Österliches Highlight nach „heute“-Schock Das Stuttgarter Ballett zeigt 24 Stunden lang „Mayerling“ von Kenneth MacMillan – aber zuvor zeigte Opernintendant Viktor Schoner in der ZDF-Sendung „heute“ schlechte Manieren

"Mayerling" in neuem Gewand

„Mayerling“ von Kenneth MacMillan in der neuen Ausstattung von Jürgen Rose, mit Miriam Kacerova und Friedemann Vogel als Sisi und Rudolf. Foto: Stuttgarter Ballett

Ballettfans können sich trotz der Einschränkungen durch die Corona-Krise freuen: Das Stuttgarter Ballett zeigt ab 18 Uhr am Karsamstag (11. April 2020) für 24 Stunden seinen Erfolgshit „Mayerling“ von Kenneth MacMillan in einer Aufzeichnung, und zwar in der neuen Ausstattung von Kult-Ballettdesigner Jürgen Rose: online und kostenfrei als Video on demand via youtube bzw. über die Website der Company. Ein wahrlich schöner Trost für all die Ausfälle von tollen Vorstellungen, unter denen die Ballettwelt derzeit weltweit zu leiden hat! Die Staatsoper Stuttgart, mit der das Stuttgarter Ballett den Verbund der Staatstheater Stuttgart bildet, hat sich allerdings kurz zuvor einen bösen Faux pas erlaubt: In der „heute“-Sendung vom gestrigen Gründonnerstag im ZDF lief ein jubelnder Bericht, laut dem ein singendes Ehepaar im Stuttgarter Opernhaus mit dem Segen des stolzen Intendanten Viktor Schoner eine verschmuste Mini-Vorstellung vor leerem Haus gab, die live in ein Seniorenheim übertragen wurde.

Da kann sich Kanzlerin Angela Merkel noch so Mühe geben, die notwendigen und auch erfolgreichen Strategien zur Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus zu stärken – es kommen zwei, drei Opernleutchen im Schwabenland daher und machen in ihrem öffentlichen Haus unter Einsatz etlicher Mitarbeiter, was sie wollen. Ganz einfach so.

Esther Dierkes und Björn Bürger benahmen sich fürs Fernsehen wie Auserwählte – aber vor allem verstießen sie gegen den guten Geschmack. Videostill von „heute“ / ZDF: Gisela Sonnenburg

Die großkotzige Aktion – denn man hätte viel besser eine Opernaufzeichnung im Seniorenheim zeigen können, der Live-Auftritt war absolut überflüssig – hat indes eine Vorgeschichte, und zwar im bayerischen München.

Denn von Viktor Schoner führt die Spur direkt zu Nikolaus Bachler, dem Opernintendanten in München.

Bachler hatte bis zuletzt – bis die Polizei in den Ballettsälen vom Bayerischen Staatsballett auftauchte – proben und mit Online-Live-Übertragungen vor leerem Haus so genannte „Montagskonzerte“ aufführen lassen (siehe Berichterstattung im Ballett-Journal).

Viktor Schoner wiederum diente von 2008 bis 2017 unter Bachler als künstlerischer Betriebsdirektor der Bayerischen Staatsoper.

Jetzt setzte er dessen uneinsichtigen Trotz fort, und zwar ohne, dass etwa die Homepage der Staatsoper Stuttgart einen Hinweis auf den fragwürdigen Sänger-Auftritt mit Klavierbegleitung gegeben hätte.

Die meisten Kritiker dürften den Skandal darum verpennt haben.

Dabei sind für so einen Auftritt viel mehr Menschen notwendig, als auf der Bühne zu sehen sind. Techniker müssen die Bühnenvorrichtungen und das Licht arrangieren, und auch für die Kameraführung mit Ton muss geschultes Personal vorhanden sein.

Auch Angela Merkel trat in Erscheinung: bei „heute“ um 19 Uhr im ZDF, am Gründonnerstag (9. April 2020). Als Pointe der Sendung kam dann der „Kulturbeitrag“: Für staatlich hochbezahlte Stuttgarter Opernkünstler ist das Bitten der Kanzlerin um Vermeidung unnötiger Sozialkontakte offenbar nicht so wichtig. Videostill von „heute“ / ZDF: Gisela Sonnenburg

Eine staatliche Opernbühne ist derweil kein Wohnzimmer und auch kein kleiner Club. Sie ist kein privater, sondern ein geschlossener öffentlicher Raum, zumal, wenn sie mit Übertragungen nach draußen agiert.

Sonst könnten ja heimlich im kleinen Kreis auch Unterrichte in Schulen und Universitäten stattfinden, ohne gegen das Infektionsschutzgesetz zu verstoßen.

Aber die Staatstheater Stuttgart ziehen regelmäßig kleinere Bühnenauftritte in Corona-Zeiten durch.

In Sachen Solidarität wird hiermit die Infektionskette wohl unnötig aufrecht erhalten.

Und in Sachen Solidarität mit den anderen Opernhäusern verstößt Schoners Gig nicht nur künstlerisch gegen den guten Geschmack. Die Atmosphäre mit den Sängern vor geschlossenem Vorhang auf der Bühne beim Pianisten war mit dem zwangsläufigen Corona-Flair abartig genug.

Aber dass man sich damit dank dem Stuttgarter ZDF-Studio auch noch einen in meinen Augen deutlich unlauteren werbeträchtigen Vorteil den anderen, geschlossenen Opernhäusern gegenüber verschaffte, ist nicht protestlos hinzunehmen.

Die Autoren des strittigen Beitrags sind nur mit Nachnamen genannt – die Bewohner und die Leitung des Seniorenheims in Waren sind sich über die Tragweite ihrer Show vermutlich nicht bewusst. Corona – war das was? Das ZDF-Studio Stuttgart hat’s vergessen… Videostill von „heute“ / ZDF: Gisela Sonnenburg

Da nun das Ziel dieser Aktion vermutlich unverhohlen die PR war – womöglich spekulierte man genau auf diesen Auftritt in der Nachrichtensendung des ZDF, die ein Millionenpublikum erreicht – kann man von Rücksicht und Takt in Corona-Zeiten wirklich nicht mehr sprechen.

Bachler und Schoner können sich auf die Schultern klopfen. Sie haben das Feingefühl all jener hintergangen, die sich an die Regelung halten, unnötige soziale Kontakte zu meiden.

Bachler und Schoner, diese sauberen Herrn, haben sich jeweils über das Wort der Kanzlerin und auch über das Agreement der Theater und Opernhäuser, sich möglichst Corona-konform zu verhalten, mal eben hinweggesetzt.

Sie haben sich dadurch als etwas dargestellt, was sie nicht sind: als systemrelevant.

Diese PR wollte er sich nicht entgehen lassen: Der Stuttgarter Intendant Viktor Schoner war mit Ehrgeiz bei der Sache, entgegen Angela Merkels Bitten, jeden unnötigen sozialen Kontakt zu vermeiden. Für ein Solo zum Thema „Social distancing“ fehlte ihm wohl die Fantasie. Videostill von „heute“ / ZDF: Gisela Sonnenburg

Die kulturferne und wohl auch sonst etwas dösbaddelige heute“-Redaktion des ZDF fiel darauf prompt herein – und feierte die ohnehin nicht mehr besonders hörenswerte Operndiva Esther Dierkes und ihren peinlich angeknipsten Gatten Björn Bürger als fleißige Helden, wo doch nur deren Gier nach Ruhm ihnen förmlich aus den Gesichtern sprang.

Dann noch eine Kamera in ein Seniorenheim in Waren an der Müritz (das in Brandenburg liegt) zu stellen und im Begleittext so zu tun, als sei dies die einzige Möglichkeit für die älteren Herrschaften, Opernkultur zu genießen, schlug dem Fass so ziemlich den Boden aus.

Als würde es keine DVDs mit vorzüglichen Konzerten und Opern geben…

Man fragt sich bei solchen Beiträgen, wieviel geistige Unterbelichtung in Deutschlands Kultur- und Medienleben eigentlich noch mitmischt.

Immerhin, und das ist jetzt gut so:

Die Corona-Krise bringt doch Einiges ans Tageslicht.

Was fehlt, sind die Konsequenzen.

München hat Bachler nicht gekippt. Was dringend nötig gewesen wäre, denn Anmaßung statt soziale Kompetenz an der Spitze eines Opernhauses braucht niemand.

"Mayerling" in neuem Gewand

Noch eine dramatische Szenerie: Friedemann Vogel in „Mayerling“ von Kenneth MacMillan, in der Neuausstattung von Jürgen Rose. Tödlich gut! Foto: Stuttgarter Ballett

Aber auch Baden-Württemberg wird vermutlich vor seinen Besserverdienern aus dem Opernhaus kneifen – und nicht handeln.

Die Baden-Württembergische Politik unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) kann sich also zu einem Eigentor beglückwünschen:

Das hat Stuttgart davon, dass man keinen ethisch verantwortlich handelnden Intellektuellen als Opernchef engagiert hat, sondern einen verhinderten Bratschisten, der sich früh in seiner Karriere als Liebling der Deutschen Bank mit Kulturmanagement profilieren konnte.

Viktor Schoner sollte jetzt besser gehen und seinen Posten jemandem überlassen, der mehr will als sich in den Vordergrund spielen. Aber die Frage ist, wer das veranlassen soll, wenn sogar die Nachrichtensendung „heuteSchoners rücksichtslose Werbenummer auch noch propagierte.

Ist das die vielbeschworene Macht der Medien in Deutschland?

Es ist bald Ostern und man möchte weinen. Denn mit solchen Kulturchefs und auch solchem Nachrichtenjournalismus möchte man sich eigentlich nicht abgeben müssen.

Man darf aber nicht wegsehen und auch nichts vorschnell vergessen.

Fakt ist: Die Online-Show mit der „Mayerling“-Aufzeichnung aus dem Opernhaus steht auf einem anderen Blatt und ist ein Verdienst des Stuttgarter Ballettintendanten Tamas Detrich. Auch sie findet, wie die fragwürdige Opernaktion von Schoner, nur dank der Stuttgarter Steuergelder statt. Dafür Danke!

Aber die Auftritte von SchonerDierkes und Bürger bei „heute“ haben dennoch die Augen geöffnet: Maßlose Selbstdarstellerei bestimmt die Opernkultur in Stuttgart.

In diesem Sinne: Besser alle mal besser hinschauen! Und bitte nicht immer nur den Mund halten!

Und, ach ja: Ein frohes und am besten auch gesundes Osterfest!
Gisela Sonnenburg

P.S. Der Link zur Mayerling-Aufzeichnung lautet: https://www.youtube.com/watch?v=_768Y3jFH5o

www.stuttgarter-ballett.de

 

 

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