Herzerwärmender Tanz Die gute alte DVD sollte ob der Euphorie über die Lockdown-Lockerungen nicht vergessen werden. Das Royal Ballet zeigt „Romeo and Juliet“ von Kenneth MacMillan in aktueller Besetzung

"Romeo and Juliet" by MacMillan

So sieht das Cover einer tollen DVD aus: „Romeo and Juliet“ aus dem Covent Garden, getanzt vom Royal Ballet in aktueller Besetzung. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Sie sind das niemals wirklich sterbende, dennoch tragisch früh verendende Liebespaar schlechthin: Romeo und Julia, im Englischen „Romeo and Juliet“, sind von der Ballettbühne nicht mehr wegzudenken. Zahllose Choreograf:innen haben sich daran versucht, meistens glückt wenigstens ein interessanter Ansatz. Die sechs bedeutendsten Versionen des Dauerbrenners stammen aus dem 20. Jahrhundert: von Yuri Grigorovich, John Cranko, Kenneth MacMillan, Maurice Béjart, Rudolf Nurejew und John Neumeier. Typisch für das stilvolle britische Ballett ist die Fassung von MacMillan, die im Februar 1965 im Covent Garden in London uraufgeführt wurde. Vorab hatte der Choreograf schon 1964 die Balkonszene für das kanadische Fernsehen choreografiert – und der Stoff dürfte ihm als  Meister des Pas de deux unter den Nägeln gebrannt haben. Zumal ihn das Bühnenpaar Lynn Seymour (als Julia) und Christopher Gable (als Romeo) schon für die Fernseharbeit inspiriert hatte. Die Uraufführung des ganzen Stücks aus MacMillans Hand wurde dennoch von den Superstars Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew getanzt – und die beiden wurden wunschgemäß unsterblich in diesen Partien. Jetzt erschien eine brandaktuelle Besetzung aus dem Covent Garden auf DVD: mit der niedlichen Yasmine Naghdi und dem adretten Matthew Ball hat die internationale Ballettgemeinde ein neues Shakespeare-Pärchen zum Liebhaben.

Eine besondere Überraschung ist zudem die musikalische Interpretation des bekannten Stücks. Pavel Sorokin dirigiert mit hervorragendem Gefühl fürs Dramatische die Melodien, die Komponist Sergej Prokoffief über die Stränge der Mittellage legte. Selten hört man die Partitur so lebendig, dennoch präzise, so hell erscheinend und doch so tragisch grundiert.

Das Orchester vom Royal Opera House lässt also keine Wünsche offen – und auch das Royal Ballet strotzt nur so vor tänzerischer Perfektion wie auch vor Freude an der Darstellung.

Man mag von einer neuen digitalen Visitenkarte des renommierten Royal Ballet sprechen.

Und zwar gerade im Kontrast zu jener missratenen experimentellen Aufzeichnung, die das Tanzstück an den vorgeblichen Originalschauplatz in Verona (also in eine Filmkulisse in England) verlegte und die, mit Francesca Hayward und William Bracewell vom Royal ballet in den Titelrollen, schon 2020 als DVD erschien.

"Romeo and Juliet" by MacMillan

„Romeo and Juliet“ umarmen sich so, dass ihre Liebe ein Sinnbild für Schönheit und Wahrhaftigkeit ist: Yasmine Naghdi und Matthew Ball vom Royal Ballet. Faksimile vom DVD-Cover: Gisela Sonnenburg

Jetzt ist alles anders, man kann von einem „back to the roots“-Erfolg sprechen. Jetzt wird wieder auf der Bühne getanzt, und man verlässt sich auf den Charme und die Ausstrahlung des Balletts als hochstilisierter Kunstform, nicht als naturalistisch getanztem Schauspiel.

Die gekonnte, ausgeklügelte Bildregie der neuen DVD stammt von Ross MacGibbon. Er lässt einen mal hautnah dabei sein, dann wieder die Totale überblicken, ohne, dass man das Gefühl haben muss, etwas zu verpassen. Genau so soll es sein!

Auch die originalen Kostüme von MacMillans Spezialagent in Sachen Geschmack namens Nicholas Georgiadis – der sie wie so oft mit einem vorherrschenden dunklen Königsrot gestaltet – passen vorzüglich zur Stimmung und Action in der Szenerie.

Im Renaissance-Stil mit rot-weißem Farbkontrast wirken gerade auch die Ensemble-Szenen nochmal so majestätisch.

Die jungen Männer, die mit dem Degen umzugehen wissen – Mercutio, Tybalt und Benvolio – sowie die bunt gemischte Damengesellschaft toben mit einem Elan über die Bühne, als wollten auch sie das Ende der Corona-Ära einläuten. Dabei stammt die Aufnahme von 2019, als man von der Pandemie noch nichts ahnen konnte.

"Romeo and Juliet" by MacMillan

Kenneth MacMillan mischt die klassische Ästhetik mit modernen Posen: Hier tanzt der verzweifelte Romeo am Ende seines jungen Lebens in Julias Totengruft… Videostill von der DVD mit Yasmine Naghdi und Matthew Ball: Gisela Sonnenburg

Vor allem aber gewinnen die beiden Hauptdarsteller unser Herz: Yasmine Naghdi und Matthew Ball halten sich an die Grundregel der Besten, auch in den Details alles zu geben. Und so ergänzen endlos schöne Linien die herzergreifende Story; Politik und Hass werden von Humor und Liebe konterkariert.
Gisela Sonnenburg

https://www.opusarte.com

ballett journal