Gestern gab es beim Staatsballett Berlin den zweiten Warnstreik. Die Tänzer, zu mittlerweile über 90 Prozent in der Gewerkschaft ver.di organisiert, wünschen kleine, aber feine Verbesserungen ihrer Situation und ihrer Verträge. Darüber soll ver.di für sie verhandeln. So etwas ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang, wie er an anderen Theater- und Opernhäusern auch vonstatten geht. Doch die Geschäftsführung vom Staatsballett zeigt sich fortgesetzt uneinsichtig und behandelt die mächtige, aber linke Gewerkschaft ver.di wie einen Schmutzfink. Er verhandelt gar nicht! Geht das überhaupt? Dass in einem doch nicht ganz kleinen Betrieb wie dem Staatsballett Berlin ein Mann ganz allein – und der Betreffende, Georg Vierthaler, Geschäftsführender Direktor, ist noch nicht mal Jurist – über die wegen ihm nicht mal ansatzweise stattfindenden Verhandlungen mit der Gewerkschaft entscheidet? Das ist eigentlich ein Skandalon. Die genauen Hintergründe und der aktuelle Stand sind hier nachzulesen:
www.jungewelt.de/2015/03-18/027.php *
*Weil der Beitrag auf dem Link der „jungen Welt“ zeitweise kostenpflichtig ist, steht er in voller Länge auch hier ganz unten.
Der Intendant vom Staatsballett Berlin, Nacho Duato, hat jedenfalls keine Schuld am drohenden Streik: Er wünscht einen Dialog, hat aber rechtlich in diesen Belangen kein Mitspracherecht. Sein Engagement für seine Tanzkünstler stellte er indes einmal mehr bei einem Pressefrühstück unter Beweis, bei dem auch das unten stehende Foto entstand. Die Rufe nach einem Rücktritt des Geschäftsführenden Direktors Georg Vierthalers werden hingegen immer lauter. Wir wünschen den Künstlern alles Gute – und viel Kraft! Haltet durch!
Gisela Sonnenburg
* Der Kampfgeist der Tänzer erwacht
Warnstreiks beim Staatsballett Berlin – weil dessen Geschäftsführung gezielt die Gewerkschaft ver.di diskriminiert
Streikende Balletttänzer? Früher unvorstellbar. Traditionell herrscht das Klischee, Ballettleute seien Duckmäuser, die wie Sektenanhänger in strikten Hierarchien vor sich hin vegetieren. Ein Solist sagte mal, er sei »der glücklichste Mensch der Welt«, weil er überhaupt »fürs Tanzen bezahlt« werde. Doch mit der alten Bescheidenheit ist es vorbei – neuerdings stellen auch Balletttänzer Forderungen. Am Dienstag fand in Berlin ihr zweiter Warnstreik statt. Auch in anderen Ballettensembles im Bundesgebiet soll es rumoren: Der Kampfgeist der Tänzer ist erwacht.
Das Staatsballett Berlin ist da Vorreiter, es erlebt eine Phase voller Veränderungen. Das gilt sowohl künstlerisch – der neue Ballettintendant Nacho Duato trägt einen modernen Stil in die größte deutsche Balletttruppe – als auch arbeitsrechtlich. Denn die Tänzer wollen nicht länger tariflich gleichgestellt sein mit Chorsängern, Maskenbildnern und anderen Berufsgruppen der Opernwelt. Vielmehr richtet sich ihr Begehr auf einen konkret für sie zu erstellenden Haustarif, somit auf speziell für sie zugeschnittene Verträge. Die sollen zum Beispiel berücksichtigen, dass das Berliner Staatsballett pro Spielzeit rund 120 Vorstellungen an den drei Opernhäusern Berlins absolviert, also an räumlich teils weit auseinander liegenden Spielstätten. Da ist der Weg zum Arbeitsplatz oft lang.
GERECHTERE BELOHNUNG GEFORDERT
Auch in weiteren Details fordern sie gerechtere Entlohnung: Solistische Leistungen von Ensembletänzern sollen endlich berücksichtigt werden, und stärker als bisher ist auch ein Mitspracherecht der Künstler etwa bei Pausenregelungen gewünscht. Schieflagen bei Verträgen, die dazu führten, dass Halbsolisten weniger verdienen als einfache Ensembletänzer, sollen vermieden werden. Zu mittlerweile über 90 Prozent hat sich die derzeit 77köpfige Tänzergruppe bei ver.di organisiert. Einer von ihnen sagt auf Nachfrage von jW: »Wir hoffen, dass unsere Interessen jetzt gut vertreten werden können.«
Doch ver.di hat derzeit keine Möglichkeit, bei Verhandlungen mit der Geschäftsführung vom Staatsballett Berlin etwas zu bewirken. Denn: Der geschäftsführende Direktor Georg Vierthaler boykottiert die Gewerkschaft. Sein Argument: Seit Jahrzehnten verhandle man mit der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GBDA) und mit der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO). Man habe sich mit diesen kleinen Gewerkschaften auf den »Normalvertrag Bühne« geeinigt, der auch für Tänzer gültig sei und »alle paar Jahre aktualisiert« werde. Das müsse reichen. Dass das den Tänzern nicht genügt, blendet er aus. Dabei haben die GBDA und die VdO zusammen nur ein einziges Mitglied unter den Tänzern. Das ist eine homöopathische Dosis Gewerkschaft – und für nachhaltige Vertretung aller schlicht zu wenig.
Kein Wunder, dass der schwelende Unmut unter den für ihre Kunst stets hoch motivierten Tänzern langsam in Wut umschlägt: »Wenn wir von unserer eigenen Geschäftsführung nicht gehört werden, wen interessiert es dann, was wir wollen?« Auftrieb gibt ein anderes Berliner Beispiel: Die Tänzer vom Friedrichstadtpalast, künstlerisch der leichten Muse zugeneigt, lassen sich ebenfalls von ver.di vertreten – und machen damit gute Erfahrungen. Anders als beim Staatsballett wird ver.di dort als zuständige Gewerkschaft ernst genommen und an den Verhandlungstisch geholt. Die ehemalige Tänzerin Miriam Wolff, die für ver.di ehrenamtlich agiert, kann, wenn sie Flugblätter an Ballettzuschauer verteilt, diesen Erfolg vermelden. Auch Sabine Schöneburg, hauptamtlich bei ver.di und zuständig fürs Ballett, weiß: »Künstler und Publikum wollen an einem Strang ziehen.«
AUSSPERREN ZÄHLT NICHT
Seit Monaten wirbt ver.di um Verständnis für die Belange der Tänzer. Doch Vierthaler, der auch Beiratsmitglied beim Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin ist, bleibt hart. Die Angst vor den Beschäftigtenvertretern scheint übermächtig – das Staatsballett werde, so wird kolportiert, sonst »ein Einfallstor« der größten deutschen Gewerkschaft in die Ballettwelt. Solche Bedenken verhärten die Fronten. Ein weiteres Aussperren von ver.di aus den Verhandlungen kommt jedoch Diskriminierung gleich. Das gesetzlich gewährte Recht der Tänzer auf freie Gewerkschaftswahl wird so nicht umgesetzt – ein Streik scheint unumgänglich.
Die Folgen betreffen das gesamte Berliner Operngefilde. Sieht man, mit welcher Begeisterung Fans aus dem In- und Ausland die Vorstellungen in der Hauptstadt begleiten, kann man sich denken, welchen Schaden die Stiftung Oper in Berlin durch Vierthalers Verhalten nimmt. Dabei ist Vierthaler selbst in Personalunion auch Geschäftsführer dieser Stiftung, die mit Bundesgeldern die Opernhäuser und das Staatsballett unterhält. Deren oberstes Ziel muss indes ein Betriebsfrieden sein, der Künstler nicht im Regen stehen lässt, wenn sie sich eine Gewerkschaft wählen. Auf stur zu schalten und nicht mit ver.di zu verhandeln, heißt, den Streik zu provozieren. Vierthaler wird sich verantworten müssen, wenn es international heißt: In Berlin lohnt es sich nicht mehr, einen Ballettbesuch einzuplanen, denn vielleicht fällt die Vorstellung aus – wegen Streik.
Gisela Sonnenburg
Mehr über die Hintergründe zum Streik hier:
www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-vielfaeltigkeit/
Und zum ausführlichen Spielplan des Staatsballetts: