Die spezielle Berührung Sasha Riva, vom Hamburg Ballett bekannt, tanzt und choreografiert jetzt in Genf – und erhielt im italienischen Barletta einen Preis

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Freiheit! Sasha Riva auf der grünen Wiese, auch dort tänzerisch hochkarätig aktiv… Foto: Andre Riva

Man muss selbst entscheiden, was einem wichtig ist und was nicht. Für Sasha Riva, der 1991 mit italienisch-amerikanischer Staatsbürgerschaft in den USA geboren wurde und in Mailand aufwuchs, zählt der eigene Weg. Sein Ziel ist nicht schnellstmöglicher Weltruhm, sondern das Publikum auf möglichst persönliche Weise mit Tanz zu erreichen. Dass er überhaupt das Ballett zum Beruf hat, verdankt er Marianne Kruuse, die ihn als damalige Leiterin der Schule vom Hamburg BallettJohn Neumeier in Mailand entdeckte. Nach der Ausbildung in Hamburg tanzte Riva von 2011 bis 2016 beim Hamburg Ballett, hatte früh Solistenrolle inne, tanzte Uraufführungen mit Neumeier, kreierte früh eigene Choreografien – und kam doch in den letzten zwei Jahren im Hamburger Ensemble nicht weiter. Jetzt tanzt er beim Grand Théatre de Genève, also in Genf, bei Philippe Cohen, dessen 22-köpfige Balletttruppe zwar klein, aber fein und besonders vielseitig ist. Sasha Riva choreografiert außerdem, allein oder mit Partnern – und er heimste soeben, am 17. März 2017, im apulischen Barletta in Italien den International Award of Merit ein, von Mauro de Candia überreicht. Und zwar für seine außergewöhnliche Bühnenwirkung, die der Preisgeber schlicht mit dem Wörtchen „Excellence“ auf den Punkt bringt. Ah! Herzlichen Glückwunsch!

„Für mich sind Preise, ob groß oder klein, immer eine Anerkennung all der Arbeit, die wir haben“, sagt Riva.

Dennoch sei für ihn auch das Erlebnis des Auftritts anlässlich der Preisverleihung während der Gala Tersicore im Curci Theatre in Barletta wichtig gewesen: „Das eigentliche Arbeiten ist immer am wichtigsten, auch wichtiger als jeder Preis.“

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva in „Ermione in a Black Out“ am 17. März 2017 im italienischen Barletta. Foto: Pasquale Divincenzo

Ermione in a Black Out“ hieß das Solo, das Sasha anlässlich der Preisverleihung erstmals tanzte; kreiert hat Sasha Riva es zusammen mit Simone Repele, der 2013 in Hamburg seine Ausbildung beendete, dann in den Niederlanden beim Interdans Ensemble for Youth arbeitete und heute auch in Genf beim Grand Théatre de Genève tanzt.

Dass Sasha dann einige Fachleute, die im Publikum saßen, ihren Glückwunsch aussprachen und ergänzten, dass er sie mit seiner Sensibilität berührt und beeindruckt habe, wobei Einer sogar meinte, so etwas sei selten zu finden auf den internationalen Tanzbühnen, beglückte Sasha Riva genau so wie der Erhalt des Preises.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Noch einmal Sasha Riva in „Ermione in a Black Out“ auf der Gala Tersicore in Barletta. Foto: Pasquale Divencenzo

Sein Landsmann Mauro de Candia, Choreograf und Ballettchef in Osnabrück sowie Gründer und Organisator des ApuliArteFestival (nebst Gala Tersicore) hat somit eine Lanze gebrochen für den jungen talentierten Riva.

Dessen Hamburger Publikum erinnert sich indes auch gern an ihn.

In Neumeier-Stücken wie dem „Weihnachtsoratorium I – VI“ von 2013 brillierte Riva – und zwar als einer der Heiligen Drei Könige mit nacktem schönem Oberkörper – oder auch als Dichter im schwarzen Biedermeier-Anzug in „Die kleine Meerjungfrau“.

Eine besonders bedeutende Kreation war die Rolle vom „Mann mit den Luftballons“ in Neumeiers Legrand-Ballett „Liliom“ (2012).

Unvergessen seine elegischen Soli-Auftritte darin, als Bote aus einer jenseitig anmutenden Traumwelt, mit viel Clownsweiß im Gesicht und unendlich viel Geduld in den Zehenspitzen, die sich in langen Balancen formvollendet gestreckt hielten.

Unvergessen auch seine melancholisch-rührenden Tänze in „Liliom“ mit Alina Cojocaru, Carsten Jung und Aleix Martínez.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva in einer avantgardistischen Tanzpose mit ehrbarer Haltung. Foto: Bowie Verschuuren

Bei den „Jungen Choreografen“ in Hamburg fiel Riva schließlich positiv als Choreograf auf.

Und, natürlich, weitherin als Tänzer und Interpret auch experimenteller, avantgardistisch inspirierter Kurzstücke.

Der Internetkanal youtube ist für Sasha Riva denn auch eine weitere Bühne, eine Möglichkeit, sich choreografisch und tänzerisch mit allem zu zeigen, was ihm selbst an seiner Arbeit wichtig ist.

The Theory of Letting go“ vom Mai 2016 zeigt ihn da im kompliziert-modernen Paartanz mit Minju Kang, die heute beim Northern Ballet in Leads tanzt.

Das Thema des Balletts, der Trennungsschmerz, betraf damals beide:

Minju, als Mitglied vom Hamburger Bundesjugendballett, wusste von ihrem Abschied dort ebenso wie Sasha, der in Hamburg schon so etwas wie eine Lokalprominenz geworden war.

Dass er dem Publikum so gefällt und trotz starker Konkurrenz in Hamburg rasch ein ausgesprochener Liebling geworden war, hängt nicht nur mit seinen Rollen zusammen.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva in motion – auch von hinten eine ausdrucksstarke, moderne Linie! Foto: Bowie Verschuuren

Sasha Riva hat zusätzlich zur Ästhetik und Ausdruckskraft seines Körpers so viel Sympathie in der Ausstrahlung, dass er schon darum im Reigen der hart arbeitenden Ballettkünstler auffällt.

Dabei ist er ein ganz moderner Typ, lässig, aber nicht nachlässig, selbstbewusst, aber nicht ignorant.

Auch im Gespräch ist er nicht eine Spur borniert, sondern offen und herzlich.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva im Gespräch – lässig, aber nie nachlässig. Foto: Gisela Sonnenburg

Umweltschutz bewegt ihn, auch das Thema Einsamkeit – und alles fließt organisch in seine Arbeit ein.

Und da ist auch diese Besonderheit: Wann immer Riva in einem von ihm kreierten Part auftanzt, mischen sich Poesie und Schrecken.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva in einer für ihn typischen Attitude: seitlich, hoch, flügelartig. Videostill aus „Lost in a thought“: Gisela Sonnenburg

Er ist ein Meister der Ambivalenz, was Gefühle angeht, und manchmal findet so eine Melange nachgerade gestische Formen.

Das Rätselhafte, Somnambule, Melancholische am Dasein ist das verbindende Element in Sasha Rivas Choreografien.

Da wird eine Umarmung rasch eine anmutige Form des Würgens.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Eine Selbstberührung mit autoaggressivem Unterton: Sasha Riva in einer ambivalenten Tanzpose. Foto: Bowie Verschuuren

Eine Selbstüberprüfung wird eine Autoaggression.

Ein nachdenkliches In-die-Luft-Schauen wird ein langsames Erstarren und Einfrieren, dessen Lösung einer sanften Wiedergeburt gleich kommt.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Sasha Riva und Aleix Martínez in „Freedom“ von Sasha Riva – so zu sehen auf youtube. Videostill: Gisela Sonnenburg

In „Freedom“ (2013) geht es nach meiner Interpretation um Freundschaft und die Kraft, die man zu zweit haben kann. Mit Aleix Martínez vom Hamburg Ballett tanzt Riva da zu Beethovens „Mondscheinsonate“ ergeben-passioniert Synchrontänze, die sich schnell und flüssig, aber auch ungewöhnlich und originell ausnehmen.

Da ist das Gleiten über Kopf in den Herrenspagat ein Motiv – und ein Tisch steht bereit, um die Anbindung an den Alltag zu symbolisieren.

Am Ende wieder ein sanfter Schrecken, wie er ebenso typisch ist für Rivas Kreationen, wie etwa auch das zum Flügel seitlich en attitude hoch erhobene Bein.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

„Freedom“ von und mit Sasha Riva – und mit Aleix Martínez. Zu sehen auf youtube. Videostill: Gisela Sonnenburg

Dieses Mal besteht der Moment der kleinen Panik darin, dass der eine Tänzer (Aleix Martínez) hinter dem anderen (Sasha Riva) verschwindet – nur seine Arme und Hände ragen noch vor, passen sich dem Freundesleib an, als gehörten sie ihm. Hand auf Hand schmiegt sich dann auf die rechte Wange von Riva wie ein Streicheln oder ein Halten – es ist ein Zusammengehen von Menschen gemeint, das sich nicht in oberflächlicher Repräsentanz erschöpft.

Die spezielle Berührung ist die Besonderheit an den Arbeiten von Sasha Riva – zweifach gemeint.

Einerseits als Berührung im Sinn eines taktilen Vorgangs, einer Choreografie, die Haut auf Haut platziert (an nur einem Tänzer oder an mehreren), und andererseits als Berührung im Sinn von mentaler Mitteilung ans Publikum.

Sasha Riva ist ein spezieller Künstler.

Hand am Kopf: Sasha Riva berührt sich in seinem Tanz – und berührt mit seinem Tanz. Foto: Bowie Verschuuren

Diese Interaktionen sind Sasha Rivas großes Talent – neben seinem stets etwas verhalten wirkenden, gerade darum überzeugenden Lächeln.
Gisela Sonnenburg

www.youtube.com/watch?v=mFWY6At400U

www.geneveopera.ch/accueil/

www.hamburgballett.de

 

ballett journal