Sasha Waltz als Ballettfan Sasha Waltz rückt unaufhaltsam an – und das Publikum vom Staatsballett Berlin gerät ins Träumen. Zunächst aber wird mit Daniil Simkin eine Trophäe aus New York eingeflogen – ganz real

Daniil Simkin kommt aus New York nach Berlin

Ein Mann mit vielen Gesichtern: Daniil Simkin im Spiegel der Recherche mit Bildern auf Google. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Man stelle sich vor, aus Sasha Waltz würde noch eine echte Ballettomanin. Man stelle sich vor, sie, als Tanztheaterfrau gegen viel öffentlichen Widerstand zur künftigen Intendantin vom Staatsballett Berlin gekürt, hätte plötzlich voll die Ahnung von der ballettösen Zunft. Mehr noch: sie würde das Ballett so richtig lieben! Wen würden sie und ihr Co-Intendant Johannes Öhman dann wohl nach Berlin holen? Ganz richtig: Weltstars, deren Namen für medialen Rummel und klingende Kasse sorgen sollen, für Glanz und Gloria und auch für Glamour. Namen, die man vielleicht sogar in der SPD kennt! Für einen Sergej Polunin würde allerdings wohl das Geld nicht ausreichen, und Natalia Osipova hat womöglich schon zu viele andere Verpflichtungen. Aber Daniil Simkin ist ja auch noch da, und er wäre aufgrund seiner Deutschland-Affinität wohl geneigt zu kommen. Tatsächlich! Simkin sagte zu, ab 2018 /19 als Erster Solist beim Staatsballett Berlin zu tanzen, und Waltz und Öhmann beraumten darum erst eine Pressekonferenz für heute an, um sie dann nur einen Tag vorher wieder abzusagen. Was sehr unprofessionell war und auch nicht wirklich höflich der schreibenden Zunft gegenüber. Aber wenn man einen Simkin im Zauberhut hat, dann meint man wohl, sich so etwas auch ohne Entschuldigung leisten zu können.

Daniil Simkin kommt aus New York nach Berlin

Er ist zweifelsohne ein hübscher Junge. Aber ob Daniil Simkin – hier in einem Film über ihn und das ABT, der auf youtube zu sehen ist – künstlerisch wirklich zum Staatsballett Berlin passen wird? Faksimile: Gisela Sonnenburg

Seit 2012 ist Daniil Simkin ein Principal beim American Ballet Theatre (ABT) in New York – und er ist mir als „ehemals bemerkenswerter Ballerino“ stark im Gedächtnis präsent.

Allerdings: Es war einmal… denn Simkin ist das passiert, was Tänzern passiert, die zu wenig auf Inhalte und zu viel auf äußerliche Erfolge achten: Sein Tanzstil ist verflacht, technisch routiniert geworden, und sein Ausdruck besteht fast nur noch aus dem sichtlichen Ehrgeiz, immer und überall der Beste zu sein.

Wenn man ihn und Polina Semionova vergleicht, so sind das zwei Paar Schuhe, die verschiedener nicht sein könnten.

Die Ballettwelt feiert beide als Stars.

Daniil Simkin kommt aus New York nach Berlin

Daniil Simkin kürzlich im Guggenheim in New York: Tanz im Museum, mit Mode von Dior und viel Schickimicki anbei. Kunst? Wohl eher Kommerz… Faksimile von Facebook: Gisela Sonnenburg

Aber wo Simkin offenbar nur noch seine eigene Leistung interessiert, gibt sich Polina ihrer Rolle hin! Das ist der große, für Kenner auch sichtbare Unterschied.

Die SPD hat davon eher wenig Ahnung. Und Sasha Waltz möchte man für ihre falsche Auswahl keinen Vorwurf machen. Sie war noch nie Ballettexpertin.

Da ist es fast logisch, dass sie auf Blender mit Starruf reinfällt. Aber Johannes Öhman, als ehemaliger, klassisch ausgebildeter Tänzer, hätte vielleicht etwas sensibler bemerken können, wer nach Berlin passt und wer nicht.

Daniil Simkin, 1987 in Nowosibirsk in Russland geboren und 1990 mit den Eltern erst nach Österreich, dann nach Deutschland übersiedelt, passt ganz sicher nicht sehr gut. Weder hat er genügend Charisma, um als Solitär mit Personality zu glänzen, noch hat er eine Verbindung zum Repertoire und Tanzstil des SBB. Und der Typus des ewigen Jünglings, der nie ganz erwachsen wird, ist, mit Verlaub, auch nicht gerade das, was man in der Hauptstadt als Inspiration auf der Ballettbühne derzeit gebrauchen kann.

Vielmehr fehlt es hier an Männern wie Jason Reilly oder Friedemann Vogel vom Stuttgarter Ballett, also an vielseitigen, sensitiven, intelligenten Tänzern, die auch im Team und mit einem starken Ensemble eine gute Figur in jeder Hinsicht machen.

Ja, Simkin war zweifelsohne sehr talentiert als junger Tänzer! Und das, obwohl er nie auf einer Profi-Schule war. Dafür hatte er aber den Unterricht bei seiner Mami. Seine Eltern, beide Ballettprofis, tanzten nämlich zunächst in Graz, bis die Mutter in Wiesbaden einen Großteil ihrer Zeit dem Sohnemann widmete. Und zwar an der Ballettstange!

An der Wiener Staatsoper fiel Simkin dann früh auf, machte Karriere. Landete 2008 beim ABT in New York, wo er seit 2012 als Principal wirkt.

Vor allem aber tourt er durch Gala-Termine, verpulvert sich in möglichst exaltierten Projekten – wie jüngst im New Yorker Guggenheim bei einer dekorativen Mischung aus Mode, Kommerz und Hüpferei.

Dabei durfte der Lieblingssprung aller Simkin-Fans nicht fehlen: ein freihändiges, quergelegtes Radschlagen der Beine.

Daniil Simkin kommt aus New York nach Berlin

Freihändig ein quergelegtes Rad schlagen: Daniil Simkin war mal Weltmeister darin (hier in Ben van Cauwenberghs „Les Bourgeois“), aber Dinu Tamazlacaru vom Staatsballett Berlin hat damit auch schon total begeistert! Foto: ABT / New York

In „Les Bourgeois“ von Ben van Cauwenbergh reüssierte der damals blutjunge Simkin mehrfach mit diesem Sprung. Wer ihn damit sah, dem stockte der Atem. So schön, so leicht, so artistisch wirkte er damit, und doch so entrückt und ballettös-graziös.

Heute wirkt es eher akrobatisch, wenn Daniil Simkin zu diesem Sprung ansetzt. Ist es ihm nicht peinlich, sich solchermaßen wie ein Zirkuspferd unter dem eigenen Niveau zu wiederholen?

Man muss annehmen, dass ihm Applaus und Stargagen lieber sind als kritische Fragen. Aber er sollte wissen, dass es in Berlin mit Dinu Tamazlacaru einen Supertänzer gibt, der ebenfalls mit Cauwenberghs Gala-Glanzstück reüssiert. Ach, und wie!

Tamazlacaru hat zudem den Vorteil, auch als darstellender Künstler glaubhaft zu sein – etwas, das „Zirkuspferdchen“ Daniil meiner Ansicht nach nicht mehr so richtig zu gelingen vermag.

Ein Teil des Publikums ist allerdings zu dumm, um die Unterschiede zwischen einem First-Class-Tänzer und einem ehemaligen First-Class-Tänzer, der sich selbst kopiert, zu erkennen.

Man wird Simkin also bejubeln, egal, wo er auftaucht und völlig egal, was er tanzt. Die Zuschauer von heute sind vielerorts ja ganz hervorragend dressiert und auf Starnamen nachgerade abgerichtet.

Aber die Seele des Balletts? Wo wird sie bleiben? Auf der Strecke?

In Berlin soll Simkin in Alexej Ratmanskis „La Bayadère“ reüssieren. Warten wir ab. Das Berliner Publikum hatte einige Jahre lang eine fantastische „Bajadere“ (www.ballett-journal.de/staatsballett-berlin-die-bajadere/ ) auf dem Speisezettel – und wird nicht leicht davon zu überzeugen sein, dass es auch anders geht.

Und dann träumt Simkin laut gebrieftem O-Ton noch davon, mit modernen Choreografen wie Ohad Naharin und William Forsythe zu arbeiten.

Wir wünschen ihm viel Spaß dabei. Beim Träumen wie beim Werkeln.

Das Berliner Ballettpublikum aber träumt mehrheitlich ganz sicher von ganz anderen Dingen.

Martin Schläpfer und sein Abstieg

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Und freut sich vorerst auf „Polina & Friends“, also auf das Gala-Programm der Semionova im kommenden Frühjahr, ab 17. Mai 2018. Da darf Simkin dann gern als Gast auftreten.

Aber ob man nur eine Saison später seinetwegen auf die große Semionova verzichten würde, muss man sich doch gut überlegen.

Wird sie ihm etwa geopfert? Ist beim Staatsballett Berlin künftig nur noch für einen Simkin statt auch für eine Polina Platz? Womöglich schon aus finanziellen Gründen? Es gibt Fragen über Fragen – aber bisher noch keinen neuen Termin für eine Pressekonferenz, bei der man vielleicht eine aufschlussreiche Antwort bekommen könnte.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

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