Die Süßigkeit himmlischer Träume Weltstar Iana Salenko ist aus der Babypause zurück – und beglückt als Titelheldin in „La Bayadère“ von Alexei Ratmansky an der Seite von Daniil Simkin

„La Bayadère“ assoluta Iana Salenko (mit rosafarbener Blumentüte) und Daniil Simkin mit dem Staatsballett Berlin sowie Dirigent Victorien Vanoosten (links) beim jubelnden Schlussapplaus in der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Gisela Sonnenburg

Endlich ist sie wieder auf der Bühne! Iana Salenko, die zierliche, liebliche, geschmeidige Primaballerina Berlins, sorgt von nun an wieder für gute Stimmung in den großen Abenden vom Staatsballett Berlin (SBB). Natürlich war es ihr wichtig, einem zweiten Kind das Leben zu schenken. Aber von jetzt an spielen auch ihre künstlerischen Aktivitäten wieder eine Hauptrolle in ihrem Leben. Als „La Bayadère“ wurde sie vom Berliner Publikum (wiewohl dieses nicht so zahlreich erschienen war wie erhofft) am gestrigen Abend in der Staatsoper Unter den Linden stürmisch bejubelt, die unbestrittene Ikone La Salenko: mit stehenden Ovationen für die Primaballerina, ihren Bühnenpartner Daniil Simkin und die Staatskapelle Berlin unter Victorien Vanoosten.

Es war ein Erlebnis besonderer Art. Einerseits hinterlässt ein Jahr Bühnenabstinenz Spuren, auch bei einem Vollprofi wie Salenko. Andererseits war gerade dieses eine Prozent Unsicherheit, das man beim genauen Hinsehen zu bemerken meinte, nachgerade von rührender Wirkung.

Insgesamt ist Iana Salenko unverkennbar sie selbst und mit so viel Verve und Hingabe in ihrer Kunst verankert, dass der Tanzhimmel für sie wieder voller Geigen hängt.

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Iana Salenko – traumhaft schön und superbe beim Tanz – ist auf die Bühne vom Staatsballett Berlin zurückgekehrt. Jubel nach „La Bayadère“ von Alexei Ratmansky. Foto: Gisela Sonnenburg

Wie ein Sinnbild holder Weiblichkeit mit höchst anmutiger Haltung tänzelt und routiert die bildhübsche Ballerina über die Bühne. Die Schwerkraft scheint für sie nicht zu gelten. Ein Äther aus Sehnsucht und Liebe scheint zu zu umgeben, vielleicht schwebt sie auf diesem wie auf einer unsichtbaren Wolke.

Was für ein wunderbar unverwechselbares Flair bietet die Salenko doch gerade in liebesdramatischen Stücken wie diesem!

Schon immer war Iana Salenko eine der besten Besetzungen weltweit für die Partie der temperamentvollen Nikia, dieser sinnenhaften Tempeltänzerin im alten Indien aus „La Bayadère“, die sich entgegen ihrer religiösen Berufung verliebt.

Berlins Ballettfreunde erinnern sich noch: Iana Salenkos Auftritte in „Die Bajadere“, der Inszenierung des Stücks von Vladimir Malakhov, mit dem SBB waren definitiv legendär.

Und auch jetzt bezaubert Salenko mit diesem mädchenhaften, dennoch äußerst femininen Flair! Sie ist „La Bayadère“ assoluta!

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Wichtigstes Hilfsmittel beim klassischen Bühnenzauber: ein Paar Spitzenschuhe von Primaballerina Iana Salenko, von ihr selbst signiert. Foto: Jens Fülling

Doch Solor, ihr heimlicher Auserwählter, soll ein reiches Mädchen von erlauchter Herkunft heiraten – Daniil Simkin tanzt und gestaltet diese Rolle nachvollziehbar und ergreifend, vergisst bei manchen Hochleistungsvariationen zu seinen blitzsauber ausgeführten hohen Sprüngen allerdings manchmal, dass hier alles vor allem Ausdruck einer theatralen Situation ist und eben nicht l’art pour l’art.

Sei’s drum: Die beiden sind ein schönes Bühnenpaar, auch wenn man sich in solchen Stücken eigentlich niemanden passender für Iana Salenko denken kann als ihren langjährigen Bühnenpartner Dinu Tamazlacaru.

Wer die beiden mal in „Giselle“ beim SBB gesehen hat, wird das sein Leben lang nicht vergessen, und man muss nun geduldig darauf warten, ob und wann die beiden Berliner Superstars wieder gemeinsam besetzt werden.

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Ein schöner Mann – Daniil Simkin als Solor – und ein schöner Rücken – von Iana Salenko als „La Bayadère“ – beim Applaus in der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Gisela Sonnenburg

Daniil Simkin– ebenfalls ein Ballerino mit Weltruf – hat hingegen den Vorteil einer starken egozentrischen Ausstrahlung, was ihn für die Partie des Solor durchaus hervorragend prädestiniert. Selbstbewusst stapft er durch das pantomimische Geschehen, immer bereit, sich verführen und bewundern zu lassen. Und wenn ihn die Musik zusätzlich befeuert, ist er nicht zu halten: ein Juwel großartiger Gesten und raumgreifender Tanzakrobatik. Hinreißend, unbedingt!

Die Frau, die dieser feurige Solor heiraten soll, heißt Gamsatti, und sie ist die Tochter des mächtigen Radscha. In dieser Besetzung wird sie von der quirligen, sympathischen Evelina Godunova getanzt, mit dem Impetus der unbedarften, liebeswilligen jungen Braut. Was Gamsatti Godunova wirklich will, könnte noch stärker deutlich werden – ist sie nun richtig verliebt in Solor oder will sie vor allem ihrem Vater eine gehorsame Tochter sein?

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Evelina Godunova (links), Daniil Simkin (mittig) und Iana Salenko (rechts) beim Schlussapplaus nach „La Bayadère“ am 12.09.2019 beim Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Ihre Rolle lässt ihr ohnehin keine Wahl: Das Mädchen darf sich in dieser patriarchalen Gesellschaft den Geliebten nicht selbst aussuchen – das ist ja gerade der „Frevel“, den sich Nikia erlaubt.

Die Selbständigkeit und Freiheit der Frauen liegt hier in ihrem Tanz: Darin können sie sich selbst ausdrücken und mitteilen, ihren Emotionen freien Lauf lassen und versuchen, das strikte Reglement der Kastengesellschaft zu unterlaufen.

Ein kleines weiteres erhellendes Debüt auch in diesem Sinn gab es bei den Solo-Variationen der Schatten im weißen Akt: Neben der wieder mal hinreißend leichtfüßigen, dennoch akkuraten und linientreuen Iana Balova und der auch bei hohen Schwierigkeitsgraden sinnlich-frohgemuten Luciana Voltolini begeisterte Aya Okumura mit so geradlinigen wie graziösen Bewegungen.

Diese drei Damensoli sind ohnehin ein Highlight in der Inszenierung, auch dank ihrer Choreografie: Sie entspricht weitgehend dem russischen Original von Marius Petipa.

Es ist ja ein Problem, dass hier keine traditionell überlieferte und dann behutsam ergänzte Inszenierung gezeigt wird, auch nicht die weltweit als „best version“ geltende „Bayadère“ von Natalia Makarova, sondern eine stilistisch inhomogene, beinahe an Kindertheater erinnernde Inszenierung, mit der Choreograf Alexei Ratmansky sich zwar als Held des Historismus hinzustellen vermag, die aber sachlich kaum einem historisch-kritischen Argument standhält.

Die Originalversion von 1877 gibt es nur noch auf einigen Fotografien – und in jenen russischen Inszenierungen, wie sie auch Makarova durch Überlieferung von Generation zu Generation in Erfahrung brachte.

Die sogenannten Stepanov-Notationen, auf die sich Ratmansky beruft, stammen hingegen von 1900 und gelten der Reinszenierung des Stücks. Die Notationen tätigte Alexander Gorsky – aber Petipa konnte sie nicht legitimieren, da er die Notationsform nicht lesen konnte. Verbürgt ist, dass Petipa den auf Effekte abzielenden Stil des jüngeren Gorsky überhaupt nicht mochte.

Alexei Ratmansky wiederum hat all das überformt und mit eigenen Ideen ergänzt – das Stückwerk, das dabei herauskam, wäre ohne den Glitzer und Glamour der Kostüme von Jérome Kaplan vermutlich augenfällig stumpf.

So ist es für Petipa überhaupt nicht typisch, Tanzgruppen penetrant immer wieder nur eine Bewegung ausführen zu lassen, wenn sie in einer Reihe die Bühne überqueren. Auch das harte Anheben eines Beines ohne weiches Vorspiel entspricht nicht der Petipa-Ästhetik, wie sie aus über 50 anderen Balletten bekannt ist.

Immerhin lenken die Kostümfarben davon ab, entführen einen in ein Ballett-Bollywood, in dem die Kledage alles und Bewegungskunst oftmals nur deren Verzierung ist.

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Noch ein Blick auf das Bühnenpaar des Abends: Iana Salenko und Daniil Simkin nach „La Bayadère“ in der Staatsoper Unter den Linden. Foto vom Schlussapplaus: Gisela Sonnenburg

Da in den fast dreistündigen Abend viele kleine und größere Höhepunkte eingestreut sind, lohnt es sich aber unbedingt, ihn zu besuchen.

Charaktertänze wie der Danse infernalevon Weronika Frodyma und Arshak Ghalumyan, die vorzüglich-geschmeidigen Luftsprünge von Ulian Topor als Fakir und in dieser Besetzung auch die wendige Partnerhilfe von Olaf Kollmannsperger (der im Besetzungszettel mit einem „b“ statt „p“ steht) lassen einem das Herz aufgehen.

Auch die Lotosblumen alias Studentinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin – mit großen Blumenbögen sehr souverän hantierend – sind einfach ein toller Hingucker.

Und: Musikalisch ist es wieder ein Genuss, was der junge Meisterdirigent Victorien Vanoosten mit der Staatskapelle Berlin in der vorzüglichen erneuerten Akustik des Hauses erklingen lässt. Musik zum Schwelgen, zum Auskosten, zum ganz genauen Hören – Ludwig Minkus, der Komponist, wäre damit ganz sicher glücklich gewesen.

Nur eine Bitterkeit bleibt: Im zweiten Teil gibt es, und zwar zeitnah nach dem Besuch im „Königreich der Schatten“, eine Umbaupause von etwa fünf Minuten, die nur in den letzten Sekunden von Musik angefüllt ist.

Hier mag sich Alexei Ratmansky bei der Planung vertan haben, und er hat wohl erst kurz vor der Premiere festgestellt, dass die Umbauten auf der Bühne an dieser Stelle eben nicht innerhalb einer Minute zu meistern sind, sondern wesentlich länger dauern.

Das Publikum fällt in so einer langen stillen Sitzpause aber rasch wieder aus der Stimmung und Begeisterung heraus, in die es gerade sogartig gezogen wurde. Schließlich langweilt man sich, wenn minutenlang nichts passiert.

Da könnte man so schlau sein und sich einen angenehmen Walzer aus dem ersten Teil des Balletts vornehmen – und ihn konzertant wie ein akustisches Memo vom Orchester spielen lassen. Und wenn man die Zuschauer sehr verwöhnen möchte, könnte man zusätzlich noch Lichtprojektionen aus dem Gesehenen auf die dunkle, einfarbige Vorhangwand werfen.

Prompt wäre die Atmosphäre gerettet und das Publikum nicht in Gedanken schon wieder bei seinen neuen Einbauküchen, den alten Hustenbonbons oder der nächsten Geburtstagsparty.

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Von links in der ersten Reihe: Luciana Voltolini, Olaf Kollmannsperger, Vahe Martirosyan, Evelina Godunova, Victorien Vanoosten und Ulian Topor (mit Bart). Zu sehen beim Schlussapplaus nach „La Bayadère“ vom Staatsballett Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Wie auch immer: Das Leben der Bayadère endet schon im zweiten Akt tragisch.

Nikia stirbt einen herzzerreißenden Bühnentod – Iana Salenko ist hierin eine Meisterin – und sie kehrt als im dritten Akt als weißer Schatten, als verführerische weiße Frau im Tellertutu zurück.

Sie ist es natürlich wert, in beiden Stückteilen näher betrachtet zu werden.

Schon bei ihrem ersten Auftritt im gold-beige-braun-farbenem Tempeltänzerinnengewand berückt Salenko mit ihrer von innen kommenden Schönheit und ihrer großen Konzentrationskraft.

Ihr niedliches Gesicht ist angespannt vor Verliebtheit, aber wachsam, weil ihr der Großbrahmane, ihr Vorgesetzter im Tempel, an die Wäsche will. Dagegen verwahrt sie sich mit angemessenem Schmerz im Gesicht – und mit Entschiedenheit in der Gestik.

Atemberaubend hübsch steht sie dann da, tänzelt, wedelt mit den porzellanfeinen Armen – und man schmilzt dahin.

Die rosaroten Pumphosen stehen ihr ebenfalls entzückend, aber wenn sie Solor neben seiner künftigen Frau ansieht, dann weiß man, was Liebeskummer ist…

Und wenn sie später im knallweißen Tutu zurückkehrt, ist sie eine glitzernde, utopische, jenseitig inspirierte Erscheinung, deren Wirkung nochmals potenziert ist.

Immer wieder erscheint sie solchermaßen ihrem Geliebten, der verwirrt und fasziniert zugleich erscheint.

Dank einer Opiumpfeife sucht er sie im Niemandsland auf, in einem Nirwana, in dem es außer Sternen, Nebel und Geisterfrauen nichts gibt. O doch: Es gibt hier Tanz!

Den der weißen Schatten, also all der anderen Mädchen, die von ihrem Geliebten verlassen wurden, und die des Liebespaares, das sich erst ganz am Ende des Stücks im Paradies vereinen kann.

Der Tanz aber triumphiert hier über die Weltlichkeit und deren schnöde Klassengesellschaft.

Iana Salenko beglückt wieder beim Staatsballett Berlin

Die Armarbeit ist ebenso formvollendet wie die Fußarbeit der Ikone Iana Salenko – und von Lebendigkeit durchwirkt! Da macht auch der Applaus in der Staatsoper Unter den Linden viel Vergnügen, hier am 12.09.2019 nach „La Bayadère“. Foto: Gisela Sonnenburg

Salenkos Ports de bras sind Traumarbeit pur – als führten ihre Arme ein entzückendes Eigenleben.

Die Fußarbeit der Salenko ist dabei selbst mit der Lupe betrachtet superbe, und ihre ganze Figur atmet eine passionierte Amourösität, wie man sie auch in den höchsten Ballettkreisen nur ganz selten findet. Das Tutu –  der steife Tüllrock – wirkt an ihr nicht aufgesetzt, sondern wie ein organischer Teil ihrer Drehbewegungen.

Das ist jene Süßigkeit himmlischer Träume, wie sie Marius Petipa mit seinem Schattenreich-Ballett erschaffen wollte!

Dass hingegen das Damen-Corps vom Staatsballett Berlin dieses Mal beim Arabeskenaufmarsch der weißen Schatten mehr wackelte als ein Fluidum zu verströmen, nimmt man hin und erfreut sich an dem, was dennoch funktioniert.

Als beste deutsche Compagnie kann man die Truppe in ihrem derzeitigen Zustand aber wirklich nicht bezeichnen.

Dafür gibt es beim SBB eine stattliche Anzahl von Stars, die nicht aus der Retorte einseitigen Drills kommen, sondern die sich mit individuell ausgeprägten Befähigungen profilieren.

Von links nach rechts: Evelina Godunova (Gamsatti), Birgit Brux (Gamsattis Dienerin) und Iana Salenko als „La Bayadère“, hier sozusagen beim Damenverbeugen in der Staatsoper Unter den Linden. Wow! Foto: Gisela Sonnenburg

Da macht es einfach Spaß zuzusehen, das ist ein bereichernder Anblick – und Iana Salenko gehört fest zu diesem Berliner Sternenreigen, wenn sie nicht sogar im Zentrum dessen steht.

Daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Ihre laszive Verführungskraft funkelt stärker denn je mit femininer Leuchtkraft!

Wenn man sie zur Berliner Kammertänzerin ernennen wollte, so wäre das sehr verdient – und ich darüber hoch erfreut.
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

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