Sasha Waltz wird gut versorgt Richtungswechsel: Sasha Waltz und Johannes Öhman stellen konkrete Pläne für die kommenden zwei Spielzeiten beim Staatsballett Berlin vor – ohne „Giselle“ von Marcia Haydée

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Sasha Waltz (rechts) und Johannes Öhman (links) demonstrierten Harmonie: bei ihrer zweiten Pressekonferenz beim Staatsballett Berlin, am 26. Februar 2018. Foto: Gisela Sonnenburg

Ballett, ob klassisches oder modernes, ist eine Sache der Ästhetik, der Bildung, der Leistung, der Anmut – und einer ganz bestimmten Form von Spiritualität. Man erwartet allgemein von Ballettdirektoren, dass sie das wissen und ihrem Publikum vermitteln wollen. Aber seit es kaum noch Choreografen gibt, die sich mit kulturellen und literarischen Hintergründen auskennen – statt nur formalistisch die Möglichkeiten des Körpers zu erforschen – herrscht international ein starker Mangel an befähigten Ballettdirektoren. Also werden nach Gutdünken Lieblinge bestimmter politischer Richtungen herangeholt und aufs Podest gesetzt. Beim Staatsballett Berlin (SBB) äußert sich dieser Notstand in gleich zwei Berufungen. Die eine betrifft die mit guten Drähten zur SPD ausgestattete Tanztheater-Frau Sasha Waltz, die andere den zwar vom Ballett, aber nicht von der Choreografie kommenden Johannes Öhman als künftiges Intendantenduo. In der Deutschen Oper Berlin (DOB) gaben die beiden heute ihre jüngste Pressekonferenz.

Sasha Waltz, teils sehr nervös, und Johannes Öhman, der eher ein gemütlicher Typ ist, gaben sich große Mühe, als harmonisches Duo aufzutreten.

Waltz, bald 55, und Öhman, fünf Jahre jünger, gelten als Anti-Besetzungen für ihre neuen Berliner Jobs: Waltz kommt als Choreografin vom freien Tanz, Öhman war Ballerino und hat in Schweden Führungserfahrung als Ballettdirektor gesammelt, die allerdings schwer auf die Berliner Verhältnisse übertragbar ist.

Ausdrücklich „harmonisch“ ist laut Waltz mittlerweile auch die Beziehung der beiden künftigen Bosse zum zunächst heftig gegen sie aufbegehrenden Ensemble vom SBB.

Waltz legt offenbar sehr viel Wert auf den äußeren Anschein. Vielleicht aber hat die neue Harmonie nicht nur damit zu tun, dass man als Tänzer stets das Unabwendbare hinnehmen muss. Denn: Zur Zeit laufen die Auditions, also die Vortanzveranstaltungen im Ballettsaal, nach denen entschieden wird, wer vom SBB erneut einen Vertrag bekommt und wer vor die Tür gesetzt werden wird. Öhman macht unmissverständlich klar, dass es – wie zumeist, wenn neue Chefs im Ballett anstehen – einen gewissen Austausch an Tänzern geben wird.

Es werden denn auch zwei neue Ballettmeister kommen, die schon jetzt mit dabei sind, wenn – wie im März – nochmal ausgesucht wird. Es gibt übrigens klassisches wie auch „zeitgenössisches“ Training bei den Auditions.

Doch da ist eine kleine Anregung nicht nur an Waltz und Öhman fällig:

Man sollte diesen überstrapazierten Begriff „zeitgenössisch“ mal näher spezifizieren, denn es gibt ja auch im Modernen und Postmodernen verschiedene Tanzsysteme und Techniken, zudem gibt es sogar Pädagogen, die sich ganz frei aus allen möglichen Bewegungsschulen Übungen zusammen suchen.

Einfach nur „zeitgenössisch“ heißt eigentlich gerade soviel wie „nicht rein klassisch“.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Mit Übersetzerin (ganz links) bildeten sie ein Trio vor der Presse in Berlin: Johannes Öhman (links) und Sasha Waltz (rechts) im „Unteren Ballettsaal“ in der Deutschen Oper Berlin am 26.2.2018. Christiane Theobald, stellvertretende Intendantin, fehlte hier. Foto: Gisela Sonnenburg

Weiter als bis zwei können im Ballett ja eigentlich auch alle zählen. Und so bleibt – als unsichtbare Dritte im Bunde – die langjährige stellvertretende Intendantin Christiane Theobald einstweilen auf ihrem Posten.

Zehn neue Stellen für Tänzer konnte Öhman denn auch zusätzlich fürs SBB aushandeln, sodass sich die Anzahl der SBB-Tänzer dann wieder auf 93 erhöhen wird.

Drei Stellen davon werden mit neuen Ersten Solisten besetzt:

Neben Daniil Simkin, dem aus Russland und Deutschland kommenden, etwas abgehalfterten Weltstar vom American Ballet Theatre, sollen Yolanda Correa, eine kubanischstämmige, exzellente Balanchine-Ballerina vom Norwegischen Nationalballett und der gebürtige Kubaner Alejandro Virelles Gonzalez vom Bayerischen Staatsballett (der zuvor beim English National Ballet in London tanzte) nach Berlin kommen. Er tanzte soeben in München den Hortensio.

Die unersetzliche Polina Semionova, die vom SBB aus ihre Weltkarriere startete, wird weiterhin als Gasttänzerin verpflichet werden, zumindest für die kommende Saison. Eine Erleichterung, das zu hören!

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Nicht alles, was sie mitzuteilen hatten, stieß auf Begeisterung: Sasha Waltz (rechts), Johannes Öhman (mittig) und ihre Übersetzerin bei der Pressekonferenz am 26.2.2018 beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

In „Giselle“ wird sie allerdings erst mal nicht in Berlin brillieren können, denn dieses großartige romantische Stück verschwindet vom hiesigen Spielplan. Weder wird die zu Recht erfolgreiche Version von Patrice Bart beibehalten, noch kommt – wie letztes Jahr von Johannes Öhman versprochen – in absehbarer Zeit die „Giselle“ in der Choreografie von Marcia Haydée zum Staatsballett Berlin. Öhman versicherte, man bleibe aber im Gespräch mit der Grande Dame Marcia, und sie würde sich auch ganz sicher darauf freuen, etwas in Berlin zu machen.

Angesichts der Jugend von Haydée hat das Ganze ja wirklich noch reichlich Zeit. Ich würde jedenfalls auch, wenn ich wie Marcia 80 Jahre jung wäre, die Dinge eher langsam angehen. Öhman hat das offenbar genau verstanden und forciert da lieber nichts. Ob das so noch was wird mit La Haydée und La Semionova?

Die Tatjana in „Onegin“ von John Cranko wird Polina Semionova dafür hoffentlich bald wieder für die Berliner tanzen, denn diese langjährige ballettöse Visitenkarte vom SBB kehrt auf den Spielplan zurück, am 21. September 2018.

Auch mit Patrice Barts „Schwanensee“ wird es weiterhin Polina und anderen Primaballerinen möglich sein, das Publikum zu begeistern, denn er bleibt im Repertoire.

Ein sicher umjubeltes Comeback feiert zudem „Der Nussknacker“ in der aufwändigen Moskauer Inszenierung von Vasily Medvedev und Yuri Burlaka.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Sasha Waltz und Johannes Öhman hatten auch gute Nachrichten im Gepäck. So für die Staatliche Ballettschule Berlin. Foto von der Pressekonferenz am 26.2.2018: Gisela Sonnenburg

Das ist vor allem für die Staatliche Ballettschule Berlin sehr schön, denn die kann dann ihre Kids wieder verstärkt mit dem SBB auf die Bühne schicken. Allerdings mutet die Vorstellung seltsam an, ausgerechnet Sasha Waltz sei verantwortlich für die Qualität dieser überaus opulenten, vielleicht sogar etwas kitschig zu nennenden Inszenierung.

Die Kids der Staatlichen Ballettschule Berlin werden außerdem in der am 1. März 2019 kommenden Premiere von „La Sylphide / Napoli 3. Akt“ zu tun haben.

Und sollten sie die nicht-professionell trainierten Kinder der „Ballettschule am Staatsballett“ wegen der Namensähnlichkeit als unliebsame Konkurrenz sehen, so sind sie diese Sorge bald los: Die private Staatsballett-Ballettschule wurde vergattert, sich in „Ballettschule David Simic Deutsche Oper Berlin“ umzunennen. Das ist dem nicht uneitlen Leiter, nach dem sie dann heißt, sogar durchaus Recht. Und Gregor Seyffert und Ralf Stabel von der einzig wahren „Staatlichen“ in Berlin können gewiss sein, nicht mehr verwechselt zu werden.

Bei Dancewear Central gibt es schöne Rabatte auf schicke Tanzkleidung unter anderem von Capezio – einfach mal hier anklicken, stöbern und weiter sehen… Faksimile: Anzeige

Für „Napoli 3. Akt“ forderte der dänische Choreograf Frank Andersen übrigens bereits 60 Tanzschüler an. Er legt außerdem einfach zwei Ballette von Auguste Bournonville, dem Kopenhagener choreografischen Tycoon des Balletts des 19. Jahrhunderts, zusammen auf einen Abend. Schwupps, aus Zwei mach Eins – und das kunterbunte, personenreiche Finale von „Napoli“ wird zum hysterischen Overkill.

Denn mit höchster Wahrscheinlichkeit soll da die Hochzeitsfeier aus dem dritten Akt von „Napoli“ das fehlende Happy End der tragisch endenden „La Sylphide“ ersetzen – ein Vorhaben, das so richtig nach geistiger Kleinkariertheit riecht und zudem so plump und primitiv ist, als würde man das Finale aus „Dornröschen“ mal eben an den „Schwanensee“ dranhängen, damit man lustig gestimmt nachhause geht.

So torpediert man Kunst durch Kunst.

Der eingangs beschriebene Notstand an intelligenten, gebildeten Choreografen erhält somit auch ein neues Beispiel, by the way.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Johannes Öhman und Sasha Waltz präsentieren sich und ihr Programm. Es gab Fragen und Antworten – aber keine Glücksgefühle. Foto von der Pressekonferenz am 26.2.2018: Gisela Sonnenburg

Mit so einer Auswahl kann das Duo Waltz / Öhman vielleicht bei illustren Stammtischrunden punkten.

Mit Opern- und Ballettgeschichte hat das allerdings nur soviel zu tun: Es ist schlichtweg peinlich, wenn sich Leute, die keine guten Ideen und auch nicht genügend Bildung für eine gute Dramaturgie haben, an Klassiker heranmachen, um diese mit simplen Tricks als familienfreundlich durch Kleinkindtauglichkeit zu verkaufen.

Man spürt es eben an allen Ecken und Enden: Sasha Waltz hat mit einem Staatsballett nichts am Hut und auch Johannes Öhman ist dafür nicht wirklich inspiriert.

Waltz’ Stärke ist und bleibt das Tanztheater im Kleinkunstformat, was wiederum auf den Opernbühnen zumeist hoffnungslos verloren ist. So oft dieses auch schon probiert wurde. Immerhin – und das ist eine wirklich gute Nachricht dieser Pressekonferenz – verzichtet Waltz zunächst mal darauf, ihre choreografischen Altlasten dem Staatsballett Berlin einzutrichtern.

Sie wird ihre Tanzstücke vielmehr weiterhin von ihrer kleinen Compagnie „Sasha Waltz & Guests“ tanzen lassen, die sie auch weiterhin – neben ihrer Tätigkeit als Ballettintendantin – zusammen mit ihrem Gatten Jochen Sandig leiten will.

Für solch ein effizientes Geldverdienen à la Waltz müsste etwa Birgit Keil – die als langjährige Ballettdirektorin in Karlsruhe und als Akademie-Leiterin in Mannheim so tapfer wie nachdrücklich wirkt – lange stricken, sozusagen.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Sasha Waltz auf ihrer zweiten Pressekonferenz beim Staatsballett Berlin: nervös, aber auch energisch. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber das sind die heutigen Karrieren, die von lobbyistisch agierenden Millionären und Milliardären mithilfe der Politik eingefädelt werden, weil sie davon Vorteile haben.

Und weil etwa die SPD in Deutschland zum Teil aus Millionären besteht, die ihr Geld, wenn schon nicht mit dubios schlechter Kunst, dann doch mit der schnöden Bauwirtschaft vermehren, träumt Sasha Waltz schon wieder einen ganz SPD-konformen „neuen Traum“.

Gemeint ist die Erschaffung eines eigenen „Körpers“ (O-Ton Waltz) fürs Staatsballett Berlin. Womit sie keinen Plastikriesen meint und auch keine Riesenplastik (in Anlehnung an die von ihr mal mit angedachte Riesenwippe auf dem Berliner Schlossplatz), sondern ein Gebäude, eine Art Tanzzentrum.

Na, das Riesenprojekt der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden ist ja bekanntlich baulich bald abgeschlossen – wenn auch unter weiteren Zulagen diverser Millionen Euros an Baukosten – und da sucht man sich natürlich flugs ein neues Projekt, um zu bauen und damit Steuergelder zu scheffeln. Vielleicht wird es ja sogar ein Neubau?

Auch die freie Tanzszene wünscht sich innigst eine Art „Tanzhaus“. Waltz – der das nicht neu ist – findet es sehr interessant, dass hier ähnliche Gelüste entstehen.

Leider wird so ein „Tanzhaus“ nicht sofort provisorisch eingerichtet und mit exorbitanten Mitteln speziell für Sasha Waltz gefördert. Dann könnte man hoffen, dass Waltz das Staatsballett doch noch aufgibt und ins „Tanzhaus“ übersiedelt. Ach, ist das eine schöne Illusion!

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Johannes Öhman ließ Sasha Waltz auf der Pressekonferenz am 26.2.2018 in Berlin gern den Vortritt – ob als Gentleman oder aus anderen Gründen, ist unbekannt. Foto: Gisela Sonnenburg

Von manchen Spielplan-News weiß man allerdings auch nicht so recht, was man davon halten soll – sind sie Illusion oder Wirklichkeit?

Stijn Celis, ein Choreograf, der seine besten Tage früh hinter sich brachte und derzeit in Saarbrücken als Ballettdirektor seine Pinke macht, soll ein Stück zur Aufführung bringen, das wie ein Schmonzettenporno benannt ist (Titel: „Your Passion is pure Joy to me“, also: „Deine Leidenschaft ist die pure Freude für mich“). Die Premiere am 7. September 2018 teilt er sich mit einer eher deprimierend klingenden Kreation namens „Half Life“ („Halbes Leben“) von Sharon Eyal und Gai Behar.

Eyal und Behar muss man meiner Meinung nach nicht unbedingt kennen, aber wenn man an die schreckliche Betsheva Dance Company und an das in jüngerer Zeit mitunter an Geschmacksverirrung leidende Nederlands Dans Theater denkt, liegt man richtig.

Dieser Abend „Celis / Eyal“ wird also voraussichtlich eine Qual für ein Ballettpublikum mit Anspruch werden. Aber wer weiß, der Tanz ist ja eine Kunst der Wunder, und vielleicht gibt es doch etwas an diesem so durchschaubar „kontrastreichen“ Konzept, das überzeugt. Wir werden es sehen!

Ähnlich spannend oder auch nicht spannend klingt die Kombination von „Half Life“ mit einer noch nicht benannten, da erst uraufzuführenden Kreation von Anouk van Dijk.

Das ist ja ein bisschen Publikumsnepp: Dasselbe Stück in derselben Spielzeit unterschiedlich zu kombinieren.

Ob die Holländerin van Dijk, die auch schon mit Falk Richter an der Schaubühne in Berlin zusammen arbeitete, es wohl wert ist, sich das Celis-Produkt ein weiteres Mal anzusehen? Wir werden es nächstes Jahr um diese Zeit wissen.

Eine Verknödelung eher konservativer Werte und äußerst modischer Experimente bedeutet dann – im Mai 2019 – der Abend „Balanchine / Forsythe / Siegal“. Er presst „Theme and Variations“ von George Balanchine (bis vor kurzem beim Semperoper Ballett in Dresden zu sehen) mit „The second detail“ von William Forsythe (vor zwei Jahren beim Stuttgarter Ballett zu sehen) sowie mit einer Neukreation von Richard Siegal (der seit kurzem seine eigene frei Compagnie in München hat) zusammen zu einer Triple Bill.

Das klingt schon wie der verzweifelte Versuch Berlins, nachzuholen, was man in anderen Bundesländern längst hatte. Ein eigener Weg würde sich anders gestalten.

Bleibt, auf den bei Rekonstruktionen bewährten Alexei Ratmansky zu setzen, der eine neue, alte „La Bayadère“ fürs SBB auferstehen lassen wird, streng nach dem Original von Marius Petipa – obwohl die Messlatte bei diesem Stück mit der weltweit getanzten Version von Natalia Makarova sowie mit der hervorragenden Berliner „Bajadere“ von Vladimir Malakhov recht weit oben hängt. Immerhin: Am 4. November 2018 wird diese Premiere in der Staatsoper Unter den Linden mit ziemlicher Sicherheit ein sehr sehenswertes Spektakel!

Ein Wiedersehen wird es dann noch im Januar 2019 mit Crankos „Romeo und Julia“ geben – obwohl im April 2018 erstmal die Version des Stücks von Nacho Duato beim SBB premieren wird.

Alles in allem gestaltet sich der Richtungswechsel des SBB unter seiner kommenden neuen Führung sanft, wenn auch nicht unbedingt behaglich.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Noch ein Blick aufs Podium bei der Pressekonferenz am 26.2.2018 beim Staatsballett Berlin: Sasha Waltz, Johannes Öhman, ihre Übersetzerin (von rechts nach links). Foto: Gisela Sonnenburg

Sasha Waltz wird allerdings erst nach Absolvierung ihrer 25-Jahr-Feierlichkeiten, die ihre kleine „Guests“-Company betreffen, stärker in Erscheinung treten.

Sie plant für die Saison „19/20“ – die bei ihr irgendwie immer nach „1920“ klingt – eine groß angelegte Produktion aus ihrer choreografischen Hand in der Staatsoper Unter den Linden. 2020 wird das sein, mit der ersten, dann uraufzuführenden Ballettmusik des Komponisten Georg Friedrich Haas. Er ist, 1953 in Graz geboren, der Enkel eines namhaften Architekten, wurde 2012 an die Akademie der Künste in Berlin berufen und hat viel Erfahrung mit atonalen Opernkompositionen wie zum Beispiel „Koma“, bei dessen Uraufführung weitgehend komplette Dunkelheit auf der Bühne herrschte.

Man darf drauf wetten, ob Waltz für sensationelle Aha-Effekte ähnlich radikal sein wird. Tänzer ohne Tanz zum Beispiel – irgendwie würde das zu ihr passen.

Dabei waren Crossover-Events – entweder mit der Performance oder mit der Architektur oder mit der Oper – immer ihre Stärken. Aber seit 2011 habe ich nichts mehr von ihr gesehen, das ihren früheren Höhenflügen gleichkam. Hoffen wir also, dass möglichst viele Opernsänger ihre kommende Berliner Uraufführung besiedeln. In „Matsukaze“, einer als „choreographische Oper“ deklarierten Mischung aus Singspiel und Tanzstück im japanischen Stil, beherrschte Waltz dereinst das Zusammenwirken von poetischem Tanz und modernem Operngesang. Allerdings wirkte ihre Inszenierung vor allem durch das Bühnenbild, einem spinnennetzartigen, schwarzen Gespinst von Toshio Hosokawa.

Waltz’ Energie hat eben eher mit Oper und szenischem Konzert zu tun als mit der körperlichen Hochleistungskunst Ballett. Warum hat man sie eigentlich nicht zur Nachfolgerin von Daniel Barenboim ernannt? Ach, vielleicht wird sie das auch noch…

Alice turnt nicht an

Bei Dancewear Central gibt es schöne Rabatte auf schicke Tanzkleidung, etwa von Capezio und anderen Marken – einfach mal anklicken, stöbern und weiter sehen… Faksimile: Anzeige

Mit extraballettösen Kräften ist es damit aber nicht getan in der Zukunft des SBB. Denn langfristig, so Waltz, wird es „Evaluierungen“ und also Umstrukturierungen geben, die von einem „externen“ Experten vorgeschlagen werden sollen, der „nicht nur vom Tanz kommt“.

Ob sich da etwa wieder Tim Renner ins Getümmel der Kultur stürzen wird? Egal. Die SPD wird es schon richten, dass auch der Ballettbetrieb in Berlin bald funktioniert wie eine Boygroup-Fabrik.

Wenn dann die Tourneen ins Ausland, die Öhman und Waltz sich wünschen, ähnlich erfolgreich werden wie die vom Hamburg Ballett oder vom Semperoper Ballett, dann kann man nur hoffen, dass das Publikum in Berlin nicht in gleichem Ausmaß vom „zeitgenössischen Tanz“ verprellt wird.

Denn es ist ja nicht so, dass es keine hervorragenden zeitgenössischen Balletturaufführungen geben könnte. Hamburgs Chefchoreograf John Neumeier schafft das jährlich mehrfach. Da sind die Parameter Bildung, Ästhetik, Leistung, Anmut  und Spiritualität aber eben auch vorhanden.

Kann man das von der Arbeit von Sharon Eyal und Gai Behar behaupten? Oder von Stijn Celis?

Oder von Jefta van Dinther, vom schwedischen Cullbergbaletten her ein wenig für dunkle Avantgarde bekannt und für 2019/20 in Berlin avisiert?

Auch andere Dinge am neuen Plan für Berlin wirken eher kleinkunstlastig als weltgemäß.

„Wir wollen uns innerhalb der Stadt vernetzen, mit anderen Institutionen“, sagt Sasha Waltz. Das klingt nach Richtungswechsel je nach Geldflussaufkommen. Mal hier Knete abgreifen und kurz dafür antanzen, dann da mal was für eine weitere Subvention mitmachen.

Was hat das mit Kunst, mit einem künstlerischen Konzept zu tun?

In dieser Hinsicht wiederholen Waltz und Öhman stets ihre magere Lieblingsphrase, die davon aber auch nicht fetter wird: „Wir wollen die Brücke schlagen zwischen klassischem Repertoire und zeitgenössischen Handschriften.“ Gerade das gelingt ihnen aber nicht, denn dafür müssten sie – eine Brücke ist die Verbindung zweier Punkte, nicht das einzelne Abhandeln beider Punkte – Choreografen an Land ziehen, die eben beides zugleich können: Klassik und Zeitgenössisches sprich Modernes.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer zweiten PK in Berlin

Er kämpfte für seine stylische Art von Ballett – und hatte mit modernisierten Klassikern wie „Dornröschen“ großen Erfolg in Berlin: Nacho Duato, der sein Publikum außerdem auch mit Balletten zu zeitgenössischen Fragen konfrontiert. Dass seine Stücke nun vollends vom Spielplan verschwinden sollen, mutet nicht eben zivilisatorisch an. Foto von einer Premierenfeier in der Komischen Oper: Gisela Sonnenburg

Dabei gibt es Choreografen, die solche Brückenschlage beherrschten und beherrschen, und sie haben auch schon beim Staatsballett Berlin gearbeitet: Mauro de Candia ist so jemand, Maurice Béjart war so jemand, bis zu seinem Tod 2007. Nacho Duato, der noch amtierende Berliner Ballettintendant, ist so jemand – aber sein Werk wird ab der kommenden Saison beim SBB nachgerade ausgelöscht.

Waltz und Öhman steigern so die beliebte Devise „The winner takes it all“ („Der Gewinner nimmt sich alles“) zu „The winner cannot stand the younger past“ („Der Gewinner kann die jüngere Vergangenheit nicht aushalten.“)

Mit angestaubter Kitsch-Klassik einerseits und exaltiertem Avantgarde-Getue andererseits kommt man jedoch nie auf ein insgesamt hohes Niveau.

Und das Niveau vom Staatballett Berlin – das es zu verteidigen gilt – ist verdammt hoch!

Es ist zwar in Deutschland noch ungewöhnlich, für journalistische Projekte zu spenden, aber wenn man die Medienlandschaft um das Ballett-Journal ergänzt sehen möchte, bleibt keine andere Möglichkeit. Im Impressum erfahren Sie mehr. Danke.

Aber sie haben ja ein paar Jahre Zeit zu üben, die neuen Herren beim Staatsballett Berlin. Wir werden sehen, was reell auf uns zukommt – und vertrauen in die Kraft der Ballerinen und Ballerinos zu retten, was zu retten ist.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

ballett journal