Vom glücksverheißenden Funkeln Mit Stargast Polina Semionova in „Jewels“ von George Balanchine zog das Staatsballett Berlin in die frisch sanierte Staatsoper Unter den Linden ein

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Großer Applaus nach dem Einstand von Staatsballett Berlin mit „Jewels“ in der neu eröffneten Staatsoper Unter den Linden. Vorn Stargast Polina Semionova mit Mikhail Kaniskin. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Es wird getanzt – endlich auch wieder in der frisch sanierten Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Über die neue Teppichfarbe darin lässt sich zwar streiten – aber das Ballett kommt auf der ehrwürdigen Bühne glänzend zur Geltung. Eineinhalb Jahre nach der Premiere im Berliner Schiller Theater tanzt das Staatsballett Berlin (SBB) die „Jewels“ von George Balanchine mit mehr Eleganz und Würde denn je, und einige Neubesetzungen motzen das funkelnde Stück Tanzglück nochmals auf. Als Diamant bezaubert zudem die unendlich anmutige First class ballerina Polina Semionova als Stargast an der Seite des versierten Mikhail Kaniskin. Aber auch Elisa Carrillo Cabrera, Julia Golitsina, Elena Pris und Iana Salenko bieten Romantik und Showtime zum Jubeln.

Das Thema des Abends involviert denn auch drei verschiedene Temperamente, die sich so fein ergänzen wie die Farben von Edelsteinen in einem Schmuckstück. Der Symbolkraft von Smaragd, Rubin und Diamant ist jeweils ein Teil gewidmet. Allerdings täuschen die Einzelstücke von „Jewels“ – in Englisch mit „Emeralds“, „Rubies“ und „Diamonds“ betitelt – nicht darüber hinweg, dass es ihrem Choreografen George Balanchine (1904-1983) vor allem um Eines ging: um das ausgiebige Zelebrieren seines ausgetüftelten Stils.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Einen bezaubernden Anfang bilden die „Emeralds“ in den Abend „Jewels“ von George Balanchine – mit dem Staatsballett Berlin in der neu gemachten Lindenoper. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Geometrische Muster, häufige Diagonalen, liebliche Armhaltungen zu durchgestreckten Beinen und trotz vieler Walzerschritte eine gewisse Strenge – das sind vorherrschende Elemente bei Balanchine. Der seitliche Pas de chat („Katzenschritt“) scheint sein Lieblingssprung gewesen zu sein – und dass oftmals effacé getanzt und posiert wird, bestätigt den Genuss, den er selbst beim Anblick von tanzenden Körpern vor allem der Damen empfand.

George Balanchine galt allerdings als rücksichtloser Schürzenjäger, er war erfolgsgierig und tyrannisch, zugleich aber so charmant, dass ihm viele eine Ausnahmepersönlichkeit attestierten. Dennoch ist diese Sorte Großkotz, menschlich gesehen, heute total out. Aber was er wirklich konnte, war: Menschen und zeitlose Schönheit zusammen zu bringen.

Jewels“ ist ein meisterhafter Beleg dafür. 1967 in New York City uraufgeführt, ist es ein zeitgeistiges Zeugnis der Begeisterung für edle Formen und auch für Stimmungen voll positiver Schwingungen.

Balanchine war aber auch clever, und er fand mit den edlen Juwelen ein Thema, das die reichen Damen, die ihm seine Arbeit mit Mäzenatentum finanzieren mussten, ganz sicher interessierte.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Ein tolles Ensemble mit tollen Solisten! Vorn von links nach rechts die „Emeralds“: Julia Golitsina, Arshak Ghalumyan, Elisa Carrillo Cabrera, Cameron Hunter, Marina Kanno, Ulian Topor und Luciana Voltolini. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Und jene Ballettfans, die sich keine echten Klunker leisten können oder wollen, teilen mit den Reichen einen ganz einfachen Traum:

Jedes Mädchen sei eine Prinzessin!

Entsprechend gönnt Balanchine hier jeder Dame auf der Bühne ein kostbar funkelndes Kronengerät oder Diadem auf dem Haupt, dazu reichlich Schmuckbesatz am Kostüm mit der Anmutung einer kaiserlichen Hoheit.

Die reale Welt hat hier wenig Raum. Es geht auch nicht um Psychologie noch um konkrete Geschichten, noch weniger um banale Dinge wie Hass, Neid oder Rivalentum. Der billige Geruch von Menschsein hat hier nichts zu suchen!

Nein, hier herrscht allein das Bestreben nach einer höheren, gar höchsten Daseinsform.

Ballett als Meditation, den Geist auf spielerisch-harmonische Art zu transformieren.

Das ist der Spagat, den Balanchine hier vollzieht: Er macht aus dem materialistischen Thema einen immateriellen Wert.

Die kantigen Schliffe, die Juwelen ihren Lüster verleihen, sind aber auch wie gemacht als Inspiration für einen Choreografen, der die Symmetrie und den Ordnungssinn liebend gern bedient.

Warum Balanchine sich nur drei und nicht alle vier weltweit bekannten Edelsteine vornimmt, bleibt allerdings sein Geheimnis. Man muss eher banale Gründe vermuten, wie den zeitlichen Aufwand und die Kosten für Kostüme.

Eigentlich aber gehören die großen Vier zusammen: Smaragde, Rubine, Diamanten – und Saphire. Warum nun gerade die Saphire wegfielen?

Vielleicht war Balanchine die Farbe Blau (es gibt zwar auch gelbe und rosarote Saphire, aber am beliebtesten und teuersten sind die dunkelblauen) schlicht zu nah am ballettüblichen Bühnengrund – man denke an das Nachtblau in „Schwanensee“, „Giselle“ und „La Sylphide“. Die anderen drei Edelsteine ermöglichen da größere Kontraste.

Mit den Musiken hat Balanchine sich allerdings nie vertan – und allein schon die Auswahl von Gabriel Faurés „Pelléas et Mélisande“ als Einstieg bezeugt seinen Instinkt für das Erhabene, ja Erhebende.

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Elisa Carrillo Cabrera und Cameron Hunter (vorn) mit dem Staatsballett Berlin nach „Emeralds“ („Jewels“) von Balanchine endlich auf der großen Bühne der Staatsoper in Berlin. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Festlich und dennoch warmherzig beginnt der Abend musikalisch, bei geschlossenem Vorhang. Wenn er sich hebt, gibt er den Blick frei auf ein atemberaubendes Arrangement aus sechs Paaren, fünf davon nur aus Damen in wallenden, grün auslaufenden Tüllröcken bestehend.

Vorn mittig findet sich die Primaballerina mit ihrem Kavalier, der ein weißes Hemd unter seinem moosgrünen Wams trägt.

Neben und hinter ihnen bilden die anderen Paare einen Halbkreis.

Das Ganze hat die Anmutung von sorgsam arrangiertem Schmuck, der in einer Samtbox präsentiert wird. Es könnte sich zum Beispiel um ein Collier mit Besatz am Verschluss handeln.

Jedenfalls sind das hier lebende Smaragde, deren grüne Farbnuancen mitunter blaustichig sind und von hell- oder blassgrün bis zu dunklem, tiefen Tannengrün reichen. Die milchigen Einschlüsse, die sie oft haben, wirken wie Miniaturgärten im Edelstein – „Jardin“ nennt man sie.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Funkelnd und schön: Am liebsten würde man ein „da capo“, also eine Zugabe, einfordern: Das Staatsballett Berlin nach „Emeralds“ in der Lindenoper. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Darum sind die Farbtöne in den Kostümen (höchste Zeit, den Namen ihres begabten Designers zu nennen: Lorenzo Caprile) changierend und verlaufend.

Balanchine ordnet den geheimnisvoll schimmernden Smaragden die Romantik zu.

Der romantische Stil mit wadenlangen Tutus, glänzenden (hier smaragdgrünen) Seidenmiedern und glitzernden Diademen im Haar wird hier von Elisa Carrillo Cabrera mit so viel Delikatesse getanzt, dass man sich wünscht, sie möge nie aufhören. Grazie und Lieblichkeit, vereint mit Brillanz und einem Schuss Keckheit – sehr schön!

Die schwärmerischen Klänge von Fauré betonen denn auch die Wogen und Wellen, die sich in den dramatischen Linien hier finden.

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Elisa Carrillo Cabrera und Cameron Hunter nach „Emeralds“ in „Jewels“ von George Balanchine in der Staatsoper Unter den Linden. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Auch das Corps der Damen ist exzellent gecoacht und so synchron wie harmonisch auftanzend: Amy Bale, Aeri Kim, Jordan Mullin, Katherine Rooke, Alicia Ruben, Jenni Schäferhoff, Aoi Suyama, Pamela Valim, Pauline Voisard und Xenia Wiest bewegen sich in Halbkreisen, Viertelkreisen, pfeilförmigen Linien oder diagonalen Bewegungsflüssen.

Flugs wechseln die Formationen, bringen neue Muster hervor, kaleidoskopartig. Dieses Ballett ist übrigens sehr gut von oben, also aus einem der Ränge, zu betrachten, weil man so die im Raum verteilten Muster, die die Tanzenden bilden, optimal erkennen kann.

Auch die Eigenarten der Tänzer übermitteln sich von oben sehr gut.

Mit Cameron Hunter stellt sich hier in Berlin zudem eine Neubesetzung als Partner der Primaballerina in „Emeralds“ vor. Der Australier, der vom Australian Ballet kommt, hat eine superbe Ausstrahlung und weiß vor allem seinen Oberkörper sicher und schön zu beherrschen. Seine Hebungen geraten leicht im Ausdruck, seine Sprünge ebenso, und seine Pirouetten sind elegant.

So erfreut das Paar Elisa Carrillo Cabrera und Cameron Hunter wie ein Paar kostbarer Smaragde, hochedel geschliffen.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Julia Golitsina mit Arshak Ghalumyan vorn mit dem Staatsballett Berlin nach „Emeralds“ in der Lindenoper. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Aber auch Julia Golitsina, die hier goldrichtig besetzt ist, und Arshak Ghalumyan, der zunehmend ein Prinz auf der Bühne wird, verwöhnen mit genau der richtigen Haltung, mit technisch hohem Niveau – und mit einer Laszivität, die nicht nur aus den Hüften, sondern aus dem Herzen kommt. Wunderbar beide, auch und gerade im Adagio!

Ach, was für eine Liebe, im Schimmer der grünen Edelsteinkristalle, die hier das szenische Vorbild liefern!

Leichthin fliegen die TänzerInnen mit vielen Développés in den Soli.

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Noch ein Vorhang für das Staatsballett Berlin nach „Emeralds“, vorn von rechts: Luciana Voltolini, Ulian Topor, Marina Kanno, Cameron Hunter, Elisa Carrillo Cabrera, Arshak Ghalumyan und Julia Golitsina. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Und auch das Dreigespann der beiden hoch talentierten Damen Marina Kanno und Luciana Voltolini mit dem agilen Ulian Topor als ihrem Kavalier weiß zu überzeugen – und versprüht eine festliche Vergnügtheit!

Nach dieser frohgemuten Einstimmung muss sich das neu aufgetakelte Opernhaus als pausentauglich erweisen. Schon vorab nahm man es ja in Augenschein – und sammelte innerlich Plus- und Minuspunkte.

In den wichtigen Aspekten kann ein freudiges „Ja“ zu dieser Neueröffnung erteilt werden. Denn es ist warm, trocken, sauber, schön und ausreichend hell. Die Fahrstühle funktionieren einwandfrei, und die Treppen sind mit dickem Flor belegt und von daher angenehm zu steigen.

Ganz wichtig: Die Lösung mit der veränderten Deckensituation – sehr zu Gunsten der nunmehr perlenden Akustik – ist vollauf gelungen, denn das Klangerlebnis ist kein künstlich oder grotesk verzerrtes, sondern ein natürlich anmutendes akustisches Vollbild. Man hört jede Violine einzeln, wenn man sich anstrengt, und doch umarmt einen der Gesamtklang wie eine liebende Mutter. Große Klasse!

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Noch eine Verneigung: Das Staatsballett Berlin nach „Emeralds“ von Balanchine in der Staatsoper Unter den Linden, die jetzt auch über eine fantastische Akustik verfügt. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Der frische Anstrich lässt das Gebäude zudem auch von innen appetitlich wirken. Es brennen zwar nicht alle Lichter in den Foyers – aber die Kristallleuchter tun ihren Dienst und verströmen ihr festliches Flair.

Die Sitzreihen in den Rängen sind zudem derart gestaffelt, dass man über die Reihe vor einem locker drüberschauen kann. Das ist natürlich sehr gut gemacht, denn so hat man keine Kopfsilhouetten störend im Bild. Auch die Sitzflächen sind jetzt so justiert, dass es organisch und angenehm ist.

Nur bei der neuen Farbe des Teppichbodens und der Wandbespannung kann man nun ein wenig mosern. Sicher, so etwas ist auch Geschmackssache. Ein klares Rot prangte hier vor der Sanierung – jetzt ist es ein stark gebrochener Farbton, wie er in den 90er Jahren „in“ war.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Der neue Teppichboden hat einen gebrochenen dunkelroten Farbton – man darf diskutieren, warum… Immerhin passt er zum Gold am Geländer der Treppe. So gesehen in der neu eröffneten Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Foto: Gisela Sonnenburg

Immerhin hat er den Vorteil, dass Schmutz und Flecken darauf nicht so auffallen. Es handelt sich um ein graubraunes Dunkelrot, manchem Granat ähnlich, das zwar gut zu dem Goldstuck im Haus passt. Dennoch wäre ein tiefes dunkles Rubinrot ungleich schöner und angemessener gewesen. Und: Es hätte gute Laune gemacht, während die trübe Farbe hier doch ein wenig an verdorbenen Rotwein erinnert.

Man halte also den Kopf hoch und genieße den Stuck, die Goldkringel, die Spiegel und die feinen Lüster!

In der so genannten Konditorei, die wieder prächtig glänzt, zumal ihr edles Parkett und die Holzpanäle edel schimmern, wartet dann aber noch ein kleines Ärgernis: In den Durchgängen vom einen Saal in den nächsten wurden quietschbunte Fotocollagen installiert, die weder vom Stil noch vom Inhalt her passen. Hier würde man sich zum Beispiel die Farben von „Jewels“ wünschen: Edles Tannengrün, tiefes Meerblau (für den im Ballett fehlenden Saphir), blaustichiges Rot und strahlendes Weiß.

Oder wie wäre es mit auf alt getrimmten Portraits berühmter Künstler, die hier gewirkt haben und wirken?

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Witzig, nicht preußisch: In der „Konditorei“, also dem edlen Foyer im Untergeschoss der Staatsoper Unter den Linden, locken güldene Spinnennetze aus Stuck an der Decke – welche Arachne hier wohl tätig war? Foto: Gisela Sonnenburg

Dafür sind die goldenen Spinnennetze, die die Verankerungen der Deckenleuchter umrahmen, originell und ein Hingucker – wenn auch eher witzig als formschön. Es handelt sich hier schließlich um keine Geisterbahn und auch um kein Kellergewölbe im eigentlich Sinn, auch wenn die Konditorei im Untergeschoss liegt. Aber man kann darüber lachen, und das ist in so einem pseudopreußischen Gebilde, wie es die Staatsoper Unter den Linden nun mal ist, wirklich schon viel wert.

Auf den Toiletten fehlen allerdings noch die Seifenspender (hoffentlich keine Sparmaßnahme), und man möchte anregen, zusätzlich Desinfektionsflüssigkeit anzubieten, wie das in vielen öffentlich benutzten Toiletten heute schon der Fall ist.

Alles in allem kann man sich mit der verjüngten hohen Dame Unter den Linden wieder bestens anfreunden – und über ihre kleinen Macken gnädig hinwegsehen.

Sie soll ja in erster Linie dem Kunstgenuss dienen und von diesem nicht allzu sehr ablenken noch ihn stören – und so gesehen, ist das hauptsächliche Ziel der Sanierung aus Publikumssicht absolut erreicht.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Glücksverheißendes Funkeln nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Foyers. Edle Lüster, schöne Stimmung: Die sanierte Staatsoper Unter den Linden kann sich sehen und hören lassen – und die neuen Sitze sind superbequem! Foto von der Deckensituation: Gisela Sonnenburg

Mit dieser Erkenntnis nimmt man beschwingt seinen in der Tat gesunden und bequemen, keineswegs einzwängenden oder beklemmenden, sehr schön zu nennenden Sitzplatz ein.

Apropos beschwingt: Die „Rubies“, die Rubine, zum „Capriccio für Klavier und Orchester“ von Igor Strawinsky sind sowohl in musikalischer als auch in tänzerischer Hinsicht eine absolute Seltenheit.

So fetzig, jazzy, abgedreht ist klassische Musik wirklich selten – was Strawinsky sich da 1929 hat einfallen lassen, subsummiert den lebenshungrigen, quirligen Zeitgeister der Goldenen Zwanzigerjahre.

Die Choreografie greift das auf und steigert, ganz ballettgemäß, das Absurd-Alberne ins Virtuose. Wow, hier gibt es viel zu staunen und Szenenapplaus zu spenden!

Allen anderen voran begeistert in dieser Besetzung vor allem Elena Pris, die hier das Glanzstück ihrer bisherigen Karriere abliefert. Mit Pep und Pop in den schönen langen Beinen tanzt sie das kleinteilige, immer wieder aufbegehrende Solo der Primaballerina zwar mit Verve, aber nicht zu sportlich, sondern eben auch mit viel Gefühl.

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Sehr fein: Elena Pris und das Staatsballett Berlin beim verdienten Applaus nach „Rubies“ in „Jewels“ von George Balanchine. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Patricia Neary, die das Stück beim SBB einstudierte, hätte ihre helle Freude! Das hier ist keine Tanzmaschine, sondern ein Mensch, der von Höherem träumt: Schönheit im Geiste, körperlich sichtbar gemacht. Bravo!

Für stürmischen Applaus sorgen dann auch die stets umjubelten Stars Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru. Witz und Charme, Koketterie und Ausgelassenheit prägen hier die Choreografie.

Salenko hat nun mal eine hervorragende Technik, und Tamazlacaru weiß sie zu heben und zu führen, wie es sich gehört. Die Spritzigkeit dieses Tanzes ist unübertrefflich, und der quirlige Zeitgeist der 20er Jahre war sichtlich in den USA lange lebendig – in Hollywood hielt er sich bis in die 40er Jahre hinein, und Balanchine spürt dem in seiner Choreografie nach.

Rubine waren in den 20er Jahren bis weit hinein in die 40er einer der bevorzugten Edelsteine. Filmstar Marlene Dietrich ließ sich Ende der 30er Jahren aus hochwertigen Rubinen aus ihrem Besitz – einige Steine stammten von Cartier – ein sehr exotisches Armband, eigentlich eine Armspange, fertigen. Sie trägt es im Hitchcock-Film „Stage Fright“ („Lampenfieber“). Von Regisseur Alfred Hitchcock stammt aus dieser Zeit das Bonmot, nur echte Diamanten könnten ein gewisses Lächeln in das Gesicht einer Frau zaubern…

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Das Rubinarmband, das eigentlich eine Armspange ist, ließ sich Marlene Dietrich aus vielen einzelnen Steinen, darunter manche von Cartier, anfertigen. Designer war ihr Freund Louis Arpels. Faksimile vom Katalog von Sotheby’s / New York, 1992: Gisela Sonnenburg

1992 wurde das Megaschmuckstück in New York bei Sotheby’s versteigert – Popstar Madonna kaufte es. Ich war für eine Zeitung dort, um darüber zu berichten. Und hatte ich das Glück, das ausgefallene Schmuckstück aus hochkarätigen Rubinen und Diamanten, die zu einer großen dreidimensionalen Rosette in Platin gefasst waren, vor der Versteigerung anzuprobieren. Es passte so gerade, und ich habe sehr schmale Handgelenke. Da Madonna fitnessgestählte Hantel-Handgelenke hat, habe ich mich nie gewundert, dass sie den prunkvollen Reif nie trug. Er wird in ihrem Tresor liegen und auf seinen Weiterverkauf warten.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Jubel für Iana Salenko (vorn rechts) und Dinu Tamazlacaru (an ihrer Seite) und das Staatsballett Berlin nach „Rubies“ in der Lindenoper. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

In Berlin sieht man so teure Schmuckstücke nur selten öffentlich getragen. Eher noch kann man sie in den Vitrinen der großen Juweliere bewundern, wo die Megareichen einkaufen, um dann unter ihresgleichen damit anzugeben. Reichtum versteckt sich vor Armut – umgekehrt ist das nicht möglich.

Berlin ist, was den Rahmen für kulturelle Ereignisse angeht, mit der neuen alten Staatsoper Unter den Linden immerhin deutlich weniger arm. Zumal, wenn das SBB dort auftritt.

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Dinu Tamazlacaru in der Mitte, vorn links Elena Pris, vorn rechts Iana Salenko: Solisten und Ensemble vom Staatsballett Berlin nach „Rubies“ in der Lindenoper. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Das Ensemble bietet in „Rubies“ mit Maria Boumpouli, Marina Kanno, Mari Kawanishi, Lauren Kennedy, Danielle Muir, Christiane Pegado, Alizée Sicre und Luciana Voltolini bei den Damen sowie mit Dominic Hodal, Sacha Males, Wei Wang und Dominic Whitbrook bei den Herren so viel Stärke und Geschmeidigkeit, dass man sich kaum sattsehen kann.

Ein Zusatzgenuss kommt aus dem Orchestergraben: Am Klavier braust Alina Pronina kenntnisreich durch die Partitur – Marius Stravinsky am Pult der mal wieder fantastischen Staatskapelle Berlin hat manchmal fast Mühe, sie zu zügeln. Es ist aber auch Musik zum Schmunzeln wie zum Schwelgen!

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Applaus für die Tänzer und die Pianistin Alina Pronina (in Schwarz) auf der Bühne der Staatsoper Unter den Linden nach „Rubies“. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Die Highlights für mich sind dennoch im zweiten Teil von „Jewels“ unbedingt die Tänze von Elena Pris mit den vier Kavalieren – George Balanchine hat damit eine Steilvorlage geschaffen, der die Interpreten in dieser Besetzung absolut gerecht werden. Eine Frau unter Männern: So leicht und so schwer kann sie es haben, wie es in diesen Passagen gezeigt wird. Ach, als berufstätige Frau muss man dazu einfach herzhaft lachen!

Die zweite Pause sei nun genutzt, um einen weiteren Rundgang durchs Haus zu unternehmen und den Apollo-Saal in seiner ganzen Schönheit zu würdigen. Dieser als Foyer genutzte palastartige Ort verströmt mit seinen Säulen und Glitzerkronleuchtern nach wie vor eine nicht überkandidelte, auch nicht zu steife, dennoch feierliche Atmosphäre. Wo sonst könnte man so stilvoll an einem Mineralwasser nippen?

Melancholie schleicht sich ein, denkt man daran, dass nunmehr schon der letzte Teil des Balletts beginnt.

Diamonds“ berückt zunächst mit zwölf bildschön aufgezäumten Ensemble-Damen (Mari Kawanishi, Aeri Kim, Jordan Mullin, Christiane Pegado, Katherine Rooke, Alicia Ruben, Tabatha Rumeur, Alizée Sicre, Aoi Suyama, Pamela Valim, Pauline Voisard und Xenia Wiest).

In vier Gruppen bevölkern sie die Bühne, eignen sie sich durch ihren Tanz an. Sie könnten Feen sein oder andere Himmelsprinzessinnen – Luftgeister oder auch einfach nur Töchter von Terpsichore, der Göttin des Tanzes.

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Schneeweiße Glitzerkostüme für Solisten und Corps: vorn Polina Semionova und Mikhail Kaniskin mit dem Staatsballett Berlin nach „Diamonds“ von George Balanchine in der Lindenoper. Foto: Gisela Sonnenburg

Schneeweiß, wieder mit leichtem Blaustich, leuchten die Mieder und Tutus, dazu kommt ein Geglitzer, dass einem die Augen übergehen – die Kostüme wurden in den Werkstätten des Bühnenservice der Stiftung Oper in Berlin gefertigt und verdienen wirklich allerhöchstes Lob!

Da wirkt nichts billig oder zufällig; jedes Steinchen, jeder Glamour hat seinen funkelnden Platz. Man sieht den Materialien ebenfalls an, dass sie sorgfältig gewählt wurden – damit die Prinzessinnen, die hier ihre Kunst zeigen, auch wirklich edel erscheinen.

Auch die Herren leuchten in schneeweißem Geglitzer und tragen ihre feinen Sachen mit Stolz und Charme im Leib: Marco Arena, Giacomo Bevilacqua, Alexander Bird, Paul Busch, Nathan Chaney, Gregor Glocke, Ty Gurfein, Christian Krehl, Sacha Males, Lewis Turner, Mehmet Yumak und Rishat Yulbarisov sorgen für geballte Männlichkeit.

Für eine herrliche Pas de six-Formation sorgen zudem Iana Balova, Weronika Frodyma, Julia Golitsina und Lauren Kennedy sowie Taras Bilenko, Dominic Hodal, Konstantin Lorenz und Alexej Orlenco (der damit mal wieder eines seiner beliebten Debüts abgab).

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Verbeugung der Stars: Polina Semionova und Mikhail Kaniskin mit dem Staatsballett Berlin in der Lindenoper. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Und das ist ein edles Laufen und Schreiten, ein Springen und Walzern auf der Bühne! Wer kürzlich in Hamburg und bald in Stuttgart „Dances at a Gathering“ von Jerome Robbins sah oder sehen wird, der findet hier die choreografischen Grundlagen dessen. Festliche Sehnsucht wird ergänzt von feinsinniger Paarbildung – bei Balanchine noch überwiegend ganz klassisch, bei Robbins dann ins Moderne transferiert.

Die Musik der „Diamonds“ stammt denn auch mit der Sinfonie Nr. 3 D-Dur von Peter I. Tschaikowsky, dem heimlichen Neuerfinder der Ballettmusik.

Was wäre die Ballettwelt nur ohne die Klänge dieses Komponisten, der auch den „Nussknacker“ und den „Schwanensee“, das „Dornröschen“ und, posthum, die Balanchine-Ballette „Serenade“ und „Ballet Imperial“, das „Allegro Brillante“ und natürlich den „Tschaikowsky-Pas de deux“ bestückt?!

Das Muster, das die Tänzer durch ihre Bewegungen auf dem Boden beschreiben, ahmt den Brillantschliff nach.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Riesenapplaus für „Diamonds“ in „Jewels“ von George Balanchine beim Staatsballett Berlin, hier mit Dirigent Marius Stravinsky auf der Bühne der Lindenoper. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Mindestens 32 Facetten müssen beim Brillantschliff entstehen (er wurde übrigens um 1910 erfunden und hat direkt nichts mit den 32 seriellen Fouettés zu tun, die in manchen Balletten auftauchen). Und je mehr Kanten und Seiten ein Brillant hat, desto mehr Spiegelung des Lichts, also umso mehr Feuer hat er, das vom Innern des Steins nach oben durchbricht. Erst mit einem solchen Schliff darf sich ein Diamant auch Brillant nennen. Die Tänzer funkeln hier wie einzelne Facetten!

Aber auch in Reihenformationen bewegen sich die Tänzer, und zwar äußerst harmonisch und abwechslungsreich. Hinzu kommt, dass die Tempi von Tschaikowsky, diesem Meister, ebenfalls dem Wechsel frönen: Auf ein Allegro folgt ein Allegro moderato, dann ein Andante, ein Scherzo – und das Finale.

Die absoluten Höhepunkte hier kommen natürlich von Polina Semionova und Mikhail Kaniskin. Beide scheinen in Topform – und beherrschen die Kunst, nicht die Gymnastik, des klassischen Balletts wie nur wenige.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Polina Semionova gibt alles, wenn sie tanzt: Hier beim Applaus nach „Diamonds“ in der Lindenoper. Foto: Gisela Sonnenburg

Polina gibt alles: Sanftheit und Kraft, unendlich durchgestylte Ports de bras, die dennoch nie „geführt“, sondern immer spontan und echt wirken, sowie rasante Pirouetten und Chainés, die an den Sexappeal von Yvette Chauviré erinnern. Polinas Beinarbeit ist ohnehin über jede Kritik erhaben. Und ihren Oberkörper vermag sie so leicht und doch köstlich zu biegen, dass sie in den Armen von Kaniskin zu einer ganz der Liebe zugeeigneten Frauenpersönlichkeit wird.

Er wiederum ist ein optimaler Partner für Polina, weiß ihre Power zu bändigen und zu lenken, sie zu halten und zu heben. Wenn sie das erste Mal hier rückwärts in seine Arme fällt – Balanchine liebt diese klassische Verliebtheitsgeste – dann ist es, als müsste nun die ganze Welt der Liebe frönen, und nur der Liebe!

Zudem wissen beide, dass sie hier nicht übertreiben sollten und zum Beispiel ihre Grands jetés nicht überstrecken sollten. Denn überstreckte Spagatsprünge oder auch überstreckte Penchés wirken im klassischen Stil einfach nur lächerlich. Es ist hier so fantastisch zu sehen, wie diese beide Majestäten Semionova und Kaniskin sich aufeinander abstimmen und auch selbst beherrschen können.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Ein Paar von Terpsichores Gnaden: Polina Semionova und Mikhail Kaniskin nach „Diamonds“ mit dem Staatsballett Berlin. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Seine großen Sprünge sichern ihm dann die Bravos, auch in der Rotunde macht Mikhail Kaniskin einfach nur das, was ein toller Mann im Ballett zu tun hat. Ein Hauch Bolschoi kommt mit ihm stets auf die Bühne.

Polina Semionova hingegen ist ganz die zarte Dame, hingebungsvoll und achtsam zugleich. Ihre seitlichen Développés haben manchmal superberweise die Süffisanz des Schwarzen Schwans, wie auch ihre Fouettés, dennoch obsiegen immer wieder die Verliebtheit und das Streben nach Metaphysik. Großartig! Wirklich erschütternd.

Und dann steht dieses Paar von möglicherweise göttlichen Gnaden aufrecht nebeneinander im Tendu, und sie webt mit ihren Händen und Armen in der Luft die Fäden der Hoffnung.

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Ein anderes Mal fasst sie sich an den Hinterkopf, mit einer fast folkloristischen Gebärde, die an „Raymonda“ erinnert.

Auch die Damen vom Pas de six dürfen mitunter temperamentvolle Anklänge an Marius Petipas „Raymonda“ einflechten.

Schließlich bahnt sich das Finale mit allen Beteiligten an, Musik und Tanz stellen Steigerung auf Steigerung – das Corps ummantelt und schützt die Solisten, korrespondiert mit ihnen durch die Gestik, man tanzt synchron oder im Kanon und genießt die Macht der Bewegung.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Bravos für das Staatsballett Berlin mit Polina Semionova in der Staatsoper Unter den Linden nach „Diamonds“ / „Jewels“ von George Balanchine. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Natürlich denkt man an eine nicht-tragische Version von „Schwanensee“, an eine Art „Schwanensee“-Paradies.

Oder an einen großen Ball, auf dem die Paare sich durch Gänge und Spaliere schleusen.

Aber es gibt auch Zitate aus „Emeralds“ und „Rubies“, welche die drei Einzelstücke dieses Abends miteinander verbinden. Und wenn Polina Semionova mit bewusst einwärts gedrehten Füßen und Knien ins Passé geht, um die Ballerinenpose aus „Rubies“ zu zitieren, dann hat das eine so subversive Note, dass ihr Tutu fast ironisiert wird.

Schließlich tanzt das Hauptpaar noch einmal von ganz hinten nach ganz vorn – und schmeißt die Beine synchron in die Höhe.

"Jewels" von George Balanchine in der neu sanierten Staatsoper Unter den Linden

Ein letzter Vorhang für das Staatsballett Berlin mit Polina Semionova nach „Jewels“ beim Einstand ins neu renovierte Haus der Staatsoper Unter den Linden. Applaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Noch ein Penché von Polina in seinen Armen, alsbald modifiziert zu einer Arabeske – und Kaniskin kniet vor ihr, während hinter ihm pfeilförmig das Corps platziert ist, die Herren ebenfalls kniend, die Damen dazu in siegreicher Tendu-Pose mit erhobenem Arm.

Was für eine intelligente Verherrlichung des Lebens, was für eine wunderbare Verführung zur Schönheit!
Gisela Sonnenburg

Termine: siehe „Spielplan“

www.staatsballett-berlin.de

 

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