Wenn eine Frau die Seite wechselt Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert ihr Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Nicht jedes Buch über eine Tänzerin ist toll.

Beatrice Knop, wie ich sie in den leztten Jahren erlebt habe: elegant, offen, pragmatisch. Foto: Gisela Sonnenburg

Sie ist ein weiblicher Tausendsassa unter den Ballettkünstlerinnen, wenn auch in traditionellem Verständnis. Das heißt: Beatrice Knop, gebürtige Berlinerin und an der Staatlichen Ballettschule Berlin in der DDR ausgebildet, tanzte mit großer Präzision einerseits und unnachahmlichem Ausdruck andererseits: und zwar so ziemlich alles, was eine klassisch geprägte und modern variierende Ballerina leisten kann. Ihr erster „Schwanensee“-Erfolg – nicht als Corps-Tänzerin, sondern als Odette/Odile – brachte ihr im Januar 1998 im Alter von 26 Jahren im Anschluss an die Vorstellung die festliche Ernennung zur Ersten Solistin, zur Primaballerina. Dabei hatte sie vorher aus lauter Angst, auf der Bühne zu versagen, Tränenschleier im Blick. Ihre Aufführungsängste bekämpfte sie mit Selbstsuggestion, erfolgreich, und allein in ihren Jahren beim Staatsballett Berlin tanzte sie achtzehn Premieren, die ihr Vater stolz auflistet. „Bea“ Knop hat ein erfülltes Ballerinenleben hinter sich: Sie arbeitete mit Männern wie Maurice Béjart, Roland Petit, Patrice Bart, Vladimir Malakhov und Nacho Duato – sie ist ein wandelnder Inbegriff Berliner Internationalität.

Ihr flottes Buch, von dem versierten Interviewer Jan Stanislaw Witkiewicz kürzlich fertig gestellt, heißt „Beatrice Knop.  Die letzte deutsche Primaballerina“. Die letzte deutsche Primaballerina? Das ist sie nun allerdings mit Sicherheit nicht, und das wäre auch traurig, wenn die Deutschen ausstürben oder das Ballett abschaffen würden oder man von vornherein allen jungen Tänzerinnen mit deutscher Staatsbürgerschaft die Hoffnung auf ein Primaballerinendasein nehmen müsste.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

So sieht das Buch von vorne aus: „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“. Leider ist der Untertitel peinlich hochgestapelt. Hat Knop das nötig? Oder der Berliner Verlag, Theater der Zeit? Wenigstens bewegt sich nicht alles zwischen den beiden Buchdeckeln auf diesem Niveau… Faksimile: Gisela Sonnenburg

Natürlich ist die Konkurrenz aus dem Ausland hart, zumal das westdeutsche Ausbildungssystem längst nicht ausreicht und die professionell orientierte Talenteförderung bei Kindern im Ballettbereich hierzulande gen Null tendiert. Die so genannten „schweren“ deutschen Knochen sind außerdem für Ausdruckstanz und moderne Bewegungsarten oft sehr gut geeignet, fürs klassische Ballett aber weder belastbar noch anmutig genug. Schauen Sie mal eine deutsche Frau oder auch einen deutschen Mann beim Gehen von hinten an – und dann französische, polnische oder italienische Landsleute dagegen zum Vergleich. Da kann man schon ins Grübeln kommen.

Dennoch gab und gibt es seit Jahrhunderten immer mal wieder großartige deutsche Tänzer oder Primaballerinen, und derzeit muss man gar nicht so weit über den Tellerrand gucken, um festzustellen, dass die deutsche Solistin Sarah Mestrovic beim Berliner Staatsballett zwar keine Sylvie Guillem ist (das war Beatrice Knop auch nicht), aber bereits eine fantastische Hamsatti in „Die Bayadere“ ablieferte und auch ihre Fée des Lilas in Nacho Dutaos „Dornröschen“ durchaus international konkurrenzfähige Qualitäten hat.

Und was wäre, wenn die Weltballerina Lucia Lacarra in München die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde, nur mal so gefragt? Sie tanzt sowieso so lange so eng so toll mit dem Bayerischen Staatsballett, dass man sie landläufig schon jetzt als deutsche oder auch bayerische Startänzerin titulieren könnte, ohne allzu sehr daneben zu liegen.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Eine schöne, selbstbewusste Frau, auch ohne Spitzenschuhe: Beatrice Knop in der Kantine der Deutschen Oper Berlin, mit dem Flyer fürs „ballett-journal.de“… schade, dass ich ihr Buch nicht nur loben kann. Foto: Gisela Sonnenburg

Andere nehmen vielleicht schon während ihrer ersten Berufsjahre in Deutschland die Staatsbürgerschaft an. Und irgendwann wird es auch eine neue Bea Knop geben, da bin ich mir sicher, mit vorgeblich überwiegend deutschen Genen, wenn es denn darauf ankommen sollte.

Es ist also nichts peinlicher oder auch betrügerischer, als einen solchen falschen Superlativ wie „Die letzte deutsche Primaballerina“ im Untertitel eines biographischen Buches zu verwenden.

Was hat den Autoren da nur geritten? Vielleicht sind die Sponsoren schuld? Ein reiches Ehepaar spendierte dem Verlag mit Finanzkraft dieses Buch, das es sonst womöglich nicht geben würde – und vielleicht verführte die Geldspritze zum Schielen auf den ganz großen Supererfolg. Reißerisch und sensationsheischend zu sein, ist das eine – faktisch richtig sollte man aber dennoch bleiben. Und dabei sollte man Laien – und das sind Sponsoren zumeist – keinerlei Zugeständnisse machen.

Jedenfalls erzählt Bea Knop nun schriftlich auf knapp 200 Seiten – die Hälfte davon umfasst jeweils die deutsche und die englische Version – ihr Leben, mit dem Schwerpunkt Ballett. Die Frage-Antwort-Passform im Querformat kennt man schon von Witkiewicz’ Doppelportraitband über Shoko Nakamura und Wieslaw Dudek, einem einstigen bewunderten Tänzerpaar vom Staatsballett Berlin. Und wie dieses Buch (das übrigens bereits im ballett-journal.de rezensiert ist), erschien auch das Knop-Buch im Berliner Verlag Theater der Zeit.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Die Tatjana in „Onegin“ tanzte Bea Knop zuerst in Essen, bei Martin Puttke, im Aalto-Theater. Später dann aber auch in Berlin, wo sie die Rolle dann auch coachte. Blick ins Buch „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Der Zeitpunkt ist goldrichtig, ihm kam auch der Zufall zuhilfe. Denn soeben erhielt das Staatsballett Berlin seinen neuen Tarifvertrag, und zwar mit der von den Tänzerinnen und Tänzern dafür gewünschten Gewerkschaft ver.di. Es hatte mächtig Krach darum gegeben, weil die Stiftung Oper in Berlin, vertreten durch Georg Vierthaler, den Geschäftsführer des Staatsballetts, hier nicht mitmachen wollte. Beatrice Knop hatte im letzten Jahr noch selbst mit ihren KollegInnen für den Vertrag mit ver.di gestreikt – jetzt krönt auch dieser Erfolg ihren Bühnenabschied.

Schade nur, dass im Buch keine Silbe über den Arbeitskampf und Bea Knops Haltung zu ihm verloren wird. Als aufmerksamer Berliner Beobachter kommt man sich da ein bisschen veräppelt vor. Zuviel Schweigen ist halt nicht schön: Im Buch wird so getan, als habe es die historisch bedeutsamen und auch Aufsehen erregenden Streikaktionen 2015 beim Staatsballett Berlin einfach nicht gegeben… Ich bin versucht, das „Duckmäusertum“ zu nennen. Zumal der positive Ausgang, also der Sieg der Ballettkünstler, zum Zeitpunkt der Buchfertigstellung noch nicht entschieden war.

Was hingegen toll ist an dem Buch: Die Ballerina Beatrice Knop berichtet ehrlich auch von den Schattenseiten ihres Berufes – und sie versucht nicht, glorios nur heile Welt zu spielen, wo doch chronische Entzündungen an den Zehen jahrelange Antibiose erforderten und zudem nur der pünktliche Betäubungsmitteleinsatz vor der Vorstellung dieselbe überhaupt ermöglichen konnte.

Man mag es ja kaum glauben, wenn diese filigranen, wunderschönen Wesen in ihren Spitzenschuhen übers Bühnenparkett schweben, aber ihr tänzerischer Glücksrausch, der sich dem Publikum so stark übermittelt, wird oftmals mit heftigen körperlichen Schmerzen bezahlt.

Manche Tänzer, auch männliche, sagen, dass Schmerzen so sehr zum Beruf des Profitanzes gehören, dass sie es sich ohne schon gar nicht mehr vorstellen könnten. Und auch die moderne Schmerzmedizin, die – ähnlich wie bei Sportlern – bei Tänzern eine sichere Kundenquelle hat, ist aus dem Profigeschäft des Balletts längst nicht mehr wegzudenken.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Als Odette/ Odile war Beatrice Knop eine „Erscheinung“, wie Christiane Theobald in ihrem Vorwort zum Buch richtig anmerkt. Es gab Menschen, die, um das zu sehen, weite Anreisen in Kauf nahmen… ihr Geheimnis? Präzision, Eleganz und eine Prise Trotz, würde ich sagen. Faksimile-Blick ins Buch „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“: Gisela Sonnenburg

Gesundes Ballett wäre in der Tat nicht möglich mit acht Stunden Tanzen am Tag – gesund, das wären zwei bis drei Stunden, maximal vielleicht vier, mit nur wenigen Sprüngen und nur ganz wenig Spitzentanz. Gesunder Tanz enthielte Yoga-ähnliche Elemente und würde sich auf die Wurzel des Qi Gong stärker besinnen als auf Drill und Leistungsdruck. „Schwanensee“ wäre da eher nicht zu machen, schon gar nicht auf dem heute üblichen, technisch hohen Niveau. Das wird so krass zwar nicht gesagt von Bea Knop, aber das ist Fakt.

Wer heute Profi-Tänzer wird, weiß das ohnehin – und akzeptiert es für sich. In anderen Berufen bringt man sich übrigens auch nicht ganz selten systematisch weit weg vom allgemeinen Gesundheitsideal. Es sieht woanders halt nur nicht so schön und ausdrucksvoll aus, wenn man seinen Berufskrankheiten Vorschub leistet.

Der enormen Abnutzung der Gelenke und des Bewegungsapparats steht die übergroße Freude am Tanzen, gerade in der rätselhaft-organischen klassischen Form, gegenüber. Darin ist Beatrice Knop ganz Ballerina: Sie vermittelt einen gleichermaßen abgeklärten wie begeisterten Eindruck, den sie nach wie vor vom Ballett hat. Dabei schien sie als Kind zunächst nicht besonders begabt dafür, denn andere hatten lange, hohe, dünne Beine, sie hingegen einen gerundeten Po. Und ihre Füße wurden erst durch hartnäckige, jahre- und jahrzehntelange Streckung und Übung so optimiert fürs Ballett, wie sie es heute noch sind. Die Fotos belegen es: Da gibt es nichts zu meckern an den eleganten Linien der Knop, und es ist hoch interessant zu erfahren, dass diese nicht naturgegeben, sondern das Ergebnis harter Arbeit sind.

Aber an Ausstrahlung hatte Beatrice den anderen schon ganz früh etwas voraus, und in der B-Note, der nicht-technischen, künstlerischen Benotung, stand sie auch als Kind schon stets sehr gut da.

Im Ballett der Staatsoper Unter den Linden musste sie dann dennoch ziemlich lange auf richtig gute Chancen warten. Sie kam sich schon vor wie die ewige zweite Besetzung…

Schließlich kam Michael Denard als Ballettchef – und Bea siegte. Denn der Franzose hatte Sinn für „große“ Frauen mit langen Beinen im Ballett, wobei „groß“ nun nicht nach Model-Maßen zu rechnen ist.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Auch in romantisch-klassischen Rollen wie als Marie Taglioni in „Pas de Quatre“ brillierte Bea Knop beim Staatsballett Berlin: leicht, anmutig, ausdrucksvoll. Faksimile des Buchs „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“: Gisela Sonnenburg

Aber irgendwie macht es traurig zu sehen, wie stark einige Zentimeter Körperlänge hier entscheidend waren. Und die Knop macht auch selbst immer wieder ein Problem daraus, dass nicht alle tollen Tänzer um sie herum deutlich größer gewachsen waren als sie. Leider regiert ja in vielen Herzen, auch in ihrem, noch immer so ein überkommenes Frauenbild, nach dem der Mann unbedingt, und auch dann, wenn die Frau auf Zehenspitzen steht, größer sein muss. Was soll das?

Hey, das ist eine Gewohnheit des Blicks – und, jawohl, auch eine gewisse Blockade im Kopf!

Kleine Männer können nämlich durchaus stark und toll aussehen, wenn die größere Frau sich nicht zu dominant verhält; und mit einer guten Hebetechnik habe ich schon viele kleine Ballerini größere Ballerinen sehr schön heben und durch die Luft wirbeln gesehen.

In Berlin gab es an der Deutschen Oper mit Xavier Ferla mal einen von Maurice Béjart geprägten eher zarten Ballerino, der mit der heutigen Ballettmeisterin vom Berliner Staatsballett Christine Camillo in den 90er Jahren ein exzellentes Paar in „La Sylphide“ abgab. Ferla war meiner Erinnerung nach eindeutig kleiner als Christine, zumal, wenn sie auf den Zehenspitzen stand – und das Pärchen war entzückend anzusehen und überhaupt nicht lächerlich.

Auch die Wiener Primaballerina Susanne Kirnbauer tanzte, schon in den 80ern, öfters mit kleineren Partnern – hinreißend, dramatisch, lyrisch, es war alles drin. Es zeigte sogar, dass eine Frau auch von der Körperlänge her mal überlegen sein darf.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Sie tanzte auch die Nikia in Malakhovs „Die Bayadere“, hier Beatrice Knop beim Spagatsprung der Nikia. Ihr Partner war Dmitry Semionov, der aktuell in „La Bayadère“ in Dresden tanzt. Dmitry ist groß gewachsen. Aber der Mann könnte auch ruhig mal kleiner sein als die Ballerina, das würde nicht stören, wenn man nicht patriarchal verhaftet ist. Faksimile aus „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“: Gisela Sonnenburg

Dass Frauen und Männer sich aber gerade heute unterschiedlich groß auf Augenhöhe begegnen sollten und das Sich-gegenseitig-Anschmachten gern abwechseln darf, muss sich im Denken und auch Fühlen innerhalb und außerhalb der Ballettwelt wohl erst noch durchsetzen. Nur: Wenn man immerzu überkommene Konventionen bedient, dauert das natürlich länger.

Moderne Frauen suchen im Mann aber nicht mehr den Versorger oder den Macker, zu dem sie aufsehen. Im Gegenteil: Viele moderne Frauen mögen es, wenn sie in der einen oder anderen Hinsicht ihrem Mann überlegen sind.

Dafür gibt es ganz andere Kriterien, nach denen die Paarbildung für die Bühne gelingen kann oder auch nicht. Das hat mit dem Körperbau ebenso zu tun wie mit dem Temperament und der Ausstrahlung. Mit der Rollengestaltung. Und sogar mit dem spezifischen Können! Da sollten wir offen und scharfäugig sein für verschiedene Paarqualitäten.

Diese fallen hier im Buch leider flach. Da geht es nur immer wieder ums Größersein des Mannes – ein lächerlich patriarchaler, ja sexistischer Anflug. Ballerinen und Ballerini sollten es vielmehr besser beizeiten lernen, gegen solche Klischees anzutanzen, als sie immer wieder aufgewärmt auch noch in Büchern von Vorbildern vorgesetzt zu kommen.

Übrigens warte ich persönlich nun auch schon seit Jahren auf einen klein gewachsenen Onegin oder auf eine besonders groß gewachsene Schwanenprinzessin. Könnte ich mir beides sehr reizvoll vorstellen.

Und auch wenn Gesellschaften wie Japan hier mental nicht mithalten können, denn ausgerechnet dort, im Land der eher klein Gewachsenen, sollen die Frauen noch zarter und zierlicher sein, damit die Männer neben ihnen möglichst doch noch „groß“ wirken: Man muss sich solchen falschen Konventionen nicht anpassen.

Dafür haben wir in Europa eine explizite Diskussion über Frauenbilder – und seit rund hundert Jahren, nebenbei bemerkt, das Frauenwahlrecht. Das Umdenken in anderen Bereichen ist aber offenbar sehr viel schwieriger. Auch im echten Leben haben es Paare und auch einzelne Menschen, die nicht die alten sexistischen Muster bedienen, bekanntlich schwerer, akzeptiert zu werden – und es ist die Aufgabe der Kunst, auch des klassischen Balletts, hier im Sinne der Menschlichkeit fortschrittlich zu wirken.

Die Beine heben Tänzerinnen heute ja auch höher als noch vor fünfzig Jahren. Warum also sollen sie dann nicht mal auf ihre Prinzen huldvoll herablächeln – statt immer nur zu ihnen heraufzusehen?

Fürs Publikum ist so etwas eine Frage der Gewöhnung. Für die Künstler eine des Könnens, denn Ballerinen und Ballerini  müssen es natürlich erlernen, mit Partnern, die anders als gewohnt beschaffen sind, gut zurecht zu kommen.

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Bea Knop in den Armen des größeren Tanzpartners Ronald Savkovic – im „Schwanensee“, einer ihrer großen Glanzauftritte. So zu sehen im Buch „Beatrice Knop. Die letzte deutsche Primaballerina“ von Jan Stanislaw Withiewicz. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Bea Knop hatte aber in der Tat nie das Glück, mit einem kleineren oder zarteren Tänzer zu brillieren, sonst würde sie vielleicht anders über diese Dinge denken. Da ist also auch ihren Chefs ein Vorwurf zu machen. Dafür glänzte sie mit den „typischen“ Heroen an ihrer Seite auf der Bühne, wie etwa mit dem markant-gefühligen Ronald Savkovic (der später ein sehr schlechter Choreograf wurde).

In „Caravaggio“, einer modernen Glanznummer des Berliner Staatsballetts in der Malakhov-Ära (von der es zudem eine extrem gute DVD, erschienen bei Arthaus Musik und rezensiert im ballett-journal.de unter „DVDs“, gibt), hatte Knop ihren Höhepunkt als moderne Tänzerin. Die Kreation machte ihr viel Spaß, und womöglich kam Mauro Bigonzetti, der italienische Choreograf, für sie auch einfach zum richtigen Zeitpunkt nach Berlin. Mit Leonard Jakovina, Michael Banzhaf und „Vladi“ Malakhov hatte sie zudem bildschöne männliche Partner in „Caravaggio“, mit Polina Semionova und Shoko Nakamura auch Frauen im Stück, die Bea Knops eigener Schönheit durchaus etwas entgegen zu setzen hatten.

Ach, und sie war schön, die Knop! Als Odette/Odile hatte sie eine Leichtigkeit und dennoch eine menschlich-trotzige Note, die aus dieser Rolle noch so viel mehr machte als nur kühle Brillanz. Ich kenne Leute, die unterbrachen ihren Urlaub und reisten aus dem Ausland an, nur um sie in dieser Partie mal wieder zu sehen. Ihre technische Virtuosität half der Knop ohnehin viel – aber auch ihr Umgang mit handwerklichen Fragen sowie mit künstlerischen Details machten aus ihr eine echte Startänzerin mit unverwechselbarem Flair.

Ihr Schlüsselerlebnis mit Ballett hatte sie übrigens als Kind, als sie „Romeo und Julia“ in der Version von Tom Schilling in Berlin-Ost sah. Mir scheint, dass dieser Stil, den sie erstmals aus der kindlichen Zuschauer-Perspektive erlebte, sie bis heute in gewisser Weise geprägt hat. Da geht es um das Beisammensein von psychologischer Plausibilität, auch im Sinne von inhaltlicher Deutlichkeit, mit abstrahierend-stilisierenden Tanzgesten und Bewegungsmodulen.

Wenn die Knop tanzte, ging die Sonne auf – und ein letztes Mal wird sie es jetzt bald tun, im „Schwanensee“, allerdings nicht als Odette / Odile, sondern, wie schon oft in den letzten Jahren, als verführbare, mondäne Königin, die dem bösen Zauberminister Rotbart (mit Verve getanzt von Alexej Orlenco) im Grunde ihren eigenen Sohn opfert, ohne das auch nur zu bemerken.

Marian Walter als Prinz Siegfried und Polina Semionova als Odette / Odile runden die Starbesetzung der offiziellen Bühnenabschiedsvorstellung von Beatrice Knop ab.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Marian Walter tanzt zur Abschiedsvorstellung von Beatrice Knop als Königin ihren Sohn, Prinz Siegfried, in Patrice Barts Version von „Schwanensee“ in der Deutschen Oper Berlin. Foto: Enrico Nawrath

Vermutlich wird es eine wirklich ergreifende Vorstellung. Bitte Taschentücher mitbringen!

Für Beas Zukunft ist indes gesorgt, und das Berliner Ballettpublikum wird den guten Draht zu Beatrice Knop nicht verlieren.

Denn sie wird in der kommenden Saison, also aber 2016/17, die Künstlerische Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin übernehmen.

Damit wechselt sie die Seiten, vom Tanz in die Verwaltung, von der Bühne ins Büro – aber vielleicht wird sie ab und an zudem auch das tun, was sie seit zwei Jahren so gern im Ballettsaal tat: jüngere Ballerinen zu coachen. So verhalf sie Elisa Carrillo Cabrera zu deren Start als Tatjana in „Onegin“, und so manche jüngere Kollegin dankt Bea Knop für umsichtige Tipps und einfühlsame tänzerische Vorbereitung.

Beatrice Knop erstreikte noch den neuen Tarifvertrag mit, wechselt aber jetzt von der Bühne in die Produktionsleitung vom Staatsballett Berlin – und präsentiert „ihr“ Buch. Nur: „Die letzte deutsche Primaballerina“ ist sie ganz sicher nicht

Kann mit Freude in die Zukunft sehen: Beatrice Knop, nochmal im Foto-Portrait von Gisela Sonnenburg

Ihr gesunder Menschenverstand und ihre klare Entschiedenheit werden indes eine gute Produktionsleiterin aus ihr machen. Und hervorragende kleine Tänzer oder große Tänzerinnen wird sie hoffentlich nicht verhindern.

Wer sich an die Ballerina in Knop erinnern will, der hat am besten die „Caravaggio“-DVD und auch dieses Buch zur Hand. Es vereint Fotos und Anekdoten, Fakten und Erinnerungen zu einem spielerisch-realistischen Blick auf die Ballettwelt von heute – und auf die von gestern. Denn mit einer einschränkenden Spezifizierung würde der Untertitel ja  stimmen: Beatrice Knop war die letzte Primaballerina aus der DDR.
Gisela Sonnenburg

Bühnenabschied von Beatrice Knop: am Mittwoch, den 24. Februar 2016, in „Schwanensee“ in der Deutschen Oper Berlin. Danach Signierstunde!

Buchvorstellung bereits um 12 Uhr mittags am selben Tag, in der Deutschen Oper Berlin, unter Mitwirkung von Beatrice Knop. Das Buch erschien bei Theater der Zeit, Berlin, hat 224 Seiten und kostet 18 Euro. 

„Caravaggio“, DVD, erschien bei Arthaus Musik – zeitlos wundervoll.

www.staatsballett-berlin.de

www.theaterderzeit.de

www.arthaus-musik.com

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