Liebe total: Die feine Synergie von Musik und Ballett In Dresden wird Mitte Februar das Ballett „Tristan + Isolde“ von David Dawson uraufgeführt – mit der ebenfalls neuen Musik von Szymon Brzóska

Szymon Bróska

Hat den Tanz fest im Blick: der Komponist Szymon Brzóska, der jetzt erstmals für das Semperoper Ballett in Dresden komponierte. Mit David Dawson und anderen namhaften Choreografen hat er Erfahrung – und der „Tristan“ hat ihn sofort thematisch entflammt. Foto: Zbigniew Kotkiewicz

Was wäre Ballett ohne Musik? Und neue Werke brauchen neue Noten! Szymon Brzóska, geboren 1981 in Poznán (Polen), ist als Komponist auf die Synergie zwischen Musik, Tanz, Theater und Film spezialisiert. Man könnte sagen, dass er ein Tschaikowski unserer Tage ist. Brzóska war Meisterschüler für Komposition an der Musik-Akademie seiner Heimatstadt und beschloss seine Ausbildung am Königlichen Konservatorium in Antwerpen, wo er bis heute lebt. Schon seit Jahren komponiert er für namhafte Choreografen wie Sidi Larbi Charkaoui (vom Tourneestück „Sutra“ bis zum Solo „Icarus“ für Vladimir Malakhov) und David Dawson („Overture“ fürs Het Nationale Ballet, Amsterdam). Einfühlsam und kreativ, hat Brzóska jetzt Dawsons neues Stück mit dem Dresdner Semperoper Ballett komponiert: Mit der Uraufführung von „Tristan + Isolde“ wird ein ganz großer Abend erwartet.

Ballett-Journal: Wann haben Sie den Auftrag bekommen, das abendfüllende Ballett „Tristan + Isolde“ zu komponieren? Und wie war Ihre erste Reaktion?
Szymon Brzóska: Irgendwann gen Jahresende 2013 rief der Choreograf David Dawson mich an und bat mich, diese Arbeit zu übernehmen. Ich fand es sofort eine höchst anregende und aufregende Idee – und eine große Herausforderung.

Ballett-Journal: Wie haben Sie das Stück entwickelt? Gab es gleich zündende Ideen, etwa für das Liebesthema? Was war die Inspiration oder Vorbereitung? Haben Sie das Versepos von Gottfried von Straßburg aus dem 13. Jahrhundert gelesen? Oder Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ gehört?
Szymon Brzóska: Zuerst habe ich tatsächlich verschiedene Versionen der Geschichte intensiv gelesen, zur Einstimmung. Und dann hatte ich die tolle Gelegenheit, Wagners „Tristan und Isolde“ in der Semperoper in Dresden zu sehen. Als ich dann das Libretto für unser Ballett erhielt, habe ich mich darauf konzentriert, wie ich mich dieser Erzählweise musikalisch annähern könnte. Die erste Szene, die ich komponierte, war die Eröffnungsszene: die Rede von König Marke vor seinen Soldaten. Danach habe ich die Arbeit an den vier großen Duetten von Tristan und Isolde aufgenommen. Das war ganz in David Dawsons Sinn, musikalisch sozusagen die Seele des Balletts damit zu treffen.

Ballett-Journal: Sehen Sie sich selbst in einer bestimmten musikalischen Tradition, etwa der Minimal music?
Szymon Brzóska: Meine musikalische Sprache variiert und hängt davon ab, ob ich autonome Musik schreibe oder Musik fürs Theater. Alles in allem würde ich sagen, dass meine Musik zwischen zeitgenössischer Avantgarde und erweiterter Tonalität liegt, mit einem Hauch von Minimalismus und tiefen Wurzeln in der Tradition der klassischen Musik. Gefühle sind oft eine Quelle der Inspiration für mich. Sie führen mich dahin, eine eigene Welt aus Musik zu erschaffen, die eine variationsreiche Farbpalette bezüglich der verschiedenen Atmosphären, Gefühle und Geisteszustände ausdrückt. Das muss oft sehr intim und persönlich sein.

Tristan-Proben in Dresden

Innig und dennoch verboten, gerade darum wohl umso heißer: Die Liebe zwischen Tristan und Isolde, hier von Courtney Richardson (Isolde) und Fabien Voranger (Tristan) getanzt. Das Paar brilliert in David Dawsons brandneuem Ballettabend. Foto: Ian Whalen

Ballett-Journal: Sie haben als Komponist für Tanz bereits viele und gute Erfahrungen gemacht. Können Sie mir mehr dazu sagen?
Szymon Brzóska: Ich komponiere für zeitgenössischen Tanz seit 2008, und ich muss sagen, dass ich damit meine Nische gefunden habe. Das ist stets ein inspirierender Vorgang, und ich habe viele interessante und talentierte Menschen auf diesem Weg getroffen. Ich bin glücklich, mit so herausragenden Künstlern wie Sidi Larbi Charkaoui zu arbeiten, mit dem ich wirklich häufig kooperiert habe, und mit David Dawson, mit dem es jetzt mein zweites Mal ist, oder auch mit Maria Pages. Da muss ich verschiedene stilistische Wege repräsentieren und dennoch einzigartig sein. In den letzten sechs Jahren habe ich wirklich viel gute Erfahrung darin gesammelt, mit Choreografen und Tänzern zu arbeiten.

Ballett-Journal: Welcher Art ist denn die Beziehung zu David Dawson? Arbeiten Sie beide richtig eng zusammen für den „Tristan“?
Szymon Brzóska: Das Arbeiten mit David ist sehr inspirierend! Wir haben uns mehrere Male getroffen, bevor ich anfing, an der Partitur zu arbeiten. Wir sprachen über die Geschichte vom „Tristan“, über unsere Visionen dazu. Seit ich begann, das Stück zu komponieren, standen David Dawson und ich in ständigem Austausch, und wir hielten diesen engen Kontakt während der gesamten Schaffenszeit. David weiß genau, was er erreichen will. Wir haben Szene für Szene diskutiert, sodass ich mehr als eine Ahnung davon bekam, wie seine Erzählweise und seine Art der Choreografie sein würden. Das half mir, die passende Musik zu schreiben. Immer, wenn ich eine bestimmte Szene fertig hatte, habe ich sie ihm geschickt, sodass er mich mit Anmerkungen versorgen konnte, ob die betreffende Szene länger oder schneller etc. werden sollte. Diese enge und detaillierte Zusammenarbeit half uns, eine stimmige Zusammengehörigkeit von Tanz und Musik zu erreichen.

Ballett-Journal: Was, würden Sie sagen, ist neu an diesem „Tristan“, im Vergleich etwa zur Oper oder zur überlieferten Geschichte?
Szymon Brzóska: Die Geschichte wird bei uns ohne große Veränderungen erzählt, dennoch denke ich, dass unsere Annäherung an diesen Mythos mehr „modern“ ist. Dank der Choreografie und des Bühnenbildes, der schönen Kostüme und der Musik, die gelegentlich vom Melodisch-Harmonischen ins Abstrakt-Atonale einbricht, ist unsere Version in einer mehr abstrahierten, symbolischen Erzählweise angesiedelt.

Tristan und Isolde als Ballett

Courtney Richardson und Fabien Voranger proben die ballettöse amour fou für David Dawsons eindringliches Ballett „Tristan + Isolde“ in Dresden. Foto: Ian Whalen

Ballett-Journal: Haben Sie eine favorisierte Szene, ein Handlungsmoment oder ein Motiv, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Szymon Brzóska: Jede Szene ist so einzigartig und schön – die vier Duette von Tristan und Isolde zeigen, wie erstaunlich stark und intensiv ihre Liebe ist, obwohl sie auch destruktiv ist. Es gibt außerdem eine Pastorale, eine Ensemble-Szene, die eine hypnotisierende Wirkung hat. Und ich liebe jene Szene, in der Isolde Tristan den Liebestrank gibt – das ist so mysteriös und magisch…

Ballett-Journal: Inwieweit können auch Tänzer eine Inspiration für Sie sein? Können Sie die Tänzer vom Semperoper Ballett beschreiben?
Szymon Brzóska: Natürlich muss die Musik allgemein fertig sein, bevor die Tänzer damit proben können. Aber: Die Tänzer zu meiner Musik zu sehen, ist extrem inspirierend. Das gibt oft eine Richtung für die Interpretation der Musik vor, damit die Musik den Tanz noch besser unterstützen kann. Die Tänzer vom Semperoper Ballett sind ganz besonders begabte – und es ist ein großes Vergnügen, sie in dieser doch so fordernden Choreografie von David Dawson zu sehen.

Ballett-Journal: Es ist das erste Mal, dass Sie in Dresden arbeiten? Und wie finden Sie es?
Szymon Brzóska: Ja, es ist mein erstes Mal in Dresden! Es ist ein Ort voll von Historie und Tradition, kulturell sehr interessant und schön, und es fühlt sich gut an, Teil des künstlerischen Angebots hier zu sein.

Probenarbeit für Tristan

Noch ein Blick auf die schmerzhafte Liebe von Tristan (Fabien Voranger) und Isolde (Courtney Richardson) bei den Proben des Balletts von David Dawson im Neubau der Semperoper. Foto: Ian Whalen

Ballett-Journal: Wie würden Sie „Schönheit“ definieren?
Szymon Brzóska: Für mich ist es das Gefühl oder auch die Sensation, in einer bestimmten Weise berührt zu werden: ästhetisch oder mental; und es ist ein Gefühl, das alle positiven Emotionen weckt und einen als besseren und glücklicheren Menschen zurücklässt.
Interview: Gisela Sonnenburg

Premiere / Uraufführung: 15.2., weitere Vorstellungen: 17., 25. und 26.2. in der Semperoper in Dresden

www.semperoper.de

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Und noch etwas:

Vom April 2014 stammt der folgende Artikel, der sich mit der modernen Fassung von „Giselle“ des Choreografen David Dawson beim Semperoper Ballett befasst:

Zeig mir die moderne Romantik!

Es gibt da so ein Märchen aus uralten Ballettzeiten, mit dem klingenden Namen „Giselle“. Jeder Ballettoman kennt es. 1841 in Paris uraufgeführt, wurde das Libretto von Heinrich Heine inspiriert. In Deutschland wurde der Dichter damals aus politischen Gründen verfolgt, im Pariser Exil lebte er in Armut. Doch die romantische Liebe vergaß er nie! Heute ist die französische Giselle, der ein deutscher Hallodri das Herz bricht, ein Klassiker im Kanon der ballettösen Romantik. Aber mit Klassikern muss man spielen, damit sie lebendig bleiben.

David Dawson

Ein tiefsinniger Choreograf mit einer eigenen Ästhetik, die die Vorzüge der Klassik mit denen der Moderne verschmilzt. In Sachen großer Liebe hat er, natürlich ballettmäßig betrachtet, bereits jene Erfahrung, die man als schöpferischer Künstler für „Tristan + Isolde“ unbedingt benötigt. Foto: Costin Radu

David Dawson, 1972 gebürtiger Londoner, hat fürs Dresdner Semperoper Ballett eine tiefgründig-moderne Version von „Giselle“ kreiert. Die gibt jetzt, als Wiederaufnahme, gleich zwei Primaballerinen Gelegenheit zum gefühlvollen Bühnenabschied. Die schwanenhalsige, stets edel wirkende Japanerin Yumiko Takeshima, eine wahre Präzisionstänzerin, tanzte 2008 die „Giselle“-Premiere. Sie ersann als Designerin auch die Kostüme für Dawsons Werk. Zartgelb leuchtet ihr Glockenrock im ersten Akt, in dem sie mit Albrecht (lyrisch, galant, leichtfüßig: Raphaël Coumes-Marquet) ein Paar bildet. Eine nur angedeutete, aber fröhliche Hochzeitsfeier im Hintergrund heizt die Frühlingsgefühle an. „Yumiko tanzt die Giselle mit viel Musikalität und Dynamik“, versichert ihre souveräne, noch junge Ballettmeisterin Rebecca Gladstone. Bei der Premiere stand sie als Giselles Freundin mit Yumiko der Bühne.

Yumiko Takeshima als Giselle

Zart, aber mit einer modernen, eigenwilligen Seele begabt: David Dawsons „Giselle“, hier Yumiko Takeshima in der Titelrolle der über den Tod hinaus Liebenden. Foto: Costin Radu

Auch die zarte Rothaarige Natalia Sologub – die laut Gladstone „dieses russische Feuer“ in sich hat – wird zutiefst anrühren. Ihre Giselle ist eher filigran, aber auch revoltierend. Natalia tanzte als Solistin im damaligen Leningrad, bevor sie nach Deutschland kam; in Dresden brillierte sie als „Dornröschen“ und in „La Bayadère“. Eine in allen Rollenspielen erfahrene Frau! Ihr Albrecht wird vom gebürtigen Prager Jiří Bubeníček mit Charme und Leidenschaft verkörpert. Der moderne Albrecht, wie David Dawson ihn erschuf, braucht viel Emotion. Denn er wird, wenngleich ohne Absicht, zum tätlichen Mörder Giselles.

Bei Dawson spielt das Stück nicht, wie im Original, in einem Dorf im deutsch-französischen Grenzgebiet. Sondern, ganz heutig, in einer Stadt irgendwo zwischen Oslo und Lissabon. Warmes Wetter gehört nach wie vor zur Herzschmerz-Romanze. Doch statt einer adligen Jagdgesellschaft taucht eine dekadente Swinger-Clique auf. Ihr gehört Albrecht an. Aber das verschweigt er der unverdorbenen Giselle. Ihre verliebten Pas de deux voller Hebungen sind so kompliziert wie neuartig: Dawson macht hiermit Ballettgeschichte.

Giselle von Dawson

Ein Paar wie aus einer Film-noir-Geschichte: Giselle (Yumiko Takeshima) und Albrecht (Raphael Coumes-Marquet) lieben sich, aber er entdeckt zu spät, dass es die eine große Liebe für ihn wirklich gibt. Foto: Costin Radu

Als Giselle erkennt, daß ihr Geliebter zum Gefolge der dominanten Bathilde gehört, kommt es zum Streit. Giselle rennt Albrecht wörtlich ins offene Messer – und stirbt an der Stichwunde. Im Original ist Albrecht ja mit einer Adligen verlobt, was Giselle an gebrochenem Herzen sterben lässt. Bei Daswon ist es viel realistischer. Auch im zweiten Akt. Dieser spielt traditionell im Wald, wo Giselle begraben wurde. Nachts herrschen dort die Wilis, eine Art Vampirfrauen: schön wie Elfen, aber rachsüchtig wie Furien. Sie alle starben, weil ihre Verlobten sie sitzen ließen, vermutlich unehelich geschwängert. Man darf wohl oft Selbstmord vermuten. Daher die „ehrlosen“ Gräber im Wald.

Dawson verlegt diese Fantasie von untoten, aber erotischen Gestalten dorthin, wo sie hingehört: in das heterosexuelle, männliche Gehirn des Antihelden Albrecht. Seine Vorstellungskraft beschwört die unheimlichen, weiß verschleierten Wesen in einem abstrakten Gedankenraum. Eine der Wilis ist Giselle. Sie aber verzichtet auf Rache, verzeiht Albrecht: Nur so kann er das Geschehene verarbeiten. Seine Schuldgefühle weichen im Takt der ätherisch walzernden Musik von Adolphe Adam einem Liebesgefühl, das stärker ist als der Tod. Endlich trifft sich sein Gefühlsleben mit dem Giselles, die ihn ohnehin mit diesem übergroßen Flair liebt. Psychopoetisch, die moderne Romantik!

Giselle, getanzt von Yukimo Takeshima

Sie hat das Flair der großen Liebenden: David Dawsons „Giselle“ (Yukimo Takeshima) – eine Art Seelenverwandte von Isolde… Foto: Costin Radu

Sieben Jahre bereitete sich Dawson auf seine „Giselle“ vor. Er selbst tanzte „Giselle“ in drei verschiedenen Fassungen, bevor er Choreograf wurde. Die Urchoregrafie blieb als Muster erkennbar, wie der alte Grundriss eines Neubaus. Die Mauern, also die Schritte, sind jedoch komplett neu. Dawsons Anliegen: aus einem etwas verschmockten Märchen eine wie traumgeborene Geschichte zu machen, die weniger illusorisch ist. Der Choreograf: „Sie soll von Menschen jeden Alters verstanden werden!“ Das gelang. Die Idee der „psychologischen Studie“ hatte er denn auch schon fest im Blick, als er in den Ballettsaal kam. Gladstone bestätigt: „Er weiß genau, was er will und wie er es von den Tänzern bekommt!“ Im Februar wird er in Dresden „Tristan + Isolde“ modern präsentieren – da war seine „Giselle“ eine gute Vorbereitung.
Gisela Sonnenburg

UND SEHEN SIE BITTE INS IMPRESSUM: www.ballett-journal.de/impresssum/

 

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