Theorie und Praxis Johannes Öhman und Sasha Waltz stellen ihre ersten Pläne für das Staatsballett Berlin vor

Sasha Waltz und Johannes Öhman auf der Pressekonferenz am 28.4.2017 in der DOB beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Wenn man Johannes Öhman, 49, so reden hört, könnte man glatt meinen, er sei richtig froh, endlich mal viel klassisches Ballett zu servieren. Das wird er nämlich in der kommenden Spielzeit beim Staatsballett Berlin (SBB) machen, als vorgezogen neuer Intendant der Truppe. Wenn die Tanztheater-Choreografin Sasha Waltz dann ein Jahr später dazu stößt, um sich mit ihm den Leitungsposten zu teilen, soll Öhman mit der Spielzeit 2018 / 2019 für eine elegante Übergangszeit gesorgt und diese auch allein schon realisiert haben. Ob all das, was in der Theorie so fabelhaft klingt, praktisch auch machbar sein wird, bleibt dennoch abzuwarten. Auf der jüngsten Pressekonferenz im Unteren Ballettsaal in der Deutschen Oper Berlin (DOB) blieben jedenfalls viele skeptisch.

Die größte Überraschung: Marcia Haydée, die als wandelnde Legende soeben ihren 80. Geburtstag feierte, wird einen Abend inszenieren. Im Gespräch ist das romantische Thema „Giselle“. Für Haydée und ihre vielen Fans ist das eine erfreuliche Gelegenheit. Allerdings wird ihre „Giselle“ in Berlin eine starke Konkurrenz im archivischen Memorium haben. Denn die aktuelle „Giselle“ beim SBB ist hochkarätig, stammt von dem gestandenen Pariser Altmeister Patrice Bart, sie ist sogar nicht nur meiner Meinung nach dessen gelungenstes Werk – und gilt denn auch als Publikumsrenner, und zwar an vielen Ballettbühnen, nicht nur in Berlin. Aber Marcia, die Grande Dame, wird schon zu verblüffen wissen, lassen wir uns auf dieses Experiment also mit Freuden ein!

Auch Alexei Ratmansky wird von vielen in Berlin mit offenen Armen empfangen werden, wenn er sich einer Neuinszenierung von „La Bayadère“ widmen wird. Der Connaisseur und Könner historischer Rekonstruktionen wird Berlin somit eine ganz neue Arbeit besorgen, steht damit allerdings auch, ähnlich wie Haydée, in starker Konkurrenz zum Repertoire des SBB.

Waltz und Oehman 2017

Gegen sie wurde viel protestiert, jetzt veröffentichen sie erste Pläne: Sasha Waltz und Johannes Öhman. Foto: Gisela Sonnenburg

Denn „Die Bajadere“ in der Version von Vladimir Malakhov, zuletzt im Sommer 2015 in der DOB zu sehen, war oder ist ein exzellentes Werk und löste unter vielen international bewanderten Zuschauern in der Rangfolge die sonst weltweit viel gespielte Fassung von Natalia Makarova glattweg ab. Nun geht Ratmansky mit seiner Historisierung einen ganz anderen, auch sehr aufregenden Weg – man wird sich also auf November 2018, auf diese Premiere, herzlich freuen können.

Und noch eine klassische, und zwar wieder eine romantische Produktion dräut am Horizont der kommenden Spielzeiten: Im März 2019 wird ein Abend des gebürtigen Kopenhageners Frank Andersen erwartet. Als ehemaliger Künstlerischer Direktor des hoch renommierten Royal Danish Ballet ist der 64-Jährige ein Kenner des klassisch-dänischen Stils von August Bournonville – und beschäftigt sich für Berlin mit zwei Bournonville-Balletten.

Die Gala des Étoiles 2017 lockt nach Luxemburg

Die Gala des Étoiles lockt nach Luxemburg: am 20. und 21. Mai 2017 findet hier das Spitzentreffen vieler verschiedener Ballettsuperstars statt. Nicht verpassen! Tickets gibt es hier: www.luxembourg-ticket.lu/fr/8/eid,10227/gala-des-%C9toiles-2017.html  Foto: Press Photo/ Anzeige

La Sylphide“, jenes traurig-schöne Märchen, das Bournonville nach Ansicht der Pariser Fassung in Frankreich  für seine Truppe in Kopenhagen neu kreierte, ist hier von Interesse. Und Öhman nannte auch den dritten Akt des Bournonville-Balletts „Napoli“, der mit seinem berühmten Pas de six und seiner beliebten, äußerst rasanten Tarantella womöglich in das Mittelstück von „La Sylphide“ integriert werden wird, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn das SBB den kompliziert-kleinteiligen technischen Stil Bournonvilles gut begreifen und umsetzen kann, wird das sicher ein Erlebnis!

Das nervöse Lächeln, das Sasha Waltz zu Beginn der Pressekonferenz aufsetzte und immer wieder harsch unterbrach, war also gar nicht nötig. Natürlich kamen auch kritische Fragen auf sie zu. Aber mit Johannes Öhman wurde Waltz ein Partner an die Seite gestellt, der so smart und so barmend agiert, dass er für die umstrittene Tanztheaterfrau wohl alle heißen Kohlen fleißig aus dem Feuer räumen wird.

Waltz und Oehman 2017

Smart und willig: Johannes Öhman wird das Feld bereiten und für Sasha Waltz versuchen, es auch zu bereinigen. Foto: Gisela Sonnenburg

Öhman war selbst Tänzer, Erster Solist in Stockholm, und seine anschließende Direktorenlaufbahn weist ihn als typisches Kind unserer Zeit aus. Er begann bei der kleineren schwedischen Truppe Stockholm 59th North (die sich nach dem 59. Breitengrad nennt). Über Göteborg und dann über das Royal Swedish Ballet in Stockholm profilierte er sich als Ballettmanager, keineswegs als Choreograf.

Bekannt wurde Öhman mit dem Anlandziehen von drastisch modernisierenden Inszenierungen – dass er jetzt für Berlin ein an „reiner“ Klassik sattes Programm vorweist, ist als einlenkende Reaktion zu verstehen. Immerhin: die starken Proteste, die es gegen ihn und Waltz als kommende Intendanz gegeben hat, waren in sofern wohl nicht umsonst.

Dennoch bleibt natürlich die Frage offen, wieso der Protest des SBB, diesem streikerprobten, tapferen Hardcore-Ensemble, im letzten Jahr schlagartig erlahmte, nachdem er zunächst sehr hohe Wellen geschlagen hatte.

Ob es vielleicht die Ankündigung eines neuen, kommunikativen Kurses vonseiten der neuen Spitze war? Das möchte man vermutlich gerne hören, in der Politik wie an der Spitze der Stiftung Oper in Berlin.

Aber vielleicht war es ganz anders. Vielleicht hat man den tanzenden Künstlern unmissverständlich klar gemacht, dass die Unterzeichner der Petition „Save Staatsballett“ niemals für die Gehälter der Tänzer aufkommen werden und diese auch keinesfalls vor zügigen Kündigungen schützen könnten.

Waltz und Oehman 2017

Man spielt heile Welt beim Staatsballett Berlin: Sasha Waltz, Johannes Öhman, die Übersetzerin, Elinor Jagodnik. Foto: Gisela Sonnenburg

Wie auch immer: Elinor Jagodnik, die Tänzerin und Sprecherin ihrer Kollegen beim SBB, die in 2016 den harschen Protest der Staatstänzer wieder und wieder erklärt hatte, saß nun handzahm bei der neuen Herrschaft mit am Podiumstisch, lächelte breit und erklärte, es sei gut, „endlich das Projekt von Sasha Waltz und Johannes Öhman richtig kennen zu lernen.“ Immerhin gab es gerade gestern schon mal ein groß angelegtes Treffen von Waltz und Öhman mit den Tänzern, bei welchem die Tänzer (teilweise vorher eingereichte) Fragen loswerden konnten. Laut Jagodnik gab es – kuschelkursgemäß – „auf fast alle Fragen“ eine Antwort.

Dabei ist die durchaus wichtigste Frage, ob das Berliner Staatsballett seinen schwer erkämpften Haustarifvertrag behalten wird, noch nicht entschieden.

Johannes Öhman erklärte auf Nachfrage, er habe sich gerade mal zu einem Mittagessen mit Geschäftsführer Georg Vierthaler treffen können, und er müsse sich noch weiter in die Materie einarbeiten.

Typisch Berlin, typisch Ballett: Woanders überlegt man sich wahrscheinlich zuerst, wie man die Leute, die man beschäftigten will, bezahlen wird, bevor man weitere Pläne macht. Beim Staatsballett Berlin aber kommt das Finanzielle, das die Tänzerinnen und Tänzer ganz existenziell betrifft, sozusagen als Schlusslicht.

Das riecht nicht gerade danach, als ob sich Öhman und Waltz unbedingt am Haustarifvertrag für ihre Compagnie klammern würden. Es riecht sogar eher nach dem Gegenteil: So, als würde man diejenigen Künstler, die daran festhalten würden, gern rasch loswerden und bevorzugt kündigen. Zumal Geschäftsführer Georg Vierthaler nicht eben als Freund der im Ballett durchaus neuartigen Berliner Bezahlstruktur zu orten ist.

Aber auch Berliner Tänzerinnen und Tänzer befanden schon, es sei besser, die Probenzeit wieder zu erhöhen, als auf Bezahlung jeder einzelnen Probestunde zu beharren. Man wird also vermutlich etliche Schritte zurück in Richtung Ausbeutung unternehmen, schon um des lieben Friedens an den Opernhäusern willen und auch, weil man es mit dem impliziten Druckmittel der Kündigung eben so machen kann.

Ob Öhman dann ein neuer Streik ins Haus steht? Das bleibt abzuwarten; die Stimmung beim SBB geht derzeit eher in Richtung Tanzen, Tanzen, Tanzen – statt in Richtung Protest. Was nicht heißt, dass sich das nicht ändern könnte.

Zurück zum Programm. Natürlich wird nicht nur Klassik zu sehen sein, ab September 2017.

Richard Siegal, der moderne choreografische Querkopf, der in München gerade eine eigene Compagnie gründet, wird ein Drittel eines Abends gestalten, der in der dann hoffentlich eröffneten Staatsoper Unter den Linden stattfinden soll.

Waltz und Oehman 2017

Johannes Öhman demonstriert Entscheidungsfreudigkeit. Auf der Pressekonferenz am 28.4.17 beim SBB. Foto: Gisela Sonnenburg

Und in der Komischen Oper soll schon zuvor ein Abend mit Werken von Sharon Eyal und Stijn Celis premieren.

Celis, Ballettdirektor in Saarbrücken, hat stilistisch so viel drauf, dass er schwer auf eine Spur festszulegen ist. Allerdings hat er eine Neigung, erfolgreiche Dinge in seinen Balletten nachzuahmen statt tänzerisch zu zitieren, was als Choreograf nicht immer nur von Vorteil ist.

Bei Sharon Eyal weiß man eher, was auf einen zukommt: Sie kommt von der israelischen Batsheva Dance Company und vertritt einen harten, krass zeitgenössischen Stil. Die Kostüme mit Latex-Spirit erinnern in ihren Tänzen mitunter an die Bizarre- oder SM-Szene.

Außerdem, und das werden manche als kleine Sensation feiern, ist Johannes Öhman im Gespräch mit Mats Ek.

Dieser schwedischer Landsmann von Öhman hatte sich ja nun gerade unter allgemeiner internationaler Anteilnahme aus dem aktiven Geschäft zurück gezogen und verkündet, keine neuen Lizenzen mehr für seine Werke verkaufen zu wollen. War das nur ein Werbegag, womöglich um jetzt dem um so Vieles jüngeren Öhman auf die Sprünge zu helfen und ihm Punkte zuzuschanzen? Oder etwa um die eigene Arbeit mit besonderer Aufmerksamkeit würzen zu lassen?

Ich für mein Teil würde es nicht allzu schade finden, wenn die Gespräche mit Ek nicht viel bringen würden.

Immerhin ist auch der viel virtuosere William Forsythe avisiert, für das Staatsballett Berlin einen großen Abend einzurichten. Damit würde eine fast vergessene Tradition des SBB wieder belebt.

Die Tradition, Stücke von John Cranko in Berlin sehen zu können, soll derweil nicht abgeschafft werden, das betonte Sasha Waltz.

Polina Semionova auf der Pressekonferenz am 24.April 2017

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Crankos „Onegin“ war ja viele Jahre die brillanteste Visitenkarte vom SBB, und auch, wenn er kommende Spielzeit nicht auf dem Plan steht, so bleibt die Hoffnung, ihn ab 2018 /2019 mit neuen Interpreten getanzt zu sehen.

Aber mit welchen Tänzern, mit welchen Ersten Solisten?

Dass es Veränderungen geben wird, ist nur logisch. Aber für teure Gastsolisten, für die international begehrten Stars aus dem In- und Ausland, die in den letzten Jahren (und schon seit der Malakhov-Ära) immer wieder das Publikum anlockten und begeisterten, wird in Zukunft wohl kein Geld mehr da sein.

Dieses Manko kommt wohl unvermeidbar auf Berlin zu.

Johannes Öhman betonte auf Nachfrage, dass der Aufbau eines Ensembles mit eigenen Solisten Vorrang habe – die Grandezza einer Zakharova, Krysanova oder Konovalova, die Bravour eines Friedemann Vogel oder Jason Reilly wird man in Berlin dann nicht mehr erleben dürfen.

Dafür reichen die Kopeken hoffentlich noch, um die frisch zur Berliner Kammertänzerin gebackene Polina Semionova am Haus zu halten. Sie hat derzeit Sonderkonditionen, um als ausgemachter Weltstar häufig beim SBB zu gastieren – würden Waltz und Öhman sie beispielsweise 2019 verlieren, ginge das zu Lasten der Qualität des SBB, zweifelsohne.

Die Qualität. Um sie wird gebangt, beim Staatsballett Berlin, und es wird sich erst in der Praxis erweisen, ob und inwieweit sie zu halten oder zu erneuern ist.

Sasha Waltz wird 2019 / 2020 ein neues Stück mit dem SBB kreieren; sie wünscht sich außerdem verstärkt den Einbezug der Orchester. Öhman zeigte sich zuversichtlich, auch mal einen Kompositionsauftrag vom Budget bezahlen zu können.

Inwieweit die derzeit von Nacho Duato geprägte Compagnie sich verändern, verbessern, verschlechtern wird, kann noch niemand sicher sagen. Aber man darf so Einiges befürchten.

Die Beibehaltung eines Klassikschwerpunkts und Aufteilung aller Mittel je zur Hälfte zwischen Klassik und Zeitgenössischem spricht immerhin dafür, dass Öhman keinesfalls unnötig viel riskieren will. Dass das Können und der hohe Standard des SBB im Klassischen, sprich im klassischen Training und in der klassischen Praxis im Gegensatz zum zeitgenössischen Tanz verankert ist, dürfte ihm klar sein – hingegen träumt Sasha Waltz noch immer von der Aufhebung aller Grenzen in dieser Hinsicht.

Waltz und Oehman 2017

Noch einmal Sasha Waltz und Johannes Öhman beim SBB. Ziemlich machtbewusst! Foto: Gisela Sonnenburg

Das schlechte Englisch mancher Journalistenkollegen überraschte allerdings bei dieser Pressekonferenz. Öhman hoffte daher, beim nächsten Mal schon auf Deutsch parlieren zu können. Er ist ein Mann, der keine Mühen scheut.

Ob er das Staatsballett Berlin zum Blühen bringen wird, wissen aber derzeit vermutlich noch nicht mal die Astrologen.

Schmerzhaft aufjaulen dürften hingegen die Fans von Sasha Waltz‘ eigener Truppe Sasha Waltz & Guests. Denn deren Leitung wird die Choreografin nach über 25 Jahren ganz an ihren Ehemann Jochen Sandig übergeben. Ich hatte mal das zweifelhafte Vergnügen, einen von Sandig mit Musik von Johannes Brahms szenisch gestalteten Chorabend erleben zu müssen. Nun, so etwas wünscht man nicht mal seinem ärgsten Feind.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

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