Auf sehr gutem Weg Kunst kommt von Können: Das Fernsehen vom ndr bringt einen hübschen Beitrag über zwei Jungs von der Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier

Der Kunst nachspüren: so zu sehen in „DAS!“ beim ndr vom 29.02.2020, gedreht im Ballettzentrum Hamburg – John Neumeier. Videostill vom ndr: Gisela Sonnenburg

Woanders steht die Welt der professionellen Ballettausbildung gerade in Flammen, so in Wien und Berlin– aber in Hamburg kann der ndr fernsehtechnisch mit einem hübsch gemachten Beitrag über das ungetrübte Tanzglück zweier Jungs beglücken. Das Hamburger Modell, das den Kindern täglichen Profi-Unterricht trotz normalem Schulbesuch erlaubt, scheint mal wieder zu fruchten. Jedenfalls überzeugt der Einblick in den Alltag der fleißigen Schüler – und macht ganz nebenbei Lust auf die kommenden Vorstellungen vom Hamburg Ballett.Auf so gutem Wege sind sie! Der leider ohne Autorenname gebrachte TV-Beitrag, der für die Sendung DAS! produziert wurde, lief erstmals am frühen Samstagabend. Er steht derzeit aber noch online und ist zudem am Sonntag in aller Früh bei der Wiederholung der beliebten Sendung – die in mit Bettina Tietjen und der vegetarisch lebenden, vom Ballett kommenden Schauspielerin Mina Tander auch sonst empfehlenswert ist – ab 5.15 Uhr noch einmal live im TV zu sehen. Zum Inhalt des für uns wichtigen Ballettbeitrags: Die beiden begabten und liebenswerten Tanzjungs Caspar Sasse und Gabriel Alain – vielen Fans vom Hamburg Ballett sind sie von Auftritten her bereits ein Begriff – zeigen darin, wie ihr Leben vom Tanzen bestimmt wird.

Sie zeigen weiter, wie sie damit umgehen, wenn sie wegen ihres ungewöhnlichen Berufswunsches von Außenstehenden angepflaumt werden; sie erklären uns, wie es ist, als Pennäler sechs Mal pro Woche neben der Allgemeinschule für zwei bis drei Stunden im Ballettzentrum zu trainieren; sie zeigen, wie schön sie springen und wie edel sie ihre Arme halten – und auch, wie sie sich an zeitgenössischen wie historischen Aufnahmen von meisterhaften Balletttänzern auf dem Tablet orientieren.

Ein Studium, das man nicht unterschätzten sollte!

Sie wollen am Bolschoi-Theater in Moskau, in London beim Royal Ballet oder natürlich für John Neumeier in Hamburg tanzen – und bewundern richtigerweise Rudolf Nurejev. So zu sehen in „DAS!“ vom 29.02.2020 beim ndr. Videostill: Gisela Sonnenburg

Größtes Vorbild dabei, überraschenderweise oder auch einfach nur richtigerweise:

Die Ballettlegende Rudolf Nurejev ist das absolute Idol. Er musste indes für seine sauberen Sprünge hart mit sich kämpfen und ebenso heftig trainieren. Dennoch fand er Zeit für viele Museumsbesuche und Kontakte zu Intellektuellen, was er alles auf eigene Faust organisierte.

Heute würden viele Profi-Schulen „Rudi“ vermutlich aussortieren und nicht mal bis zum Examen kommen lassen. Denn er war nicht nur ziemlich eigenwillig vom Charakter her, sondern auch deutlich kleiner als der Durchschnitt an Tanzschülern seiner Generation.

Und er war längst nicht so auswärts und biegsam, wie es heutige Choreografen und Ballettmeister oftmals wünschen.

Rudi stammt noch einer Ära, in der das Ziel der Profis war, ausdrucksstark Ballett zu tanzen – und nicht als übergelenkiger Schlangenmensch mit kraftsportgestähltem Körper zum Turnen nach Musik auf die Bühne zu kommen.

Es ist fantastisch und es macht Hoffnung für die Zukunft, dass hier zwei Hamburger Boys den Unterschied zwischen Kunst und Zirkus so klar erkannt haben!

Caspar Sasse (vorn) ist bereits vielen Zuschauern vom Hamburg Ballett bekannt, etwa aus Produktionen wie „Anna Karenina“ von John Neumeier. Hier zeigt der aufstrebende Tanzstsudent in „DAS!“, wie trainiert wird. Videostill vom ndr: Gisela Sonnenburg

Wir drücken den beiden sympathischen Youngstern darum alle vorhandenen Daumen für ihren Werdegang. Und weisen ganz dezent darauf hin, dass auch die selbständige Beschäftigung mit Kunst und Literatur, mit Musikgeschichte und Stilkunde, mit Politik und Wissenschaften und auch mit Gesellschaftskritik in diesem Alter nicht umsonst ist.

Es geht dabei nicht um das Einbimsen von Lehrstoff, sondern um die Entwicklung der Fähigkeit, Inspiration auf hohem Niveau zu finden.

Denn nicht nur Tänzer, sondern auch Choreografen bilden die Voraussetzungen in der Pubertät aus, und was in diesen Jahren versäumt wird, ist nicht mehr nachzuholen.

Das heißt nicht, dass der Nachwuchs schon als Teenager abendfüllende Werke schaffen sollte. Das heißt vielmehr, dass die Vorstellungskraft eines jungen Kreativen, Themen in Ballett und Dramaturgie zu denken, rechtzeitig geschult werden muss.

Dazu brauchen die Jugendlichen die Zeit, den Freiraum und die Inspiration, sich zu bilden. Statt von morgens bis abends immer nur zu tanzen.

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John Neumeier selbst und auch Choreografen wie John Cranko, Glen Tetley, Kenneth MacMillan und Pina Bausch könnten das ohne weiteres bestätigen.

Ballett als auch geistige und intellektuelle Kunst wird immer eine Chance haben, in der Tradition von Marius Petipa bis zu John Neumeier– und darüber hinaus.

Da können die woanders noch so viel Gelder für plumpes Contemporary-Gehopse abzocken.

Bleibt auf eurem guten Weg, liebe Nachwuchskünstler!
Gisela Sonnenburg

www.ndr.de

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