Die erzählende Liebe zum Tanz Shakespeare und viel mehr: Kurz nach seiner 225. Ballett-Werkstatt beim Hamburg Ballett stellte John Neumeier den Spielplan der kommenden Saison 2019/20 vor

John Neumeier präsentiert die neue Spielzeit

John Neumeier bei der 225. Ballett-Werkstatt beim Hamburg Ballett: „All Our Yesterdays“ nach einem Motto Shakespeares, das er gerade hier erklärt, bliebt auch 2019/20 im Repertoire. Foto: Kiran West

Die gute Laune ist vorerst gerettet: „Der Sommernachtstraum“ von John Neumeier, das Lieblingsballett von Generationen von Zuschauern, kehrt auf den Spielplan zurück: ab dem 8. September 2019. Diese und weitere gute Nachrichten verkündete Hamburgs Ballettintendant Neumeier in seiner heutigen Pressekonferenz, die er gemeinsam mit Opernintendant Georges Delnon in der Hamburgischen Staatsoper abhielt. „Erzählungen“ lautet das Motto, das sich Neumeier aussuchte, um die rund zwanzig verschiedenen Ballett-Programme (inklusive Nijinsky-Gala, Junge Choreografen und Schulauftritten) sowie die vier Ballett-Werkstätten der kommenden Spielzeit vom Hamburg Ballett zusammenzufassen. Da gibt es Highlights über Highlights! Außer der auf den 1. Dezember 2019 verschobenen Uraufführung von „Die Glasmenagerie“ nach Tennessee Williams durch John Neumeier(zu Musiken von Philip  Glass und Charles Ives) wird das bereits in England und Kanada bewährte Shakespeare-Ballett „The Winter’s Tale“ von Christopher Wheeldon am 14. Juni 2020 in Hamburg premieren. Da auch die „Shakespeare-Sonette“ von Edvin Revazov, Marc Jubete und Aleix Martínez, die am 16. Juni 2019 uraufgeführt werden, im Repertoire bleiben, könnte man nachgerade von einer Shakespearean Season sprechen. Zumal auch die am kommenden Sonntag, dem 17. Februar 2019, wiederkehrenden Gustav-Mahler-Tänze mit „All Our Yesterdays“ einen von Shakespeare inspirierten Titel haben. Und auch die premierenähnliche Wiederaufnahme am 29. März 2020 von Neumeiers „Hamlet“ mit Musik von Michael Tippett1997 in Hamburg entstanden – lehnt sich selbstverständlich an William Shakespeares gleichnamiges Theaterstück an, wiewohl Choreograf Neumeier auch auf die altdänische Überlieferung des Mythos durch Saxo Grammaticus referiert, also auf die Arbeit eines Schriftstellers, der kurz nach 1208 verstarb.

Da trifft es sich gut, dass Neumeier bei seiner letzten Ballett-Werkstatt– die erst am vergangenen Sonntag, dem 10. Februar 2019 stattfand und die zudem seine 225. seit Amtsantritt als Ballettchef in Hamburg 1973 war – feststellte, dass er selbst keine aktuell geschriebenen Berichte oder Kritiken zu kulturellen Ereignissen über Nacht erstellen könnte.

Bescheidenheit ist immer eine Zier, auch und gerade, wenn man als Ingenius des zeitgenössischen Balletts kurz vor dem 80. Geburtstag steht, den John Neumeier am Sonntag, dem 24. Februar 2019, mit der Gala „The World of John Neumeier“ sehr fleißig moderierend in der Hamburgischen Staatsoper zelebrieren wird.

Tatsächlich erfordert es besondere Talente, Kritiker zu sein (das gilt für Kulturkritiker insbesondere), auch wenn sich das nicht jedem, zumal nicht jedem Kritisierten, erschließt.

Was Choreografen und Ballettjournalisten außer der pünktlichen Abgabe ihrer Arbeiten eint, gilt auch für das Motto von Neumeiers kommender Spielzeit: Es ist die erzählende Liebe zum Tanz.

John Neumeier präsentiert die neue Spielzeit

Hélène Bouchet, Ivan Urban und Alexandre Riabko vom Hamburg Ballett tanzten 2011 „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Wer wird es demnächst wohl sein? Foto: Holger Badekow

Bezüglich der kommenden Hamburger Spielzeit weiß man hingegen gar nicht, wo man anfangen soll, um sich darauf zu freuen, denn auch, wenn „Die Kameliendame“, die just vierzig gewordene ballettöse Leibspeise vieler Fans, und „Nijinsky“, das wahrscheinlich beste bisherige Ballett überhaupt, den Spielplan verlassen, so drängen doch neben den namentlich schon genannten Highlights weitere fantastische Abende auf den Programmplan.

John Neumeier präsentiert die neue Spielzeit

Primaballerina Anna Laudere vom Hamburg Ballett in „Brahms/Balanchine“: elegante Doppelbödigkeit, anmutig getanzt. Foto: Kiran West

Wie die schwungvollen Leonard Bernstein gewidmeten „Bernstein Dances“, die noch ganz neue Ballettoper „Orphée et Eurydice“, das existenzielle Schöpfungsballett „Beethoven-Projekt“, das liebevoll-poetische „Lied von der Erde“, die spätromantisch-modernen Tänze von „All Our Yesterdays“, der schlicht und ergreifend immer wieder superköstliche „Nussknacker“, das fröhlich-erhebende „Weihnachtsoratorium I–VI“, die elegische „Matthäus-Passion“, die dramatisch-mitreißenden „Illusionen – wie Schwanensee“, die tief ergreifende „Anna Karenina“ und auch der entzückende George-Balanchine-Abend „Brahms/Balanchine“ mit seinen doppelbödigen Tanzexzessen.

Ja, man hat als Fan vom Hamburg Ballett ein Pensum zu erledigen, das einen ganz schön fordern kann, man hat zugleich aber natürlich auch die Auswahl unter so vielen exzellenten Balletten wie wohl kaum woanders in diesem Universum.

Da gibt es keine Blindgänger, keine oberflächlichen Hampeleien, keine verstaubten Nostalgierepliken und keine Experimente, die im allzu frühen Stadium steckengeblieben sind.

John Neumeier präsentiert die neue Spielzeit

Edvin Revazov als „Hamlet“ in John Neumeiers gleichnamiger Kreation beim Hamburg Ballett. Foto: Holger Badekow

Man lässt sich beim Hamburg Ballett auf eine sehr hohe Qualität ein, die stets mit Herz, Hirn und Seele zu tun hat.

Nach längerem Überlegen komme ich jedoch zu dem Schluss, dass man sich in der Tat vor allem darauf vorbereiten sollte, den „Sommernachtstraum“ wieder herzlich willkommen zu heißen. Er bietet die beste Ausgangsbasis für alle weiteren Neumeier-Ballette.

Neue Besetzungen, eine neue musikalische Leitung, die geniale Choreografie von Neumeier und die erotischen Kostüme von Jürgen Rose werden Jung und Alt erneut zusammenrücken lassen, um von der Liebe und ihren Verwirrungen zu träumen. Und dabei ordentlich zu lachen!

John Neumeier präsentiert die neue Spielzeit

Eine weltberühmte Pose, hier von Hélène Bouchet als Titania und Ivan Urban als Oberon getanzt: zu sehen in „Ein Sommernachtstraum“ von John Neumeier. Foto von 2011: Holger Badekow

Es ist ein Meisterwerk, an dem sich alle modernen Handlungsballette messen können, aber keines wird Neumeiers „Sommernachtstraum“ wirklich überflügeln. Seine Wirkung war denn auch schon bei der Uraufführung 1977 durchschlagend: Menschen aus völlig verschiedenen Erfahrungskreisen finden sich hierin auch heute wieder, Kinder, Teenager, Eltern, Singles, Paare, Senioren – und sie alle haben sich nach dem „Sommernachtstraum“ mehr zu sagen als vorher.

In den letzten Jahren war er beim Bayerischen Staatsballett in München zu sehen, jetzt also gibt es ihn wieder am angestammten Platz in Hamburg: auf in den Kampf um die Tickets!

Der Kartenverkauf für die kommende Saison beginnt für Abonnenten am Donnerstag, 16. Mai 2019, für alle anderen am Montag, den 20. Mai 2019. 

John Neumeier erläutert den Oberbegriff „Erzählungen“ für seine 47. Spielzeit des Hamburg Ballett übrigens wie folgt:

„Als Choreograf wurde ich schon früh in meiner künstlerischen Entwicklung von meinem Mentor Father John Walsh S. J. geprägt, der mir nahebrachte, den Tanz als eine Form von Theater zu verstehen. Seitdem habe ich in meinen zahlreichen Kreationen damit experimentiert, neue Formen des Handlungsballetts zu entwickeln. Die kommende Saison des Hamburg Ballett zeigt unter dem Motto ‚Erzählungen‘ die Bandbreite der Antworten, die ich über die Jahre gefunden habe.“

Eine spannende Ansage!
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

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