Echt und schmutzig, dabei bildschön: Nacho Duato im Portrait Mehr als nur eine Doku, ein Kunstfilm: „Der Choreograph Nacho Duato“ von Ulrik Wivel und Alejandro Álvarez. Am 22.2., nachts auf arte

Nacho Duato

Nacho Duato ist kein aalglatter Karrierist. Der Portraitfilm von Ulrik Wivel und Alejandro Álvarez zeigt das mit erfrischend unkonventionellen Mitteln. Videostill: Gisela Sonnenburg

Er hat diese feurige spanische Leidenschaft in sich, er will alles mehr als hundertprozentig machen, er fühlt und denkt höchst modern – und nicht selten wirkt er dabei wie ein großes Kind. Nacho Duato, seit September Ballettintendant und künstlerischer Leiter beim Staatsballett Berlin, hat einen spannenden Werdegang hinter sich: ein Leben mit vielen Erfolgen, aber auch mit Brüchen und Krächen – und er entfächert sich und sein Wirken ohne beschönigende Absicht vor der Kamera.

EINE SENSATIONELL UNKONVENTIONELLE KAMERAFÜHRUNG

Die geht hier oft nah ran, denn die beiden Filmemacher sind ein originelles Team. Ulrik Wivel ist sogar vom Tanzfach, weiß darum um die Bedeutung von körperlicher Nähe in der Bühnenkunst: Er wurde einst in Kopenhagen zum Balletttänzer ausgebildet und war bis 1998 auch Solist. Dann wechselte er zum Film, sein schelmisch durchtriebener Blick ist aber derselbe geblieben. Sein Partner Alejandro Álvarez ist als Multimedia-Journalist ebenfalls ein junger, den neuen Medien verpflichteter Macher: Zusammen trauen sie sich Dinge, vor denen konventionelle Fernsehregisseure dummerweise zurückschrecken würden.

Nacho Duato allein

Nacho Duato, ein sensibler Künstler, der was durchgemacht hat. Videostill: Gisela Sonnenburg

Der Titel der Kunstdoku ist so schlicht wie ein Buchtitel: „Der Choreograph Nacho Duato“. Am Anfang sehen wir Duato als frisch Gescheiterten. In Madrid, wo er seit 1990 in zwanzigjähriger Arbeit die Nationale Tanzcompagnie (Compania Nacional de Danza) aufgebaut und mit seinen Choreografien und seinem elegisch-ästhetischen Stil zu Welterfolgen geführt hatte, wurde er kurzfristig gefeuert, indem wider Erwarten sein Vertrag nicht verlängert wurde. Wir sehen mit der Kamera in sein Gesicht: Er kann es gar nicht fassen, dass man ihn in Madrid nicht mehr will. Er versucht zu erklären, was nicht zu erklären ist: Man nannte ihm keine Gründe, und auch seine Arbeit scheint man weiterhin zu schätzen. Aber er soll gehen. „Ich werde nie wieder in Spanien choreografieren“, erklärt er gebührend beleidigt, mit tränenerstickter Stimme und Trauerflor im Blick.

Diese Verletzlichkeit eines großen Mannes ist selten öffentlich zu sehen. Es zeichnet den Film aus, dass er zwar nie in Kitschigkeit und Betroffenheitsarien abgleitet, den Menschen Nacho Duato aber genauso ernst nimmt wie seine Künstlerpersönlichkeit. Und zwar immer. Mit großer Empathie, aber ohne falsche Distanz rückt die Kamera dem Choreografen auf den Leib. Wie er in Sankt Petersburg ankommt, seiner neuen Station. Der Inhaber und Impresario vom Mikhailovsky-Theater, Vladimir Kekhman, hat ihn als Ballettchef engagiert. Kekhman ist sein Boss und zugleich ein Verehrer, er weiß, was er an Duato hat: einen echten Choreografen, einen Künstler, der den absoluten Drang hat, kreativ mit Körpern umzugehen. Einer, der, wie er es sagt, immer was zu tun haben muss, weil er sonst vielleicht aus dem Fenster springen und sich umbringen würde.

Nacho Duato im Hotel

Ein verletzlicher Künstler: Nacho Duato allein im Hotel. Das Leben ist nicht nur leicht – auch wenn man Talent, Schönheit und Erfolg hat. Videostill: Gisela Sonnenburg

Das macht Nacho Duato so sympathisch: Er ist authentisch, in seiner Existenz als schöpferischer Mensch absolut glaubwürdig und fasslich. Dazu gehören Schmerz und Leiden, dazu gehören Empfindlichkeiten und Sehnsüchte. Während der Arbeit im Ballettsaal bemüht er sich, den Tänzern Wohlwollen und Strenge entgegen zu bringen. Er braucht viel Geduld, denn die auf reine Klassik trainierten Leistungskünstler in Petersburg tun sich mit den modernen Bewegungen schwer. „More square! Eckiger! Stronger! Stärker! Not soft, nicht weich!“ Seine Anweisungen sind ja so logisch, wenn man seinen Tanzstil kennt. Aber die Umsetzung ist für die zarten Ballerinen und Ballerinos in Russland offensichtlich schwer. Und manchmal scheinen sie sich still zu fragen, ob das eigentlich nötig ist, was da verlangt wird.

Es ist nötig. Ohne detailgenaue Probenarbeit kann das Ergebnis, ein moderner Tanzabend, nicht gelingen. Aber es ist mühsam, für alle Beteiligten! Auch Gentian Doda, der in Petersburg Duatos choreografischer Assistent war und heute in Berlin sein Erster Ballettmeister ist, weiß, wieso die Feinheiten so unverzichtbar sind. Er sagt über Nacho Duato: „Er formt Tänzer und beschreitet mit ihnen neue Wege.“

Nacho Duato in Petersburg

Ein Blick aus dem Fenster aufs kühle Sankt Petersburg. Nacho Duato beim Nachdenken. Videostill: Gisela Sonnenburg

Der Meisterchoreograf Nacho Duato spielt mit seinen Locken. Selbstvergessen. Mit kindhafter Grazie. Es drückt aus: Ja. Nein. Ich weiß nicht. Wir müssen es anders machen. Er hat ein paar Brocken Russisch gelernt, damit die Leute um ihn herum ihn mögen und im Ballettsaal die Verständigungsblockaden aufbrechen. Er bemüht sich so sehr um ein gutes Einvernehmen. Aber um ihn scheint die Welt mitunter aus Eis. Nacho schmeißt sich in die Probenarbeit, macht viel vor, erklärt, erklärt, erklärt. Vornehme Zurückhaltung kommt zurück. Die Russen empfinden ihn mehr oder weniger unverhohlen als Fremdling, auch wenn sie ihm Respekt zollen. Als sei er ein hoch gestellter Abgesandter eines Paralleluniversums.

ALS SEI ER EIN ABGESANDTER AUS EINER ANDEREN WELT

Nacho Duato, ein Diplomat aus dem Reich der Postmoderne, zu Gast in der plüschig-beladenen russischen High Society. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Es ist abzusehen, dass das in Sankt Petersburg keine lebenslange Verheiratung ist. Aber neugierig erkundet er das Terrain. Duato geht einkaufen, bei einer alten Matrone in einem überladenen Tante-Emma-Laden. Er sitzt bei Star Bucks mit einer Erkältung – und bekommt kein Glas Wasser. Aber nachts darf er auf einem weißen Pferd mit roter Decke durch die erleuchtete Stadt reiten – eine klitzekleine Entschädigung aus Freizeitvergnügen im Vergleich zu tagtäglicher und eigentlich viel zu viel harter künstlerischer Arbeit.

Nacho Duato erklärt

Der Einsatz lohnt sich: Nacho Duato erklärt seine Lage, seine Ziele, seine Ästhetik. Im Film von Ulrik Wivel und Alexandro Álvarez. Videostill: Gisela Sonnenburg

Doch die Premieren gelingen. Erst mit Nacho Duatos modernem Tanzstil. Dann mit Tschaikowskys „Dornröschen“, das sich Kekhman gewünscht hat, um dem russischen Besuchergeschmack Tribut zu zollen. Es war Duatos große Eintrittskarte in die russische Klassik. Das Ergebnis ist ein geschmackvolles, anmutiges, federleichtes und wohl dosiert modernisiertes Petipa-Dornröschen, das mit dem Weltstar der Petersburger Premiere, Leonid Sarafanov als Prinz, auch in Berlin premieren wird (und zwar bereits am 13. Februar).

Aber die Anspannung zuvor in Sankt Petersburg war unerhört. Vor der Premiere schien aus Sicht des Choreografen so vieles schief zu gehen und aus dem Ruder zu laufen: „Hier ist jeder Meister. Perückenmeister, Make-up-Meister, Schreinermeister.“ Jeder wollte wohl alles gern machen, wie er es selbst für richtig hielt. Das Mikhailovsky Theater hat schließlich Tradition und ist ein großes Haus, mit über 150 Tänzern, um mal einen Anhaltspunkt zu nennen. (Deutsche Compagnien liegen zahlenmäßig alle unter 100 Tänzern, meist deutlich.)

Um sich abzureagieren, malt Duato. Es ist ein wunderbarer Anblick, der Hippie-Flair und konstruktive Kreativität vereint: zu spanischer Musik, in der einen Hand ein Glas Rotwein (vermutlich auch spanisch), pinselt und kritzelt der Choreograf in nächtlichen Farbrauschorgien große bunte Kringel und Muster aufs Papier, hastig, wie in einem Happening – und die Ergebnisse erzählen von seinen inneren Konflikten, auf eine nonverbale, aber klare, dabei auch ziemlich wilde Weise.

Duato malt

Der Choreograf als Maler: Nacho Duato nachts im Hotelzimmer, schwer schaffend auch dann… Videostill: Gisela Sonnenburg

Duato hängt die Bilder an die Wand, sie helfen ihm. Manche sind Selbstportraits. Aber nach der Premiere braucht er sie nicht mehr, sie haben ihren Dienst getan und erinnern an vergangene Probleme. In einem Autodafé an der Newa, nächtens und ganz allein, verbrennt Nacho Duato die bildnerischen Zeugnisse seines seelischen Schmerzes. Es ist ein Sieg des Künstlers über den Kummer, der sich so symbolisch äußert.

Ansonsten hängt der Spanier in Petersburg, der sich dort wohl wirklich in jeder Sekunde wie ein Exot oder, noch schlimmer, wie ein Störkörper fühlt, in den Abendstunden am Handy. Es erleichtert ihn, wenn er mit Freunden auf spanisch die Dinge besprechen kann. Auch ein Duato muss sich aussprechen! Eigentlich erstattet er sogar Rapport, er redet, mit Sorgfalt die Worte wählend, über das Geschehen in seiner Arbeit, als wolle er dadurch sich und dem Gesprächspartner die eigene Existenz und ihre Gewichtigkeit beweisen. Man muss ja durchhalten. Es ist rührend.

Die Probleme reißen aber auch nicht ab. Duato erklärt sie offen in die Kamera, die gelben Untertitel übersetzen. Aber was ist das für ein Leben! Stress. Draußen Lärm, drinnen Enge. Die Schlaftabletten wirken nicht mehr. Übermüdet, irgendwie schmutzig vor Angst und Stress, spricht der Choreograf nachts in eine wacklige Handkamera. Es ist wie eine Beichte. Die verwackelten Bilder würzen die Doku, verleihen ihr noch mehr den Nimbus des „Dem-Künstler-zum-Anfassen-nah-Sein“.

Nacho Duato im Selbstgespräch

Selbstgespräche in der Nacht, schlaflos und erschöpft: Nacho Duato, ganz ehrlich. Videostill: Gisela Sonnenburg

Manchmal steht die Filmkamera direkt neben dem Bett, auf dem sich der gequälte Künstler wälzt und mit seiner eigenen Mini-Kamera vergnügt. Es ist köstlich und entkrampfend zu sehen, dass auch ein choreografisches Genie einen einsam-modernen Livestyle hegt und damit besser voran kommt als mit heuchlerischer Zwangsverpflichtung zur steten gute Laune.

Die Blicke hinter die Kulissen nehmen zudem mit in Nacho Duatos Arbeitswelt. Man leidet mit ihm. Wie wichtig ein fliederfarbener Federbuschen an einem Kostüm sein kann! Aber warum haben die Techniker den besonderen Lichteffekt versaut? Leonid Sarafanov lässt sich kurz vorm Auftritt den Rücken im Stehen massieren. Alle Hoffnungen liegen indes auf seiner Partnerin, einer fantastischen klassischen Ballerina. Aber bei den Proben guckte sie ihren Prinzen immer so komisch und widerstrebend an. Der Choreograf stöhnt und seufzt. Kann sie ihn denn nicht verliebt ansehen? Wieso kann sie es nicht?

Bei der Premiere kann sie. Endlich. Zum Glück! Vielleicht lag es an der künstlerischen Liebeserklärung, die der Choreograf ihr kurz zuvor per SMS geschickt hat. Jedenfalls sieht sie auf einmal allerliebst und schwer verknallt aus, wie sie Kopf und Arme in die vorgeschriebene „eckige“ Pose legt. Aufregend modern, so ein durchgestyltes Dornröschen! Und man ist schon gespannt darauf, wie Iana Salenko beim Staatsballett Berlin diese süße, aber auch postmoderne Pose halten wird.

Duato, erschöpft

Auch ein Meisterchoreograf wirft sich mal erschöpft aufs Bett. Nacho Duato darf Nerven zeigen. Videostill: Gisela Sonnenburg

Ärger gab es indes in Sankt Petersburg. Die dortigen Kritiker fanden, sie seien ihrem Patriotismus etwas schuldig. Nacho sei unmusikalisch, meinte einer. Duato lächelt schmerzhaft, als er das erzählt. Er weiß, dass er als eines der am meisten musikalischen Tanztalente von der ganzen Welt gilt. Diesen Ruf hatte er sich als erstes bereits in Spanien verdient. Also macht er, allein im Hotelbett, makabre Witze über das Unverständnis des russischen Kritikers. Dem hatte er abschließend gesagt: „Schreiben Sie, was Sie wollen – und ich tue, was ich will.“ Große Einsamkeit ist der Preis für das kleine russische Glück des Spaniers.

Duato und Doda

Ballettintendant in Berlin: Nacho Duato – mit Gentian Doda, seinem Ersten Ballettmeister – im Ballettzentrum des Berliner Staatsballetts. Videostill: Gisela Sonnenburg

Da ist der Ruf aus Berlin wie eine Rettung. Berlin, das bunte, alternative, flippige, vielfältige Berlin! Christiane Theobald, die ständige stellvertretende Ballettintendantin in Berlin und so etwas wie eine heimliche Lenkerin, holt Duato vom Flughafen ab. Es ist ein kalter Wintertag, aber im Vergleich zu Sankt Petersburg scheint Berlin die Südsee zu sein. Die Tänzerinnen und Tänzer freuen sich, wenn er in den Ballettsaal kommt! Nacho Duato kann es gar nicht fassen. Hier ist die Stimmung tatsächlich freundlich, fröhlich, ohne große Komplikationen.

Nacho Duato arbeitet

Konzentration und Schweiß im Ballettsaal: Nacho Duato bei der Arbeit. Videostill: Gisela Sonnenburg

Es ist diese menschliche Wärme, die sicher auch ein Erbe von Duatos Vorgänger Vladimir Malakhov ist, die das Staatsballett Berlin zu einer besonderen Compagnie macht. Natürlich sind die Tänzer auch technisch und schauspielerisch sehr gut. Und absolut „hungrig“ auf Arbeit! Aber es gibt eben auch diese lockere, nette Art, miteinander umzugehen, und gegen die ist die altmodische Überdisziplinierung und Überambitionierung in manchen anderen Truppen ein überflüssiges Hindernis. Warum so schwierig, wenn es auch lässig geht?

Der Berlin Spirit passt zu Duato. Es ist der Hang zur Ehrlichkeit, zur Authentizität, manchmal auch zur äußeren Schäbigkeit bei innerer Größe. Es ist die Bereitschaft, Schweiß und Falten, Pickel und Sommersprossen zu zeigen, um sie dann mit Tanz vergessen zu machen. Schönheit entsteht im Ballett immer, fast wie nebenbei, obwohl ihr die ganze Aufmerksamkeit und alle Kräfte gelten.

Nacho Duato bei Star Buck's

Beim Versuch, ein Glas Wasser zu bekommen: Nacho Duato, der irgendwie immer ein Tänzer ist. Videostill: Gisela Sonnenburg

Deutlich zeigt der Film, wie Duato sich verändert. Wie die russischen Spannungen von ihm abfallen. Wie er reift und die Sorgen langsam verdaut. Er spricht ja auch ganz anders in Berlin! Melodiöser, heller, leicht, schnell, beschwingt. Und manchmal tanzt er. Er war ja mal Tänzer, und seine Füße, sein Rücken, sein Nacken bezeugen das.

Er fühlt sich noch immer wohl auf der Bühne, auch wenn es eine Probe ohne Premiere ist. Es ist dieses Gefühl, das man dort haben und halten muss, um zu wissen, wofür man lebt. Wenn man Choreograf ist, ein echter. Und keiner aus Gründen der Dekoration oder des schönen Scheins.

Ein echter Künstler – das ist Nacho Duato zweifelsohne, und wer das noch nicht gewusst hat, weiß es nach diesem Film. Dieses Ansehen ist zugleich wie eine Einführung in die Seele des zeitgenössischen Balletts. Schwer gelungen, nicht verpassen!
Gisela Sonnenburg

Sonntag, 22.2., 0.15 Uhr, arte – danach eine Woche auf arte+7 online

www.arte.tv

www.staatsballett.de

UND SEHEN SIE BITTE INS IMPRESSUM: www.ballett-journal.de/impresssum/ 

 

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