Neujahrsglanz mit Neumeiers Nussknacker „Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Emilie Mazon (Marie) thront hier (ganz links) auf den Schultern von Alexandre Riabko als Drosselmeier – und Kiran West fertigte dieses superbe Foto vom Hamburg Ballett mit dem „Nussknacker“ von John Neumeier an.

Das große Fest beginnt mit einem wunderbaren Ohrwurm: Vierundsechzig Takte Musik voll einprägsamer Erwartungsfreude hatte sich Marius Petipa vom Komponisten Peter I. Tschaikowsky für den Anfang von „Der Nussknacker“ gewünscht – und bekommen. So entstand das berühmteste Weihnachts- und Neujahrsballett aller Zeiten, 1892 in Sankt Petersburg uraufgeführt. John Neumeier machte indes 1971 in Frankfurt / Main und 1974 beim Hamburg Ballett seine ganz eigene Geschichte aus dieser Vorlage, die Petipa seinerzeit – da er hier auch als Librettist tätig war – ebenfalls nach einer Vorlage, nämlich nach der Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig“ von E.T.A. Hoffmann, geschmiedet hatte. Die unverwechselbar lieblich-dramatische Musik von Tschaikowsky überlebt derweil alle Variationen und Neuinszenierungen des Stücks! Aber in Einem sind sich die Fans einig: Die Version von John Neumeier, welche in der Haupthandlung die Traumwelt eines jungen Mädchens vom Weihnachtsabend auf einen Geburtstag verlegt, und die statt eines Zinnsoldaten-gegen-Mäuse-Kriegs eine poetische Wanderung durch die Ballettwelt zeigt, hat besonders viel Flair. Das Hamburg Ballett beging soeben Neujahr mit einer glamourösen Aufführung dessen, der noch weitere bis zum 12. Januar 2020 folgen werden, während das Bayerische Staatsballett heute abend zum vorerst letzten Mal mit JohnNeumeiers „Nussknacker“ reüssieren wird.

In kleinen Details auch in der Ausstattung – die in beiden Fällen von Jürgen Rose stammt – unterscheiden sich die Hamburger und die Münchner Fassung.

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Auch Maria Baranova – einst Ballerina bei John Neumeier in Hamburg – tanzte beim Bayerischen Staatsballett schon die Partie der Marie. Das schöne Foto stammt von S. Gherciu.

Aber in beiden Städten gibt dieser „Nussknacker“ den Tänzerinnen und Tänzern wunderschöne Gelegenheiten, ihr Können wie auch ihre Lust am Tanzen und Spielen zu zeigen, während das Orchester ebenfalls voll aufdreht!

Fünf Jahre ist es her, dass Emilie Mazon erstmals die kindliche und dennoch vielseitige Partie der Marie tanzte, die (statt des Mädchens Klara im historischen „Nussknacker“) bei John Neumeier im Mittelpunkt steht.

Schon damals bezauberten ihr Charme und ihre Mädchenhaftigkeit, auch ihre uneitle Freude an der Darstellung. Diese Marie ist nicht vornehmtuerisch oder gehemmt – es ist ein Mädel voll Lebenswonne, Sinnlichkeit und Tatendrang.

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Emilie Mazon und Alexandre Riabko: Marie und Ballettmeister Drosselmeier in „Der Nussknacker“ von John Neumeier. Das niedliche Foto (Ausschnitt): Kiran West

Mit einer Ausbildung bei ihrer Mutter Gigi Hyatt, die heute die Ballettschule vom Hamburg Ballett – John Neumeier leitet, wuchs Emilie von ihren ersten Ballettschritten an in den exquisiten Stil Neumeiers hinein. Wenn es eine geborene Neumeier-Ballerina gibt, dann sie – zumal sie über das verfügt, was in Zeiten eines eher langweiligen Mainstream-Schönheitsideals selten ist: starke Individualität.

Und so ist sie von Beginn an eine äußerst glaubhafte, dabei unübertrefflich unterhaltsame Marie, die sich auf ihren 12. Geburtstag freut wie ein Ballettfan auf die nächste Aufführung.

Priscilla Tselikova und Florian Pohl brillieren als antik-ägyptisches Pärchen im "Nussknacker" von John Neumeier. Ah, eine Erbauung! Foto: Kiran West

Auch Giorgia Giani tanzt im Januar 2020 die Marie, hier mit Christopher Evans: Beim ihrem Pas de deux des Erwachsenwerdens im „Nussknacker“ von John Neumeier. Süß! Foto: Kiran West

Versonnen spielt sie mit der Porzellanballerina, die sie sich vom Regal angelt, und im Kostüm mit ausgestelltem Rock eines Mädchens aus der Zeit der Uraufführung des historischen „Nussknackers“ wirkt sie so unternehmungslustig, als wolle sie gleich loslaufen und die Schiffe auf der Elbe zählen.

Ihr Bruder Fritz, von „Beethoven“-Protagonist Aleix Martínez absolut hochkarätig und vergesslich stürmisch getanzt, schenkt ihr unter allerlei Schabernack frische Blumen. Ihre Schwester Louise, die Ballerina ist und von Anna Laudere als Sinnbild der Schönheit und Lebendigkeit getanzt wird, hat hingegen mit ihrem Verehrer Günther – von Christopher Evans edel und doch schelmisch getanzt (er gibt ein ganz vorzügliches Paar mit Laudere ab) – eine besondere Attraktion zu bieten.

Natürlich schwärmt Marie für diesen schönen Mann, und es mag kein Zufall sein, dass er als Anführer der Kadetten, also der Offiziersanwärter, die gleiche Uniform trägt wie der Nussknacker, den Marie auch zum Geburtstag geschenkt bekommt.

"Der Nussknacker" von John Neumeier begeistert

Der Nussknacker aus dem gleichnamigen Ballett von John Neumeier in der Nahansicht: Er trägt die gleiche Uniform wie Günther, für den Marie schwärmt. Foto (Ausschnitt): Kiran West

Das Stück heißt im übrigen nach der Holzfigur, die Marie fortan im Arm trägt wie eine Puppe, aus zwei Gründen. Zum Einen, weil in der Urfassung im Traum aus dem Holzmann einer aus Fleisch und Blut wird. Zum Anderen – und das ist entscheidend – weil ein Nussknacker ein Problemlöser ist. Hier wird die Nuss geknackt, indem ein Mädchen erstmals eine starke Ahnung von der Liebe erhält.

Weder E.T.A. Hoffmann noch Marius Petipa noch John Neumeier könnten sich wohl ein anderes Sinnbild (etwa einen Comichelden) hierfür vorstellen.

Auch wenn der Nussknacker bei Neumeier nicht direkt verlebendigt wird, sondern als Co-Zuschauer von Marie an die Rampe gestellt wird: Er ist der phallische Fetisch, der hier die erotische Liebe im jungen Mädel weckt.

Das erste Bild vom ersten Teil des Balletts steckt denn auch voller spannungsreicher  Handlungen und Interaktionen, wir erleben die ganze Familie von Marie, inklusive Eltern, Großvater und seltsamer Tanten. Das Familienpanorama geht dem Liebeserlebnis voran.

Und natürlich kommen die Freundinnen des Geburtstagskindes mit Geschenken, es gibt eine Torte mit Kerzen, einen Fotografen für das Erinnerungsbild – und mit dem Ballettmeister Drosselmeier gibt sich ein wirklich sehr spezieller Gast die Ehre.

"Der Nussknacker" von John Neumeier: unerschöpflich gut

Marc Jubete (mittig) und Emilie Mazon und das hervorragende Ensemble vom Hamburg Ballett feiern im „Nussknacker“ von John Neumeier den 12. Geburtstag von Marie: Sie entwickelt sich im Laufe des Stücks zu einer Persönlichkeit. Foto: Kiran West

Marc Jubete tanzt diese überragende Ballettfigur, die zugleich ernstzunehmend und doch eine wandelnde Karikatur ist, mit Verve und allem nötigen Schwung. Und so belehrt er, aber er wird von den Jungens auch veräppelt, dann ist er gekränkt und doch wieder der Gebieter und Herr der Lage. Schließlich wollen ja alle bei ihm das Tanzen lernen, und als Chef vom Hofballett, in dem auch Louise brilliert, hat er allerhand zu erzählen.

Als etwas spinnerte Künstlerpersönlichkeit, die zwischen zahlreichen komplizierten Sprüngen auf dem Platz viel Gestik und Pantomime einzubringen weiß, ist dieser Drosselmeier hier zugleich eine Satire auf Marius Petipa selbst, der Schöpfer nicht nur vom „Nussknacker“-Ballett war. Auch wenn Petipas Assistent Lew Iwanow die Choreografie für den damals erkrankten Ballettdoyen nach dessen Plänen durchführte – als Ikone des klassischen Tanzes ist Petipa unsterblich.

John Neumeier weiß das, und wenn man will, kann man seinen „Nussknacker“ trotz aller Modernisierungen als Hommage an das klassische Ballett überhaupt sehen.

Die Figurenführung reicht denn auch bis ins kleinste Detail. Und das erste Bild endet mit dem Erlöschen des Kronleuchters, begleitet durch einen alten Diener, der von einem jungen Ballerino unter einfühlsamer Aufbietung aller Kräfte dargestellt wird (in Hamburg ist es Leeory Boone).

Unwiderstehlich: "Der Nussknacker" von John Neumeier

Auch in München gibt es die kunterbunte Geburtstagsfeier im Interieur der Belle Époque… so zu sehen beim Bayerischen Staatsballett in „Der Nussknacker“ von John Neumeier mit der Ausstattung von Jürgen Rose. Foto: Wilfried Hösl

Die Soli und Gruppentänze zuvor sind delikat und typgerecht; die schneidigen Sprünge und Pirouetten gerade der Militärjungen ergänzen die graziösen Walzertiraden der jungen und auch älteren Damen. Alle Generationen zelebrieren das Beisammensein, und während Priscilla Tselikova als Maries Mutter mit ihrem Gatten, dem bücherbeflissenen Konsul Stahlbaum alias Florian Pohl, eine offenkundig harmonische, dennoch ziemlich emanzipierte Ehe führt, begegnen wir den beiden später in ganz anderen Kostümen und in ekstatisch gesteigerter Harmonie wieder: als ägyptisches Tanzpaar wie aus einer Fantasie auf Petipas „La Fille du Pharaon“, mit akrobatisch-eleganten Posen und Hebungen und einem flatternden Seidentuch, das in Hamburg blau ist und von daher den lebensspendenden Nil symbolisiert, in München aber goldgelbfarben ist und somit für die Schönheit des Sonnenaufgangs oder auch für die Ewigkeit der Wüste steht.

Denn der zweite Teil steht für das Schauen hinter die Kulissen der Bretter, die die Welt bedeuten.

Er beginnt mit dem Traum der am Geburtstagsabend eingeschlafenen Marie.

Drosselmeier hat ihr nämlich ein Paar Spitzenschuhe geschenkt, auf denen Marie zunächst unbeholfen und hilflos herumstakste.

Erst im Traum gelingt es ihr, geschmeidig und sicher damit zu tanzen…

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Das Ensemble ist unverzichtbar: Hier tanzt das Bayerische Staatsballett die Theaterprobe im „Nussknacker“ von John Neumeier. Das wunderbare Foto stammt von Wilfried Hösl.

Und dann trifft sie nicht nur auf Drosselmeier, der sie zu einer Theaterprobe im Stil der „Études“ von Harald Landers entführt, sondern sie sieht auch Louise beim klassischen Ballett-Training… und schließlich stößt sie Rücken an Rücken mit Günther zusammen, der sofort die Rolle des perfekten Ballerino einnimmt und mit ihr einen wundervoll gelingenden Pas de deux des Erwachsenwerdens tanzt.

Christopher Evans hebt sie so sanft und beinahe schwerelos, sodass Emilie Mazon als Marie gar nicht anders kann, als sich prinzessinnenhaft zu benehmen.

Was für ein Tanz der Sehnsucht nach dem großen Glück der Liebe!

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Tomoko Kawazoe als Marie in einer Arabeske: So zu sehen beim Bayerischen Staatsballett in „Der Nussknacker“ von John Neumeier. Foto: M. L. Briane

In München beim Bayerischen Staatsballett werden heute abend Tomoka Kawazoe und Yonah Acosta darin brillieren, flankiert von Denis Vieira als Drosselmeier.

Die zierliche Tomoka ist Japanerin und wurde in Tokio, aber auch an der WaganowaAkademie in Sankt Petersburg ausgebildet. Sie tanzte zunächst in Oklahoma in den USA und seit September 2019 unter Igor Zelensky in München. Sie hat ein pfiffiges, keckes Naturell, das sie für die Rolle der Marie prädestiniert.

Yonah Acosta wiederum ist Kubaner, ein lyrisch-sportiver Danseur noble und wurde dafür in Havanna ausgebildet, wo er auch seine Laufbahn begann. Igor Zelensky holte ihn nach München, wo er – oftmals, wie heute abend auch, an der Seite seiner Gattin Laurretta Summerscales – mit sehr guter Technik und stürmischem Ausdruck brilliert.

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Mit Denis Vieira haben Tomoka und Yonah einen flexiblen, ebenfalls sehr spielfreudigen Tanzpartner als Drosselmeier.

Der gebürtige Brasilianer, an der brasilianischen Dependance der Bolschoi-Schule ausgebildet, tanzte zuerst in Rio de Janeiro, kam dann zu Christian Spuck nach Zürich, wechselte zu Nacho Duato nach Berlin und ging dann, sozusagen im Austausch mit Alejandro Virelles, zum Bayerischen Staatsballett. Sein Stil ist elegant-sprungstark, vor allem aber hat er auch im Ausdruck eine breite Palette. Das Komische liegt Denis ebenso wie das Erhabene, und damit ist er bei John Neumeier und dessen „Nussknacker“ genau richtig.

Als Louise steht ihm die schöne Münchner Allroundballerina Laurretta Summerscales zur Seite. Eine Rolle, die sie nicht bewältigt, muss wohl erst noch erfunden werden! Laurretta hat die Poesie der lyrischen Klassik und die granatenhafte Kraft der Moderne. Kein Wunder, dass sie in München bereits als unverzichtbar gilt.

"Der Nussknacker" zu Neujahr in Hamburg und München

Eine Extravaganz der Klassik: Mit dem „Fisch“, in München freihändig ausgeführt, endet der Grand Pas de deux in „Der Nussknacker“ von John Neumeier, hier getanzt von Laurretta Summerscales und Yonah Acosta. Das schöne Foto kommt von M. L. Briane.

Aber so Vieles liegt auch am Corps de ballet!

Ein tolles Corps de ballet ist ebenso unverzichtbar, und in diesem Punkt wird das Hamburger Publikum vor allen anderen in der Welt bevorzugt, gerade auch im „Nussknacker“ in dieser Neujahrsbesetzung. Denn:

Supraballerinen wie Madoka Sugai und Xue Lin tanzen hier im Corps, bilden mit ihren bildschönen Körpern sowie ihren exzellenten Gentlemen Jacopo Bellussi und Alessandro Frola die Vorhut des Divertissement namens „Lebender Garten“.

Diese beiden Paare allein schon wären die Vorstellung wert!

Das ist aber nun nicht zu verwechseln mit der Choreografie aus „Le Corsaire“, die Petipa mit gleichem Etikett schuf, und in welcher Blumenbögen und rosafarbene Tellertutus die Hauptausdrucksmittel sind.

Der Nussknacker erzählt bei John Neumeier vom Erwachsenwerden

Eine prachtvolle Kulisse erwartet die Träumerin Marie auf der Bühne zur Vorstellung. Und sie darf sogar mittanzen! Hier sind Alexandre Riabko als Drosselmeier, Florencia Chinellato als Marie, Alexandr Trusch als Günther und Carolina Agüero als Louise mit dem Ensemble vom Hamburg Ballett in John Neumeiers „Der Nussknacker“ zu sehen. Auch diese Besetzung begeisterte ihrerzeit! Das feine Foto: Holger Badekow

Vielmehr ist der „Lebende Garten“ hier der verwandelte, bekannte „Blumenwalzer“ aus dem „Nussknacker“.

Außer dem fabelhaften, akkurat aufgestellten und filigran auftanzenden Damen-Corps (bestehend aus Olivia Betteridge, Giorgia Giani, Francesca Harvey, Georgina Hills, Charlotte Larzelere, Alice Mazzasette, Frederike Midderhoff, Hayley Page, Kristina Paulin, Chiara Ruaro, Lea Sjövall und Ana Torrequebrada) bilden die Paare Sugai – Bellussi, Lin – Frola sowie Yaiza Coll mit Lizhong Wang und Greta Jörgens mit Matias Oberlin einen Augenschmaus per se.

Wenn man das poetische Fluidum des Balletts in wenigen Paarkombinationen auf den Punkt gebracht sehen will, dann bitte hier!

Zudem ist diese Szene der Auftakt zum gesamten zweiten Teil des Neumeier’schen „Nussknackers“ und von daher in seiner dramaturgischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Denn im Kontext der Rahmenhandlung werden hiermit von Marie geträumte Ausschnitte aus Balletten von Drosselmeier gezeigt – ein fiktiver Künstler gibt sich als Schöpfer somit die Ehre.

Und er darf selbst auch mal mittanzen, und nicht nur er.

Florian Pohl,

Priscilla Tselikova und Florian Pohl brillieren als ägyptisches Pärchen im „Nussknacker“ von John Neumeier. Ah, eine Erbauung! Foto: Kiran West

Auch Marie, die ja nun bereits auftanzt wie eine Primaballerina, zelebriert voller Hingabe das nicht eben einfache berühmte Solo der Zuckerfee zum Klang der Celesta, einem bis heute selten gebräuchlichen Instrument mit Glockenspielanmutung, das 1892 brandneu war.

Maya Shimomura ist die Musikerin in Hamburg, die akkurat und fein die Celesta bedient, während Joanna Kamenarska die Solo-Violine mit schier himmlischer Eleganz spielt.

Simon Hewett, Erster Ballettdirigent in Hamburg, bringt derweil das ganze Philharmonische Staatsorchester Hamburg in Wallungen – und somit auch das Publikum, und wie! Zart und gediegen, mit raffinierten Steigerungen und grandiosen Höhepunkten entführt der Maestro uns und die Tanzenden in diese bittersüße Schokoladenwelt, die Peter I. Tschaikowsky mit seiner Musik erschuf.

Optisch geben sich dazu die verschiedensten Tanzgruppen ein Stelldichein.

Dem spanischen Flamenco aus „Die Schöne von Granada“ folgt das schon genannte atemberaubend elegante ägyptische Paar aus „La Fille du Pharaon“, bevor „Esmeralda und die Narren“ einen Pas de sept der ultralustigen Extraklasse hinlegen, angeführt von der putzmunteren, bildhübschen Leslie Heylmann.

Der chinesische Vogel“ unter maßgeblicher Mitwirkung von Drosselmeier ist eine so delikate wie schwierige Nummer, von Mengting You zwar sauber ausgeführt, aber noch ein wenig übungsbedürftig.

Die solistischen Jungs und Mädchen aus dem „Lebenden Garten“ berücken dafür aufs Schönste, noch einmal als Damengruppe, der die Jungsgruppe folgt… mit einer atemberaubenden Seligkeit!

"Der Nussknacker" von John Neumeier: unerschöpflich gut

Ricardo Urbina, Marcelino Libao und Aleix Martinez: das furiose Kosaken-Trio aus dem zweiten Teil im „Nussknacker“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran West

Die tanzenden Leutnants“, drei an der Zahl, sind dann ein derart mitreißender Temperamentsschocker, dass man sich kaum halten kann vor Begeisterung. Eine so feurig-virtuose und dennoch auch menschlich-warmherzige Choreografie gibt es nicht noch einmal.

Das Trio Aleix Martínez, Marcelino Libao und Ricardo Urbina ist aber auch perfekt in all den mannshohen Bockssprüngen, Kosaken-Sprüngen und Stampfrhythmen! In wenigen Minuten sprühen da so viele Funken, als handle es sich um einen ganzen Abend voller Folklore, Akrobatik, Jungmännlichkeit. Wow!

Und wenn dann das Paar des Abends, Anna Laudere als Louise und Christopher Evans als Günther, den Schmelz ihres Grand Pas de deux tänzerisch ganz auskosten, dann spätestens weiß man:

So etwas gibt es nur im Ballett, in dieser Verbindung aus Körperlichkeit und Spiritualität, die keine Schwäche und kein Zaudern kennt, sondern in der gilt, was man füreinander tut und zu tun gedenkt.

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Eleganz und Raffinesse: Anna Laudere und Christopher Evans im Grand Pas de deux vom „Nussknacker“ von John Neumeier. Foto: Kiran West

Mindestens diese Lektion lernt Marie beim Anblick der schwindelerregenden Hebefiguren, der sagenhaft geschmeidigen Schritte, bei den wundersam ausgeführten Ports de bras und den Paartänzen, die so akrobatisch wie poetisch sind.

Dass sie außerdem über die Traumarbeit reift und vom Kind zur Frau wird, ist eine andere Seite der Geschichte…

Vielleicht wird das Leben nie wieder so aufregend und glamourös sein wie eben in diesem Augenblick der Verwandlung?!

Aber dann lohnt es sich auch noch, einen Blick in den Balletthimmel zu werfen.

Dort empfing zum Ausklang des alten Jahres die Grand Dame des kubanischen Balletts Alicia Alonso soeben drei wilde, fürchterlich tolle Jungs, die viel zu früh ihre Theaterressorts auf Erden verließen.

Jan Fedder, Hamburger Volksschauspieler und TV-Star („Großstadtrevier“), Harry Kupfer (Opernregisseur seit seinen Zeiten in der DDR von Apollos Gnaden) und Peter Emmerich (Großinquisitor sprich Pressechef, Programmredakteur und wissenschaftlicher Berater der Bayreuther Festspiele) fanden sich bei Alicia ein, um sich von ihr etwas über Ballett erzählen zu lassen.

Natürlich konnte Alicia es nicht bei Worten belassen und demonstrierte, eine Blume im Haar, wie die grundlegende Poetik des Balletts auch bei Laien wie den drei genannten Herren – die jeweils Meister in ihren eigenen Fächern waren – aussehen und wirken müsste.

„Der Nussknacker“ von John Neumeier: in Neujahrsbesetzung beim Hamburg Ballett und  beim Bayerischen Staatsballett

Höchste Kraft bei höchster Schwerelosigkeit: Anna Laudere und Christopher Evans im Grand Pas de deux vom „Nussknacker“ von John Neumeier beim Hamburg Ballett. Foto: Kiran Evans

Um dem Tod zu trotzen und das Leben zu feiern, gibt es für uns denn auch nur eine Möglichkeit: Wünschen wir uns ein frohes neues Ballettjahr, mit vielen fantastischen Aufführungen und allem, was das Ballettherz glücklich stimmt! Prosit Neujahr!
Gisela Sonnenburg

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