Rot, Weiß, Bunt – frohe Weihnachten! Das Hamburg Ballett zeigt das „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier mit Patricia Friza und ohne Sasha Riva. Außerdem ärgern sich viele über eine neue Homepage

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Sie ist die A-Besetzung und zeigt hier mustergültig den typischen Sprung für diese Partie: Lucia Ríos als Vortänzerin des Ensembles im „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Holger Badekow

Da ist ein Glaskäfig voller Menschen. Das Glas ist nicht ganz klar, sondern bildet Striemen, in Längsrichtung, die den Käfigcharakter der Glaswand verstärken. Als sich dieses Glas hebt, beginnen die Protagonisten zu murmeln. Jeder scheint sein Mantra zu haben, um den Alltag auszuhalten. Ein Mann mit weißem Mützchen bahnt sich den Weg durch diese paralysiert wirkende Menge. Er wirkt abgeklärt, dennoch hat er es eilig. Er trägt einen kleinen Tannenbaum und einen Karton im Arm, wie eine Nachlassenschaft christlich-abendländischer Weihnachtstradition. Es ist Lloyd Riggins, der Erste Solist und Ballettmeister, der sich derzeit als Stellvertreter von Ballettintendant John Neumeier auf dessen Nachfolge vorbereitet. Riggins verbindet die Arbeiten backstage und on stage miteinander: Als Coach agiert er im Studio und auf der Probebühne, als darstellender Künstler tanzt und spielt er vor großem Publikum. Sein Part im „Weihnachtsoratorium I – VI“ (und auch in dessen Vorläuferversion, die ohne Nummernangabe in den Annalen steht) heißt schlicht „ein Mann“.

Er ist somit die Hauptperson, er ist zugleich aber auch derjenige, mit dessen Augen wir das Bühnengeschehen erleben. Insofern hat Riggins hier beruflich so oder so eine Doppelrolle inne. John Neumeier kreierte dieses darum besonders zu Riggins passende Ballett in einer kürzeren Erstfassung bereits 2007 für ein uraufführendes Gastspiel des Hamburg Balletts im Theater an der Wien; 2013 überarbeitete und ergänzte er es – neben der „Matthäus-Passion“ ist es jetzt die stärkste Auseinandersetzung des deutsch-amerikanischen Starchoreografen mit der Musik von Johann Sebastian Bach.

Es geht um Weihnachten und um den Jahreswechsel, vordergründig betrachtet. Aber es geht vor allem auch um die Assoziationen des Choreografen Neumeier zu diesen Themen und zur Musik.

So sind die ersten Klänge keineswegs von Bach, sondern entstammen der Mundharmonika von Lloyd Riggins, der mit elegischer Hingabe ein paar Takte spielt. Es sind die Anfänge des Weihnachtsliedes „Vom Himmel hoch…“ Und irgendwie schafft es Riggins, dass sie hehr und ironisch, festlich und pur zugleich klingen.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Lloyd Riggins ist beides: Ballettmeister und Erster Solist, und außerdem ist er John Neumeiers Stellvertreter in dessen Intendanz. Im „Weihnachtsoratorium I – VI“ ist er live zu erleben! Foto: Kiran West

Einsam sitzt der absurd-komisch wirkende Straßenmusiker auf seinen Utensilien, später, zu Beginn des zweiten Teils, trägt er sogar eine glitzernde Pappkrone – und pustet in eine Silvestertröte.

Und das soll festlich sein? Überraschenderweise haben gerade diese Szenen, auf der großen Opernbühne angerichtet, eine unterschwellig ermahnende, auch feierliche Atmosphäre.

Vor allem aber versetzt das munter springende, sich in kryptische Zeichen biegende Ensemble in Ritualstimmung.

In der Hauptbesetzung tanzt hier in der A-Besetzung die sehr erotisch wirkende Lucia Ríos als Vortänzerin.

Pure Lebensfreude strahlt sie dabei aus!

„Jauchzet, frohlocket!“ Diese Verse auch am Ende des Stücks werden von den fantastisch-originellen Sprüngen, die Ríos scheinbar so leichthin ausübt, exemplarisch tänzerisch umgesetzt.

Aufgrund einer Erkrankung ist Lucia Ríos derzeit jedoch nicht zu sehen (gute Besserung!) – dafür fasziniert die vom Typ her viel reifere, aber auch herbere Patricia Friza in dieser Partie.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Patricia Friza tanzt anstelle von Lucia Ríos – mit Erfolg! Man erkennt auch die Qualität der Choreografie daran, dass zwei so unterschiedliche Interpretinnen sich darin zeigen können. Foto: Kiran West

Und siehe da: Frizas Interpretation begeistert genauso, obwohl oder weil sie die Rolle tänzerisch völlig anders einfärbt.

Wo Ríos weich und schmiegsam wirkt, ist Friza entschieden und hartnäckig. Jeder Sprung wird ein Statement, bleibt kein Ausruf mehr.

Der Mädchentanz ist ein Frauentanz geworden.

Die Qualität der Choreografie hält das problemlos aus, sie fordert es vielleicht sogar heraus, ist eben für solche Wechselbäder wie gemacht.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Beziehungen zwischen Menschen sind das Hauptthema vom „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier in Hamburg. Foto: Holger Badekow

Das rundum Fröhliche, das Lucia Ríos hier stets sehr stark intonierte, weicht in Frizas Darstellung der überlegten Geste, der mahnenden Animation.

Im Widerspiel mit dem Corps de ballet passt beides vorzüglich – man möchte sogar mal zeitnah die eine und die andere Besetzung sehen.

Auch sonst nährt sich die Charakterisierung des Tanzes von den einzelnen Ballerinen und Ballerini.

Da gibt es keine Maria und keinen Josef, sondern „die Mutter“, von Anna Laudere stets vorzüglich-expressiv mit dem entsprechenden modernen Körpervokabular getanzt, sowie „ihren Mann“, der mit Carsten Jung vor allem deshalb stets interessant besetzt ist, weil Jung auch in der „Matthäus-Passion“ von Neumeier schon oftmals eine tragende Rolle tanzte.

Dieses Paar strebt gemeinsam, aber auch einzeln sowie mit den anderen Tänzern einer Art der Erleuchtung und Belebung zu, die typisch ist für Neumeiers abstrakte, vor allem für seine sakralen Werke.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Karen Azatyan und Silvia Azzoni: Hirte und Engel gehen eine Symbiose ein. So zu sehen im „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Ein Hirte (sehr schön energetisch: Karen Azatyan) tanzt mit einem weiblichen Engel (Silvia Azzoni, eleganter, weiblicher und anmutiger denn je). Der trägt weiß – wie der engelhafte Partner, getanzt von Alexandr Trusch.

Trusch und Azzoni, was für ein Paar mal wieder in diesen Partien – die beiden verkörpern die Freude, die Lust, die Energie, die Welt zu verändern.

Zurecht erhalten sie am Ende den meisten Beifall – es ist absolutes Spitzenniveau, was sie bieten, und jede Sekunde, die man ihnen beim Tanzen zusieht, zählt, bildlich gesagt, doppelt an Gewicht, weil sie sozusagen von diesem Genuss vergoldet wurde.

Ihre Partien sind aber auch engelhaft choreografiert.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Alexandr Trusch und Silvia Azzoni als Engel im „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Wahrhaft erleuchtend! Foto: Kiran West

Da geht es um Hilfe und um Zuspruch, ums Miteinandersein und ums Beieinanderleben.

Das gegenseitige Vertrauen, das die beiden ausstrahlen und das es ihnen auch faktisch ermöglicht, komplizierte Hebungen und Laufbewegungen exakt und ohne Wackeleien wie selbstverständlich zu vollbringen, überträgt sich geradezu.

Was für eine Erhebung, die zwei zu sehen!

Dagegen hat es der Mann mit der Mundharmonika selbstverständlich schwer. Aber er hat dafür die Trumpfkarte der Ironie und des Humors, und die spielt er aus.

Da darf er dann auch manchmal ein Solo nur teils austanzen und zum anderen Teil nur andeuten – das wirkt putzig und zugleich authentisch, es überrascht und macht neugierig. Man ist plötzlich mit Lloyd Riggins auf einer Probe, so glaubt man, und dieser ironische Bruch mit dem festlichen Weihnachtsthema amüsiert köstlich.

Am Anfang aber, als er sich zuerst wie ein Obdachloser nah der Rampe sein Lager aufschlägt und dann trotz oder wegen seiner Außenseiterposition auch eine Zentralgestalt wird, eine Art Jesus, ein Partner für alle und jede(n), ist er vor allem der Zuschauer.

Er erlebt, wie verschieden Beziehungen sein können, die im weiteren Sinne der Weihnachtsgeschichte nachempfunden sind.

Da gibt es Flucht und Heimatsuche, es gibt Engel und – seit 2013 – auch „die drei Weisen“, also Caspar, Melchior und Balthasar, in diesem langsam gewachsenen Meisterstück.

Sie und die anderen Tänzer tragen von Neumeier selbst entworfene, erlesen schöne Gewänder.

Im ersten Teil dominiert darin ein mittelrotes Bordeaux, am Ende ein leicht warmes Weiß. Dazwischen sind ein gedämpftes, leicht pastöses Oliv und ein nachtdunkles Blau in den Kostümen sehen.

Die jungen Damen tragen eng anliegende Hosen und lang geschlitzte, wadenlange, später knöchellange Kleider darüber, farblich unisono passend.

Das ist keusch und frivol zugleich – genau wie die Choreografie, die viele Paarhebungen und Ausfallschritte kennt.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Die Jungs tragen ebenfalls Zweiteiler, wie die Damen – aber ganz andere! John Neumeier kreierte für die sprungtaugliche Truppe vom Hamburg Ballett auch die erlesenen Kostüme fürs „Weihnachtsoratorium I – VI“. Foto: Holger Badekow

Die Jungs haben im übrigen, farblich mit den Damen im Verein, locker geschnittene Hosen an und jeweils eine Art Wams als Top. Très chic!

Da das Bach’sche „Weihnachtsoratorium“ live zur Orchestermusik gesungen wird – vom fein intonierten Chor der Hamburgischen Staatsoper mit gefühlvoll barmenden Solisten wie Marie-Sophie Pollak und Katja Pieweck unter der famosen Leitung von Alessandro De Marchi – entsteht eine stark aktionsbetonte akustische Kulisse.

Auch wenn man nicht jedes Wort versteht: Die erwartungsfrohe, sinnenhaft aufgeladene Stimmung à la „Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben, / Den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn!“ vermittelt sich sehr gut.

Es geht aber auch um Kummer, um die besungenen „Schmerzen“ in jeder Hinsicht. Da sind Passagen wie die, in der der „Mann“ und der andere „Mann“, also Carsten Jung als Josef-Alias und Lloyd Riggins als moderner Nomade, ein Duett spiegelbildlich tanzen.

Sie schieben sich dazu völlig synchron neben- und voreinander über die Bühne, so, als seien sie exakt aufeinander eingetaktet – Riggins in seinem offen lappenden Mantel, Jung in seinem Hemd-über-Hose-Outfit: Sie ergeben Pendants, wie man sie jeden Tag auf der Straße zu sehen meint, und sie sind dennoch absolute Individuen in allem, was sie während der Kunstausübung, während des diffizilen Tanzens, machen.

Sie enden bei der „Mutter“, die gerade wieder auf dem weißen Koffer sitzt, den sie zum Zeichen ihrer Nestsuche bei sich hat.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Anna Laudere als „die Mutter“ im „Weihnachtsoratorium I – VI“: wunderbar schwermütig manchmal, aber auch konstruktiv und expressiv um Lösungen ringend. Foto: Kiran West

Die „Mutter“ trägt helles Blau (das Anna Laudere vorzüglich steht) – und ein weißes Bündel, stellvertretend für ihr bald zu gebärendes göttliches Kind. So drückt sie ein zusammen gefaltetes blütenweißes Hemd an sich, welches sie später zeitweise dem Hirten zu dessen wärmender Kräftevervollkommnung leihweise überstreift.

Noch später zupft sie zwei blutrote Bänder aus dem kalkweißen Baumwollhemd, das zudem an ein Krankenhaushemd für Patienten erinnert… aber Laudere tanzt damit so ehrerbietend, als seien Hemd und Bänder Reliquien hoch geschätzter Heiliger.

Die Heiligen – also die heiligen drei Könige – sind hier indes keine Heiligen im Wortsinn!

Sie sind die heimliche Pointe in diesem modernen Mysterienspiel, das schon allein mit seinem beziehungserzählerischen, ganz und gar weltlichen Bewegungsfluss beglückt.

Im zweiten Teil hebt sich nämlich die Rückwand und gibt den Blick frei auf zwei große Fenster, die ins dahinter liegende Himmelszelt bei Nacht weisen.

Ferdinand Wögerbauer entwickelte für Neumeier das Bühnenbild, das außer mit dieser Sternenschau auch mit symbolhaften Hängeskulpturen aufwartet. So mit einem von einer Seite weißen, von der anderen goldenen Quadrat und auch mit zwei grauen Vierkantsäulen, die sich beinahe zu einem Kreuz verbandeln.

Am schönsten aber die Sternenschau.

In den so entstehenden Schaufenstern ins nächtliche All üben sich „die drei Weisen“, die ja der historischen Überlieferung nach Sternendeuter sind, und sie praktizieren das als puren Tanz.

Wobei anzufügen ist, dass Neumeier mal erzählte, wie er überhaupt darauf kam, Choreograf zu werden: Seine Mutter, die aus Polen stammte, bewegte in der Adventszeit Figuren, die die Heiligen drei Könige darstellten, durch die ganze Wohnung, jeden Tag ein Stückchen näher ans Wohnzimmer, das sie am Tag der Bescherung stets sicher erreichten. Sie tanzten sozusagen durch den Raum – fürs Weihnachtsfest.

Seither haftet diesen drei Königen für Neumeier der Nimbus des Besonderen an.

Es handelt sich denn auch keineswegs um vollbärtige, langweilige, gar onkelhafte Typen. Sondern um höchst elegant die Beine in hohen Bögen schwingende junge Männer, die lediglich mit einer Art Hosenrock mit sehr originellen, orientalisch inspirierten Mustern bekleidet sind. Einer trägt zudem eine Sonnenbrille – was so exotisch wie erotisch wirkt.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Florian Pohl tanzt einen der „drei Weisen“ – die im übrigen auf einer Kindheitserinnerung von John Neumeier beruhen. Foto: Kiran West

Marc Jubete, Florian Pohl (statt Sasha Riva, der zum September ans Grand Théatre de Genève wechselte) und Thomas Stuhrmann tanzen mit ausgesuchter Schönheit diese hohen Herrn, die so gar nicht den Figuren einer Krippe oder eines Puppenspiels entsprechen, sondern viel eher wie urlaubende Besucher einer Pool-Party erscheinen.

Pohl, in roter Flatterhose (die beiden anderen tragen Blau und Grün), macht seine Sache zweifelsohne sehr gut. Edelmütig und sexy wirken die drei jungen Wissenschaftler hier – und wenn sie, was die Choreografie zumeist von ihnen verlangt, synchron tanzen, bilden sie zudem eine eingeschworene Einheit. Etwa so wie eine Clique aufstrebender junger Männer, die sich am Pool auf einen Cocktail zur Lagebesprechung des nächsten Kongresstages trifft.

Und trotzdem fehlt mir Sasha Riva, sei es aus Sympathie für ihn oder aus der Gewohnheit, ihn in Rollen wie diesen, die hohe Beine und einen ebenfalls hohen Gang verlangen, zu sehen.

Aber auch das gehört dazu, wenn man eine Compagnie längere Zeit als Besucher begleitet: Die Zusammensetzung der Tänzer wechselt, und wenn, wie mit Riva, ein unverwechselbares Flair von jugendlicher Eleganz und auch von sanfter Melancholie in einer Truppe verloren geht, so sollte man offen sein für das, was statt dessen die jeweiligen Partien füllt.

Bei Pohl, der die Rolle ohnehin auch früher im Wechsel mit Riva tanzte, ist es jungmännliche, stets bereit wirkende Power, die die Eleganz von Riva ersetzt. Das geht sehr gut, zumal im Trio der Könige, dennoch würde man Sasha Riva gern mal wieder tanzen sehen. Wenn man einzelne Tänzer schätzt, trauert man ihnen natürlich nach!

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Sie springen aus Lust am Leben und Lobpreisen: die feschen Jungs vom Hamburg Ballett im „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier. Foto: Holger Badekow

Aber man muss auch der Neugier auf die nachwachsenden Kräfte Raum lassen. Mit Pietro Pelleri und Mathieu Rouaux stehen zum Beispiel zwei Neulinge auf dem Hamburger Programmzettel, die sicher noch von sich reden machen werden. Der Franzose Rouaux im Corps tanzte auch schon an der Pariser Oper, an welcher er auch ausgebildet wurde. Pelleri, aus Italien kommend, wurde an der Mailänder Scala und bei John Neumeier in Hamburg ausgebildet – und ist jetzt erst mal Aspirant (ein Vertragsverhältnis für Berufseinsteiger, das sich aus dem „Eleven“ entwickelte).

Bis sie einen der „drei Weisen“ interpetieren können, wird aber wohl noch eine Weile vergehen. Diese Partien erfordern schon viel Erfahrung und vor allem eine große Bühnensicherheit im Umgang mit den oft recht schmalen Abständen zu Requisiten und anderen Tänzern.

Da schnappen sich die drei für einen schwungvollen Abgang doch glatt je den Plexiglas-Stuhl, auf dem sie bis dahin mehr getanzt als gesessen haben. In hohem Bogen führen sie das transparente Möbelstück durch die Luft – solche Halbkreise haben zuvor die rotierenden Beine der „Weisen“ beschrieben. Eine hübsche Rollenzeichnung, sie steht für den Schwung, den diese aktiv handelnden Personen verbreiten!

Die Anbetung des Christuskinds, die ihnen im biblischen Text zugeschrieben wird, ist hier also völlig anders zu imaginieren als wörtlich zu nehmen.

Ach!

Es gäbe noch so viele Details zu berichten.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Noch einmal ein Sprung von Lucia Ríos im „Weihnachtsoratorium I – VI“ von John Neumeier. Bei Patricia Friza sieht es anders aus, ist aber auch interessant! Foto: Holger Badekow

Etwa, dass es auffallend viele Pas de trois in diesem Stück gibt, die – nausholend interpretiert – an die heilige Familie, an dieses Kernstück der Gesellschaft, bestehend aus Vater-Mutter-Kind, erinnern.

Aber auch so manches Paar versteht es, eine symbolisch überzeugende Einheit zu bilden. Vor allem Leslie Heylmann und Christopher Evans beflügeln hier die Fantasie, wenn sie in rasantem Tempo und mit liniensicheren Ports de bras ihre Paartänze vollführen.

Und Hayley Page verströmt mal wieder so gute Stimmung mit ihrer hehren Gestalt, dass man sich einmal mehr wünscht, sie erhielte die Chance einer großen Solo-Rolle.

Dario Franconi ist mal wieder ein köstlicher, sich allein im Tangotanz durchs Bühnengefilde manövrierender „König“ – und wenn er mit dem obdachlosen „Mann“ dialogisiert, dann knallen da schon Welten aufeinander.

Franconi darf denn auch den Meuterer spielen und den Tannenbaum wegkicken – den Glitzerstern von der Baumspitze aber packt er ein… und später wieder aus.

Ein Menetekel, dieser König!

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Aleix Martínez: Ein Vortänzer wie aus dem Bildberbuch für Elan und Energie, für Anmut und Präzision – so zu sehen im „Weihnachtsboratorium I – VI“ von John Neumeier. Foto: Kiran West

Aber da ist noch jemand, der unbedingt erwähnt werden muss: Aleix Martínez.

Wie er den Vortänzer vom Herrencorps macht, ist schlichtweg allererste Güte. Mit umwerfend viel Spaß an der Freud stürzt er sich in jede zackige Bewegung, springt absolut akkurat und hält doch auch den Blickkontakt zu seinen Mittänzern sowie ins Publikum. Ein wandelnder Augenschmaus – und zudem eine Motivation für jede und jeden, ob auf der Bühne oder im Zuschauerraum.

Und wenn sich der Vorhang nach über drei Stunden (inkl. Pause) senkt, so hat man nur ein Problem: Man möchte das Stück sofort noch einmal sehen… und da kann dann die heimische DVD ein Stück weit helfen, immerhin.…

Übrigens: Frohe Weihnachten!

Nur eine einzige negative Nachricht muss noch überbracht werden: Der jüngst (Anmerkung: 2016) erfolgte Relaunch der Homepage vom Hamburg Ballett, die bis dato wirklich die weltbeste aller mir bekannten Compagnie-Homepages war, hat schon viele Zuschauer und Nutzer verärgert. Manche haben es mir aufgetragen, mich für sie zu beschweren.

Was hiermit getan ist – wohl wissend, dass der Protest hier in diesem Fall vermutlich nichts nützt, da es sich um eine Maßnahme der erzwungenen Anpassung zu handeln scheint, die wohl auch das Hamburg Ballett selbst nicht glücklich machen kann. Aber vielleicht mag man die ärgsten Punkte doch noch nachbessern? Darum wird nun herzlichst gebeten.

Viele wissen eben erst zu schätzen, was sie an Gutem hatten, wenn sie es verloren haben.

Oder sollte man gleich eine Initiative gründen, à la SAVE HB HOMEPAGE?

Also: Die Besetzungen sollten im Vergleich wieder auf einen Blick zu erkennen sein. Denn im Ballett – und gerade beim Hamburg Ballett, das zudem viel mehr Vorstellungen hat als andere deutsche Compagnien – wird häufig mehrfach besetzt. Viele wollen da vergleichen. Um sich das Publikum treu und lieb zu halten, sollte man ihm die gezielt vergleichenden Besuche nicht so erschweren! (P.S.2017: Hier wurde dankenswerterweise vom Hamburg Ballett schön nachgebessert, und die verschiedenen, auch neuen Besetzungen sind jetzt wieder rechtzeitig online auf der Homepage zu sehen.)

Die früher reichhaltigen Informationen zu den Neumeier-Balletten sollten auch wieder in angemessenem Ausmaß und nicht nur als Appetithäppchen vorhanden sein. Die Besetzungen der Uraufführungen gehören da ebenso dazu wie einigermaßen vollständige Inhaltsangaben. Denn nicht wenige Zuschauer bereiten sich mit dieser Lektüre auf den Besuch vor oder wählen anhand ihrer aus.

Und auch die Spalte zu den saisonaktuellen Neumeier-Einstudierungen außerhalb des Hamburg Balletts fehlt derzeit komplett, sie bot aber einen guten Eindruck von der internationalen Tätigkeit von Neumeier und seinem Spitzenteam. Jetzt gibt es keine Chance mehr, ohne aufwändige Recherche zu sehen, wo noch überall in der Welt gerade ein Neumeier-Stück getanzt wird. Es hat etwas Engherziges und Kleinkrämerisches, solche Verweise auf die große weite Welt von der ja auch world wide einsehbaren eigenen Website zu tilgen.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Fotos, die nicht richtig wirken können – und zudem hässlich angeschnitten werden. Man will gar nicht wissen, wer diese neue Site vom Design her zu verantworten hat… Faksimile: Gisela Sonnenburg

Dass die Fotos im neuen Layout wirken, als seien sie mit einem billigen Handy gemacht, ärgert viele, die sich als Ästheten verstehen. Das ist auch auf der Opern-Homepage ein beständiges Ärgernis, by the way.

Insofern handelt es sich bei dem womöglich auch noch teuren Relaunch um eine konsequente Anpassung nach unten. Zumal die neu eingeführte Rubrik „Umbesetzungen“ auch ziemliche Augenwischerei ist: Umbesetzungen im Ballett finden zumeist kurzfristig statt und bewirken dann nur sehr selten eine Umentscheidung bezüglich des Kartenkaufs. Man hätte aber auch, um Umbesetzungen zu kennzeichnen, einfach nur die entsprechend neu besetzten Tänzernamen rot oder lila oder grün eintragen können – das wäre dann ein deutlicher Hinweis auf Umbesetzung.

Das Weihnachtsoratorium tanzt!

Große Buchstaben, wenig Infos: Die neu gemachte Website vom Hamburg Ballett kann mit der „alten“ nicht wirklich mithalten. Viele Nutzer ärgert das sehr. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Lediglich die sehr, sehr, sehr, wirklich sehr großen Buchstaben auf den neuen Sites mögen einen Vorteil haben: Sie ersparen manchen Besuchern vielleicht eine neue Brille. Aber eigentlich ist es nicht Aufgabe eines Opernhauses, einem den Gang zum Optiker zu ersparen, oder?

Die Rückkehr zur „alten“, sachlich wie ästhetisch wirklich hervorragend gemachten Homepage wäre für die meisten Nutzer sicher ein Neujahrsgeschenk!

Außerdem hätte das Hamburg Ballett damit seine verdiente Extrawurst wieder – und auf Schnickschnack wie eine einheitliche Corporate Identity mit der Staatsoper kann man im subventionierten Kulturbetrieb hoffentlich auch mal verzichten.
Gisela Sonnenburg

Termine: siehe „Spielplan“

Infos zur DVD: www.ballett-journal.de/ballett-dvds-neumeier-duato-bigonzetti/

Ein Portrait von Silvia Azzoni gibt es hier:

www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-silvia-azzoni/

www.hamburgballett.de

 

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