Schneewittchen, immer wieder ein Klassiker Sasha Waltz und Johannes Öhman tragen dem Staatsballett Berlin einen offenen Brief an. Derweil besagen Gerüchte, dass Kulturstaatssekretär Tim Renner mit dem Ehemann von Waltz seit langem eng befreundet sei

Tim Renner muss man wegtanzen.

Auch Wikipedia kennt Tim Renner – und zwar formal recht ausführlich. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Offene Freundschaften über alle (Orchester-)Gräben hinweg sind erlaubt, auch im Kulturbetrieb. Rudolf Nurejev war bekanntermaßen mit dem deutschen Kritiker Klaus Geitel befreundet. Politiker wie Helmut Schmidt und Gerhard Schröder schmückten sich geradezu mit der Nähe zu Intellektuellen und Künstlern, wie etwa Günter Grass und Klaus Staeck. Und Sergej Diaghilev unterhielt seinerzeit mit seinem bisexuellen Lieblingsstar Vaslav Nijinsky eine heiße Liebschaft. Fazit: Menschliches Einvernehmen, erotische Spannungen und starke Sympathien wachsen nun mal auch da, wo sie nicht von allen gern gesehen werden. Da ist generell nichts dabei, solange nicht öffentliche Gelder oder hohe Posten nur nach Kriterien der Kumpanei vergeben werden. Heimliche Freund- oder Liebschaften setzen sich allerdings generell dem Verdacht der Unlauterbarkeit aus – einfach schon deshalb, weil da ja etwas verschwiegen wird. Sowas hat ein Geschmäckle! In Berlin kursiert derzeit das entsprechend anrüchige Gerücht, Jochen Sandig, langjähriger Ehemann der umstrittenen Tanztheater-Choreografin Sasha Waltz, sei seit langem eng befreundet mit dem bisherigen Staatssekretär für Kultur der Berliner SPD, Tim Renner.

Das würde nun immerhin erklären, worüber sich derzeit so viele den Kopf zerbrechen: Warum soll auf Renners ausdrücklichen Wunsch hin ausgerechnet die von der klassischen Tanzkunst so weit entfernte Sasha Waltz die neue Intendantin vom Staatsballett Berlin werden? Und warum schmiedete Tim Renner diesen Deal kurz vor der Wahl in Berlin, mit heißen Nadeln und mit einer Hast, als müsse er diese Sache auf Biegen und Brechen noch eintüten, bevor er seinen Job möglicherweise würde abgeben müssen?

Ja, eine heimliche private Beziehung – egal, welcher Art – könnte hier eine Erklärung sein. Muss aber nicht. Es ist ebenso möglich, dass Renner aus einem grundsätzlich falschen Verständnis seiner Aufgaben als Kulturstaatssekretär heraus solche falschen Entscheidungen trifft. Und natürlich ließ er sich zuvor von den falschen vorgeblichen Experten „beraten“.

Tim Renner muss man wegtanzen.

Dieses Schreiben ist ohne Unterschrift gültig… Ein offener Brief wie dieser kann bösartig denunzieren, aber auch ein Hilfeschrei sein. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Man kann, aus Renners Sicht, ja jedes berufliche Gespräch, auch eine Beratung, als Deal, als Geschäftemacherei interpretieren. Renner kommt von BMG, wo er Manager war und wo er lernte, Musik als Ware zu betrachten, die verkauft werden müsse.

Jetzt will er die Berliner Kultur verkaufen, nach Strich und Faden, und das macht er aus seiner eigenen Perspektive sehr erfolgreich.

Er modelliert aus Stätten der Hochkultur seltsam provinziell anmutende Touristik-Event-Fabriken.

Dort werden keine großen Künstler zuhause sein. Sondern austauschbare menschliche Zirkuspferdchen, Boygroups der schönen Künste sowie Hampeltrüppchen statt Ballettensembles, die man, kaum dass man sie gesehen hat, schon wieder vergessen kann.

Es ist ja kein Zufall, dass weder von Sasha Waltz und ihrer Truppe „Sasha Waltz & Guests“ noch von ihrem Leitungspartner Johannes Öhman und seiner kleinen schwedischen Operntanzgruppe jemals Stars gekommen sind. Die Interpreten bleiben bei Künstlern wie Waltz und Leitern wie Öhman im Diffusen stecken. Man merkt sich ihre Namen eher nicht, sie haben wenig Wiedererkennungswert – sie sind beliebig, und das sollen sie wohl auch sein, und zwar, damit Geschäftemacher wie Tim Renner und seine Freunde sie möglichst billig ohne Aufhebens verramschen können.

Der Filz der Geschäftsfreunde dürfte hier deutlich dicker sein als ein rein privates Herzensband… Oder etwa nicht?

Das Staatsballett Berlin wehrt sich jedenfalls gut nachvollziehbar und vehement gegen seine anstehende Hinrichtung sprich gegen die Entscheidung Renners, in drei Jahren Sasha Waltz und Johannes Öhman als Intendanten der renommierten Balletttruppe einzusetzen.

Ein Gespräch von Johannes Öhman mit den Tänzerinnen und Tänzern brachte beiden Seiten nur Ärger, trieb aber vor allem Öhman in die Enge.

Argumente für seine inhaltsleeren Konzeptionen fehlten ihm nämlich an allen Ecken und Enden. Auf noch so einen Scheindialog hatte das Staatsballett Berlin keine Lust – und sagte darum einen für morgen avisierten Termin mit Sasha Waltz freundlich ab.

Also beschlossen Waltz und Öhman (vielleicht auf Anraten des sie ja wärmstens empfehlenden Tim Renner), dem Staatsballett Berlin einen offenen Brief zu schreiben.

Tim Renner muss man wegtanzen.

Offene Briefe sind Brandbriefe, sie sind geeignet, um unter dem Deckmäntelchen der Märtyrerschaft bösartig zu denunzieren. Sie können aber auch ein letztes Mittel der Notwehr von den Unverstandenen sein.

In welche Gruppe da nun die beiden aktuellen Verfasser gehören, sei mal dahingestellt. Fakt ist: In ihrem Schreiben mühen sich Sasha Waltz und Johannes Öhman, sich als Chefs mit nur scheinbar demokratischen Zügen darzustellen. Faktisch setzen sie den Adressaten ihres Briefes, das Staatsballett Berlin, herab.

So wollen sie angeblich, dass das Staatsballett Berlin „eines der führenden Repertoire-Ensembles in Europa“ würde – und sie ignorieren dabei, dass es das längst ist, mehr noch: dass es dank seinem Gründer Vladimir Malakhov einen weltweiten, bis ins Bolschoi nach Moskau wohl klingenden Bombenruf zu verteidigen hat.

Waltz und Öhman aber loben lieber sich selbst als die ihnen anvertrauten Künstler.

„Neukreationen der besten heutigen Choreografen“ versprechen sie in ihrem offenen Brief für die Zukunft.

Dabei tanzt das Staatsballett Berlin genau solche Stücke bereits seit seiner Gründung!

Angelin Preljocaj studierte mit ihm sein modernes „Schneewittchen“ ein, Mauro Bigonzetti kreierte hier seinen „Caravaggio“.

Vladimir Malakhov schuf „La Péri“, ein neoromantisches Stück; Werke der Zeitgenossen Jifi Kylian und Hans van Manen gehörten bzw. gehören ebenso zum Repertoire in Berlin wie Stücke des aktuellen Ballettintendanten Nacho Duato.

Und da soll Sasha Waltz, diese arme kleine, allgemein längst abservierte ehemalige Newcomerin, noch Besseres beizusteuern wissen?

Man ist ja von Politikern gerade in den Stoßzeiten der Wahlen Einiges an Falschversprechen und Lügen gewöhnt. Aber bei dieser Art Selbstdarstellung von Protegierten kann man wirklich nicht mehr mitgehen.

Lustigerweise bestätigen Waltz und Öhman denn auch noch im selben Schreiben, dass sie tatsächlich von klassischem Ballett nur wenig Ahnung haben.

Sie nennen „Schneewittchen“ nämlich als Beispiel für klassisches Ballett, in einem Atemzug mit „Schwanensee“, „Giselle“, „Nussknacker“.

Wie peinlich.

„Schneewittchen“, liebe Frau Waltz, lieber Herr Öhmann, ist zwar ein allgemein bekanntes Märchen der Gebrüder Grimm. Aber es ist kein klassisches Ballett!

Möglicherweise haben Sie, Frau Waltz, und Sie, Herr Öhman, hier „Schneewittchen“ mit „Dornröschen“ verwechselt. Ihren Kindern würde das sicher nicht passieren. Aber „Dornröschen“ gibt es sowohl als Märchen als auch als klassisches Ballett. Meinen Sie das?

Alle Ballette zu „Schneewittchen“, die es weltweit gibt, sind modern – und haben mit der hehren Klassik, um die es nun mal beim Staatsballett Berlin auch gehen muss, überhaupt nichts zu tun.

So, Herr Öhman, und Sie trauen sich also zu, die größte deutsche klassische Company zu leiten?

Tim Renner muss man wegtanzen.

Kommt ganz ohne Poesiealbumsanmutung einmal auch auf Englisch einher: Sachlich ist der Brief von Waltz und Öhman aber dennoch nicht ganz korrekt. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Pardon, aber da lachen doch die Hühner und fallen dabei nicht mal von der Ballettstange. Oh, jetzt fragen Sie vielleicht, was eine Ballettstange sei… Das erklären wir Ihnen gern ein anderes Mal. Jetzt konzentrieren wir uns auf Ihre wilden Versprechungen in Ihrem Brief, laut denen Sie „50 % der Produktionen in Form von klassischen Balletten“ tanzen lassen wollen.

Wie können Sie das so genau prozentual berechnen? Gibt es da Stundenmesslatten? Und handelt es sich da häufig um nur vermeintliche Klassiker wie „Schneewittchen“?

Was für ein künstlerischer Geist aber künftig in „Ihrem“ Staatsballett Berlin wehen soll, außer dass „Schneewittchen“ dort fälschlicherweise als klassisches Ballett angeboten werden soll, geht aus Ihrem – mit Verlaub – oberflächlichem Geseiere jedoch nicht hervor.

Sie sagen nur, dass Sie Altes und Neues zeigen wollen, und dass Sasha Waltz pro Spielzeit eine – nur eine – Choreografie einstudieren wird. Ab und an soll das eine Neukreation sein. Naja. Muss sie dafür Intendantin werden? Wenn der eigene Ehemann ein guter Freund des Geldgebers wäre, dann würde das allerdings Sinn machen.

Nebenbei soll Waltz zudem auch ihre Truppe „Sasha Waltz & Guests“ bewirtschaften. Mit welchem Geld, lassen Sie allerdings offen. Aktuell fehlt dieser Truppe die ausreichende Förderung, die von ihrer Chefin Waltz schon so lange ersehnt ist. Das liegt daran, dass Waltz bei den mehrköpfigen Gremien und Jurys in Berlin, die für ihre Förderung zuständig sein könnten, mit Pauken und Trompeten durchfiel.

Tim Renner muss man wegtanzen.

Im Kern besagt der Brief von Sasha Waltz und Johannes Öhman ans Staatsballett Berlin vor allem, dass die beiden Absender die Chefs sein wollen. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Tim Renner als Staatssekretär für Kultur kann ihr mit dem Regierenden Bürgermeister keine Gelder für „Sasha Waltz & Guests“ zuschanzen, jedenfalls nicht direkt. Er kann ihr nur das Gehalt einer Intendantin zuschieben.

Darum soll, so hört man (aber auch das ist sicher nur ein übles Gerücht), Jochen Sandig, der Ehemann von Sasha Waltz und angeblich zugleich der Freund von Tim Renner, auch noch der Nachfolger des Geschäftsführers Georg Vierthaler bei der Stiftung Oper in Berlin werden.

Sandig würde dann die Gelder vom Staatsballett Berlin verwalten und hätte gleichzeitig einen heißen Draht, um Gastspiele von „Sasha Waltz & Guests“ im Schiller Theater oder in der Staatsoper Unter den Linden einzufädeln.

Waltzens „Le sacre du printemps“, vor drei Jahren von mir ausgiebig in der Berliner Tageszeitung „junge Welt“ bejammert und verrissen, war auch so ein Konstrukt: Es premierte im Schiller Theater unter der Obhut von Georg Vierthaler, hatte aber mit dem Staatsballett Berlin nichts zu tun.

Solche Geschäfte, die dem eigenen Hausballett, dem Berliner Staatsballett, direkte Konkurrenz machen können, sind eigentlich nicht lauterbar.

Die Berliner bekamen damals einen kleinen Vorgeschmack auf das, was Tim Renner und seine Freunde – wer auch immer zu diesen zählt oder auch nicht – für die Zukunft vorbereiten.

Und ob das nun mit dem herkömmlichen Begriff von Korruption noch viel zu tun hat oder nicht – von sachlich angemessener Entscheidungskraft der politisch Verantwortlichen zeugt es mitnichten.

Tim Renner muss man wegtanzen.

Sasha Waltz und Johannes Öhman bei ihrer ersten und bisher einzigen Pressekonferenz in Sachen Staatsballett Berlin. Foto: Zeisberg

Dass Waltz und Öhman, wie sie am Ende ihres Briefes floskelhaft behaupten, „weiterhin offen“ seien „für einen konstruktiven Dialog“, glauben vermutlich nur sie selbst. Denn von Offenheit kann man bei Chefs, die sich dermaßen protegieren lassen, so wenig sprechen wie bei einer verstopften Toilette.

Sonst hätte man wohl vor allem darüber gesprochen, warum die beiden keinen ehrenvollen Rückzieher von den avisierten Posten machen.

Liebes Staatsballett, spül’ die Suppe einfach weg. Toitoitoi!
Gisela Sonnenburg

www.staatsballett-berlin.de

ballett journal