Sprung übern großen Teich Von Berlin nach Florida: Der Österreicher Rainer Krenstetter machte erst beim Berliner Staatsballett Karriere – und ist jetzt Principal beim Miami City Ballet

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Als ob er fliegen könnte: Rainer Krenstetter schaffte den großen Sprung nach Übersee, von Berlin aus in die USA. Das Foto zeigt ihn als Loge im „Ring um den Ring“ von Maurice Béjart beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Wenn er aus dem Fenster seines neuen Domizils im Sonnenstaat Florida schaut, blickt er auf eine Palme. Irgendwie ist das standesgemäß für einen Wahl-Berliner, der nach zwölf Jahren in der deutschen Hauptstadt nach Miami in die USA wechselte. Rainer Krenstetter, der gebürtige Wiener mit den mal sehnsüchtig, mal schelmisch blitzenden schönen blauen Augen, tanzt seit dieser Saison nicht mehr beim Staatsballett Berlin, sondern in den Staaten. Er hat beim auf den choreografischen Stil von George Balanchine ausgerichteten Miami City Ballet eine passende neue künstlerische Heimat gefunden. Allerdings ist Rainer Krenstetter eine Ausnahme: Zumeist wird der Sprung von Balletttänzern übern großen Teich andersrum vollführt, also aus den USA nach Europa.

Als Exot fühlt sich Rainer dennoch nicht. Schließlich ist die professionelle Ballettszene immer international gemischt, egal, in welchem Land man sich befindet. Dennoch spürt er eigentlich täglich, dass er kein Einheimischer, kein Amerikaner ist – und macht das Beste draus: „Obwohl vieles sehr anders hier ist, angefangen vom Training und den Proben bis zu den Vorstellungen und dem Publikum, ist es für mich eine ganz tolle Erfahrung“, sagt Rainer. Zumal er Balanchine, den Vater der Neoklassik, sprich dessen auf „Linie“ ausgerichteten Stücke schon immer besonders gern getanzt hat.

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Rainer Krenstetter beim Pas de deux in der Bühnenprobe – beim Miami City Ballet in Florida, USA. Foto: Julian Duque

Dass ihn, den Österreicher, nun eine „native“ Company dafür als Principal Dancer (also als Ersten Solisten) engagierte, ist natürlich eine besondere Ehre, fast eine Auszeichnung. Und obwohl Rainer erst seit einigen Monaten mit dem Miami City Ballet tanzt, fiel er bereits der renommierten Tageszeitung „New York Times“ auf, die in einem Artikel über eine Aufführung in Florida Krenstetters „lebhafte Ritterlichkeit“ lobt.

„Lebhafte Ritterlichkeit“: Er ist aber auch ein eleganter Galan – und dazu eine aparte Erscheinung! Mit der Noblesse eines Gentlemans und dem guten Aussehen eines Filmstars partnert Rainer Krenstetter zum Beispiel die in Miami berühmte Trisha Albertson. Etwa in „Allegro Brillante“, jenem Ballett, von dem Balanchine behauptete, es fasse alles, was er über klassisches Ballett wisse, in dreizehn Minuten zusammen.

Eine noch größere Aufgabe kommt demnächst mit Balanchines „Schwanensee“ auf Rainer zu: In Berlin tanzte er den Siegfried in der Version von Patrice Bart mit der jungen, glamourösen Ballerina Krasina Pavlova. Da ging es um psychologische Schlüssigkeit, um Dramatik, um große Tragik. Balanchines „Swan Lake“ legt hingegen Wert auf besonders geschmeidige Pas de deux, manche Batterie-Sprünge sind „weg geglättet“, dafür müssen die Posen und die Balancen stimmen, darauf wird extrem viel Wert gelegt. Und was soll man sagen? – Rainer freut sich drauf!

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Rainer Krenstetter probt mit dem Miami City Ballet – eine Tournee in Kanada absolvierte er mit seiner neuen Truppe bereits, Gastspiele in New York werden folgen. „Lebhafe Ritterlichkeit“ attestierte ihm  schon mal die New York Times. Foto: Julian Duque

Und weitere Neuigkeiten hat Rainer für seine Fans, denn auch „A Midsummer Night’s Dream“ („Ein Sommernachtstraum“) von Balanchine, nach dem Drama von Shakespeare, wird er einstudieren, schon im Juni wird Probenbeginn sein – für welche Rolle er darin vorgesehen ist, steht aber noch nicht fest. In Frage kommen der Elfenkönig Oberon, sein Gehilfe Puck, der verliebte Gärtner Lysander oder auch der Partner der Elfenkönigin Titania, den es nur in Balanchines Fassung des Stücks gibt (und nicht mal bei Shakespeare): Er ist eine Art elitärer Liebhaber.

Diese Shakespeare-Balanchine-Sache wird wichtig werden. Zuvor gastiert Rainer Krenstetter aber in Europa, was auch der Anlass für diesen Artikel ist. Soeben tanzte er schon in Österreich: in Balanchines „Stars and Stripes“ am Opernhaus Graz. In München wird er zudem auf dem Festival DANCE 2015 seinen famosen „Spectre de la Rose“ („Der Geist der Rose“) in der Choreografie von Mikhail Fokine tanzen. Krenstetter ist so anmutig und dennoch männlich darin, dass man, wenn man ihn so sah, fortan alle Rosen für maskulin hält.

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Zwei Männer beim Austarieren ihrer Kräfte: Rainer Krenstetter und Marian Walter beim so genannten „Proust-Pas-de-deux“ von Roland Petit beim Staatsballett Berlin. Diesen Pas de deux werden sie in Moskau tanzen! Foto: Bettina Stöß

Dieser Tage aber probt Rainer – und zwar in Berlin mit Marian Walter – für eine andere wirklich bemerkenswerte Sache: für einen Gastauftritt am Bolschoi-Theater in Moskau. Sie werden dort auf der Gala zur Nominierung für den diesjährigen Benois-Preis das Duett von Morel und St. Loup aus „Les Intermittences du Coeur“ von Roland Petit aufführen. Eine brillante Arbeit sowohl des Choreografen als auch der beiden Interpreten!

Den mit Kampfaspekten wie mit Freundschaftsnuancen changierenden Pas de deux, der von Mann zu Mann eine menschliche Beziehung auslotet, ist schon länger im Repertoire der beiden früher in einer Company tanzenden Primoballerinos: Rainer Krenstetter und Marian Walter brillieren damit seit Januar 2014 in der Deutschen Oper Berlin, seit der Berliner Gala „Malakhov & Friends – The Final“.

In dem Duett hält der Eine den Anderen auf höchst ungewöhnliche Weise, Distanz und Nähe werden ausprobiert. Manche Schritte gehen die Partner synchron, andere spiegelbildlich.

Das Austarieren der Kräfte – weniger der physischen als der mentalen – und das versöhnliche Beisammensein ist hier das Thema. Der Männer-Paartanz ist ein seltenes Juwel in der Geschichte der Choreografie, das Krenstetter und Walter exzellent darzubieten wissen: Krenstetter tut das mit mehr Dynamik, Walter mit mehr Lyrik in den Bewegungen.

Für Ballettomane ist dieses Stück Tanz eine Delikatesse!

Seine Aufführung wird zudem eine völkerverbindende Note haben: In Moskau werden indirekt die USA, Frankreich, Deutschland und Russland verbunden. Denn Rainer kommt aus den USA, der Choreograf des Pas de deux, Roland Petit, war Franzose, Marian Walter steht für Berlin – und das Bolschoi ist der Olymp des Balletts, zumal des russischen.

Auch in der Politik werden zwischen diesen Staaten die Kräfte immer wieder neu ausgewogen und austariert. Als Metapher für das internationale Dasein passt der Pas de deux also auch, obwohl er nach einem literarischen Thema entstand, nämlich nach einem Kapitel aus dem berühmten Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust.

Ballett als Diplomatie!

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Rainer Krenstetter zu Besuch in Berlin, seiner alten künstlerischen Heimat: Gewissheit im Blick. Foto: Gisela Sonnenburg

Als weniger diplomatisch empfand Rainer Krenstetter allerdings die Tatsache, dass er Berlin nicht ganz freiwillig verließ. Vladimir Malakhov, der Gründungsintendant vom Staatsballett Berlin, hatte ihn einst in Wien beim dortigen Staatsballett entdeckt und 2002 mit nach Berlin gebracht. Die beiden waren zwar kein Paar, aber auch über die Arbeit hinaus befreundet. Als sich abzeichnete, dass mit Nacho Duato ein neuer Intendant nach Berlin kommen und somit ganz bestimmter moderner Stil die Company prägen würde, wurde Rainer Krenstetter nahe gelegt, sich ein anderes Engagement zu suchen. Man sah ihn wohl zu sehr als ein „Paket“ mit Malakhov. Von sich aus wäre Rainer unter Malakhov  nie gegangen – denn in den zwölf Jahren seiner Berliner Zeit hatte er sich nicht nur eingelebt, sondern in Berlin wohl gefühlt. Das Staatsballett Berlin war sein künstlerisches Zuhause geworden; auch sein Privatleben war gefestigt.

Nun ist das ein typisches Tänzerschicksal: wegen der Arbeit die Stadt, sogar den Kontinent, und damit den Lebensmittelpunkt wechseln zu müssen. Da kam die Gelegenheit, in die USA zu wechseln, wie gerufen. Das Miami City Ballet gehört zu den Top Five der Ballettensembles in den USA – und Rainer weiß: „Ich bin dort gewollt und nicht nur geduldet. Das ist ein gutes Gefühl, und das half mir auch, mich einzuleben.“

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Süß schläft es sich mit vielen jungen Damen in „Namouna“ von Alexei Ratmansky. Rainer Krenstetter in der Hauptrolle – beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Wer nun denkt, Balletttänzer in Miami würden regelmäßig dem Partyleben am Strand frönen, liegt allerdings falsch: Die Arbeit der Tänzer dort ist genauso hart und die Tanzwut der Profis genau so groß wie in Europa. Die Verlockung des ewigen Sonnenscheins in Florida wird vor allem für den Beruf nutzbar gemacht: Für die Körperbefindlichkeit ist warmes Sommerwetter grundsätzlich am besten, vom gesundheitlichen Standpunkt aus gesehen ebenso wie in puncto Fitness. Da sinkt das Verletzungsrisiko – das bei ballettösen Körperkünstlern nie ganz auszuschließen ist – auf ein Minimum.

Insofern hat Rainer schon allein mit dem neuen Standort wirklich Glück. Aber als Kind, als er anfing zu tanzen, hat er nie daran gedacht, mal in Amerika zu leben.

Geboren wurde Rainer Krenstetter als Wunschkind zweier Balletttänzer in Wien. Mit den Eltern schnupperte er früh den Geruch der Schminke in der Maske, sah die Kostüme in der Garderobe, stand in der Seitenbühne, wenn getanzt wurde. Das Familiäre – von den vielen Gängen in so einem großen Haus bis in die Kantine hinein – vermittelte ihm schon damals Geborgenheit, ein Gefühl von Heimat. „Ich bin eigentlich Tänzer, weil ich das Theater so liebe“, sagt Rainer mit treuherzigem Augenaufschlag.

Der Job des Balletttänzers ist hart genug, das wusste Rainer Krenstetter durch das Aufwachsen in einer Tänzerehe von Kindesbeinen an. Ein gewisses Daraufgefasstsein begünstigte seinen Werdegang. Allerdings kommt bei ihm noch etwas hinzu, dass seine Karriere fördert: sein enormes Talent und – unerlässlich – ein enormer Fleiß. Weil er nicht nur in Wien, an der Ballettschule der Staatsoper, sondern auch an der Royal Ballet School in London ausgebildet wurde, erlernte er zudem auch den englischen Stil der Tanzkunst. Der ist bekanntlich vornehmer und ziselierter, sozusagen „verschnörkelter“ als die kontinentalen Tanzarten: Mehrere Stile zu beherrschen, ist im Ballett ja nie ein Fehler.

Den Arbeitsstil von Kevin Haigen, dem begnadeten Tanzpädagogen und Ersten Ballettmeister vom Hamburg Ballett, lernte Rainer auf der Ballettschule der Wiener Staatsoper kennen: Haigen studierte dort als Gastdozent sein Stück „Ella’s Riddle“ mit den Kids ein.

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Fast an Balanchine gemahnend: Rainer Krenstetter in der von ihm kreierten Hauptrolle in Alexei Ratmanskys „Namouna“ beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Prägend für den Künstler Krenstetter ist aber vor allem eine bestimmte innere Haltung, die Einstellung zum Beruf: „Ich gebe immer hundert Prozent“, sagt er unprätentiös.

Die Arbeitsergebnisse können sich denn auch sehen lassen, und das nicht erst seit kurzem: Rainer Krenstetter gewann als Teenager 1999 den wichtigsten Ballettwettbewerb für Nachwuchs, den Prix de Lausanne. „Das war für mich überraschend“, erinnert sich der ausgewachsene Star heute. Seine Sicht auf den großen Preis ist aber weniger eitel als vielmehr praktisch gewesen: „Der Prix ersparte es mir, von Casting zu Casting zu hetzen“ – ein Schicksal, das viele andere Ballettstudenten gen Ende ihrer Ausbildung erwartet.

Rainer wurden nach Lausanne zwei Verträge angeboten, aus Wien und London – er entschied sich für Wien. Prompt wurde er von Vladimir Malakhov, damals dort Gastchoreograf, als zweite Hauptrolle neben Malakhov selbst besetzt. Besser hätte der Berufsstart eigentlich gar nicht laufen können.

Nach seinem Wechsel mit Malakhov nach Berlin tanzte er zunächst im Ballett der Staatsoper Unter den Linden und von dort aus im 2004 gegründete Staatsballett Berlin. Rainer erlebte, wie sich dieses Ensemble entwickelte, zu einem der weltbesten im Bereich des Balletts. Die zudem damals größte deutsche Company bespielte schon damals drei Bühnen: die Staatsoper, die Deutsche Oper Berlin und die Komische Oper in Berlin. Und Rainer Krenstetter avancierte mit an Bedeutung stetig zunehmenden Rollen zum Solisten, der in seiner letzten Berliner Spielzeit zum Ersten Solisten ernannt wurde.

In dieser letzten Berliner Spielzeit von Rainer krönte eine Kreationsarbeit mit Alexei Ratmansky sein Wirken: Die Hauptrolle in Ratmanskys für Berlin gemachtem Stück „Namouna“ stand Krenstetter außerordentlich gut. Einer Menge von jungen Damen steht er da gegenüber, und alle reißen sie sich um ihn oder wollen zumindest mit ihm Kontakt aufnehmen. Satirisch überhöht, ist das Ballett zum Thema „Chercher la femme“ ein typisches Ratmansky-Stück: in ungeheuer schnellem Tempo wechseln die Schritte und Kombinationen, Leidenschaft und Schönheitssinn werden hierin gleichermaßen bedient und gefordert. Was für ein Erfolg!

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Sprünge aus dem Stand heraus, das ganze Stück lang auf der Bühne sein, zwischen Göttern und Menschen vermittelnd: Loge im „Ring um den Ring“, einst eine Paraderolle von Rainer Krenstetter beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Ein weiterer Höhepunkt in Rainers Berliner Karriere war ein Jahr zuvor unzweifelhaft der monumentale Geniestreich „Ring um den Ring“ von Maurice Béjart. Rainer übernahm darin 2013 die Rolle des Loge von Malakhov – und füllte sie mit Verve, mit einer fantastischen eigenen Interpretation. Furios, rothaarig und überaus extravagant, schien er als Loge die Fäden aller Handlungen zu ziehen, er korrespondierte stets mit der sich auf der Bühne befindenden Pianistin Elizabeth Cooper – und verkörperte im schwarzen Gewand einen dämonischen Mittler zwischen Götter- und Menschenwelt.

Mit tollkühnen Sprüngen, oft aus dem Stand heraus, und vampirischer Sexiness bezauberte Rainer Krenstetter als Loge das Berliner Publikum – und alle Bravos waren sowas von verdient!

Rainer Krenstetter schaffte den Sprung aus Berlin in die USA.

Lasziv, elegant, dämonisch, furios: Rainer Krenstetter als Loge im „Ring um den Ring“ 2013 beim Staatsballett Berlin. Foto: Bettina Stöß

Bravos gab es auch bei seiner letzten Berliner Vorstellung, als Mercutio in John Crankos „Romeo und Julia“. Malakhov ließ Rainer Blumen überreichen – und Rainer wusste schon, dass er demnächst seine Pirouetten auf amerikanischem Boden drehen würde.

Jetzt sind das schon unzählbar viele geworden. Und es werden bald noch mehr sein: „Ich freue mich auf weitere neue Aufgaben und Rollendebüts“, lächelt der Österreicher vom Miami City Ballet – und blinzelt keck in die Sonne.
Gisela Sonnenburg

Am 15. Mai tanzt Rainer Krenstetter auf dem Festival DANCE 2015 in München im Rahmen einer Lecture („Expansion oft the Moment: Aufforderung zum Tanz“) den „Spectre de la Rose“ (Anmeldung erbeten: festivalbuero@ spielmotor.de) – Infos: www.dance-muenchen.de

Am 26. Mai tanzen Rainer Krenstetter und Marian Walter bei der Gala zur Nominierung für den Prix Benois am Bolschoi-Theater in Moskau – www.bolshoi.ru

 

 

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