Polina for president Mit "Polina & Friends" kehrte ein Hauch vom Glanz der Gala-Welt nach Berlin zurück

Polina Semionova hat friends

Polina Semionova bestand die Feuerprobe – die 33-Jährige präsentierte eine umjubelte eigene Gala in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin: „Polina & Friends“ wird fortan wohl ein Markenzeichen werden! Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Vier Jahre ist es her, dass das Staatsballett Berlin eine eigene Gala präsentieren konnte. „Malakhov & Friends“ sprengten damals – 2014 – alle hauptstädtischen Rekorde. Jetzt premierte mit „Polina & Friends“ in der Berliner Staatsoper Unter den Linden ein neues Gala-Programm: eines, das ohne Live-Orchester und dafür als Tournee angelegt ist – und das nur wenige Bezüge zum SBB hat. Aber: Auch „Polina & Friends“ haben zweifelsohne das Zeug, „wows“ am Stück zu ernten! Auch hier gab es – wie bei Vladimir Malakhov – internationale Stars mit einer bunten Mischung aus Klassik und Zeitgenössischem zu sehen. Und: Es gab ebenfalls Standing Ovations. Ob allerdings der ziemlich langweilig gewordene Popstar Herbert Grönemeyer als Überraschungsgast sein Geld wert war, bleibt umstritten. Doch Gastgeberin Polina Semionova bewies, dass sie sein kann, was sie gern sein will: Gastgeberin halt. So wandelt sie auch im Detail schon ziemlich systematisch auf den Spuren von Malakhov: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebes Publikum!“ – ihre Ansprache hätte glatt von ihrem früheren Chef, dem Entdecker ihres Mordstalents, sein können, dessen ebenfalls russisch akzentuiert ausgesprochenes „liebes Publikum“ fast so etwas wie sein Markenzeichen war. Es werden ja wohl auch schon Wetten darüber abgeschlossen, ob und wann der bejubelte Weltstar Polina Semionova die bei den Berliner Ballettfans eher wenig beliebten kommenden Ballettbosse Johannes Öhman und Sasha Waltz ablösen wird. Polina for president?!

Polina Semionova hat friends

Sie dankt dem Publikum und das Publikum dankt ihr: Polina Semionova nach „Polina & Friends“ in der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Gisela Sonnenburg

Erst einmal tanzt und tanzt und tanzt La Semionova, mit Verve und mit verschiedenen Partnern, auf ihrer Gala.

Da vergisst  man ihre zwar freundlich-liebenswerte, aber nicht wirklich tiefschürfende Antrittsrede ganz schnell: so mitreißend und vielseitig ist Polinas Kunst.

Schönheit und Vielfalt des Balletts von heute zu zeigen, ist denn auch generell ihr Anliegen mit dieser Gala, das sagte sie, und das ist auch sozusagen ihr Credo und ihr Motto. Und es ist vielleicht nicht das Originellste, aber keinesfalls das Schlechteste dessen, was möglich ist. Fürs SBB würde ein solcher Kurs – gesetzt den Fall, das Niveau ist hoch genug – eine  verdiente Vollendung seines Profils bedeuten.

Polina Semionova hat friends

Und da sind sie alle miteinander – beim Applaus nach „Polina & Friends“! Foto: Gisela Sonnenburg

So ließ Polina sich als Medora im virtuosen Marius-Petipa-Pas-de-deux aus „Le Corsaire“ – mit dem sehr ansehnlichen Daniel Camargo als Partner – feiern, brillierte mit dem absolut hinreißenden Friedemann Vogel in der Schlafzimmer-Szene aus „Manon“ von Kenneth MacMillan (diese Szene war übrigens einst das Gala-Glanzstück von Vladimir Malakhov mit Julie Kent, die darin unerreicht sind) und verschmolz regelrecht mit dem souveränen Ivan Zaytsev in dem rätselhaften „Without Words“ von Nacho Duato sowie in dem elegisch-erotischen Saxophon-Akkordeon-Gesang-Tanz-Stück „Cantata“ von Mauro Bigonzetti.

Ihre Stargäste – von der kindfraulichen Maria Kochetkova, die Polina seit der Zeit der gemeinsam besuchten Ballettschule am Bolschoi in Moskau kennt, über den neuerdings goldblond gefärbten Dmitry Semionov (Polinas begabten jüngeren Bruder) und Carlo Di Lanno (der ein echter Schatz vom San Francisco Ballet ist, wo es übrigens mit Ricardo Bustamante einen vorzüglichen Ballettmeister gibt) bis hin zur Primaballerina Svetlana Gilova aus Dresden – wussten denn auch ein einfallsreiches, auch anspruchsvolles Programm zu absolvieren.

Nur Eines fehlte: eine eindeutige Anbindung ans SBB, zumal an dessen typische Gala-Stars. Nur die fabelhafte Erste Solistin Ksenia Ovsyanick konnte hier mit blitzartiger Rasanz in „Intimate Distance“ von Jiri Bubenicek die Fahne des Staatsballetts Berlin hochhalten. Von den anderen Gala-fähigen Künstlern des SBB, darunter Arshak Ghalumyan und Elisa Carrillo Cabrera, Denis Vieira und Marian Walter, Sarah Mestrovic und Vladislav Marinov, war keine Spur zu sehen.

Zwei eher unbedarfte Nachwuchstalente aus dem Corps vom SBBDanielle Muir und Konstantin Lorenz, enttäuschten hingegen herbe mit einem stümperhaft vorgetäuschten Pas de deux aus dem zweiten Akt von „Giselle“. Diesen einen groben Fehler gab es nun mal, man sollte ihn nicht übersehen. Man sollte aber auch bedenken, dass es wohl ein typischer Anfängerfehler (von Polina) war, so etwas Halbgares auf einer groß angelegten Gala zu kredenzen.

Die Berliner Superstars Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru zeigen im Grand Théatre in Luxemburg ein Schmuckstück aus der Schatzkiste der Ballettgeschichte: Der „Fanny Elssler Pas de deux“ stammt von Filippo Taglioni und verspricht höchsten romantischen Schmelz! Hier geht es zu den Tickets, für den 26. Mai oder für den 27. Mai 2018 in Luxemburg. Hotels gibt es dort theaternah – und die Anreise ist wirklich keineswegs befremdlich! Faksimile: Anzeige

Schade allerdings auch, dass Polinas beste Konkurrentin, was Weltstars im SBB angeht, nicht vertreten war: Iana Salenko trat etwa mit Dinu Tamazlacaru hier gar nicht in Erscheinung, was befremdlich wirkte.

Die Stutenbissigkeit zwischen Profis beim SBB sollte nie so weit gehen, dass sie sich gegenseitig ignorieren. Und dass Salenko, die auf praktisch jeder Gala weltweit schon mal getanzt hat, nun ausgerechnet bei Polinas Berliner Einstand fehlte, wirft auf beide Damen ein schlechtes Licht. Immerhin: Am 26. und 27. Mai 2018 werden Salenko und Tamazlacaru auf der wirklich bewährten, großartigen „Gala des Étoiles“ mit einer besonderen ballettösen Delikatesse in Luxemburg zu Gast sein – also los, Berlinerinnen und Berliner, auf nach Luxemburg!

Das Landesjugendballett Berlin – das dann am 4. Juni 2018 seinen 1. Geburtstag mit einem Gala-Event der jugendlichen Art begehen wird – beglückte indes in der Staatsoper mit einem hochfein einstudierten Stück von Marco Goecke („All long dem Day“).

Überhaupt war Goecke gleich zwei Mal als Gegenstück zu den Klassikerszenen vertreten – seine mitunter absurd-geistreichen Einfälle sind ja auch als Auszüge extrem galatauglich.

Nun könnte man hier aber noch einen Schritt weiter gehen und gucken, was ganz neu ist in der Jugendbewegung des Tanzes. Auch das kann für ein Gala-Programm bereichernd sein! Wenn man zum Beispiel hinsieht, was Nils Freyer mit seiner Interpretation von Ausdruckstänzen von Marianne Vogelsang und Dore Hoyer schafft (und auch er kommt vom Ballett) – das ist ebenfalls berauschend! Und es kann sehr gut als Einzelstück in eine Gala integriert werden.

Solche Highlights aus anderen Welten fehlten nun in der Staatsoper Unter den Linden. Aber dafür gab es tolle Klassik-Momente satt und auch wirklich anrührende moderne Sentenzen.

Mehr zu diesem festlichen Abend, der in Berlin wohl leider einmalig bleiben wird, zu einem späteren Zeitpunkt.

Polina Semionova hat friends

So sieht eine große Künstlerin und Siegerin aus: Polina Semionova – eine Frau mit Instinkt! Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Jetzt nur kurz das Resümee: Polina Semionova hat ihre Feuertaufe bestanden und kann frohen Herzens als Kandidatin für das Amt der Ballettintendantin in den Ring steigen. Oder sich als solche die Hand küssen lassen. Oder gleich Nägel mit Köpfen machen – und den Senat nach einem Vertrag fragen! Viel Glück!
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

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