Hauptstadtpläne Good news: Das Staatsballett Berlin wird Ende August mit einem maßgeschneiderten Gala-Programm eröffnen, im September ein zweites und außerdem eine Covid-19-Premiere zeigen

"Schwanensee" geht auch ohne viel Bühnenbild

Dieser Kuss sagt mehr als viele Worte und ist auch nach Corona-Schutzmaßnahmen erlaubt: Primaballerina Iana Salenko und ihr Gatte Marian Walter nach „Schwanensee“ von Patrice Bart mit dem Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper Berlin. Schlussapplaus-Foto: Gisela Sonnenburg

Lange war es eher still ums Staatsballett Berlin (SBB) – aber jetzt prasseln die Ankündigungen hernieder wie ein erfrischender Sommerregen. Die neuen Hauptstadtpläne im Einzelnen: Als erste neugierig machende Show soll am 27. August 2020 die Gala From Berlin with Love I“ die kommende Berliner Ballettsaison eröffnen. Zwei weitere Vorstellungen werden folgen. Wo? In der Deutschen Oper Berlin. Der Kartenvorverkauf startet am 15. August 20. Man wird sich beeilen müssen, um zum Zuge zu kommen! Aber da man das Berliner Ballettpublikum gleich in zweifacher Hinsicht als ausgehungert bezeichen darf – zum Einen hat es nach 2014 nur eine Ballett-Gala gesehen, zum Anderen sind die Opernhäuser wegen Covid-19 seit Mitte März geschlossen – wird es sich bei der Gala um ein beispielloses Glücksevent handeln! Ein „vielseitiges Programm“ wird denn auch versprochen, bestehend aus klassischen und zeitgenössischen Einzelstücken. Das riecht verdächtig gut nach einer modifizierten Fortsetzung der Berliner Gala-Serie „Malakhov & Friends“, die bis 2014 die Herzen der Ballettomanen in der Hauptstadt erfreute. Ab dem 18. September 2020 wird dann ein weiteres Gala-Programm unter dem Titel „From Berlin with Love II“ premieren, und zwar in der Staatsoper Unter den Linden. Und als sei das nicht genug aus dem Berliner ballettösen Füllhorn – nach dann über fünfmonatiger Pause wegen Corona– wird am 3. September 20  in der Komischen Oper Berlin auch noch ein rein zeitgenössisches Programm uraufgeführt.

Lab_Works Covid_19“ nennt es sich und entspricht in etwa dem, was anderswo „Junge Choreografen“ heißt. Tänzerinnen und Tänzer vom SBB, die meinen, sie hätten choreografisches Talent, werden sich hier austoben, und zwar zeitgemäß mit dem Corona-Lockdown als thematischer Verklammerung.

Eine choreografische Ausbildung hat indes wohl kaum jemand von ihnen – in Deutschland gibt es für das Studium von Ballettchoreografie derzeit bedauernswerterweise sowieso nur wenige gute Möglichkeiten, und für das Selbststudium, das umfassende Kenntnisse von Literatur, Theater-und Musikgeschichte, Kunst, Philosophie und weiteren Bereichen umfassen sollte, haben staatlich angestellte Profitänzer zumeist weder genügend Zeit noch Muße. Sich in dieser Hinsicht Gebildetere als Dramaturgen zu nehmen, haben sie oft keine Lust.

Das Problem, dass dann beliebiges Gezappel zu Synthi- oder Techno-Musik serviert wird, ist darum bereits gut bekannt und auch längst nicht vom Tisch. Aber auch solche etwaigen Auswüchse der subventionierten Kultur haben ihre Liebhaber, vor allem jene, denen klassische Musik zu anstrengend und Bildung allgemein zu langweilig vorkommt. Dennoch gilt: Abwarten! Vielleicht gibt es angenehme Überraschungen – in den letzten Jahren hatte das SBB zu so einer hausgemachten jungen Show ja kaum eine Gelegenheit.

Maria Eichwald beim Applaus

Maria Eichwald tanzte die „Giselle“ beim Staatsballett Berlin schon in einigen Vorstellungen als Gaststar – vielleicht wird sie auch das Programm „From Berlin with Love II“ schmücken. Foto vom Applaus: Gisela Sonnenburg

Für international orientierte Ballettfans dominiert so oder so das mit verlockenden Kernstücken brillierende Programm der beiden Galas. Auch wenn für alle Vorstellungen selbstverständlich die dann geltenden Schutzmaßnahmen gegen eine Ausbreitung des Corona-Virus gelten: Man ist höllisch gespannt darauf!

Annonciert werden für „From Berlin with Love I“ Ausschnitte aus Balletten wie „Schwanensee“ in der Version von Patrice Bart und „Jewels“ von George Balanchine sowie Auszüge aus Werken von Heinz Spoerli, Uwe Scholz und Mauro de Candia.

Von Spoerli tanzte das SBB dessen fantastische abendfüllende Umsetzung des literarischen Themas „Peer Gynt“ nach dem Drama von Henrik Ibsen; von Uwe Scholz tanzte das damalige Ballett der Berliner Staatsoper Unter den Linden zwei Stücke unter dem auf die Location abgestimmten Titel „Ein  Lindentraum…“ zu Musiken von Mozart und Schumann; und von Mauro de Candia stammt ein großer Gala-Erfolg, nämlich ein männlicher sterbender Schwan als modernes Solo, kreiert für Vladimir Malakhov. Kommende Saison wird Dinu Tamazlacaru mit diesem ergreifend-ästhetischen Werk triumphieren.

Einige choreografisch bereits versierte Tänzerinnen und Tänzer des SBB dürfen all diese  hochkarätigeGala-Nummern außerdem mit eigenen Arbeiten aufstocken. Das sind unerhört gute Chancen der Präsentation für mehr oder weniger nur Insidern bekannte  Nachwuchschoreografen. Aber hoppla, so könnte auch mal jemand Erfolg haben, der oder die sonst übersehen würde!

Bei der zweiten Serie der Gala– ab 18. September 2020 eingeplant – liegt dann der Schwerpunkt auf dem romantisch-klassischen Repertoire der Compagnie. Die fulminante „Giselle“ in der Inszenierung von Patrice Bart dürfte da ganz besonders zum Tragen kommen, ergänzt von „Schwanensee“ (ebenfalls von Bart) und „Don Quixote“. Letzteren hatte Victor Ullate mit dem SBB in seiner modernisierten Version einstudiert – allerdings sind vor allem Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru weltweit als Gala-Superknüller mit dem klassischen Grand pas de deux aus „Don Quixote“ von Marius Petipa berühmt.

Ob es Gäste von außerhalb geben wird, kann derzeit wohl noch nicht definitiv entschieden werden. Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber ein paar Stargäste wären selbstredend für die meisten Fans ein zusätzliches Plus.

"Jewels" ist ein Ballett nicht nur über Edelsteine.

Diese Besetzung wird es wohl nicht sein, aber derselbe Pas de deux könnte auch in der kommenden Saison betören: Marian Walter und Krasina Pavlova tanzen hier in „Emeralds“ aus „Jewels“ von George Balanchine beim Staatsballett Berlin. Foto: Carlos Quezada

Die Uraufführung in der Komischen Oper am 3. September namens „Lab_Works Covid_19“ wird dann mit Stücken angefüllt, die die TänzerInnen während des Corona-Lockdowns in ihrer häuslichen Isolation erarbeiteten. Noch weniger Gala geht nicht, sozusagen – dafür kann hier die Authentizität einer Situation in den Blickpunkt rücken.

Ob so auch das private Mobiliar zum Bühnenbild wird? Zumindest wird die Quarantäne-Situation als Gelegenheit zum künstlerischen Experiment begriffen.

Später in der Saison sollen dann zwei große Premieren nachgeholt werden, die wegen der Corona-Epidemie ausfielen, die neuen Daten stehen hier noch nicht fest. Aber sie werden kommen: Das Märchenballett „Dornröschen“ in der Inszenierung von Marcia Haydée und die Uraufführung „Sym-phonie 2020“ von Sasha Waltz, die dann Berlins Ex-Ballettintendantin ist.

Tom Schilling war der bedeutendste Choreograf der DDR.

Christiane Theobald im Foyer de la Danse in Berlin – sie ist die kommende kommissarische Berliner Ballettintendantin. Foto. Gisela Sonnenburg

Apropos: Das Thema der Ballettleitung ist in Berlin mal wieder ein besonders sensibles.

Die Noch-Ballettintendanten Johannes Öhman und Sasha Waltz beenden ihre Tätigkeit offiziell im Juli 20– gefühlt sind sie sowieso schon längst nicht mehr anwesend.

Dass Berlin seinem Ballettpublikum nach dem Corona-Lockdown relativ zügig eine so weit aufgefächerte Perspektive für die kommende Saison bieten kann, verdankt sich darum vor allem der aktuell stellvertretenden und  kommenden kommissarisch leitenden Ballettchefin Christiane Theobald.

Sie hat zwar nicht nur allerbeste Freunde innerhalb und außerhalb Berlins, aber sie kennt das Profil und Repertoire der Truppe wie auch die Bedürfnisse des Publikums vor Ort – und sie hat die notwendige Erfahrung im Umgang mit dem Verwaltungsapparat, um die für alle Beteiligten schwierige Corona-Zeit zu wuppen.

Haare über Haare in "Ekman / Eyal" beim Staatsballett Berlin

Sie sitzt hier ganz gut auf dem einzigen Stuhl auf der Bühne: Polina Semionova in „LIB“ von Alexander Ekman in „Ekman / Eyal“ beim Staatsballett Berlin. Wird Polina bald eine Kandidatin als Ballettchefin sein? Foto: Jubal Battisti

Wer ab 2021/22 Ballettchef vom SBB wird, steht allerdings noch in den Sternen.

Vermutlich bewerben sich vor allem etliche SBBTänzerInnen– auch ehemalige – für die dann vakante Position.

Allen voran darf man über die ständige Gast-Primaballerina Polina Semionova als Vorzugskandidatin spekulieren. Sie ist sehr ehrgeizig, Image-bewusst und Berlin seit langem verbunden. Vladimir Malakhov entdeckte die damals erst 17-Jährige in Moskau, und nach einer Weltkarriere mit viel Tingeltangel lebt und arbeitet sie heute vor allem in der deutschen Hauptstadt. Sie ist ein weltbekannter Star mit viel magnetischer Kraft, was den Zulauf des Publikums angeht.

Allerdings ist sie wohl gänzlich unerfahren, was das Agieren ohne einen Manager und in eigener Verantwortung angeht. Würde Polina offiziell die Berliner Ballettintendantin, würde Christiane Theobald ganz sicher weiterhin das Zepter fest in der Hand halten müssen. Vielleicht möchte sie das sogar – aber an sich sollte eine Ballettintendanz eine eigenständige Vision von ihrem Handeln haben. Vielleicht aber bewirbt sich Theobald eh selbst als Chefin auf Dauer – und gewinnt den Superbowl damit. Dann sind die folgenden Überlegungen natürlich überflüssig. Aber:

Mein letztes Hemd verwette ich dafür, dass sich Jiri Bubenicek für die Stelle bewirbt. Er lebt mit seiner Familie in Dresden, wo er bis 2015 als ein sagenhafter Primoballerino wirkte. Seither wirbelt er als Choreograf durch die Weltgeschichte, wobei er Familienangehörigen wie seinem Bruder und seiner Gattin nicht selten gut dotierte Jobs zuschustert. So etwas wirkt auf die Dauer nicht überzeugend, aber in vielen provinziellen Ballettensembles fühlt man sich mit dem Bubenicek-Clan gut bedient. An die Qualität, die die Gebrüder als Tänzer hatten, reicht ihre kreative Ader allerdings nicht heran. Ich rate von diesem familiären Mittelmaß dringend ab.

Als weiteren Kandidaten, ebenfalls mit Ehegespons im Mitarbeitergepäck, muss man den auch als Veranstalter von lukrativen Workshops umstrittenen Mikhail Kaniskin befürchten.

"Onegin" verabschiedet sich

Mit der Gala am 29. August 2020 verabschiedet er sich vom Staatsballett Berlin: Mikhail Kaniskin, hier als „Onegin“ zu sehen, mit Elisa Carrillo Cabrera als Tatjana in der Staatsoper Unter den Linden. Foto: Carlos Quezada

Denn er beendet in der Gala-Vorstellung am 29. August 20 altersbedingt seine Karriere als Erster Solist vom Staatsballett Berlin. Der gebürtige Moskowiter war viele Jahre ein exzellenter Cranko‘scher „Onegin“, ein umwerfender Solor in „Die Bajadere“ und – noch in seiner Zeit beim Stuttgarter Ballett– ein rührender Armand in „Die Kameliendame“ von John Neumeier. Aber als smarter  Ballettintendant im brodelnden Berlin scheint er mir ziemlich ungeeignet, ein beruhigender Charakter ist dieser umtriebige Mann wirklich nicht  – da hilft es auch nicht, dass er zusammen mit seiner Partnerin Elisa Carrillo Cabrera in deren Heimat Mexiko Galas und Festivals veranstaltet und dann und wann eine Stiftung gründet. Denn im Zentrum dieser Aktionen stehen oftmals Mikhail und Elisa – aber von ausgemachten Egozentrikern hat die Berliner Ballettszene gerade die Nase voll.

Als Persönlichkeit sollte jemand ausgewählt werden, der nicht zuviel egoistischen Ehrgeiz bewiesen hat, sondern vielmehr in der Lage ist, empathisch ans große Ganze einer solchen Truppe mit immerhin fast hundert TänzerInnen zu denken. Da wollen Talente entdeckt und entwickelt werden, Tänzerprofile erhalten und ins richtige Licht gesetzt sein. Man braucht ein gutes Auge, ein starkes Händchen, einen langen Atem – und neben viel Diplomatie eine gute Portion Durchsetzungsfähigkeit.

 Oleksi Bessmertni fällt mir da ein, als jemand, der sich seit vielen Jahren mit dem internationalen „Tanzolymp Berlin“ um die Stadt verdient gemacht hat. Seine Kenntnisse und Kontakte sind vielfältig, er ist weltgewandt, gebildet und kultiviert. Er hat einen exquisiten Geschmack und einen sympathischen Auftritt. Und er steht für eine Verbindung der verschiedenen Generationen von TänzerInnen und Tanzbegeisterten – das könnte gerade beim Wiederaufbau der Staatlichen Ballettschule Berlin, welcher ansteht, sehr gut passen.

Oleksi Bessmertni ist berühmt für seinen „Tanzolymp Berlin“, einen jährlich stattfindenden internationalen Wettbewerb mit Gala. Foto: Gisela Sonnenburg

Darauf, dass es eine grundsätzlich engere Verbindung des SBB zur ebenfalls noch mit einer neuen Leitung zu bestückenden Staatlichen Ballettschule geben könnte, wagt man allerdings kaum noch zu hoffen. Denn was in anderen Städten ganz normal ist, scheint in Berlin schier aussichtslos.

Dafür ist es in der Hauptstadt einerseits bunt, wild, unkonventionell und andererseits gediegen, ästhetisch, traditionsbewusst. Und genau so sollte das Staatsballett Berlin werden – gern schon in der kommenden Spielzeit!
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

 

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