Auslese aus der Welt der Streams Vom Stuttgarter „Don Quijote“ geht es über John Neumeiers „Ghost Light“ bis zur „Giselle“ aus Mailand, dazu kommen Opern aus Wien und Hamburg, ein Online-Training aus Dortmund und ein Konzert aus München

Streams aus ganz Europa

„Don Quijote – Der Träumer von La Mancha“, stilecht getanzt von Elisa Badenes und Adhonay Soares da Silva vom Stuttgarter Ballett. Online bis zum 24. Januar 21. Foto: Stuttgarter Ballett

Ob der Ritter von der traurigen Gestalt „Don Quixote“ mit dem Dichter Miguel de Cervantes gleichzusetzen ist? Maximiliano Guerra hat das im Jahr 2000 – was nun auch schon wieder zwanzig Jahre her ist – einfach gemacht. In seiner Inszenierung „Don Quijote – Der Träumer von La Mancha“ fürs Stuttgarter Ballett verschmelzen der Titelheld der skurrilen Geschichte und ihr Erfinder zu einer Person. Nun war Cervantes ebenfalls, wie sein Romanheld, mit einem abenteuerlichen Leben gesegnet. Das indes spielt im Ballett von Guerra keine Rolle. Ihm geht es um das Spiel von Traum und Realität, und außerdem kann er sich darauf verlassen, dass das Publikum sowieso hinguckt. Denn „Don Quixote“, ob mit „x“ oder „j“ in der Mitte, steht im Ballett für fetzige, hochkarätig brillante Tänze mit Petipa-Grundierung, also auf der Grundlage der tradierten klassischen Choreografie von Marius Petipa. Bis zum 24. Januar 2021 steht eine Aufnahme aus dem Jahr 2017 vom Stuttgarter Ballett als kostenloser Stream online zur Verfügung. Ebenfalls kostenfrei gibt es wieder den wunderbaren „Schwanensee“ von Rudolf Nurejew mit Olga Esina vom Wiener Staatsballett, heute um 19 Uhr. Am 22. und 23. Januar 2021 wird es dann für Fans des Nachwuchsballetts um 20.15 Uhr kostenpflichtig: für 5 Euro ist das Bundesjugendballett aus dem Lichthof Theater in Hamburg bei Proben unter anderem mit Natalia Horecna und mit Aufführungsausschnitten zu erleben. Warum ausgerechnet eine staatlich so hoch subventionierte Jugendtruppe Online-Eintritt nehmen muss, bleibt derweil ein Rätsel.

Am 23. Januar 2021 lockt – freundlicherweise wieder ohne finanziellen Obolus – eine exquisit moderne, sehr spannende und doch ästhetische  „Lulu“-Inszenierung von Willi Decker mit  dem Dirigat von Ingo Metzmacher erneut nach Wien, aufs Portal der Wiener Staatsoper.

Streams aus ganz Europa

„Manon“, gesungen und gespielt von Elsa Dreisig, träumt vom großen Glück… so zu sehen in der neuen Inszenierung von David Bösch in der Hamburgischen Staatsoper am 24. Januar 21, um 18 Uhr. Foto: Brinkhoff / Mögenburg

Und am 24. Januar 2021, also am Sonntag, kommt aus der Hamburgischen Staatsoper, kostenfrei ein ganz großer Event auf uns zu, und zwar einer des Gesangs, der Musik und der Bühnenaktion:

Um 18 Uhr lockt die Live-Premiere von „Manon“ von Jules Massenet in der neuen Inszenierung von David Bösch mit Elsa Dreisig in der Titelpartie. Das ist frische Kost, brandneu gemacht, eine richtige Premiere, live aus dem großen Haus in Hamburg! Man darf gespannt sein und auch als Ballettfan mal vor allem die Ohren kosten und genießen lassen!

Am späteren Abend des 24. Januar 21 geht es dann virtuell erneut nach Hamburg, und zwar um 23.05 Uhr mit der Hilfe des Fernsehsenders arte zu „Ghost Light“ von John Neumeier, natürlich mit dem Hamburg Ballett. Bis zum 23. April 21 kann dieses am Bildschirm beliebig oft wiederholt werden – solange steht die Aufzeichnung von 2020 nämlich online in der arte Mediathek. Hier und hier gibt es dazu ausführliche Berichte zu lesen.

"Ghost Light" von John Neumeier in überarbeiteter Version im Live-Stream auf arte concert

Emilie Mazon vom Hamburg Ballett, hier mit Nussknacker im Arm, tanzt in verschiedenen Kostümen in „Ghost Light“ von John Neumeier – und schließlich hat sie soviel Jazz in den Beinen, dass man sie sich gut als lebendigsten Geist von allen vorstellen kann. Wow. Zu sehen auf arte und arte concert! Videostill: Gisela Sonnenburg

Am 27. Januar 21 lockt das Ballett Dortmund zum Selbertrainieren, also zum Mitmachen – oder auch rein zum Anschauen der live übertragenen, professionellen „Open Class“ ab 19 Uhr. Nicht verpassen, das Ballett Dortmund hat ein sehr hohes Niveau und wird oftmals unterschätzt!

Den Januar-Schlusspunkt setzt dann eine neu einstudierte „Giselle“ aus Mailand als Online-Stream, mit einer überraschenden Doppelung der Besetzungen.

Im ersten Akt wird Martina Arduino die Titelpartie tanzen, im zweiten Akt Nicoletta Manni. Die spannende Entwicklung der Rolle vom naiv verliebten Mädchen zur überirdisch gnadenvollen Wili muss dabei auf der Strecke bleiben – aber Manuel Legris, der der neue Ballettchef in Mailand ist, will dieses Format mal ausprobieren.

So darf man neugierig sein, zumal keine Geringere als die Grande Dame des Balletts  Carla Fracci (84) die Inszenierung von Yvette Chauviré (einer anderen, leider nicht mehr lebenden Grande Dame des Balletts) einstudiert und betreut hat. In der Pause soll ein Interview mit Legris und Fracci zu sehen sein.

Virna Toppi, die wir noch aus ihrer kurzen Zeit beim Bayerischen Staatsballett in München kennen, tanzt im übrigen die Myrtha – ihre Zartheit wird ein schönes Kontrastmittel zu Mannis Sinnlichkeit sein.

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Unbedingt empfehlenswert ist der erste Akt wiederum schon wegen dem Nachwuchsstar Claudio Coviello als Albrecht, den man möglicherweise schon als zweiten Roberto Bolle feiern kann. Wirklich, wegen Claudio sollte man sich diese „Giselle“ gönnen! Er vereint Sprungkraft mit Weichheit, Vornehmheit mit Erotik, Leidenschaft mit Charme.

Allerdings ist der Stream wahrscheinlich auf Italien begrenzt – es wird angeraten, es trotzdem zu versuchen.

Zuvor aber noch ein paar Worte zum Stuttgarter „Don Quijote“:

Bemerkenswert sind hier unbedingt das von James Tuggle hervorragend geleitete Orchester mit der gar nicht mal so simplen Musik von Ludwig Minkus sowie der junge Adhonay Soares da Silva, der als Basil seit seinem noch recht wackligen Debüt in dieser Partie 2016 enorme Fortschritte gemacht hat.

Primaballerina Elisa Badenes vermag der Rolle der Kitri hingegen trotz technischer Grandezza nicht genügend Tiefe zu verleihen – ihre Verliebtheit wirkt oberflächlich und manchmal fast herzlos, während ihr Partner Soares da Silva sich die Seele aus dem schönen Leib schmachtet.

Aber es ist immerhin interessant zu sehen, dass eine Ballerina, die als „Dornröschen“ einfach fantastisch ist, das souverän-kecke Wesen der Kitri nicht so gut in den Griff bekommt.

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Elisa Badenes und Adhonay Soares da Silva beim Stuttgarter Ballett mit „Don Quijote“ in der Version von Maximiliano Guerra. Foto: Stuttgarter Ballett

Matteo Crockard-Villa wiegt das wieder auf, indem er seiner Doppelrolle als Don Q. und Cervantes mit lebendigem Spiel hohe Attraktivität verleiht.

Louis Stiens als Sancho Panza, David Moore als Torrero und vor allem Rocio Aleman als Straßentänzerin sind weitere Highlights, ebenso Veronika Verterich und Agnes Su als Kitris Freundinnen.

Einen Vergleich mit manch anderen „Don Quixote“-Inzenierungen wie der von Rudolf Nurejew oder auch der von Alexander Ratmansky (beide sind als DVDs erhältlich und sind hier und hier empfohlen) hält die Inszenierung aber nicht stand.

Es hat seinen Grund, warum Maximiliano Guerra als Choreograf nicht wirklich gefragt ist: Vieles bei ihm wirkt altbacken und spannungsarm, und nur die gepfefferten, feurigen Originalpassagen mit der Petipa-Choreografie retten das Ganze. Eine ausführliche Rezension der Premiere von 2015 gibt es derweil hier. Aber wie gesagt: Die Musik-Performance dieses „Don Quijote“ ist wirklich außerordentlich!

Ein akustisches Highlight bietet am 25. Januar 21 dann auch die Bayerische Staatsoper mit ihrem dankenswerterweise kostenfreien „Montagsstück XI“ mit Zubin Mehta am Pult und Camilla Nylund als Starsopranistin – ab 20.15 Uhr, unter dem Titel „Sehnliches Verlangen“.

Die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauß sowie anschließend die Symphonie Nr. 8 C-Dur von Franz Schubert werden hier begeistern.

Gute Besserung geht derweil zum Bayerischen Staatsballett, das wegen zweier Covid-19-Infektionen eine Trainingspause eingelegt hat.
Gisela Sonnenburg

www.stuttgarter-ballett.de

www.play-wiener-staatsoper.at

www.bundesjugendballett.de

www.staatsoper-hamburg.de

www.arte.tv

www.theaterdo.de

www.theatroallascala.org

www.staatsoper.tv

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