Streik beim Staatsballett Berlin! Das Staatsballett Berlin im Streik: „Dornröschen“ fiel aus, Georg Vierthaler bewegt sich nicht

Manchmal muss Streik sein - auch in der Kunst.

So sieht eine Streikweste aus – Streikende können, müssen sie aber nicht anziehen. Die tänzerischen Schönheiten vom Staatsballett Berlin machten darin eine gute Figur! Foto: Gisela Sonnenburg

Karfreitag, 18 Uhr. Sabine Schöneburg, als Landesfachgruppensekretärin von ver.di zuständig fürs Staatsballett Berlin (SBB), überreicht der stellvertretenden Intendantin vom SBB, Christiane Theobald, ein Schriftstück: den Streikaufruf, geltend ab 18.30 Uhr desselben Tages. Für eine Stunde später, um 19.30, ist eine Aufführung von Nacho Duatos „Dornröschen“ angesetzt. Eine Nachmittagsvorstellung desselben Stücks fand bereits statt. Theobald ist theaterintern Chef vom Dienst an jenem Abend – und hat jetzt die undankbaren Aufgaben, die Vorbereitungen für die Vorstellung zu stoppen und das Publikum zu informieren.

Die Vorstellung ist ausverkauft. In der Kassenhalle der Deutschen Oper Berlin stehen mehr als hundert Leute in einer Schlange, wollen ihre bestellten Karten abholen. Um 18.30 Uhr stehen sie noch immer. Flugblätter kursieren – es sind Kopien vom Streikaufruf. Aber die meisten der angehenden Zuschauer können es nicht glauben. Wollen es nicht glauben. Sie warten. Aber die Türen zum Operninnern bleiben verschlossen.

Um 19 Uhr wird dem Publikum mitgeteilt, dass es kein „Dornröschen“ geben wird. Sie können die Auszahlung ihrer Ticketpreise schriftlich beantragen. Murrend und mit frustrierten Gesichtern wanken die meisten von dannen. Aber einige bleiben da, diskutieren mit den Tänzern, die sich vorm Opernhaus versammelt haben, und mit den ver.di-Leuten.

GEMISCHTE GEFÜHLE

Die Tänzer fühlen sich auch nicht nur toll. „Wir wollen ja gerne auf die Bühne und tanzen“, sagt Einer. Und weiter: „Es ist schrecklich, dass dieser Streik nötig ist, aber er ist nötig!“ Der Kampfgeist ist wach: „Jetzt wird es auch an anderen Theatern losgehen, im ganzen Bundesgebiet!“, meint einer der Körperkünstler. Eine Tänzerin pflichtet ihm bei: „Es ist das erste Mal, dass wir nicht klein beigeben und den Mund halten.“

Das Publikum, das an diesem Abend keines sein darf, reagiert gemischt. Manche haben Verständnis. „Ich studiere Theaterwissenschaft, und ich finde es gut, wenn sich die Künstler um ihre Rechte kümmern“, sagt Einer. Ein Anderer genießt das Ungewöhnliche der Situation sogar: „Na, das sind hier ja wohl die bestaussehenden Streikenden, die man sich denken kann!“

Andere hingegen benehmen sich nicht sehr fein. Eine Tänzerin wird beschimpft: „Go and dance, bitch!“ Man mag es nicht übersetzen. Auch andere pöbeln rum, mosern, sie seien „bedient“ und „sauer“. Diskussionen entspinnen sich. Hätte ver.di den Streik nicht ankündigen können? Das war dieses Mal nicht möglich. Worum geht es überhaupt?

Manchmal muss Streik sein - auch in der Kunst.

Das Staatsballett Berlin im Streik: ein Foto mit den Streikaufrufen auf den Papierblättern. Und bitte alle lächeln! Foto: Gisela Sonnenburg

Um Verbesserungen in vielen Details, auch um gerechtere Bezahlweisen. Das Staatsballett strebt einen speziell auf seine Situation, etwa auf das reguläre Bespielen von drei unterschiedlichen Häusern, zugeschnittenen Haustarifvertrag an. So etwas ist an Theatern vielerorts üblich. Die Gewerkschaft ver.di hat eine in Künstler- und Bühnenfragen versierte Abteilung und handelte schon für das Ballett vom Berliner Friedrichstadtpalast eine passende Vertragslage aus.

Doch der Geschäftsführende Direktor des Staatsballetts, Georg Vierthaler – der zugleich Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin ist – will mit ver.di partout nicht verhandeln. Er bevorzugt kleinere, zahmere Gewerkschaften, die keine Mitglieder im Staatsballett Berlin haben. Vierthaler aber will den Tänzern das Recht auf freie Wahl der Gewerkschaft nehmen.

Das klingt nun gar nicht demokratisch und auch nicht besonders gesetzestreu. Vierthaler mobbt die linke Gewerkschaft ver.di, als sei sie des Teufels. Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Monaten und Wochen bis dato fast 100 Prozent des derzeit 77-köpfigen Staatsballetts mit einer Mitgliedschaft bei ver.di organisiert sind, ist das absurd – und ohnehin eine helle Empörung wert. Steckt da ein plumper Politkampf – Rechts gegen Links – dahinter?

So trat Vierthaler kürzlich – nach zwei mehrstündigen Warnstreiks des Berliner Staatsballetts – mit einem Anschreiben an die Tänzer heran. Darin schlug er ihnen vor, einige der Hauptpunkte, die ver.di für das Staatsballett einfordert, zu erfüllen und dieses in einigen Wochen vertraglich zu fixieren – allerdings, ohne ver.di an den Verhandlungstisch zu holen. Die Tänzerinnen und Tänzer blieben standhaft und lehnten ab. Derzeit prüfen Juristen, inwieweit die Machenschaften Vierthalers, also eine solche Ausgrenzung einer bestimmten, politisch links stehenden Gewerkschaft, statthaft ist.

IMMER NOCH KEIN VERHANDLUNGSBEGINN

Vierthaler, bisher nicht besonders auffällig, versammelt eine Anhäufung von konservativ bestimmten Posten und Ämtern in seiner Person. In seinem offiziellen Lebenslauf lässt er vermerken, dass er seinen Wehrdienst leistete. Heute ist er mit den Arbeitgebern in Berlin-Brandenburg vereinsorganisiert. Ob er als junger Mann nach vier Jahren Studium der Betriebswirtschaft einen Abschluss erhielt, ist nicht bekannt. 1982 begann er seinen Werdegang als Verwaltungsdirektor des Münchner Volkstheaters. Von juristischen Kenntnissen scheint er eher unbeleckt – und damit nicht wirklich qualifiziert für die Positionen, die er beruflich einnimmt.

Allerdings kann es dennoch sein, dass der Filz in der Berliner und Bundespolitik an diesem Mann festhält und ihn trotz seiner gespaltenen Haltung zur Gewerkschaftsfrage wie ein Schutzschild zwischen sich und die Tänzer hält. Das wäre unklug – und würde mit einem langatmigen Streik des Berliner Staatsballetts bezahlt werden müssen.

Im übrigen streiken die Orchestermusiker auch der deutschen Opernhäuser des öfteren – und kein Mensch regt sich darüber so auf wie sich über die streikenden Tänzerinnen und Tänzer an diesem einen Abend aufgeregt wurde. Aber das zeigt den Image-Verbesserungsbedarf: Tänzer sind eben keine Marionetten, die alles klaglos hinnehmen, sondern sie emanzipieren sich und wollen auch ihre Arbeitsrechte angemessen wahrnehmen.

Karfreitag, 19.15 Uhr. Der Streiktag neigt sich dem Ende zu. Schließlich füllen alle Formulare aus. Die verhinderten Zuschauer ihre Anträge auf Rückzahlung der Kartenpreise. Die Tänzer ihre Anträge auf Zahlung von Streikgeld. Das zahlt ihnen ver.di – während Georg Vierthaler den ausgefallenen Abend von den Tänzergehältern abziehen wird. Er hat nicht vor, seine Meinung zu ändern.

Manchmal muss Streik sein - auch in der Kunst.

So eine Streikweste ist auch von hinten interessant… zumal vorm Opernhaus. Foto. Gisela Sonnenburg

Um 19.30 Uhr steht man, statt auf der Bühne, vor der Kantine und berät die Situation. Man spricht sich Mut zu, man umarmt sich, man dankt Sabine Schöneburg und Miriam Wolff, die für ver.di viel geleistet haben. Und für die Tänzerinnen und Tänzer vom Staatsballett Berlin, die jetzt ihren ganz eigenen historischen Tag erlebt haben, ausnahmsweise jenseits des rein Künstlerischen.
Gisela Sonnenburg

 Der nächste Streik vom Staatsballett Berlin kann möglicherweise angekündigt werden!

Lesen Sie zum Thema bitte auch:

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Und zum folgenden zweiten Streik: 

www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-zweiter-streik/

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