Der Liebe höchste Weihen Umjubelte Uraufführung: John Neumeier und das Hamburg Ballett eröffnen ihre Saison neu mit dem „Beethoven-Projekt II“

Das Hamburg Ballett ist wieder da - mit dem Beethoven-Projekt II

Das „Beethoven-Projekt II“, das jüngste Ballett von John Neumeier, wird hier getanzt von der faszinierenden Anna Laudere und ihrem Partner Edvin Revazov. Foto: Kiran West

Zart und doch intensiv, bravourös und doch schlicht, fein und doch unübersehbar: Das neueste Werk von Hamburgs Ballettchef John Neumeier, vor wenigen Stunden uraufgeführt, trägt alle Merkmale seiner Kunst und ist doch ein subtil schillerndes Juwel mit einer ganz eigenen Qualität. Das „Beethoven-Projekt II“ wurde in der Hamburgischen Staatsoper vom kulturhungrigen Publikum frenetisch gefeiert. Damit beendete das Hamburg Ballett seine von der Corona-Krise erzwungene Bühnenabstinenz und freut sich, zusammen mit dem Publikum, sogar auf eine Extra-Ausgabe der Hamburger Balletttage im Juni. Zunächst aber zum heutigen Abend, zur heutigen Aufführung: John Neumeier hielt vorab eine Ansprache, und er war wohl stärker bewegt, als man es je öffentlich gesehen hat. Den Tränen nah waren auch manche Ballettliebhaber:innen im Publikum – die Dankbarkeit, die aus dem Zuschauersaal in Richtung Bühne floatete, verlieh dem Abend seine besondere Stimmung. Die Tänzer:innen, an denen im Grunde alles hing, waren bei dem hohen Erwartungsdruck vielleicht nicht nur zu beneiden, wiewohl die Vorfreude bekanntermaßen immens war – und die exzellente Probenarbeit der Solisten und des Ensembles ermöglichte einen Genuss der höchsten Güteklasse.

Der über zweistündige Abend nach Musiken von Ludwig van Beethoven referiert auf das Leben und auf das Lieben des zunehmend taub werdenden Komponisten, der in seiner inneren Erlebenswelt von den von ihm geliebten Frauen bestimmt worden war.

Seine rätselhafte „unsterbliche Geliebte“, mit der sich eine umfangreiche Korrespondenz ergab, leuchtet hier als Liebesquell immer mal wieder auf – man muss das aber sehen wollen, Neumeier zwingt einem diese Bilder nicht auf.

Das Hamburg Ballett ist wieder da - mit dem Beethoven-Projekt II

Wild und schön, wie die Liebe so ist: im „Beethoven-Projekt II“ tanzen Ida-Sofia Stempelmann und Atte Kilpinen vom Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Der Abend gliedert sich in zwei Teile: Intim und von Ruhe trotz aller Bewegung durchdrungen, begegnen sich im ersten Teil Menschen und lieben sich, trennen sich, finden sich, bleiben allein.

„Christus am Ölberge“ von Beethoven bildet das Übergangsglied – und die Stimme von Klaus Florian Vogt ergänzt hier aufs Schönste die Musiker, die von Kent Nagano sanft, aber sicher durch die Wogen und Wellen der klassischen Klänge geleitet werden.

Das Finale baut sich – typisch für große Neumeier-Werke – Stück für Stück auf, sich stetig in der Spannung steigernd, und mit dieser von Neumeier „Tanz!“ betitelten 7. Sinfonie von Beethoven in A-Dur wird deutlich, welches Credo zu beschwören der Ballettschöpfer John Neumeier nicht müde wird: Nicht nur die Liebe zu Menschen und nicht nur die Liebe zu Gott prägen ihn, sondern vor allem die Liebe zum Tanz. Das sind der Liebe höchste Weihen, wie John Neumeier sie versteht, und das sind sie, wie nur er sie auszudrücken vermag.

Das Hamburg Ballett ist wieder da - mit dem Beethoven-Projekt II

Gewohnte hohe Qualität und neue ergreifende Ballettszenen: Das „Beethoven-Projekt II“ von John Neumeier ist somit uraufgeführt!  Auf dem Foto von Kiran West sind hier die expressive Yaiza Coll und der virtuose Aleix Martínez in Aktion am Piano zu sehen.

Seine Tänzer:innen machen daraus ein Fest: allen voran Anna Laudere und Edvin Revazov, aber auch Madoka Sugai und Alexandr Trusch, Atte Kilpinen und Ida-Sofia Stempelmann, Ana Torrequebrada, Yaiza Coll und Marcelino Libao sowie Hélène Bouchet, Aleix Martínez (wie schon im „Beethoven-Projekt“, das man vielleicht rückwirkend mit I beziffern darf, schlicht und ergreifend und unwahrscheinlich toll) und der überaus strahlende, akkurate, liebenswerte und tollkühne Jacopo Bellussi sowie das ganze Ensemble, insoweit es die Pandemie und der Choreograf jetzt auf die Bühne treten lassen.

Bravo! Und: Endlich! Bravissimo!
Adam B. Müller / Gisela Sonnenburg

 Eine ausführliche Rezension wird folgen.

www.hamburgballett.de

 

 

 

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