Happy Birthday, Roberto Bolle! Ein Ballerino als Weltstar und Topmodel: Roberto Bolle wird heute 40 – seine erste Rolle im neuen Lebensjahrzehnt ist Albrecht in „Giselle“

Roberto Bolle wird 40

Der schönste Tänzer unserer Zeit: Roberto Bolle, hier in „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Was für ein sexy Gesicht: Aquamarinblaue Kulleraugen mit dunklen Wimpern, die sich schwärmerisch beim Lächeln verjüngen und besonders aufregend wirken, wenn sich die Lider für einen Moment nahezu keusch darüber legen. Das erneute Öffnen dieser Augen ist dann wie ein Blick auf die unendlichen Weiten am Tyrrhenischen Meer in Italien. Roberto Bolle ist irgendwie ein Weltwunder.

Tatsächlich stammt der sinnliche Inhaber dieser brünett umwimperten Blauaugen mit einem Übermaß an Lebensfeuer aus Italien, und zwar aus dem Piemont. Heute, am 26. März 2015, wird er 40 Jahre alt und sieht aber, dank der heutzutage bei Stars üblichen Renovierungsmaßnahmen, besser denn je aus. Das Alter von 40 markiert dennoch eine Abkehr von der reinen Jugend – Reife zieht ein ins Gesicht, in den Körper, in die Seele. Von nun an werden die Erfahrungen, die man macht oder schon gemacht hat, sichtbarer. Sofern man der Natur einigermaßen ihren Lauf lässt.

Als Balletttänzer kann man mit 40 zudem gerade auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten sein. Ausdruck, Zielbewusstheit und Souveränität ergänzen die Anmut der Erscheinung. Roberto Bolle gehörte sowieso nicht zu jenen Jungs, die schon mit Ende 20 einen drastischen Verlust ihrer Feinheit und ihres Flairs hinnehmen mussten. Er hat einen langen Atem, auch schönheitstechnisch gesehen.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle verkörpert leichthin verschiedene Stimmungen – so auch im wundervollen Bildband „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Und er tanzt – weiterhin wie ein Gott, auf starken schönen Füßen, die ihn bei Sprüngen hoch in die Luft jagen und mit einem so hohen Spann berücken, dass man meinen könnte, er sei für Spitzenschuhe wie gemacht.

Faktisch hat er aber, sagte er mir mal auf Nachfrage, nur ein einziges Mal in seinem Leben Spitzenschuhe getragen. Ein Kollege hatte welche in Herrengröße dabei, und neugierig, wie Roberto ist, lieh er sie sich aus. Ein kurzes Intermezzo wurde das: Es tat ihm schlicht zu weh (siehe auch das Interview mit Roberto Bolle weiter unten). Ist es nun besonders ehrlich von ihm, das zuzugeben – mit einer herzerfrischenden Selbstironie – oder kokettiert er? Sein Humor ist jedenfalls unbestreitbar.

Geprägt ist der schöne Roberto aber nicht mehr vom Piemont, diesem oft idyllischen Stück Italiens im Nordwesten. Bolles neue Heimat ist, seit er als Elfjähriger dorthin kam, Mailand. Diese Metropole der Mode, des Luxus, der Oper. Wie nebenbei avancierte Bolle dort zu einem Liebling der High Society: Sein Zweitberuf ist Model, er lief schon für Dolce & Gabbano auf dem Laufsteg und wurde 2011 von Ferragamo unter Vertrag genommen. Auf Fotos für Giorgio Armani lacht uns ein bestgelaunter Strahlemann an: Bolle im hautengen Sakko. Als Vorzeigeschönling verheißt er mit immerschönen Raubtierzähnen das immerzu schöne Leben der immer ganz und gar heilen Werbewelt.

Es gibt ja auch Stars, wie den letztes Jahr verstorbenen Hollywood-Schauspieler Robin Williams, die sich der Werbung und ihren Millionengeldern absichtlich entziehen. Das ist dann ein Verzicht aus geistiger Autonomie heraus. Bolle gehört nicht zu dieser Sorte Idealisten. Und er ist zwar Vegetarier, aber nicht aus anderen Gründen als aus gesundheitlichen. Das sagt er selbst. Dafür ist er der am besten vermarktete Balletttänzer unserer Zeit – und er hat es geschafft, für viele zum Inbegriff heutigen Starballetts zu werden.

Roberto Bolle wird 40

Manchmal muss man Roberto Bolle richtig suchen – und finden. Im Bildband „Roberto Bolle – An Athlete of Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Dafür tut er mehr als nur zu tanzen. „It’s hard working being Roberto Bolle“ („Es ist harte Arbeit, Roberto Bolle zu sein“) titelte mal eine amerikanische Illustrierte. Zum Einen arbeitet er an seinem Tanzen, an seiner Fitness. Zum Anderen beansprucht ihn auch seine Imagepflege. Er hat mehr Fototermine und VIP-Auftritte als jeder andere Tänzer.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle als Albrecht mit Svetlana Zakharova als „Giselle“ in der Mailänder Scala – ein traumhaftes Paar. Videostill aus der DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Sein erster Auftritt als 40-Jähriger wird übrigens am 2. April in der Mailänder Scala sein: in seiner Paraderolle als Albrecht in „Giselle“. Dabei wird er viel Zärtlichkeit im Gesicht haben – aber auch harte Züge. Diese Mischung erinnert an Hollywood und Jude Law. Mit Svetlana Zakharova in der Titelpartie wird er Kunststück auf Kunststück zur Musik von Adolphe Adam vollführen – und so viel Seele zeigen, dass die Ballettfans Tränen der Rührung vergießen werden.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle verführt Svetlana Zakharova – als Albrecht in „Giselle“ in der Mailänder Scala. Videostill aus der DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Zuvor aber wird seine stark ausgearbeitete Technik in den Bann schlagen. Seine Entrechats sind flink und präzise. Seine Pirouetten en attitude – mit erhobenem, hinten abgewinkelten Spielbein – haben jene Linien, für die die Bildhauer der Antike diese Positur zur absoluten Standpose des Hermes, des Götterboten, erhoben. Und Bolles Grands jetés, die Spagatsprünge, sind mitreißend, aber fast von Understatement in der Präsentation geprägt. Roberto hat es nicht nötig, mit diesem einfachsten aller Spektakel, die die klassische Technik zu bieten hat, Eindruck zu schinden. Aber seine Ronds de jambe en l’air sautés, bei denen das Spielbein im Sprung seitlich den Unterschenkel kreisen lässt, sind von legendärer Schönheit, von Akkuratesse, auch von starkem Ausdruck. Sie zeigen das Bemühen, das Ringen um Liebe und um eine noble Haltung.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle als Albrecht mit Svetlana Zakharova als „Giselle“ an der Mailänder Scala: ein Herzensbrecher, wie er sein soll… Videostill aus der unbedingt zu empfehlenden DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Als Albrecht in „Giselle“ drückt er damit das Streben des Herzensbrechers aus, sein Verfehlen wieder wett zu machen. Albrecht, der mit einer anderen verlobt ist, aber Giselle verführt hat und in den Herztod treibt, ist vielleicht die beste Rolle, die Roberto überhaupt bekommen kann. Er ist perfekt als stürmischer Liebhaber, als Schürzenjäger und Hallodri, der im ersten Akt mit edlen Arabesken und Liebesschwüren aus dem Stand heraus brilliert, um im zweiten Akt vor Trauer weltentrückt auf die Spurensuche der Geister zu gehen.

Roberto Bolle wird 40

Auch im zweiten Akt von „Giselle“ unnachahmlich ausdrucksstark: Roberto Bolle als Albrecht. Videostill aus der auch den zweiten Akt schön zeigenden DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Er muss hier erschöpft wirken und dennoch virtuos sein, in kleinen und großen Sprungkombinationen. Natürlich wirkt das bei einem Bolle auch sehr sexy. Dieses Wandeln zwischen den Welten, zwischen den Nebeln, zwischen den Begierden – der zweite Akt von „Giselle“ ist wie für Roberto Bolle gemacht. Auch seine Muskelkraft findet hier Entsprechung: Er darf Giselle heben, als sei sie eine Feder, er darf sie umarmen, als sei sie seine Braut. Er darf ihr helfen zu „fliegen“, und er darf selbst „fliegen“, wenn er trotz aller Unmöglichkeiten dieser Liebe sehnsuchtsvoll empor springt.

Roberto Bolle wird 40

Ein Traumpaar in aller gebotenen Weltentrücktheit: Svetlana Zakharova und Roberto Bolle in „Giselle“ in Mailand. Videostill aus der Spitzenreiter-DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Der „fliegende Roberto“ schwebt aber nicht nur über die Bühne, sondern auch von Termin zu Termin. Als UNICEF-Botschafter sorgt er sich ums globale Kinderwohl, als Mode-Ikone kümmert er sich ums Outfit der Reichen. Er posiert mal mit Eva Herzigova für die Klatschpresse, mal mit Glanzhose in der Metropolitan Opera. Sein Fotoband „An Athlete in Tights“ von Bruce Weber präsentiert ihn den Anhängern der typischen hochkarätigen Schwulenästhetik. So oder so begeistert Roberto, selbst bekennend homosexuell; er vermag, dass Menschen den Atem anhalten, wenn sie ihn sehen. Ein Teilnehmer eines Promi-Dinners in New York meinte trefflich: „Roberto ist eine mythische Figur.“

Man sagt, die alten Römer hatten die schönsten Männer. Bolle verkörpert jenen Typ, der stets „in“ ist: edles Profil, Kinn mit Grübchen, hohe Wangen, weich geschwungene Schläfen. Dazu unwiderstehlich verschwörerische Blicke. Und ein modellierter, muskulöser Körper mit einer Trizeps- und Bizeps-Gestaltung wie aus dem Lehrbuch für Anatomie.

Roberto Bolle wird 40

Eine gar nicht mal traurige Selbstumarmung. Roberto Bolle in empfindsamer Stimmung, im in jeder Hinsicht vielseitigen Bildband „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Und die Beine! So flink, so geschmeidig wie bei einem Panther. Die Hände: wie von Michelangelo gemalt, mit langen, starken Fingern. Bei vorgetäuschter Trauer muss Roberto sie nur leicht krümmen – und jeder versteht ihn, wenn er in einer Ballettrolle einen tragischen Moment hat.

Dann gibt es noch diese Füße, immer wieder diese Füße. Sie sind besondere Wunderwerke der Natur. Sie sind anmutig wie die einer Frau, nur größer, mit ausgeprägtem Halbmond in gestrecktem Zustand. Aber sie haben eine Magie wie nur wenige Tänzersohlen. Man könnte Stunden damit zubringen, nur Robertos Füßen zuzusehen. Beim Plié, beim Tendu, beim Fondu, später beim Développé. Bei den kleinen Sprüngen im Ballettsaal, bei den immer elegant vollführten Pirouetten im Passé, dann bei den großen Sprüngen en tournant. Die Füße bezaubern.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle auf einer Probe in Paris – die schönsten Männerfüße, die schönste Statur, das schönste Gesicht. Aber es steckt harte Arbeit dahinter! Foto: privat

Allerdings schweift der Blick immer wieder ab. Denn hat man ihn von oben bis unten gemustert, fängt man am besten gleich wieder von vorne an. Also am Kopf. Roberto hat einen Hauch von Stupsnase. Die hatte er als Berufsanfänger allerdings noch nicht, damals war die Nase gröber, größer, weniger bubihaft. In einer Aufzeichnung der „Giselle“ von Patrice Bart aus Mailand von 1996 tanzt Roberto Bolle nicht den Albrecht, sondern den „Bauern-Pas-de-deux“ im ersten Akt. Brav ist er da. Und schön, aber noch nicht ganz so schön wie heute. Einen weichlippigen Mund hatte er aber auch damals schon, mit geschwungenen Linien, wie von Leonardo gemalt. Und Wangen, die an die ewige Schönheit von makellosen Engeln erinnern. Roberto Bolle: welch Mannsbild.

Dabei ist das Wichtigste noch unerwähnt: wie dieser rundum harmonisch proportionierter Körper auf der Bühne wirkt. Wie von Michelangelo modelliert. Mit musikalisch beweglichen Muskeln. Robertos langgliedrige Künstlerhände, die bei jedem anderen allein schon eine Aufregung wert wären, sind da nur Zugabe. Oh, was für ein Da-capo-Held!

WIE EIN DIAMANT BEI NACHT

Er weckt alle Fantasien: Jungenhaft, aber kräftig. Kindhaft, aber stark. Sanftmütig, dennoch gefühlig. Und seine ausgeprägten Muskeln scheinen unter der glatten Haut schier hervor zu platzen: Seinen Job sieht man Roberto ja an. Obwohl oder weil er sich vegetarisch ernährt, nur Fisch akzeptiert, aber kein Fleisch: Als Balletttänzer ist er durchtrainiert wie ein Profi-Sportler – und nicht nur fitnessgestählt. Zahllose Male hob er schon die berühmtesten Ballerinen der Welt – darunter Alessandra Ferri, Hélène Bouchet, Julie Kent und Svetlana Zakharova. Mit Kent, der eleganten Rehäugigen, tanzte er in New York John Neumeiers „Kameliendame“, und im Mai wird er dort mit ihr in „Giselle“ tanzen.

Roberto Bolle wird 40

Hier lässt Roberto Bolle sich von Svetlana Zakharova als „Schwarzem Schwan“ verführen – als Prinz Siegfried in Mailand im „Schwanensee“. Videostill aus der DVD „Swan Lake“ von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

Im Rampenlicht erglänzt das Naturwunder Bolle wie ein Diamant bei Nacht. Er hat derzeit zwei Festverträge als Erster Solist: In New York, beim American Ballet Theater. Und in Mailand, an der Scala. Seine Galas „Roberto Bolle & Friends“ sind begehrte Superstar-Events – die nächste findet im Sommer in Los Angeles statt. Er gastiert zudem weltweit, wo immer man ihn gerade am dringendsten braucht. Mal am Bolschoi. Mal in Tokio. Vielleicht bald in Berlin. Nacho Duato deutete an, er könne ihn sich gut als Gaststar in einer der kommenden Saisonen vorstellen. O ja!

Roberto Bolle wird 40

Auch Roberto Bolle fing mal eher klein an: als Schüler der Ballettschule der Mailänder Scala. Hier ein Blick in „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Aber wie kam der Junge aus dem Piemont auf die Bühnen dieser Ballettwelt? Richtig. Über Mailand. Dorthin kam er mit elf Jahren, für die Ausbildung. Er beschreibt sich selbst als einsamen Schuljungen, krank vor Heimweh. Er suchte die heimlichen Winkel der Scala auf, um allein zu sein, zu träumen und zu weinen. Er war noch Student in der Ballettschule der Scala, als Rudolf Nurejew ihn erblickte. Zuerst bei einem Casting für den „Nussknacker“, da war Roberto 15 Jahre alt. Rudis Blick fiel auf ihn, Roberto durfte mit anderen Schülern auf die Bühne.

Einen Tag später kam die eigentliche Entdeckung. Roberto trainierte gerade mal wieder allein, als der „Supersupersuperstar“ des Tanzes ebenfalls einen leeren Ballettsaal zur Alleinarbeit suchte. Zwei Besessene unter sich. Nurejew ließ Roberto das ganze Training noch einmal absolvieren, forderte ihn auf, sich zu zeigen, mit allem, was er könne, und er trainierte selbst mit, das Jungtalent dabei anstarrend. Er muss sofort kapiert haben, dass hier ein ähnliches Tanzwunder vor ihm stand, wie er selbst eines war. Er nahm Roberto hart ran, korrigierte ihn, ließ ihn wiederholen, korrigierte wieder. Am Ende war er zufrieden und ließ den Jungen gehen – und der wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Aber wenig später stand Roberto mit Nurejew auf der Bühne der Wiener Staatsoper: als Jüngling Tadzio in „Tod in Venedig“.

Roberto Bolle wird 40

Auch sein schöner Rücken kann entzücken: Roberto Bolle, mit perfekter Figur in „Giselle“ in Mailand. Videostill aus der bereits empfohlenen DVD von Arthaus Musik: Gisela Sonnenburg

1986 tanzte Roberto dann schon den Romeo. Eine klassische tragische Liebhaberrolle, wie Roberto sie liebt. Robertos Rollen sind die besten in dieser Hinsicht: der kämpferische Siegfried im „Schwanensee“ (auch auf DVD von Arthaus Musik zu haben). Der zunächst entzückend stürmische, dann entrückt reumütige Herzog Albrecht in „Giselle“ (ebenfalls auf DVD von Arthaus zu bekommen, mit Svetlana Zakharova). Der Titelheld von John Crankos „Onegin“, den Bolle erstmals 2010 tanzte. Und: der über alle Maße, sogar über die eigenen Kräfte liebende Armand aus der „Kameliendame“ von John Neumeier. Als Tüpfelchen auf dem „i“ in Robertos Karriere schuf der deutsch-amerikanische Starchoreograf John Neumeier dann noch für Bolle die Titelrolle in „Orpheus“: Ein großer tragischer Liebender ist er da, der all sein Glück nicht nur einmal, sondern gleich zweimal verliert – und dennoch im Trauern durch die Kunst Frieden und Hoffnung stiftet.

Es gibt ja Kritiker und deutsche Kritikerinnen, denen Bolle zu dramatisch ist. Weil er sich manchmal etwas rausnimmt, das sonst kein anderer Tänzer wagt. Er riskiert manchmal, Hollywood-kitschig zu werden. Dann übertreibt er in der Gestik und auch Mimik, dann zieht er Grimassen, wo andere nur leicht andeuten. Dann sieht man seine erschütternden Gesten noch im vierten Rang, obwohl man dort sonst ein Opernglas benötigt, um feine Nuancen mitzukriegen.

Als Orpheus etwa bot Roberto ein avantgardistisches Trauerwutsolo, in dem er sich mit den Händen aufs Brustbein schlug. Als Armand saß er in Hamburg an der Rampe und schluchzte, an die verlorene Liebe denkend, hörbar heftig laut. Sowas ist für Ballett schon sehr exotisch. Kein anderer Armand-Tänzer außer Bolle – da gibt es weltweit einige – machte das bisher so. Und als sein Armand den Trennungsbrief von der Geliebten las, ließ er seine Hände so stark zittern, dass es ein wenig aussah wie ein Parkinson-Kranker. So etwas stößt manche Zuschauer ab, obwohl Bolle dieses Overstatement nur selten und nur in bestimmten, romantisch-fühligen Rollen einsetzt. Der größere Teil des Publikums ist ohnehin begeistert von solchen Wagnissen – und saugt die großen Gefühle, die großen Gesten begierig auf.

Roberto Bolle wird 40

Inspiration und Transpiration: Roberto Bolle mit Hélène Bouchet auf einer „Orpheus“-Probe in Hamburg. Foto: Holger Badekow

Bolle hat nun mal eine extraordinäre Energie, in jeder Situation. Ruhig, ja sanft, mit meditativer Konzentration probte er 2011 den „Orpheus“. Er musste als Titelfigur ein Bein im 90-Grad-Winkel hinten halten, während Apoll, der Hamburger Startänzer Edvin Revazov, ihm beizukommen suchte. Die Choreologin Sonja Tinnes leitete die Probe im Ballettzentrum Hamburg – John Neumeier; Tinnes kann außerordentlich gut mit Roberto. Es war schön zu sehen, wie er der zarten blonden Frau quasi aus der Hand fraß und jedes Wort, jede Geste von ihr wissbegierig annahm.

Anna Laudere, die damals gerade Erste Solistin im Hamburg Ballett geworden war und über eine bezaubernd modern-weibliche Figur verfügt, sollte von den beiden Männern gepackt und empor gehoben werden. Die Chemie zwischen ihnen muss gestimmt haben, sonst hätte die komplizierte Hebefigur wohl ziemlich holprig ausgesehen. Da half, dass Anna und Edvin auch privat ein Paar sind – Bolle ist ohnehin so lässig-selbstbewusst, dass man das Gefühl hat, er könne auch mit Bestien angstfrei lächelnd tänzeln.

EIN LACHEN WIE DIE GLOCKEN DES VATIKANS

Schließlich klappte der Lift, und Bolle, der sich zeitweise intensiv mit seinem Requisit, seiner Violine beschäftigt hatte, nahm eine stolzere Haltung an. Jemand machte noch einen Witz. Bolle lachte. Und, na sowas: Er spricht zwar in satter Tenortonlage, ganz liebhabergerecht. Aber sein Lachen ist anders, es hat etwas Außergewöhnliches. Es klingt wie die Glocken des Vatikans! Es hat ein dunkles Timbre und ist von ungeheuer kehligem Klang. Eigentlich hört es sich eher wie ein Weinen an, nicht wirklich wie ein Lachen. Als Schauspieler wäre Roberto damit sehr ungewöhnlich. Als Tänzer gibt er weniger ambivalente Signale. Da ist eine traurige Emotion eine traurige und eine fröhliche eine fröhliche. Nuancierungen kennt er dennoch: so mannigfaltige wie ein Maler Farben auf der Palette.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle und sein unwiderstehlich gückliches Lächeln – eigentlich ein Thema für sich. Foto: privat

Warum man außerdem unbedingt in seine Vorstellungen gehen sollte? Weil Roberto Bolle beim Applaus, mit Blumen im Arm, das schönste Lächeln der Welt im Gesicht hat. Happy, happy, happy birthday!
Gisela Sonnenburg

Roberto Bolle wird 40

Bolle mit Bart – ein fast experimenteller Anblick in Bruce Webers umfassendem Buch „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“. Faksimile: Gisela Sonnenburg

„Das macht mir einfach Spaß“

Ein Interview mit Roberto Bolle zu seinem Rollenprofil

Ballett-Journal: John Neumeier war der erste und bisher einzige Choreograf, der für Sie kreieren durfte, und zwar den „Orpheus“.

Roberto Bolle: Als ganz junger Mann, auf der Ballettschule der Scala, da habe ich das auch erlebt, dass für mich choreografiert wurde. Seitdem hatte es sich nicht mehr ergeben. In den USA, wo ich beim American Ballet Theatre tanze, und in Mailand, an der Scala, da haben wir nicht so viele Uraufführungen. Vielmehr gibt es ein großes Repertoire von klassischen und neoklassischen Stücken, das muss man abarbeiten. Das sind auch tolle Sachen. Wenn aber jemand wie Neumeier einem so etwas anbietet, dann kann man das nicht ablehnen. Und es war richtig, mit ihm zu arbeiten. Ich würde es auch sofort wieder tun. Er sieht genau, was man kann, was mit einem los ist. Er hat diese bestimmte Sensibilität – wir haben für die Figurenentwicklung perfekt zusammen gepasst. Vielleicht war das in meinem Leben einmalig.

Roberto Bolle wird 40

Roberto Bolle in seinem Bettchen, körperlich mit ganzem Fußeinsatz sinnierend… im Bildband „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Ballett-Journal: Apropos perfekt: Sie haben perfekte Füße fürs Ballett. Haben Sie jemals in Spitzenschuhen getanzt? Es gibt Lehrer, die das auch für Jungs propagieren, für den Fußmuskelaufbau.

Roberto Bolle: (Lacht sein Geläut aus tiefen Klangkaskaden) Ich habe es tatsächlich einmal versucht. Es war sowas von schmerzhaft. Es ist etwa zehn Jahre her, ein Kollege hatte Spitzenschuhe, und ich dachte, ich müsse das mal austesten. Oh, es tat so weh! Ich dachte nur: Zum Glück muss ich das nie wieder tun!

Ballett-Journal: Wir werden Sie also wahrscheinlich nicht als „La Sylphide“ erleben. Aber hatten Sie mal eine Lieblingsrolle, eine Traumrolle, gibt es so etwas?

Roberto Bolle: Ich habe es geliebt, den Romeo von Kenneth MacMillan zu tanzen und auch den Des Grieux in Kenneth MacMillans „Manon“, den ich kommende Saison, ab November in Mailand, auch wieder tanzen werde. Und natürlich wollte ich den Armand in der „Kameliendame“ von John Neumeier! Und den „Onegin“ von Cranko, den ich 2010/2011 tanzte. Was ich mir jetzt noch wünsche, sind der „Bolero“ von Maurice Béjart und der Romeo in „Romeo und Julia“ von John Neumeier. Gern wieder mit meiner Eurydike und Hamburger „Kameliendame“ Hélène Bouchet als Partnerin. Sie ist noch jung, aber sie fühlt sich sehr ein. Und sie ist nicht nur schön, sondern auch technisch und schauspielerisch so begabt.

Ballett-Journal: Wie kamen Sie eigentlich dazu, Tänzer zu werden?

Roberto Bolle: Mit sieben Jahren entschloss ich mich dazu. Meine Eltern, die keinen künstlerischen Hintergrund haben, sagten aber, ich solle es mir ein Jahr lang überlegen. Ich war hartnäckig und fragte nach einem Jahr wieder an. Und sie schickten mich endlich in die Ballettschule. Sie bemerkten dann, dass ich für eine professionelle Karriere eine gute Ausbildung brauchte. Mir war das mit zehn, elf Jahren noch gar nicht klar, ich wäre gern daheim im Piemont geblieben. Aber heute bin ich meinen Eltern sehr dankbar, weil sie mich mit elf Jahren für die Ausbildung nach Mailand schickten.

Ballett-Journal: Wo Sie mit fünfzehn Jahren von Rudolf Nurejew entdeckt wurden. War er ein Idol für Sie?

Roberto Bolle: Und wie. Ich war ganz erstarrt vor Ehrfurcht und Respekt vor ihm. Er war ein wirklich großer Star, jedermann kannte ihn. Und es ist auch gut, noch heute an ihn zu denken.

Roberto Bolle wird 40

Roberto im Meer – im aufregenden Bildband „An Athlete in Tights“ von Bruce Weber. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Ballett-Journal: Sie sind nicht nur als Tänzer, sondern auch als Model bekannt. Als Startänzer, als Topmodel – gibt es da manchmal einen Kampf, einen Konflikt in Ihnen?

Roberto Bolle: Die Mode ist nur ein kleiner Teil meines Lebens. Ich finde es gut, dass ich als Balletttänzer für sowas angefragt werde. Auf dem Laufsteg laufen, Modefotos machen, auch mein Bildband mit dem Fotografen Bruce Weber – das macht mir einfach Spaß. Und es ist auch für die Ballettwelt eine Erweiterung des Horizonts. Besonders anstrengend ist es aber für mich schon deshalb nicht, weil ich als Tänzer über viel Disziplin verfüge.

Ballett-Journal: Können Sie mir was zum Thema Essen und Trinken sagen? Gibt es etwas, das für Tänzer besonders gesund ist? Vegetarische Mahlzeiten vielleicht?

Roberto Bolle: Es ist wichtig, was man als Tänzer zu sich nimmt. Ich esse kein Fleisch, nur Fisch, Reis, Gemüse, Obst. Und dunkle Schokolade! (Lacht sein kehliges Lachen, das jetzt eine Spur sündhaft klingt.) Nüsse und Energy Drinks sind okay. Außerdem rauche ich nicht und trinke nur selten mal ein Glas Alkohol – weil ich ihn nicht besonders mag.

Ballett-Journal: Aber wenn Sie auf einer Party sind und vielleicht mal albern sein wollen, dann müssen Sie sich als VIP trotzdem immer gut benehmen. Geht da ein Stück Freiheit drauf?

Roberto Bolle: (Lacht wieder dieses undurchschaubare Desasterlachen) Jaaaa, manchmal ist das schon hart. Man hat ja eine Art Verantwortung für alles, was man tut. Und in Mailand fühle ich mich wie in einem kleinen Dorf.
Interview: Gisela Sonnenburg

Am 2., 4., 7. und 9. April tanzt Roberto Bolle in der Scala in Mailand in „Giselle“

Am 23. und 26. tanzt er ebenfalls in „Giselle“, allerdings in Zürich

Im Mai ist er beim American Ballet Theatre in New York zu sehen – wiederum in „Giselle“

Anmerkung: Es handelt sich um drei verschiedene „Giselle“-Versionen!

www.robertobolle.com

DVD-Empfehlungen:

„Swan Lake“ (Schwanensee), aus der Mailänder Scala, Arthaus Musik, Cat. No. NTSC 107 177

„Giselle“, ebenfalls aus Mailand, Arthaus Musik, Cat. No. NTSC 107 289

 

Roberto Bolle wird 40

Küss die Skulptur: Roberto Bolle in einer Lieblingsaktion seiner Fans. Ein Blick in Bruce Webers Band „Roberto Bolle – An Athlete in Tights“. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Dieser Tanz ist niemals aus

Rezension von Roberto Bolles riesengroßem Bildband

Die Schönheit in Person geht gern ans Meer. Zitiert dort Pasolini. Lasziv. Erotisch. Tänzerisch. Er ist immer ein Tänzer. Auch nackt auf roter Erde. Es ist wie ein Tanz des Lebens, dieser Fotoband. Auch am andern Ende der Welt: hinter dem Gestänge eines Eisenbahnwaggons.

Roberto Bolle als eiserne Schönheit. Stählerne Muskeln. Schwarzweiß dominiert. Roberto im Bett, Roberto im Meer. Roberto allein, Roberto mit Frauen, Männern, Kunstwerken. Es gibt Blicke für die Ewigkeit. Elegant, zeitlos. Der englische Text lässt Roberto von seiner Zeit als werdender Künstler und als Berufsanfänger erzählen. Dann küsst der schönste Tänzer unserer Zeit eine Statue. Er lässt sich von Männern halten. Wie ein Ertrinkender, der gerettet wird.

Roberto Bolle als lebende Architektur der Sexiness. „An Athlete in Tights“, übersetzt: „Ein Athlet in Strumpfhosen“, heißt der großformatige Band des Starfotografen Bruce Weber mit einigen Farb- und vielen Schwarzweiß-Fotos auf glanzlosem, kräftigem Papier. Der Titel ist eine Anspielung auf die Herkunft der besten Muskeln der Welt: den Ballettsaal und die Tänzer-Strumpfhosen. Die hat Roberto hier allerdings selten an, vielmehr zeigt er Haut und Haar!
Gisela Sonnenburg

„Roberto Bolle – An Athlete in Tights“ von Bruce Weber, erschienen bei teNeues, 200 Seiten mit 151 Fotos, 79,90 Euro, ISBN 978-3-8327-9196-4

 

ballett journal