Shakespeare vor! John Neumeier ändert den Spielplan vom Hamburg Ballett: seine „Glasmenagerie“ kommt erst im Dezember 2019, im Sommer zuvor premieren Shakespeares Sonette als Ballett, aus der Sicht von Marc Jubete, Aleix Martínez und Edvin Revazov

John Neumeier lässt Shakespeare vor

Shakespeare vor! Der Shakespeare des Balletts, John Neumeier, lässt den Nachwuchs-Choreografen Marc Jubete, Aleix Martínez und Edvin Revazov den Vortritt. Auf zu den Sonetten! Foto: Gisela Sonnenburg

Mit William Shakespeare liegt man theatermäßig immer im spannenden Bereich, oder? Das finden auch drei schon seit einigen Jahren choreografierende Tänzer vom Hamburg Ballett. Sie freuen sich auf die Aufgabe, bis zum 16. Juni 2019 – der avisierten Sommerpremiere und Uraufführung in der Hamburgischen Staatsoper – einen Ballettabend zum Thema der Sonette von Shakespeare zu erstellen. Marc Jubete, Aleix Martínez und Edvin Revazov sind die Helden, denen Hamburgs Ballettchef John Neumeier – auch bekannt als Shakespeare des Balletts – die Sache anvertraut. Neumeiers eigene avisierte Neukreation „Die Glasmenagerie“ – nach dem Drama von Tennessee Williams – kommt dafür erst im Dezember 2019 heraus. Die sonst stets im Frühjahr in Hamburg stattfindenden „Jungen Choreografen“ müssen im kommenden Jahr aus (Zeit-)Raum-Mangel entfallen; was zugleich der Grund für die Premierenänderungen ist.

Ganze 154 bezaubernde Gedichte – im vierzehnzeiligen Sonett-Format – verfasste William Shakespeare und ließ sie 1609 erstmals gesammelt als Buch veröffentlichen.

Einige der kleinen Werke waren aber schon vorher bekannt – und dass Shakespeare bei der Buchausgabe „Shake-speare“ geschrieben wurde, lässt vermuten, dass man seiner Lyrik mehr Leichtigkeit zusprach als seinen dramatischen Werken. Lautmalerisch klang sein Nachname nämlich durch die Trennung wie ein verkürztes, zusammengezogenes „shake-the-beer“, also „Schüttel-das-Bier“.

Gasthof-Poeme sind es dennoch nicht, im Gegenteil: Sie frönen so hochnobel der Vers- und Reimkunst, wie man es von William, dem Großen, gewöhnt ist.

Zumeist besingen sie die Liebe, erzählen und beteuern, schwärmen und romantisieren.

Aber sie haben Hintersinn, kennen die Tiefen und Abgründe der erotischen Gefühle.

Bleibt abzuwarten, welche tänzerischen Interpretationen die drei Hamburger Nachwuchs-Choreografen anbieten werden.

Alle drei besuchten übrigens die Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier, bevor sie in die Company übernommen wurden. Und alle drei erhielten dort den Förderpreis für Hamburger Balletttänzer, den Dr.-Wilhelm-Oberdörffer-Preis.

Aleix Martínez hat sich als Ballerino gerade voll entfaltet, da kommt auch schon die Chance, sich als Choreograf des neuen Shakespeare-Abends im großen Haus der Hamburgischen Staatsoper zu beweisen. Top! Foto: Kiran West

Aleix Martínez ist der jüngste von ihnen, gerade mal 26 Jahre jung ist er. Seit 2011 choreografiert er, seit 2010 tanzt er im Hamburg Ballett. Seit 2014 übrigens als Solist, so in der Hauptpartie von Neumeiers jüngster Uraufführung, dem „Beethoven-Projekt“ – und seine Beförderung zum Ersten Solisten ist ein Herzenswunsch von mir. Denn nur wenige Ballerinos entwickeln sich so rasch und doch kontinuierlich, zeigen neben exquisiter Technik auch so viel Intelligenz bei der Darstellung und mimischen Interpretation.

Marc Jubete erhielt bereits 2016 einen international begehrten Preis für eine seiner Choreografien – er wird dem Shakespeare-Abend im kommenden Sommer beim Hamburg Ballett entsprechende Würze verleihen. Ole! Foto: Kiran West

Wie Martínez ist Marc Jubete gebürtiger Spanier. Der heute 28-Jährige gewann bereits 2016 den kanadischen Erik-Bruhn-Preis für die die beste zeitgenössische Choreografie! Dabei choreografiert er erst seit 2013. Ebenfalls seit 2016 rangiert er beim Hamburg Ballett als Solist. Furore machte er als Tanzkünstler vor allem als Jesus in der „Matthäus-Passion“ von John Neumeier.

Edvin Revazov choreografiert seit 2011 – und machte zunehmend damit auf sich aufmerksam. Als Tänzer hat er bereits Weltruf, jetzt folgt die erste große Arbeit als Choreograf mit den Shakespeare-Sonetten. Bravo! Foto: Kiran West

Ein international bekannter Star ist Edvin Revazov, der fast so alt ist, wie ich Abitur habe. Also 34 Jahre. Seit sieben Jahren choreografiert er, zunehmend erfolgreich – und bereits seit acht Jahren ist der Ukrainer Erster Solist beim Hamburg Ballett, wo er zahlreiche Rollen tanzt und auch kreiert hat. Unvergessen: sein Abstecher als Armand in der „Kameliendame“ ans Bolschoi-Theater, wo Svetlana Zakharova seine Partnerin war.

Während Revazov zumeist zart und empathisch choreografiert, ist Martínez für nahezu provozierende Avantgarde bekannt, Jubete hingegen erreicht eine besonders hohe Intensität bei Kreationen.

Diese drei so verschiedenen Temperamente versprechen einen abwechslungsreichen Facettenreichtum!

Wetten darüber, wer sich das – zweifelsohne besonders berührend-witzige und auch besonders berühmte – Sonett Nr. 116 von Shakespeare vornimmt, werden bis auf weiteres noch angenommen.

„Let me not to the marriage of true minds / Admit impediments. Love is not love / Which alters when it alteration finds / Or bends with the remover to remove. / O no! It is an ever-fixed mark / That looks on tempests and is never shaken…“

Das sind die ersten Zeilen dessen, eine wirklich gute Übersetzung ins Deutsche ist mir allerdings nicht bekannt. Es geht um die Liebe, der man keine Hindernisse in den Weg legen sollte – und die im Gegenzug nicht einknicken oder verblassen darf, sollte das Schicksal es mal darauf anlegen wollen. Liebe als ein für immer fest stehendes Ziel, das im Wortsinn ungerührt auf die Stürme des Lebens herabsieht…

Der Schluss verknüpft dann Weisheit mit der Befähigung zu dichten – und sogar mit der Fähigkeit, überhaupt zu lieben: „If this be error and upon me prov’d, / I never writ, nor no man ever lov’d.“

Ich muss gestehen, dass ich viele zärtliche Erinnerungen an dieses Sonett knüpfe – und mich darum ganz besonders auf den Sonett-Abend mit dem Hamburg Ballett freue.
Gisela Sonnenburg

www.hamburgballett.de

Für freiberufliche journalistische Projekte wie das Ballett-Journal, das Sie gerade lesen, gibt es keinerlei staatliche Förderung in Deutschland – und dennoch habe ich hier sehr viel Arbeit. Wenn Sie das Ballett-Journal gut finden, bitte ich Sie hiermit um einen freiwilligen Bonus. Damit es weiter gehen kann! Im Impressum erfahren Sie mehr über dieses transparente Projekt, das über 500 Beiträge für Sie bereit hält. Danke.

 

ballett journal