Nur am guten Wetter lag es bestimmt nicht. Das Publikum, das eigentlich „Duato / Forsythe / Goecke“ sehen wollte, den modernen Dreiteiler vom Staatsballett Berlin, wurde zwar enttäuscht. Aber viele der umsonst von nah und fern Angereisten hatten auch Verständnis: Die Tänzerinnen und Tänzer vom Staatsballett Berlin streiken, weil dieses das einzige legale Mittel ist, das sie haben, um für Verbesserungen ihrer Arbeitssituation zu kämpfen.
Das größte Ärgernis seit Wochen: ein Geschäftsführender Direktor namens Georg Vierthaler, der schon vor längerer Zeit ganz schlicht auf betonstur geschaltet hat – und, wiewohl seit Monaten hierzu angefragt, zu keiner einzigen Verhandlung mit der Gewerkschaft ver.di bereit ist. Nicht nur, dass er in der Sache nicht mit ver.di verhandeln will, er lehnt es sogar komplett ab, überhaupt die Gewerkschaft dieses Namens als Vertretung der Tänzerinen und Tänzer zu akzeptieren. Nun sind aber fast 100 Prozent der Tänzerbelegschaft vom Staatsballett Berlin als Mitglieder von ver.di gelistet. Und diese Künstler möchten, wie andere Balletttruppen in Deutschland auch, einen Haustarifvertrag von ver.di für sich aushandeln lassen.
Dieser soll bestimmte, für die jeweilige Compagnie – in diesem Fall für das Staatsballett Berlin – typische Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Weil nämlich die Situationen im Ballett keine einheitlich zu fassenden sind; es ist da am Theater anders als in manchen anderen Teilen der Arbeitswelt.
So bespielen die Berliner Ballettkünstler gleich drei verschiedene Häuser, die zum Teil auch räumlich weit auseinander liegen, statt nur einem. Und ihre Gehaltsstrukturen sind alles andere als übersichtlich, nachvollziehbar oder gar „gerecht“. Vieles wurde so hingemauschelt und zurechtgebogen in den letzten Jahren, da wurde hier ein bisschen gespart und dort mal etwas draufgelegt – im Kontext eines großen europäischen Ballettensembles mit Vorbildfunktion aber macht all das nicht wirklich Sinn.
Auch die Frage der Ruhezeiten zwischen den anstrengenden Probenarbeiten ist nicht genügend klar gelöst – die Tänzerinnen und Tänzer möchten hier ein Mitspracherecht haben.
So werden viele kleinere, ganz berufsspezifische Veränderungen angestrebt, nicht etwa eine generelle Megaaufstockung der Gehälter oder Ähnliches. Doch bei der Sturheit des Geschäftsführers Vierthaler müssen Tänzer und Publikum leiden. „Ich arbeite selbst im öffentlichen Dienst“, erzählt ein Fan, dem die Tränen in den Augen stehen: „Darum verstehe ich natürlich die Tänzer. Aber ich bin jetzt fast 500 Kilometer angereist, habe ein Hotel gebucht und mich lange auf diesen Abend gefreut. Ich bin eben auch sehr traurig.“ Ein angereistes Pärchen hat sogar schon zum zweiten Mal das zweifelhafte Glück, einen Streik statt Ballett zu erleben: Auch an Karfreitag, als „Dornröschen“ zum ersten Streikopfer in der elfjährigen Geschichte des Berliner Staatsballetts wurde, hatten die beiden Karten und mussten dann ohne Tanzvergnügen wieder abreisen. Dennoch, so versichern auch diese zwei, seien die Anliegen der Tänzer gut nachvollziehbar und darum die gesamte Situation erträglich.
In Grüppchen stehen Tänzer, Zuschauer und ver.di-Mitarbeiter inklusive ver.di-Hündin Lotti vorm Schiller Theater in Berlin und diskutieren. Hätte das Theater denn kein Ersatzprogramm vorbereiten können? Diese Frage aus dem Publikum kommt mehrfach. Manche waren auch gekommen, obwohl sie aus den Medien oder von der Homepage des Staatsballetts Berlin schon wussten, dass der dreiteilige Abend ausfallen würde. Sie kamen, weil sie neugierig waren. Und sich dann auch gleich an der Theaterkasse um die Erstattung ihrer Ticketkosten kümmern konnten.
Welche Möglichkeiten hätte es denn noch gegeben, um eine Verständigung mit der Geschäftsführung zu erzielen? So manche Seele im Publikum denkt richtig gerne mit. Dennoch: Anarchisches Stören der Aufführung etwa hätte rechtlich keinen Boden. In der Demokratie Deutschland ist der Streik das legale Mittel des Arbeitskampfes. Aber die Zuschauer können, so fällt es jemandem im Gespräch ein, auch etwas machen: zum Beispiel Briefe an Georg Vierthaler schreiben und ihn bitten, seine Ablehnung jedweder Verhandlungen mit ver.di aufzugeben.
Sabine Schöneburg, die kompetente und fleißige Landesfachgruppensekretärin von ver.di, die soeben ihre lang geplante Kur verschob, um ihren Job „mindestens hundertprozentig“ zu machen, hat aber auch eine richtig gute Nachricht. Am 27. April ist im Kulturausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus ein Termin angesetzt, zu dem auch Georg Vierthaler eingeladen wird. Er kann dann den verantwortlichen Politikern Rede und Antwort stehen und erklären, wieso das Staatsballett, statt vor ausverkauftem Haus zu tanzen, jetzt manchmal streikend vor der Theatertür steht.
Gisela Sonnenburg
Aktuell – ab 18. Mai 2015 – ist folgender Artikel:
www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-vierthaler/
Vor dem Vorstellungsbesuch beim Staatsballett Berlin wird zudem ein kurzfristiger Blick auf die Homepage empfohlen, wo gegebenenfalls aktuelle Streiks gemeldet sind:
Lesen Sie zum Thema bitte auch:
www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-streik-ver-di/
www.ballett-journal.de/streik-beim-staatsballett-berlin/
www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-streiken/