Angst und Hoffnung in Berlin Neuer Skandal an der Staatlichen Ballettschule Berlin: Es gibt kein Online-Training für die Profi-Studenten! Marek Rozycki wird außerdem erneut und sehr schwer belastet, ist aber Abteilungsleiter. Nur Ralf Stabel und Gregor Seyffert sind suspendiert. Gibt es Hoffnung?

Das Landesjugendballett Berlin probt

Drei Mädchen, drei Mal Passé, drei Mal Cambré – Schönheit im Trio an der Barre, also der Ballettstange, in der Staatlichen Ballettschule Berlin vor einigen Jahren. Foto: Gisela Sonnenburg

Tänzerinnen und Tänzer, auch angehende Tänzerinnen und angehende Tänzer müssen trainieren. Sechs Mal die Woche. Auch in Corona-Zeiten. Jede und jeder, die oder der sich ein wenig mit Ballett beschäftigt, weiß das. Nur in Berlin scheint es auf einmal diesbezüglich keinerlei Rechte mehr für Schülerinnen und Schüler zu geben. Nun birgt zwar jede Krise auch Hoffnung: auf Erneuerung, auf neue Chancen, auf neue Wege. Aber für die Berliner Ballettschülerinnen und Ballettschüler ist es derzeit schier unerträglich: Die Corona-Krise trifft sie zusätzlich zum Schulskandal, die Staatliche Ballettschule Berlin scheint in Angst erstarrt zu sein. Vor allem die Abschlussklassen, die ihren Start ins Berufsleben planten, stehen vor dem Nichts. Zumal die „Staatliche“ ihrer Ausbildungspflicht einfach nicht mehr nachkommt. Während an anderen Profi-Schulen längst das obligatorische tägliche Online-Training für zuhause  organisiert ist, sind die Kinder und Teenager der „Staatlichen“ in Berlin auf sich gestellt. Was für ein Fauxpas! Wie schlimm ist das für all die Schülerinnen und Schüler, die darauf angewiesen sind, möglichst viel von ihrem körperlichen Können zu bewahren – und welch ein weiterer Nachteil ist es für sie im deutschen und internationalen Vergleich, keine passendeHome class zu bekommen. In Hamburg etwa hatte man das Internet-Training für die Schüler parat, sowie die Schule wegen der Corona-Gefahr geschlossen wurde. Weltweit ist das so üblich. Nur die Berliner sollen anscheinend nicht mehr tanzen können. Da rächt es sich, dass die vom Berliner Senat für Bildung, Jugend und Familie in aller Unschuld eingesetzte kommissarische Doppelspitze zur Gänze fachfremd ist – und von professioneller Tanzausbildung null Ahnung hat. Es war ein Fehler, vielleicht ein gut gemeinter, sie als Leiter vor Ort einzusetzen. Einer der beiden Köpfe, der im Hauptberuf eine Gastronomen-Ausbildungsstätte leitet, bewies allerdings seine mangelhafte Eignung schon in der Vergangenheit: bei einer Kooperation mit der Staatlichen Ballettschule in Sachen Ernährungsberatung. Da wurde letztes Jahr Teenagern, die Balletttänzer werden wollen, im OSZ Gastgewerbe (Brillat-Savarin-Schule) unter der Leitung von Jürgen Dietrich allen Ernstes geraten, mehr Brot zu essen. Ausgerechnet diese Ansammlung von Kohlehydraten mit zumeist viel zu hohem Glutengehalt! Der zweite kommissarische Kopf der Schule heißt Volker Dahms und leitet das Berliner OSZ IMT (Informations- und Medizintechnik). Auch er hat mit Tanz und Bühne nichts – gar nichts  – am Hut. Man merkt’s! Aber sogar der aktuelle Leiter der Abteilung Bühnentanz der „Staatlichen“ ist definitiv nicht mehr geeignet für seinen Posten: Marek Rozycki ist eine personelle Altlast der Schule und wird in Sachen aufgedeckter skandalöser Verhaltensweisen  von Lehrern zu Schülern weiterhin von neuen Anwürfen schwer belastet. Nach meinem letzten Artikel zum Thema („Das Ballett auf der Anklagebank“) meldeten sich nämlich weitere Zeugen, um mitzuteilen, dass und warum Rozycki nicht mehr tragbar sei. Der Senat aber meint: Zu Personalfragen könne man keine Auskünfte erteilen. Auch, in welche Richtung man die Schule neu aufstellen wolle, ist derzeit geheim.

"Schwanensee" geht auch ohne viel Bühnenbild

Einige der wirklich wunderbaren Schwanenmädchen vom Staatsballett Berlin und der Staatlichen Ballettschule Berlin, wie sie beim Schlussapplaus in der Deutschen Oper Berlin nach „Schwanensee“ am 18.1.2018 zu sehen und zu bejubeln waren. Ohne tägliches Training undenkbar! Foto: Gisela Sonnenburg

Nur eine einzige gute Nachricht bleibt derzeit im Berliner Ballettdesaster zu verzeichnen:

Immerhin läuft die Wirtschaftsprüfung der Schule, sollte also falsch abgerechnet worden sein, so wird das bald offenbar sein.

Was ist mit der pädagogischen Seite des Skandals? Im Juni 2020 werden die Berichte der Clearingstelle und der ebenfalls vom Senat eingesetzten Kommission unter Klaus Brunswicker bezüglich der Missstände an der Schule erwartet.

Die in puncto Verantwortung stark belasteten ehemaligen Leiter Prof. Ralf Stabel und Prof. Gregor Seyffert wurden bereits suspendiert – allerdings ohne wirksame Gehaltseinbußen. Denn ordentliche Professoren können in Deutschland auch nach ihrer Suspendierung ihr Gehalt einklagen.

Eine solche soziale Sicherheit hätten Marek Rozycki und weitere konkret beschuldigte Lehrkräfte nicht. Aus arbeitsrechtlichen Gründen wird es zudem sicher nicht ganz leicht, Lehrerinnen und Lehrer, die womöglich seit Jahren an der „Staatlichen“ angestellt sind, zu entlassen. Auch dann nicht, wenn sie im Zuge der Aufklärungscampagne schwer belastet werden.

Wo es Zeugen gibt, gibt es Gegenzeugen – auch bei mir meldeten sich ehemalige Schülerinnen und Schüler, die mit ihrer Ausbildung an der „Staatlichenhochzufrieden waren.

Nur: Was nützt das denjenigen, die abgrundtief schlechte Erfahrungen machen mussten, die sich beschimpfen, ignorieren, falsch ausbilden und herabsetzen lassen mussten?

Hier müsste der Senat als Dienstherr den Mut zeigen, um zu differenzieren – und eine Fachkenntnis haben, die er bisher in der Tat vermissen ließ.

Dabei dräut immer wieder eine große Frage am Horizont:

Warum lässt Sandra Scheeres (SPD), die zuständige Senatorin, sich und ihre Kommissionen nicht von Ballettfachleuten beraten?

Irgendwie riecht diese ganze Sache darum nach einem abgekarteten Spiel. War es womöglich kein Zufall, dass die Missstände pünktlich zum damals angesagten Intendanzwechsel beim Staatsballett Berlin aufflogen?

Auch in Wien gab es – schon im letzten Sommer – einen ähnlich gelagerten Skandal an der staatlichen Ballettausbildungsstätte. Auch dort kam dieser pünktlich zum Chefwechsel beim Wiener Staatsballett. Will man das klassische Ballett an sich diskreditieren? Will man Magersucht und Leistungswahn als rein balletttypische Auswüchse darstellen?

Branchen wie Film und Mode, Werbung und Kosmetik werden da ganz außer Acht gelassen. Dabei kommen die falschen Schönheitsideale von dieser einschlägigen Industrie, die damit ihre Produkte verkaufen will und Milliardenumsätze damit macht.

Beim Ballett geht es hingegen auch um Kunst. Aber: Nicht jede und nicht jeder, die oder der gern möchte, ist geeignet, Profi-Ballerina oder Profi-Ballerino zu werden. Eine gewisse Auslese während der Ausbildungsjahre ist weltweit üblich und nicht zu vermeiden. Das ist wie im Leistungssport.

Man muss zudem ein dickes Fell haben, um sich in dieser Sphäre aus Körperkontrolle und Seelenarbeit hochzuarbeiten. Berufstanz ist nichts für Mimosen, auch nicht für begabte Mimosen.

"La Sylphide" ist echt dänisch

Die Sylphiden im Bild proben nicht den Aufstand, sondern die zierlichen Posen, die August Bournonville für sie vorsieht: Das Staatsballett Berlin tanzt, unterstützt von der Staatlichen Ballettschule Berlin, auf der öffentlichen Bühnenprobe in der Deutschen Oper Berlin . Foto: Gisela Sonnenburg

Für Menschen, die gern mal was missverstehen oder krumm nehmen, ist das Profi-Ballett sowieso nicht geeignet. Schließlich muss täglich etwas vollbracht werden, das den Anschein von Magie hat. Der Weg dahin ist mühevoll bis zum Anschlag. Da kommt man mit ein paar Streicheleinheiten alleine nicht hin.

Sätze wie „Du tanzt wie eine Hausfrau!“ stellen entgegen den Annahmen der Wiener Aufklärer allerdings keine Beleidigung dar, nicht mal der Hausfrauen. Sondern solche Klassifizierungen helfen begabten Kindern, im Ausdruck einer Darbietung zu unterscheiden. Tatsächlich tanzen Hausfrauen zwar mit guter Laune und femininem Ausdruck, aber mit nicht ausreichender Präzision. Das ist für angehende Tänzerinnen wichtig zu wissen.

Ob die Aufklärer in Berlin zu diesen Differenzierungen fähig sind?

Weder die Clearingstelle noch die Kommission unter Brunswicker noch der zuständige Senat fragte meines Wissens nach bisher bei Ballettexperten nach.

Was ist denn das für eine Aufklärung?

Würde man nur Nicht-Informatiker über eine Ausbildung von Informatikern entscheiden lassen?

Der Senat sollte mal darüber nachdenken.

Die meisten Medien, die den Stein des Skandals mit ins Rollen brachten, stehen der jetzigen Situation ebenfalls eher hilflos gegenüber. Auch ihre Reporter sind nicht dieselben, die als Rezensenten ins Ballett gehen und die auch mal die Ausbildungswege in der internationalen Tanzkunst studieren.

Irgendwie scheint es da allen nur noch um Schlagworte und Denunziation zu gehen.

http://ballett-journal.de/staatliche-ballettschule-berlin-landesjugendballett/

Die Freude an der Hingabe ist unübersehbar: eine sehr schöne Pose aus „Satanella“ von Marius Petipa mit der Staatlichen Ballettschule Berlin. Ohne viel harte Körperarbeit und ohne tägliches Training ist so etwas nicht machbar! Foto: Gisela Sonnenburg

So verschickte der rbb an Veranstalter, die in der Vergangenheit mit der „Staatlichen“ scheinbar kooperiert haben, per E-Mail Formbriefe mit dreizehn vorgefertigten Fragen – ganz so, als sei der öffentlich-rechtliche Sender eine Behörde. Das ist schon fast gefühlte Amtsanmaßung.

Guter Journalismus und saubere Recherchen sehen aber anders aus!

 Die „Berliner Zeitung“ bietet dafür derzeit auch kein gutes Beispiel: Sie holte jüngst zum peinlichen Gegenschlag aus und versucht in einem – den Opfern gegenüber verletzend ignoranten – Artikel, Ralf Stabel und Gregor Seyffert zu rehabilitieren. Offenbar ist Birgit Walter, die Autorin, ganz beeindruckt von den Titeln und Ehrungen der beiden.

Aber auch der „Tagesspiegel“ blamierte sich schon: Mit Berichten, die die eher klägliche „Aufklärungsarbeit“ einer Schülervertretung unkritisch eins zu eins als Wahrheit verkauften.

Dabei nennen die smarten Schüler noch nicht mal die konkreten Fehler der Lehrkräfte, die sie besonders belastet sehen. Sie unterscheiden nicht zwischen jenen, die die anklagen und jenen, die dazu keinen Anlass bieten.

Das ist die Gefahr einer jeden Hexenjagd: Es werden alle in einen Topf geworfen, für Differenzierungen genügt der geistige Horizont der vermeintlichen Aufklärer nicht.

Dabei gibt es selbstverständlich auch an der Staatlichen Ballettschule Berlin große Unterschiede.

Neben faktisch inkompetenten Lehrerinnen und Lehrern, die ihre mangelnden Kenntnisse und nicht vorhandenen Qualifikationen mit sadistischen Verhaltensweisen kompensieren und als deren Prototyp sich nach meinen Rechercheergebnissen Marek Rozycki (der aktuelle Abteilungsleiter Bühnentanz) darstellt, gibt es auch solche, dank deren Befähigungen aus fleißigen Schülerinnen und Schülern hervorragende Tänzerinnen und Tänzer wurden. Und zwar ohne seelische oder körperliche Beschädigungen.

Und, man soll es nicht glauben, aber: Es gab und gibt auch Schülerinnen und Schüler, die sich gegen die bodenlose Nonpädagogik mancher LehrerInnen zu wehren wissen.

So soll eine Tanzlehrerin den Kindern geraten haben, sie sollten Gras essen: „Esst Gras wie die Pferde! Die essen auch Gras und können schön hoch springen!“

Kein Kind, soweit bekannt, befolgte diesen möglicherweise auch nicht ernst gemeinten Rat. Aber in Ordnung ist es trotzdem nicht, wenn solche Leute weiterhin Ballettunterricht geben dürfen.

Das Landesjugendballett Berlin ist geboren

Diese junge Tänzerin von der Staatlichen Ballettschule Berlin sucht in „Far“ von Wayne McGregor Bodenhaftung… Auch für solchen modernen Bühnentanz muss man täglich trainieren. Foto: Gisela Sonnenburg

Eine andere weibliche Lehrkraft der „Staatlichen“ ist zumindest bei einigen Schülerinnen bekannt für ein regelmäßig ausgesprochen schlechtes Training, das den Zöglingen vor allem Schmerzen bereitet statt ihre Muskelkraft und Koordination zu stärken. Wer klassischen Tanz schlecht lehrt, bewirkt statt einer Anregung der Selbstheilungskräfte – was Ballett wie auch Qi Gong zu leisten vermag – genau das Gegenteil.

Vielleicht ist es darum sogar gut, dass die betreffende Lehrerin – gemeint ist Marina Wunder-Melnikowa – jetzt nicht auch noch via Internet die Körper ihrer Schutzbefohlenen schinden darf.

Andere Lehrer hingegen sind nicht ohne Grund richtig beliebt bei den angehenden Balletttänzern. Sie stehen im Ruf, den Hochbegabten dazu zu verhelfen, sich künstlerisch und technisch weiter zu entwickeln und ihr Talent zu entfalten. Selbstverständlich sind die Schülerinnen und Schüler diesen Lehrern dankbar.

 Olaf Höfer etwa steht nach meiner Beobachtung für ausgewiesene Kompetenz im Unterricht von Jungs und Paaren im klassischen Tanz.

Über seine Gattin, Katrin Baum-Höfer, hört man hingegen vor allem, dass sie Stabel und Seyffert stets treu ergeben war.

Das sind nun nur drei Namen von insgesamt 22 Tanzausbildern, die das Impressum der Schule nennt. Welche dieser 22 Lehrkräfte etwas taugt und welche nicht, welche vielleicht nur mal zu scharf im Ton ist oder sich in der Wortwahl vergreift und welche definitiv vom Verhalten und von der Leistung her als Pädagoge nicht haltbar ist, wird hoffentlich bald und richtig entschieden.

Die Corona-Krise zeitigte nun allerdings bereits Folgendes:

Dass niemand in Berlin auf die Idee kam, dafür zu sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen der Staatlichen Ballettschule ein angemessenes Training via Internet erhalten, zeigt, wie weit die Moral an dieser Schule gesunken ist.

Und es zeigt auch, wie schlecht die aktuelle kommissarische Leitung ihren Job macht.

Und: Wo bleibt der Verantwortliche Marek Rozycki?

Er leitet die Abteilung Bühnentanz, aber er kümmert sich anscheinend nicht mal um die Möglichkeiten der Schüler, ausreichend angemessene Trainings zu bekommen.

Hier dürfte sich nun auch der Senat mal rühren. Finanziert Berlin die Staatliche Ballettschule als Ausbildungsstätte oder geht es darum, diese abzuwickeln?

Soll Corona womöglich als Alibi für eine Abschaffung der Schule als Profi-Ausbildungsstätte herhalten?

Zwar werden die Schülerinnen und Schüler der „Staatlichen“ derzeit mit Kommunikation bezüglich der allgemeinbildenden Fächern versorgt, sogar im Hinblick auf Prüfungen.

Aber zum täglichen Balletttraining kommt nach meinen Recherchen zumindest für einige Schüler nichts, einfach gar nichts, nicht mal Anfragen und Ratschläge der Lehrerinnen und Lehrer  – für eine Profi-Ausbildungsstätte ist das unfassbar.

 Dabei wurde erst vor kurzem noch ein Sportpsychologe für die angehenden Tänzerinnen und Tänzer bereit gestellt. Der kann sich nun selbst beschäftigen.

Und es kümmert sich niemand um die körperliche Fitness der Schülerschaft?!

Das ist skandalös und ein Grund mehr, möglichst zügig eine geeignete Leitung zu finden.

Das Landesjugendballett Berlin ist geboren

Korrekturen müssen sein: Olaf Höfer und ein Student in der 5. Ausbildungsklasse in der Staatlichen Ballettschule Berlin. Nicht alle Lehrer der „Staatlichen“ sind schlecht, manche vollbringen gemeinsam mit den Jugendlichen wahre (Körper-)Wunder! Foto: Gisela Sonnenburg

Es gibt außerdem mehr als einen Grund mehr, auf Marek Rozycki als Lehrkraft und Abteilungsleiter endlich zu verzichten.

„Er hat uns gesagt, dass wir dumm sind, er hat uns angeschrien, und er hat uns gefilmt, als Beweis dafür, dass wir Scheiße sind“ – so steht es im Gedächtnisprotokoll eines damals 13-jährigen Ballettschülers über eine Unterrichtsstunde mit Marek Rozycki.

Selbst wenn man den Bericht des Jungen für überzogen halten will – alles daran wird sich das Kind sicher nicht ausgedacht haben, zumal es das Protokoll unter Aufsicht gleich im Anschluss an den Unterricht verfasst hat.

Weil die nah gehaltene Handy-Kamera des Lehrers Marek Rozycki den Jungen so dermaßen irritierte, dass er völlig aus dem Takt kam, war der Tanzlehrer zudem noch zusätzlich sauer, heißt es in dem von Kinderhand geschriebenen Protokoll.

Der betreffende Teenager konnte die Schikanen irgendwann nicht mehr ertragen – und rannte weinend aus dem Ballettsaal.

Nun kommt es tatsächlich überall auf der Welt vor, dass Kinder und Jugendliche in einer Leistungssport – oder auch Leistungskunst-Ausbildung Tränen vergießen.

Die Anforderungen, auch die Selbstanforderungen, sind sehr hoch, und der Leistungsdruck ist ein anderer als in allgemeinbildenden Schulen.

Bei Begabten mit großen Hoffnungen für die Zukunft fließen bei befürchtetem oder tatsächlichem Versagen die Tränen. Das ist normal. Es wäre nicht normal, wenn diese Kinder und Teens völlig gefühllos ihre Niederlagen hinnehmen würden.

Aber wenn die Anlässe dafür so willkürlich herbeigeführt werden, dass man von Mobbing und Schikane sprechen muss, dann fragt man sich, warum der verantwortliche Pädagoge – so Marek Rozycki, der ohne entsprechende Ausbildung ist, überhaupt als einer zu bezeichnen ist – noch weiter im Dienst belassen wird.

Warum also belässt die zuständige Senatorin Sandra Scheeres (SPD) den hier nicht zum ersten Mal belasteten Marek Rozycki in einer leitenden Position?

Die Anwürfe gegen ihn sind noch nicht beendet.

Marek Rozycki online beim bariballetcompetition 2019: Wer in der Staatlichen Ballettschule Berlin etwas zu sagen hat, gilt als gute Kraft. Zumindest war das mal so. Faksimile von bariballetcompetition: Gisela Sonnenburg

So soll Rozycki mehr oder weniger gewohnheitsmäßig mit Gegenständen nach Kindern geworfen haben. Mit solchen aggressiven Attacken dürfte er sich als Lehrer ebenso disqualifiziert haben wie als Abteilungsleiter.

Mal soll es ein Schlüsselbund gewesen sein, mal ein Buch, mal ein ganzes Möbelstück, nämlich ein Stuhl, mit denen er laut Berichten nach einzelnen Schülern warf.

Und: Einen der Jungen soll er auf dem Korridor vor Zeugen mit „Du Hurensohn!“ beschimpft haben.

Und dieser Mann wird nach wie vor vom Senat als „Abteilungsleiter Bühnentanz“ bezahlt?!

Irgendwas kann da nicht stimmen.

Der damals 13-jährige Junge mit dem Protokoll ist heute übrigens 16 Jahre alt, und er trainiert längst nicht mehr in der Staatlichen  Ballettschule Berlin – von Tanz, gleich welcher Art, will er dank der Inkompetenz seiner Ausbilder auch nichts mehr wissen. Obwohl er als sehr begabt eingestuft wurde.

Deutschland kann es sich aber anscheinend leisten, begabte Kinder von unfähigen Pädagogen beschädigen zu lassen. Statt sie angemessen hochkarätig auszubilden.

Immerhin muss der besagte Teenager nun nicht mehr das oft vor billigem Fett nur so triefende Mittagessen in der Schul-Kantine herunterwürgen: Nuggets und Pommes sind allerdings keine angemessene Hauptmahlzeit für angehende Tänzer.

Auch die in Zellophan gewickelten Salamibrote, die für zwischendurch in der Kantine bereit lagen, passten nicht zu dem, was man Sportlerernährung nennen könnte. Dazu wären eine Salatbar, frisches Obst und Gemüse, gesunde pflanzliche Fette und eiweißhaltige Lebensmittel vonnöten gewesen.

In der Cafeteria vom Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier gibt es all diese frisch zubereitete Allroundkost. Milde gewürzt, gibt es bei Schulbetrieb täglich eine gesunde Auswahl. Und nicht nur die Schüler, sondern auch die erwachsenen Künstler und Mitarbeiter essen dort ihr Mittag: wohl ein Zeichen für die gute Qualität.

An der Berliner Ballettschule kam es hingegen vermutlich auch wegen der unausgewogenen Ernährung zu schweren Verletzungen bei Minderjährigen, so wird berichtet: Nicht selten kam es bei den Minderjährigen zu so genannten Stressfrakturen, bevorzugt im Mittelfuß.

Sogar Operationen an Knien und Hüften waren relativ häufig – das sind Schäden, die auch durch häufigen, massiv schlechten Tanzunterricht, der sich eben nicht an die harmonischen Vorgaben der Waganowa-Technik hält, entstehen können.

Das Landesjugendballett Berlin probt

Die Schülerin Shino Tsurutani probte für „Diana und Actaeon“ in der Choreografie von Marius Petipa an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Wow! Aber wieviele Kinder und Jugendliche einen sehr hohen Preis für den Versuch einer Ausbildung dort zahlten, trat erst kürzlich zutage. Foto: Gisela Sonnenburg

Marek Rozycki soll indes der Schülerschaft wie auch der Elternschaft gegenüber immer wieder betont haben, dass er ständig „weltweit“ nach neuen Talenten suchen würde.

Alle Fehler wurden auf die Kinder selbst abgeschoben.

Ein einheimisches Kind musste da zwangsläufig den Eindruck bekommen, dass es gegen alle  Talente der restlichen Welt antanzen sollte. Die hatten bessere Lehrer in der Vorausbildung – kein Wunder, dass sie dann auch besser tanzten.

Allein gegen die ganze Welt?

Da wurden, so der Vater eines Jungen, mit einem anderen Kind fünf Variationen einstudiert, damit es auf Wettbewerben glänzen sollte, aber mit seinem Jungen wurde nicht eine einzige Kombination geübt.

Ungleichbehandlung und Willkür waren nach seinem Empfinden die Leitlinien der Schule.

Ja, es ist natürlich eine Gretchenfrage bei Hochbegabtenausbildungen:

Ist die Schule noch für die Kinder da – oder sind nur die Kinder für die Schule da?

Als Belohnungen dafür, alles auszuhalten und trotzdem gut zu sein, lockten in Berlin die zahlreichen bezahlten Auftritte mit dem Landesjugendballett und dem Staatsballett Berlin.

Aber auch hier kannten die Verantwortlichen der „Staatlichen“ kein Maß und kein Ziel – außer ihrem eigenen Imagegewinn.

Viel zu viele Auftritte für Schülerinnen und Schüler während der Schulzeit wie während der Schulferien sowie die nicht berücksichtigten, in Berlin oft langen Anfahrtswege mischten Bitterkeit in ihre ersten Bühnenerfahrungen.

Aber waren die Auftritte der Kinder und Jugendlichen überhaupt legal?

Kinderarbeit ist in der Europäischen Union verboten. Darum muss man Regelungen treffen, wenn Kinder zu bezahlten Auftritten auf die Bühne wollen. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Jürgen SchneemannBerliner Architekt und unermüdlich für die Rechte der Abservierten kämpfender Vater eines ehemaligen Ballettjungen der„Staatlichen“, hat daran so seine Zweifel.

Er weist darauf hin, dass es keine rechtliche Regelung für die zahlreichen Auftritte der Ballettjugend der „Staatlichen“ geben würde. Denn Kinderarbeit ist verboten, und Erlaubnisse für Ausnahmen, so Schneemann, wurden weder pauschal noch für jeden konkreten Fall einzeln eingeholt.

Auch das ist für sich genommen schon wieder ein Skandal!

Fiel da beim BerlinerSenat für Bildung, Jugend und Familie nie jemandem was auf?

Es wird Zeit zu zeigen, dass es auch anders gehen kann.

So bei John Neumeier. Die renommierte Ballettschule vom Hamburg Ballett hat eine gesundheitlich wie auch verwaltungstechnisch überzeugende Regelung für die Vorstellungen ihrer Schützlinge:

Bis die Jugendlichen der Ballettschule 16 Jahre alt sind, müssen die Eltern eine ganze Reihe von Erlaubnissen einholen und vorlegen. Die Schule selbst, das Jugendamt, ein Arzt und schließlich die Erziehungsberechtigten müssen einmal pro Spielzeit ihre Einverständniserklärung für Auftritte der oder des Minderjährigen erteilen.

All das gilt natürlich schriftlich. Nicht mündlich. Sondern verbindlich. Nicht mal eben so. Und jedes Jahr erneut. Nicht einmal für immer.

Dafür wird auch nicht so getan, als seien die Kinder das Eigentum der Schule.

Das ist wohl das grundlegende Missverständnis in der Staatlichen Ballettschule Berlin:

Kinder sind keine Sklaven und auch keine Prellböcke für die Auswüchse inkompetenter Lehrer.

"Schwanensee" von Patrice Bart - beim Staatsballett Berlin

Das Corps de ballet vom Staatsballett Berlin, verstärkt von Ballettstudentinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin, nach „Schwanensee“ noch im Nebel der Vorstellung. Eine Vernebelung der Tatsachen sollte es allerdings künftig nicht mehr geben! Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Vor allem aber sollte der Berliner Senat künftig die Qualität der Leitung sowie der Ballettpädagogen an der „Staatlichen“ überwachen. Man hat es jetzt erlebt, welche groteske Eigendynamik sich entwickelt, wenn die Dinge erst einmal eingerissen sind.

Über Jahre hinweg haben Ralf Stabel und seine Mitarbeiter nach außen den Anschein aufrecht erhalten, die „Staatliche“ würde besondere Talente besonders gut fördern. Jetzt aber wird deutlich, dass viele begabte Kinder dort nur als „Vorführware“ benutzt wurden.

Einige ehemalige Mitarbeiter der Schule atmen angesichts der Enthüllungen erleichtert auf. Sie haben das Gefühl, dass es vielleicht doch so etwas wie Gerechtigkeit gibt, und dass das, was sie manchmal jahrelang schwer belastete, sich endlich lösen lässt.

So verließ ein Erzieher nach Jahren engagierten Einsatzes die Schule, weil er die Missstände  dort nicht mehr aushielt.

Da der damalige Schulleiter Ralf Stabel aber über beste Beziehungen etwa zum Senat verfügte, wusste er nicht, an wen er sich mit Beschwerden wirksam hätte wenden sollen. Der Mann arbeitet heute für eine Sportschule – und sieht die Unterschiede zur Normalität in der Ausbildung von Begabten im Rückblick noch deutlicher.

Am 08. August 2020geht das neue Schuljahr wieder los.

Corona hin oder her – die Berliner Politik sollte es bis dahin schaffen, eine neue Leitung zu berufen, die in der Lage ist – unter Umständen auch mit Hilfe von außen– den bestehenden Lehrkörper gründlich zu überprüfen und im notwendigen Ausmaß auszuwechseln. Die Ergebnisse der Kommission und der Clearingstelle sollten da einfließen, aber keineswegs die einzigen Vorgaben sein.

Denn von Ballett haben nun mal weder Klaus Brunswicker noch die Experten von der Clearingstelle eine Ahnung.

Ob der Senat nun endlich Ballettexperten zu Rate ziehen wird? Dank Telefon und Internet wäre dieses auch international möglich. Fatal wäre es nur, nichts zu tun – und alles weitere Nicht-Fachleuten zu überlassen.

Der Neuanfang in Berlin sollte zudem ein Anlass sein, die Ausbildungsstrukturen zu überdenken und die Ausbildung zum Ballettkünstler womöglich breiter aufzustellen als bisher.

Mehr Individualität bei derFörderung der Talente und weniger Einseitigkeit, mehr musische Kreativität und ein Plus an theoretischem Fachwissen könnten des weiteren einen Berliner Weg kennzeichnen, der an die Crossover-Traditionen der frühen deutschen Moderne anknüpfen könnte.

Vor allem aber muss das Fach Klassischer Tanz wieder Spaß machen und trotzdem die notwendigen Leistungserfolge zeitigen – so, wie in anderen Profi-Ballettschulen eben auch. Warum sollte ausgerechnet Berlin das nicht hinbekommen?!
Gisela Sonnenburg

www.ballettschule-berlin.de

www.hamburgballett.de

 

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