Romeo forever! John Neumeier gibt es nun auch als Portrait von Jochen Hein in der Hamburgischen Staatsoper! Leibhaftig sprach Neumeier in der 215. Ballett-Werkstatt über ein Lieblingsstück: „’Romeo und Julia’ wird 45“

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

John Neumeier, gemalt von Jochen Hein, hier als Auszug zu sehen: energisch und doch sanft. Toll. Foto: Gisela Sonnenburg

Man könnte das Hamburg Ballett nach dem Vorbild des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch um ein Suffix im Namen ergänzen: „Hamburg Ballett John Neumeier“ klingt ganz besonders schön und macht zudem klar, dass es sich um eine Choreografen-Company handelt, die sich einem ganz bestimmten Stil verschrieben hat. Die Pflicht und das Recht dieser Truppe, vor allem Neumeier-Ballette zu pflegen und aufzuführen, wäre somit auch für jüngere Zuschauer, die vielleicht noch ohne viel Kenntnis in die Welt der Ballettenthusiasten eindringen, auf den ersten Blick ersichtlich. Schließlich ist der Mann eine internationale Legende, vergleichbar mit keinem anderen zeitgenössischen Künstler! Darum (und auch, weil er für Hamburg als Standort seiner Kunst unendlich viel getan hat) gibt es nun – erst seit Samstagnacht – ein großes Portrait von John Neumeier im Parkettfoyer der Hamburgischen Staatsoper zu bewundern.

Der 1960 in Husum geborene, in Hamburg lebende Künstler Jochen Hein hat es gemalt. Zuvor hatte er Neumeier sich in Pose setzen bzw. liegen lassen und ihn so fotografiert, nach diesen Fotos entstand dann das Gemälde. Von weitem schaut es denn auch aus wie ein Lichtbild. Geht man aber näher, erkennt man, dass die optischen Tricks, die einen zunächst glauben lassen, nur der Kopf Neumeiers sei vor tiefschwarzem Grund beleuchtet, von Malerhand stammen müssen. Hein praktiziert Fotorealismus mit Hintersinn; Fotorealismus – diese Genrebezeichnung erhält durch Hein eine neue Definition. Zumeist setzt er diese anhand von Portraits oder auch von Meereslandschaften um, die in ihrer bewusst ausformulierten Detailfreude überraschen und begeistern.

So verhält es sich auch mit diesem Bildnis von John Neumeier.

Es ist nicht mit Ölfarbe, sondern mit der schneller trocknenden, von daher auch rascher zu verarbeitenden Acrylfarbe gestaltet. Der Untergrund ist nicht, wie bei den meisten Kunstwerken üblich, aus Leinwand, sondern es ist eine Spezialität von Hein, auf Jute oder schlichter Baumwolle zu malen. Neumeiers Portrait entstand auf Jute, einem Fasermaterial aus einer Pflanze.

Jute wird zumeist in Asien angebaut, machte hier zu Lande im öffentlichen Bewusstsein vor allem als Tragetaschenstoff Karriere – und der Slogan „Jute statt Plastik!“ steht allgemein verständlich sogar als symbolhafte Parole für die Auflehnung gegen eine Konsum- und Wegwerfgesellschaft.

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John Neumeier, von Jochen Hein gemalt, im Foyer der Hamburgischen Staatsoper in einer Nahaufnahme. Foto: Gisela Sonnenburg

Der Farbaufstrich auf Jute muss indes deutlich kräftiger sein als auf Leinwand, und Jochen Hein beherrscht diese Kunst meisterlich. Er ist kein „spontaner“ Maler, der sich dicke Kleckse, fette Schlieren oder unregelmäßigen Farbauftrag erlauben würde. Die Oberfläche seiner Malerei wirkt wie mit dem Spachtel glatt gestrichen – und die ziseliert gemalten Feinheiten imitieren die Natürlichkeit der Fotografie. Nur unmerklich werden hier Kleinigkeiten verändert, betont, verworfen, es wird dort ein bisschen mehr Licht, dort ein bisschen weniger drauf gegeben. Hier und da machen scharfe Konturen im Gesicht des gemalten Neumeiers staunen, etwa die Katzenhaftigkeit der Partie zwischen Mund und Nase.

Insgesamt hat das scheinbar im Dunkel schwebende Antlitz von John Neumeier hier einen Ausdruck von schalkhafter Gelassenheit, von außerordentlicher charakterlicher Stärke, von Intelligenz und auch von fast animalischer Sensibilität. Nicht zu vergessen die Schönheit der regelmäßigen Gesichtszüge und die Tiefe in den graugrünen Augen. Wenn man genau hinsieht, oh ja, dann erkennt man darin auch denjenigen John Neumeier, der als junger Tänzer und Nachwuchs-Choreograf einst selbst den von ihm kreierten Romeo getanzt hat, in Frankfurt am Main und auch in Hamburg.

Also: „Romeo forever!“

Diese Bezeichnung für Neumeier, der von besonders eingefleischten Fans ja auch schlicht „Johnny“ genannt wird (und dabei nicht selten gesiezt wird, wie es im Ballett bei Nennung des Vornamens durchaus üblich ist), gilt zumindest mir somit als inoffizielle Betitelung des Hein’schen Neumeier-Portraits. „Romeo forever“. Ein passender, ein hübscher Bildertitel. Und dass Hein Neumeier nicht im Sitzen auf einem Stuhl, sondern im Halbliegen am Boden portraitierte, spricht sehr dafür, dass auch der Maler die verführerischen Qualitäten dieses kunstmächtigen Deutschamerikaners durchaus erkannt hat.

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John Neumeier, gemalt von Jochen Hein, als Totale: so zu sehen nahe dem Eingang zum Parkett rechts, im Parkettfoyer in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Gisela Sonnenburg

Im Weiteren sind aber auch die Hände und Füße des Tanzschöpfers Neumeiers hier interessant: Sie sind, wie der ganze Kopf, ebenfalls leuchtend vor dem Dunkel des Hintergrunds und der Kleidung. Letztere ist im übrigen ein asiatisch anmutendes Kostüm in der Art eines seidenen Hausanzugs. Die weiten Hosenbeine und das enge Oberteil verhüllen hier indes nicht, um zu wärmen oder zu schmücken, sondern deshalb, um die frei gelassenen Körperteile umso stärker betont zu wissen. Insofern handelt es sich eigentlich um ein verkapptes Aktbild. Die betonten Körperteile allerdings sind die segnenden eines Tanzkünstlers: Es sind die Gliedmaßen, die ein Tänzer und Choreograf bei seiner Arbeit benötigt. Da sind die Hände: Die Hände geben den Ton an, die Gestik gibt die Zeichen bei der Ballettarbeit. Hier ist vor allem die rechte Hand ins Licht gesetzt, sie ruht locker, aber handlungsbereit auf dem rechten aufgestellten Knie. Es ist die lenkende Hand!

Sie ist übrigens, ganz im Sinne meiner Theorie, dass es sich eigentlich um ein verkapptes Aktbild handelt, nackt: Die Goldringe, die John Neumeier seit vielen Jahren stets am rechten kleinen Finger trägt – auch bei der Arbeit im Ballettsaal – vermisst man hier. Statt dessen leuchtet die Haut des Gesichts und der Hände geheimnisvoll, sie bezeichnet im übertragenen Sinn die Poren des osmotischen Austauschs. Der Künstler und die Welt: So zeigt er sich ihr, so hat sie ihn geprägt.

Aber auch die Füße sind bedeutungsvoll, sie bilden die Ergänzung, wenn sie die Schritte und Bewegungen vormachen und andeuten. Sie stehen auch für die Beweglichkeit im übertragenen Sinn dieses aktiven Ballettchefs, der ja nicht nur in Hamburg zu wirken weiß, und dessen vielfältige Eigenschaften ihn eigentlich zu einem wandelnden Gesamtkunstwerk machen. Dass er einen exzellenten Geschmack hat – den besten, den ich zu bezeichnen weiß – erkennt man auf dem Gemälde ebenfalls: Die Frisur ist nonchalant, dennoch nicht zufällig absolut seriös, und die ganze Haltung, der ganze Aufzug sprechen von stylischer, puristisch inspirierter Innerlichkeit.

Vorherrschend ins Auge fallend sind aber dennoch der Ausdruck als Ganzes als auch die gekonnte Platzierung des 1,80 m mal 1,30 m großen Bildes: Es geht dabei um so dezent wie deutlich gekennzeichnete Autorität.

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John Neumeier, gemalt von Jochen Hein, hier als Auszug zu sehen: energisch und doch sanft. Toll. Foto: Gisela Sonnenburg

Auf Effekthascherei wird dabei in jeder Hinsicht verzichtet – nicht ein einziges Mal findet sich die Signalfarbe Rot als Lockmittel im Bild. Sie würde, weil sie generell das menschliche Auge schneller erreicht als andere Farben, schon aus physikalischen Gründen den Blick ohne weiteres auf sich ziehen. Darum wird sie oft als „unauffälliges“ Medium in Bildern eingesetzt. Einen solchen Trick haben Neumeier und Hein nicht nötig. Das Künstlerbild, das hier zu sehen ist, will sich weder aufdrängen noch den Blick über Gebühr beschäftigen. Es setzt auf eine sanfte und freiwillige Auseinandersetzung der Rezipienten mit dem Werk. Und so muss man schon bereit sein, einmal hochzusehen, um es auch wirklich gut wahrzunehmen.

John Neumeier erscheint dann einerseits als entspannter Hausherr, der mit sanftem, ganz leichtem Lächeln wie nebenbei mit aufmerksamem Augenmerk zu überwachen weiß. Sein Blick ist fest und klar, seine Stirn ist geradezu kämpferisch leicht an der Nasenwurzel gerunzelt. Die Augen und auch Brauen sind außerordentlich schön! Andererseits ist Neumeier auf dem Bild aber auch der inspirierte Künstler, der gleich aufspringen wird und mit seinen Tänzern dann ein neues Ballett kreiert. Die ganze Wachheit des Gesichts, die Position des Körpers zwischen Liegen und Sitzen entspricht dem Ausdruck des baldigen Aufstehens! Drittens ist Neumeier, zumal, wenn man die Füße auf dem Gemälde betrachtet, aber auch selbst ein Instrument des Tanzens, also ein Tänzer. Mit edel geschwungenem Spann zeigt sich hier der linke Fuß als sehr ballettgeeignet, auch die langen Zehen und die gesund ausgeprägte Fußsohle sprechen für eine große Karriere als Tänzer.

Terpsichore wurde also Genüge getan!

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

John Neumeier, von Jochen Hein gemalt, im Foyer der Hamburgischen Staatsoper in einer Nahaufnahme. Foto: Gisela Sonnenburg

Die charmante Persönlichkeit John Neumeiers zeigt sich in Jochen Heins Gemälde aber auch mit Männlichkeit. Das Markante, das Eindeutige, das „Ich bin so, wie ich bin – ich verstelle mich nicht!“ von Neumeiers Fluidum wurde hervorragend eingefangen. Nicht zuletzt durch die Direktheit des Blicks, aber auch durch die Geradheit der Gedanken, die der ganze gemalte Mann auszudrücken scheint.

Und sollte man sich Romeo als gereiften Mann vorstellen wollen – und mal rein hypothetisch annehmen, er habe seine erste große Liebe glücklich erhalten – so würde er ganz sicher aussehen wie John Neumeier auf diesem Portrait.

Es bleibt also dabei: „Romeo forever“!

Danke, Jochen Hein, für diese sehr tolle Arbeit!

Und vielen Dank auch an John Neumeier, der sich solchermaßen portraitieren ließ – und dafür ein gewisses Risiko einging. Denn es kann immer sein, dass ein bildender Künstler und Könner wie Jochen Hein etwas einbringt oder sogar unbewusst etwas hinein schminkt, das dann nicht allen gefällt.

Kunst und Kultur sind stets mentale Risikounternehmungen, das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Darum sollte man festhalten, wenn man etwas Großartiges hat.

Neumeier ging mit dem Portrait jedenfalls entschlossen den Weg, sich auf einen anderen, malenden Künstler einzulassen – und er kann nun darum ein grandioses Resultat präsentieren.

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John Neumeier, gemalt von Jochen Hein, als Totale: so zu sehen nahe dem Eingang zum Parkett rechts, in der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Gisela Sonnenburg

Es ist dabei anzumerken, dass John Neumeier selbst nicht nur ein tiefes Verständnis von bildender Kunst hat, sondern sogar selbst Malerei und Literatur studierte, bevor er den Tanz für sich als Profession entdeckte.

Es weiß also sehr genau, was er tat!

Aber das weiß ein John Neumeier vermutlich sowieso immer.

Der Untertitel dieser Ballett-Werkstatt in der Hamburgischen Staatsoper macht die historische Bedeutung des Themas bereits deutlich: „John Neumeier spricht über sein erstes abendfüllendes Handlungsballett“. Es stammt von 1971. Neumeier revolutionierte fortan das Weltballett mit seinen genialen Kreationen – und der „Romeo“ steht am Anfang der langen Folge seiner unersetzlichen Meisterwerke, die das ballettöse Genre so genannter „Abendfüller“ aus der staubigen Ecke der Theatergeschichte holen. Um es mit Lust und Liebe, mit unnachahmlicher Ästhetik und zugleich mit intellektuellen Höhenflügen zu verlebendigen! „’Romeo und Julia’ wird 45“ bedeutet derweil: Vor 45 Jahren wurde dieser große Wurf von John Neumeier uraufgeführt, und zwar in Frankfurt am Main, wo er damals, als ganz junger Mann, im zweiten Jahr als Ballettdirektor wirkte.

Zunächst begrüßt der mittlerweile zum Grandseigneur des Tanzuniversums avancierte Ballettintendant Neumeier seine Zuschauer, es ist die erste Ballett-Werkstatt in der neuen Saison, die wiederum Neumeiers 43. Spielzeit in Hamburg ist. Er sollte die 50 voll machen, finden die meisten hier wohl im Stillen – und wenn man sich das internationale Ballettgeschehen so anschaut, werden auch Neumeiers indes ohnehin kaum vorhandenen Kritiker zugeben müssen: Eine solche Konstante mit solch einem Erfolg und Publikumszuspruch, wie John Neumeier sie verkörpert, muss bewahrt werden.

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

Etwas verzerrt und alles in allem technisch keine gute Reproduktion, gibt sie aber einen Eindruck von John Neumeier als Romeo mit Marianne Kruuse als Julia wieder, 1974 nahm Fritz Peyer das Foto auf. Das Faksimile stammt aus dem Buch „Zehn Jahre John Neumeier“, das 1983 im Christians Verlag in Hamburg erschien. Faksimile (Auszug): Gisela Sonnenburg

Er erinnert uns denn auch an die erste Hamburger Aufführung seines „Romeos“: 1974 war das, noch im ersten Bühnenbild, das Filipo Sanjust 1971 kreiert hatte. Dieses war sehr puristisch, lebte von einfachen, klaren Linien und forderte die Überformung des Balletts durch die opulente, detailreiche Ausstattung durch Jürgen Rose, die 1981 statt fand, geradezu heraus.

Bescheiden verschweigt Neumeier, dass er bei der Hamburger Premiere – wie durchaus häufig – selbst den Romeo tanzte! Mit der Dänin Marianne Kruuse als Julia; sie war auch die Titelheldin der Uraufführung in Frankfurt am Main gewesen, mit Truman Finney als Romeo.

Natürlich war Neumeier zauberhaft als Shakespeare-Lover, mit Poesie im Blick, mit Entschiedenheit in den Armgesten und mit männlicher Sprungkraft in den Beinen.

Aber er weiß auch, was seinen „Romeo“ von denen anderer Choreografen unterscheidet: „Romeo war bis dahin in den Balletten immer so ein Dichtertyp“, erklärt Neumeier in der Werkstatt; also romantisch, schwärmerisch, lyrisch und auch ein bisschen blass erschienen viele Romeos zuvor in diesem Part.

Neumeiers Romeo hingegen ist ein Revoluzzer, jemand, der sich auflehnt und dessen Liebe die Konventionen und gesellschaftlichen Grenzen überhaupt nicht akzeptieren will. Neumeiers Romeo ist ein wilder Junge, nicht nur in impulsiver Hinsicht, sondern vor allem auch, weil er immer aus dem Bauch heraus entscheidet.

Tatsächlich ist dieses ja die erste Ballett-Werkstatt in Hamburg, die sich ausdrücklich Romeo und Julia widmet (die Anführungszeichen fehlen nicht nur hier, sondern fehlten auch auf dem Programmzettel, wo man sie allerdings schmerzlich vermisste).

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Ein psychologisch durchgestyltes und herzergreifendes Paar: Hélène Bouchet und Alexandr Trusch als „Romeo und Julia“ bei der 215. Ballett-Werkstatt in Hamburg. Foto: Kiran West

Na, es wurde höchste Zeit für eine solche Sitzung mit Neumeier und dem berühmtesten Pärchen der Literaturgeschichte!

Zumal in Baden-Baden kürzlich die 180. Vorstellung dieser gesamten Choreografie stattfand.

Aber: „Watum macht man überhaupt ein so altes Stück?“ – John Neumeier stellt diese Frage eindringlich.

Seine Antwort, so sagt er dann, könnte sein, dass es für ihn kein altes Stück ist. Sondern etwas, das jedes Mal, wenn es einstudiert und getanzt wird, zu neuem Leben erwacht.

Und Neumeier lässt sich zu einem künstlerischen Credo hinreißen: „Ich glaube, solange ich lebe, ist kein Ballett von mir fertig.“ Jede neue Besetzung führe zu Überarbeitungen und Ergänzungen der Choreografie, zu leichten Abwandlungen und grundlegenden Hinzufügungen.

Man muss allerdings sagen, dass diese keinesfalls so umfassend sind, dass man ein Neumeier-Ballett nicht wiedererkennen könne. Es sind Feinheiten, die da aufgeraut und poliert, gegen den Strich gebürstet und gewellt werden. Je nach Protagonistenpotenzial!

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Emilie Mazon als Julia und Anna Laudere als ihre Mutter – so zu sehen auf der 215. Ballett-Werkstatt in Hamburg. Foto: Kiran West

Von daher haben wir hier nun noch ein Argument, uns die Neumeier-Ballette vor allem beim Hamburg Ballett anzuschauen. Nirgendwo sonst sind das Wissen und die Erfahrung noch im kleinsten Detail mit diesem hervorragendem choreografischen Gesamtwerk so groß.

Aktuell – also ab 4. November 2016 – tanzen in Hamburg drei verschiedene Besetzungen „Romeo und Julia“: Edvin Revazov und Alina Cojocaru, Alexandr Trusch und Hélène Bouchet (die früher mit Thiago Bordin ihre Partie tanzte) und Emilie Mazon und Jacopo Bellussi bilden die drei Liebe-für-immer-Pärchen.

Jede Besetzung ist sehr gut durchdacht und birgt neue Aspekte der Geschichte, die durch den Tanz dann erst deutlich werden. Darum lohnt sich der Vergleich unbedingt; Romeo ist eben nicht gleich Romeo, und auch Julia ist absolut nicht immer dieselbe. Paare zu sehen, die sich entzückend ergänzen und auch psychologisch sehr gut zusammen passen, erfreut indes das Herz jedes für Kultur Aufgeschlossenen!

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Perfekte Linien: Die Ensemble-Szenen reißen mit: „Romeo und Julia“ von John Neumeier bei der 215. Ballett-Werkstatt in Hamburg. Foto Kiran West

Neumeier hingegen kommt uns mit harten Fakten bei der Werkstatt. Zum Einen, so weiß er, ist der Stoff vom „Romeo“ deshalb so beliebt, weil er die Jugendliebe an sich darstellt. Zum Anderen aber ist er sogar älter als Shakespeares gleichnamiges Drama „Romeo und Julia“ von 1597: Laut Wikipedia übernahm Shakespeare Vieles von Arthur Brookes „The Tragical History of Romeus and Juliet“ von 1562.

Und so, wie William Shakespeare aus der Vorlage etwas Neues machte, machte John Neumeier aus dem Shakespeare-Stück etwas ganz Neues.

„Es geht dabei nicht um Übersetzung, sondern um Neuerfindung“ – Neumeier selbst bringt es ganz klar auf den Punkt.

Als rundum gebildeter Magnat hat er aber auch noch einige Anmerkungen parat: So, dass man, weil man das alte Englisch aus Shakespeares Zeit kaum noch versteht, es immer wieder ins neue Englisch übersetzen lässt. Es gibt also viele Transponierungsvorgänge, bevor ein Stück aus lang vergangener Zeit überhaupt das Publikum erreicht.

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Das Hamburg Ballett ist ein Top-Ensemble! Und hat nicht ohne Grund seinen Weltruf. Da agieren alle: sowohl tänzerisch als auch darstellerisch. Hier posieren sie mit einer vollkommen schönen Synchronizität. Aber individuell werden die Partien dann im Einzelnen interpretiert. Der Tanz auf dem Ball hier ist denn auch keineswegs einfach nur freundlich gemeint… das erhöht die Spannung! Die Capulets in Aktion in John Neumeiers „Romeo und Julia“ auf der 215. Ballett-Werkstatt. Foto: Kiran West

Eines aber bleibt darin: Tanz kommt relativ häufig bei Shakespeare und seinen Zeitgenossen im Original vor. So wird im Finale einer Komödie oftmals getanzt, und sogar am Ende der Tragödie „Julius Cäsar“.

Zwölf verschiedene Tanzarten, so listet der Experte Neumeier auf, sind bei Shakespeare zu finden, von der Gigue bis zur Pavane.

Das erste namentlich überlieferte Shakespeare-Ballett widmete sich indes nicht etwa „Romeo und Julia“, sondern den Liebschaften Heinrich VIII. Jean-George Noverre schuf es, in Stuttgart.

Im späteren 18. Jahrhundert gab es dann ein „Romeo und Julia“-Ballett in Venedig. Mittlerweile aber ist es das am häufigsten „vertanzte“ Shakespeare-Stück.

Bei John Neumeier gab es denn auch einen Hinweis des Schicksals in Gestalt seines damaligen Verwaltungsdirektors in Frankfurt, der dabei vor allem an das harmonische Klingeln der Kasse dachte: Ob Neumeier nicht „Romeo und Julia“ in der kommenden Spielzeit machen könne, fragte er den damals neu angetretenen jungen Ballettchef.

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John Neumeier in Aktion auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper, mit Anne Drower (mittig) und den Kindern: bei der 215. Ballett-Werkstatt. Foto: Kiran West

Und er rannte damit offene Türen ein, denn heimlich hatte der Tänzer und Choreograf sich sehr wohl schon mit dem Stoff beschäftigt. Hatte er doch während seiner Stuttgarter Jahre in der Version von John Cranko oftmals mitgetanzt. Und sich außerdem immer intensiv mit Kultur- und Ballettgeschichte auseinander gesetzt. Neumeier kannte also viele Hintergründe zum Thema „Romeo und Julia im Ballett“.

Allerdings war das Wichtigste bei der Kreation dann, genau all dieses Wissen erstmal zu vergessen, um zu einer ganz eigenen Version des Stückstoffs zu gelangen.

So war Horst Koegler, der bis zu seinem Tod 2012 der bedeutendste deutschsprachige Ballettkritiker war, damals skeptisch, ob der Jungspund Neumeier schon reif genug für ein eigenes Romeo-Ballett sein würde.

Etwas enttäuscht war Neumeier dann vom „einfachen“ Bühnenbild von Filipo Sanjust, indes er diesen bereits als einen „italienischen Aristokraten im Geiste“ kannte. Geschmackvoll und bewandert, konnte Sanjust in Florenz und Rom sozusagen jeden Stein erklären. „Es war eine minimalistische Version“, die das Bühnenbild dann abgab, „wie ein modernes Gemälde“. Immerhin kam der Tanz darin gut zur Geltung – und auch Neumeiers Konzeption, nicht mit Statisten zu arbeiten, sondern jeder kleinen Rolle einen Namen und einen Charakter zuzuordnen, ließ sich auch in diesem Bühnenbild gut realisieren.

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Die Schauspieler als Theater-im-Theater spielen und tanzen in ihrem eigenen Stil. In John Neumeiers „Romeo und Julia“; hier bei der 215. Ballett-Werkstatt. Foto: Kiran West

Da steht also ein junger Mönch in einer Kutte barfuß da, an seinem Arm ein Korb voll frischer Kräuter. Bruder Lorenzo ist gerade nicht ein onkelhafter alter Mann der Kirche, sondern ein junger, aufgeschlossener Priester. Die Kräuter stehen für Heilkunde und vielleicht auch (obwohl Neumeier das hier nicht sagt) für Drogenexperimente. Um mittels Halluzinationen Erleuchtung und Eingebung zu finden, wurde ja in den verschiedensten Religionen mit Naturdrogen gearbeitet.

Auf jeden Fall aber ist Lorenzo der jungen, rebellischen Generation zuzurechnen. Man denkt an den Zeitgeist 1971, als das Ballett entstand: Die Hippies waren damals angesagt, ihre Friedensbotschaften und Freiheitsgelüste findet man, wenn man so will, auch in dieser Figur des Pater Lorenzo wieder.

Marc Jubete tanzt den Lorenzo in der Werkstatt – mit Hingabe, Selbstvergessenheit beim tänzerischen Gebet und mit Kumpelhaftigkeit, als der schwungvoll-witzige Romeo (glänzend aufgelegt: Edvin Revazov) erscheint. Man sieht eine Jungmännerfreundschaft, in der man sich austauscht und in der Scherzen erlaubt ist! Und man sieht eben keinen Teenager, der vor Ehrfurcht und Verkrampfung vor der Kirche in die Knie geht. Sehr wohltuend, diese Szene!

Neumeier legt denn auch großen Wert auf die durchgearbeitete Psychologie in seinem Ballett. Julia zum Beispiel. Für Neumeier keine typische Ballerinenrolle mit möglichst viel Spitzenschuhbrillanz. Sondern ein vierzehnjähriges Mädchen! Das ist sie bei Shakespeare, und die Jugend ist tpyisch für den Part. Mehr noch: „Es geht ja um eine Liebe, die so stark ist, so konsequent ist, dass Julia nach nur vier Tagen bereit ist, für diese Liebe zu sterben.“ Vier Tage umfasst das Libretto, bei Shakespeare wie bei Neumeier.

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Während Julia von Bruder Lorenzo den giftähnlichen Schlaftrunk erhält, spielt sich in ihrer Fantasie vieles ab, das dann auch getanzt wird. So zu sehen – mit Emilie Mazon und Marc Jubete – bei der 215. Ballett-Werkstatt. Foto: Kiran West

Die Jugend bei Julia wird in Neumeiers Stück dadurch gezeigt, dass sie zunächst kaum tanzen kann. In ein Badetuch gehüllt, tänzelt sie munter und auch ein bisschen frech über die Bühne. Barfuß! Ihre Mutter, die hier keine alte Dame ist, sondern jung und schön, schenkt ihr ein Medaillon… Die etwas stoffelige, unbeholfene Julia tanzt damit, aber erwachsen wird sie von dem kostbaren Präsent nicht.

Emilie Mazon, die blutjunge Tänzerin aus den USA, deren Eltern Janusz Mazon und Gigi Hyatt einst auch bei Neumeier tanzten, um heute als Pädagogen und Ballettmeister zu wirken, ist die jüngste der aktuellen Hamburger Julien. Mit reizender Grazie, aber auch mit kräftiger Jungmädchenhaftigkeit stellt sie die Julia als ein Naturkind der Gefühle dar. Eine sehr plausible Darstellung!

Anna Laudere als ihre Mutter bezaubert mit Vornehmheit und Präzision. Kein Wunder, dass sie am Hofe der Capulets bewundert wird!

Im Kontrast dazu stehen die Szenen der Diener, welche wiederum eine eigene choreografische Sprache haben, wie Neumeier erklärt.

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Die Pas de deux sind ganz besonders zum Mitfühlen und Verstehen gemacht: Emilie Mazon und Jacopo Bellussi bei der 215. Ballett-Werkstatt. Foto: Kiran West

Und auch diese strotzt nur so vor vitaler Interaktion: „Es ist bezeichnend“, so der Ballettboss, „dass der Streit der beiden großen Familien in Verona hier nicht von den Mächtigen ausgeht, sondern bereits im Kleinen und bei den Jüngsten, also den Kindern, zu sehen ist.“

Zwei Ballettschüler namens Joaquin und Moritz haben denn auch ihre großen Auftritte. Joaquin, als Peter ein Diener von Julias Amme und also zu den Capulets gehörend, taucht mit drei Körben voller Waren auf. Moritz als Balthasar gehört zu den Montagues und stellt ihm frech ein Bein. Peter stolpert, fällt hin und verliert seine ganzen Waren…

Das sieht die Amme gar nicht gern! Beherzt schnappt sich Anne Drower, die Tänzerin, Ballettlehrerin und –ballettmeisterin ist und die Amme verkörpert, den frechen Balthasar. Am Ohr zieht sie ihn im Halbkreis – und versetzt ihm eine Ohrfeige.

Und da sieht man mal, wie es zum Schallen der Ohrfeige kommt: Nicht etwa, weil da Kinder auf der Bühne real geschlagen würden, sondern weil Aleix Martínez, der einen weiteren Montague-Diener tanzt, in die Hände schlägt.

Solche Slapsticks machen Neumeiers Ballett zu einem Fest für alle, die gern schmunzeln und mitfiebern, wenn es auf der Bühne Action gibt.

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Nach der Ballett-Werkstatt tut ein Spaziergang in Hamburg gut, um über das Gesehene nachzudenken. Bei Herbststimmung mit Sonnenschein! Foto: Gisela Sonnenburg

Bis zur Ohrfeige stehen hier alle anderen auf der Bühne in Frozen Positions, womit die Spannung sehr steigt. Dann, aufs Stichwort der Ohrfeige sozusagen, bricht ein Tumult aus. Der indes hintersinnig arrangiert ist… Neumeier kommentiert das Geschehen, mit dem Mikrophon in der Hand.

Allerdings, so macht Neumeier deutlich, ging es ihm von Beginn an darum, auf klassische Ballett-Pantomime zu verzichten und alles tänzerisch zu vermitteln.

So ist auch die Inszenierung des weiteren Ineinandergreifens von Spannungen und Aggressionen zwischen den Capulets und den Montagues logisch durchdacht – und in Tanz umgesetzt.

Nach den Kindern streiten sich nämlich erst die etwas älteren Diener – dann greifen die bewaffneten Jungs zu den Floretten.

Carsten Jung als Tybalt begeistert, und wie der Kampf en detail ausgearbeitet ist, vereinnahmt einen völlig.

Schon ein Schubsen etwa von Graeme Fuhrman kann hier wie ein starker Funke Gewalt im Pulverfass des Aggressionsstaus wirken.

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Schilf und Schönheit in Hamburg… Foto: Gisela Sonnenburg

Und da tanzt das Volk alsbald in zwei Blöcken gegeneinander, vordergründig noch höflich, aber unterschwellig bereits sehr aggressiv. Diagonal auf der Bühne positioniert, bleibt vor und neben ihnen auch noch Platz für weitere „Action“ – genial gemacht.

Als dann die Florettkämpfe der Jungs zu eskalierten drohen, tauchen die Patriarchen auf und holen ihre Söhne. Zwei junge Erwachsene mit Schwertern sollen kontrolliert kämpfen…

Wenn die Volksseele kocht, aus was für Gründen auch immer, dann mag das mitunter ähnlich ablaufen, auch heute noch.

Die ganze Arbeit damals beim Kreieren hat sich jedenfalls gelohnt. Neumeier: „Ich war besessen von der Detailarbeit!“ Zum Glück!

Viele weitere Kleinigkeiten, vom Fischdiebstahl bis zum Flirten, lohnen es denn auch, sich das Ballett immer wieder anzusehen.

Zumal das Ensemble vom Hamburg Ballett, ergänzt von vielen Solisten auch in kleinen Rollen, eine energetische Perfektion aufweist, die man weltweit begehrt: mit Synchronizität, mit tollen Linien auch schon bei den Berufsanfängern – und mit überbordender Freude am Tanzen und Spielen.

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

Wind, Wasser, Widerschein des Lichts: Hamburg im Herbst. Foto: Gisela Sonnenburg

Aber auch die Ballett-Werkstatt erklärt noch Vieles. So, dass „Romeo und Julia“ bei Shakespeare den Feiertag zu Ehren eines Heiligen kennt. Am Vorabend dieses Festtages findet der Ball bei den Capulets statt.

Die Festlichkeit des Balls wurde bei Konstantin Sergejew laut Neumeier mit Kissen demonstriert: Die Tanzenden tragen kostbare Kissen als Machtembleme vor sich her.

Was „Johnny“ weiß, aber jetzt nicht sagt: In John Crankos Version von „Romeo und Julia“, die 1962 uraufgeführt wurde, werden ebenfalls symbolträchtige Kissen verwendet, und zwar im „Tanz der Ritter“. Dieser „Tanz der Ritter“ ist sicher ein großartiges Moment bei Cranko, aber es ist interessant zu hören, dass er die Kissen auf dem Ball nicht erfunden hat.

John Neumeier indes benötigt keine Kissen und auch keine symbolische Machtdemonstration der Familien.

Bei ihm zeigen sich die Capulets als Trio: Die drei Ranghöchsten formulieren Einigkeit, Dynamik und Harmonie in einem Reigen. In der Mitte die Mutter, diese bildhübsche Frau – es hat schon auch erotische Brisanz, wenn Neumeier so eine Powerfamily auffahren lässt.

Auch die Ensembleszenen vom Ball zeigen Einigkeit, in die sich Romeo einfach eingeschmuggelt hat. Synchron mit den anderen Jungs reckt er den Arm hoch, streckt zierlich den Fuß – ein Mensch unter Menschen und nicht ein Feind.

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Der Himmel über Hamburg an einem Sonntag im Oktober… Foto: Gisela Sonnenburg

Romeo ist ja zunächst verliebt in Rosalinde, eine Cousine Julias. Wegen ihr kam er zum Ball. Doch dann – sieht er die etwas hilflose Julia, und er verliebt sich gerade in ihre natürliche Art.

Alexandr Trusch als Romeo ist nun sowieso in meinen Augen unschlagbar in dieser Rolle. Wie er mit (halb) geschlossenen Augen von seiner Liebe träumt, ist so glaubwürdig!

Aber auch Edvin Revazov und Jacopo Bellussi haben sehr viel Anziehendes, wenn sie Romeo tanzen. Edvin ist stark und spielt auch wirklich gern den Beschützer, was gerade zu Neumeiers Version sehr gut passt. Und Jacopo hat dieses unbedarfte Jungsein an sich, das aus Romeo ein Sinnbild der Jugend macht. Ohne Verliebtheit ist echte Jugend aber gar nicht denkbar! So auch hier: Die Bengels umgarnen ihre Julien, heben sie sanft, versetzen sie in höchste Glückszustände – und genießen jede Sekunde mit der Geliebten auf der Bühne.

Man schmilzt nur so dahin!

Sogar wenn, wie hier, die Darsteller, weil es eine Werkstatt ist, ihre Probenkleidung statt Kostümen tragen und wenn statt der pompös-mitreißenden Orchestermusik von Sergej Prokofjew der Klavierauszug, freundlicherweise von Mark Harjes aus dem Orchestergraben heraus live gespielt, die Klänge liefert.

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

Emilie Mazon als Julia mit Badetuch – so zu sehen bei der 215. Ballett-Werkstatt in Hamburg. Foto: Kiran West

Als Emilie Mazon und Jacopo Bellussi dann das erste Pas de deux von Julia und Romeo tanzen, fühlt man sich selbst wieder wie ein Teenie.

Das Mitfühlen mit Protagonisten ist aber auch selbst Thema in Neumeiers „Romeo und Julia“. So hat er in das öffentliche Leben in Verona eine fahrende Schauspielertruppe eingebaut. Mit etwas derben, aber dennoch anmutigen Bewegungen tanzen sie eine Liebesgeschichte, die wie später die von Romeo und Julia gar nicht gut ausgeht…

John Neumeier verrät aber derweil das Geheimnis der großen Liebe zwischen „Romeo und Julia“: „Sie tauschen ihre Qualitäten“, sprich: Sie lernen voneinander, sie nehmen Tugenden voneinander an. „So wird Romeo verletzbar und Julia wird entschiedener.“

Letztlich wird Romeo ein richtig sensibler Junge und bleibt nicht einfach nurmehr ein wilder Bursche; Julia hingegen gewinnt soviel an Stärke, dass sie am Ende sogar als die Stärkere von beiden erscheinen mag.

John Neumeier gibt es jetzt auch als Gemälde - Romeo forever

John Neumeier mit Persephone Samaropoulos in „Romeo und Julia“ – so zu sehen in einem Programmheft der Hamburgischen Staatsoper von 1983 (Foto Engler). Faksimile: Gisela Sonnenburg

Weitere Szenen in verschiedenen Besetzungen belegen dieses und beglücken die Zuschauer.

Aber damit sich nicht am Ende in ihren Köpfen das tragische Sterben eines liebenden Paares mit einem herrlichen Sonntagmittag im Herbst verquickt, gibt es zum Abschluss der 215. Ballett-Werkstatt die berauschende Balkonszene zu sehen, die, wie man seither sicher weiß, auch ohne Balkon funktioniert.

John „Romeo“ Neumeier, wir lieben dich!
Gisela Sonnenburg

Zum Stück gibt es etwas hier:

www.ballett-journal.de/hamburg-ballett-romeo-und-julia/

Termine: siehe „Spielplan“ im November

www.hamburgballett.de

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