Bayerische Heuchelei Das Bayerische Staatsballett tanzt weiter und die Bayerische Staatsoper bereitet sogar eine Premiere als Live-Stream vor – aber nach außen zeigt die Bayerische Regierung eine harte Linie

Die Bayern brauchen Extrawürste

„7 Deaths of Maria Callas“ – Marina Abramovic, einst politisch ernstzunehmende Performance-Künstler, will ohne Rücksicht auf die Corona-Krise ihre Premiere als Online-Show durchsetzen. Mit dabei: die Bayerische Staatsoper. Faksimile von staatsoper.de: Gisela Sonnenburg

Das nächste Online-Montagskonzert aus dem Münchner Nationaltheater steht an. Ansehen auf eigene Gefahr! Denn während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach außen eine harte Linie gegen die Verbreitung des Corona-Virus vertritt und heute die zeitliche Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen (bisher sagte man: Ausgangssperre) bis zum 19. April 2020 verkündete, trainiert und tanzt das Bayerische Staatsballett munter weiter, derweil die Bayerische Staatsoper unverdrossen sogar eine Online-Premiere mit der gealterten Performance-Künstlerin Marina Abramovic („7 Deaths of Maria Callas“) vorbereitet. Verantwortlich dafür sind nicht nur Ballettchef Igor Zelensky und Intendant Nikolaus Bachler, sondern auch die bayerische Regierung. Der bayerische Minister für Wissenschaft und Kunst, Bernd Sibler (CSU), erlaubt ausdrücklich ein bestimmtes Maß an Proben, ohne auf die bundesweit und international getroffenen Agreements genügend zu achten. Man vertraue den Theatern, heißt es dazu aus der Staatskanzlei. Rein zufällig ist dieses große Vertrauen wohl nicht. Bayern bruzzelt sich mit seinem Vorgehen eine kulturelle Extrawurst und riskiert damit, dass mehr Menschen als notwendig an Covid-19 erkranken. Obwohl es intern und extern der Oper Proteste gegen die Proben gibt. Seit das Ballett-Journal vor einer Woche die Münchner Ballett-Trainings aufdeckte, haben weitere Medien nachgezogen. Aber: Im internationalen Vergleich steht das südliche Bundesland immer noch als stur und rücksichtslos da – denn man tanzt und tiriliert im Nationaltheater einfach weiter, trotz berechtigter Kritik.

Etlichen Mitarbeitern dort, die dank der „freiwilligen“ Auftritte der Tänzerinnen und Tänzer dafür arbeiten müssen– aufgrund ihrer Arbeitsverträge – schmeckt das nicht.

Sie haben mehr Verantwortungsgefühl in sich als ihre Chefs und ihre Regierung.

Jedoch: Ballettchef Zelensky hält seine Untergebenen mit E-Mails auf Trab.

Ihm geht es um seinen Erfolg, nicht um die internationale Solidarität.

Unwiderstehlich: "Der Nussknacker" von John Neumeier

Diesen Glanz und Witz einer Aufführung kann ein „Montagskonzert“ zu Corona-Zeiten beim Bayerischen Staatsballett mit dem „Nussknacker“ von John Neumeier nicht haben. Foto: Wilfried Hösl

Rückenwind erhält er vom Kunstminister Sibler, dieser wiederum hat Ministerpräsidenten Söder hinter sich. Das wirkt einigermaßen perfide, denn nach außen propagiert gerade Markus Söder eine harte Linie.

Aber wenn es um ehrgeizige Kultur zum Vorzeigen geht, wird  diese Vorsicht in den Wind geschrieben.

Prestigeobjekte haben offenbar Vorrang vor dem maximalen Gesundheitsschutz der Bevölkerung.

Fast 350 Strafanzeigen verteilte die Münchner Polizei am Wochenende an Normalsterbliche, weil sie die Auflagen wegen Corona nicht eingehalten haben sollen.

Aber die Staatskultur kann sich aufgrund der Nachsicht ihrer Regierung etwas herausnehmen.

Ist das typische Bayerische Heuchelei?

Die rechtliche Grundlage ist dabei butterweich und passt so gar nicht zur nach außen gezeigten Härte des Ministerpräsidenten.

Auch heute Abend bemüht sich das Bayerische Staatsballett, eine Ausnahme vom internationalen Agreement der Vorfahrt vom Corona-Schutz vor Live-Vorstellungen abzugeben. Ist Erfolg so wichtig? Faksimile von staatsballett.de: Gisela Sonnenburg

So teilte dessen Bayerische Staatskanzlei auf Anfrage vom Ballett-Journal mit:

„Kunstminister Bernd Sibler hat zum Schutz der Beschäftigten in den Staatstheatern die Theaterleitungen der Bayerischen Staatstheater vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und der besonderen Situation im Theaterbetrieb angewiesen, den Probenbetrieb bis auf Weiteres auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren oder ganz einzustellen und besonders die geltenden Hygienemaßnahmen zu beachten.“

Was heißt denn da „das notwendige Maß“ an Proben? Die Opernhäuser sind geschlossen.

Die Bayerische Staatskanzlei weiß dazu:

„Eine ‚Regelung‘ des Bundes gibt es derzeit nicht.“

Und: Bei den Räumen in der Oper, inklusive Bühne und Probebühne, handle es sich um einen „nicht-öffentlichen Raum“. Man arbeite zudem „unter strenger Beachtung aller hygienischen Maßgaben“.

Aber wer soll das bitte kontrollieren? Und wie oft?

Die Bühne von der Bühne aus

So sieht eine Opernbühne von innen aus: zahlreiche Zugstangen und Scheinwerfer wollen bedient sein. Hier wurde die Bühne der Hamburgischen Staatsoper von Kurt-Michael Westermann fotografiert.

Beim Arbeiten auf der Bühne und Probebühne sind Dutzende Techniker und sonstige Mitarbeiter nötig, um die Proben und die Online-Vorstellungen zu bewerkstelligen.

Sie alle müssen sich auf anspruchsvolle Tätigkeiten konzentrieren. Und ihre An- und Abfahrten zum Opernhaus (Nationaltheater) obliegen keinem besonderen Schutz.

Die Viren fragen aber nicht nach kultureller Bedeutung. Sie profitieren von jedem unnötigen Risiko.

7 Deaths of Maria Callas“ heißt das Thema der geplanten Opernpremiere mit Altkünstlerin Marina Abramovic.

7 Deaths of Corona Virus“ wäre wohl aktuell der passendere Titel.

Der avisierte Premierentermin vom 11. April 2020 ist zwar ohne neues Datum verschoben worden. Aber geprobt wurde bis letzte Woche stetig weiter.

Nicht alle Orchestermitglieder waren davon begeistert. Und tatsächlich werden die Proben mit Orchester seit kurzem ausgesetzt.

Für die Gegner der seltsamen Online-Vorstellungen ein großer Erfolg.

Das Bayerische Staatsballett darf „freiwillig“ zum Training ins Balletthaus am Platzl und zu den Proben sowie zu den Online-Aufführungen am Montagabend (ab 20.15 Uhr auf staatsoper.tv) ins Nationaltheater kommen.

Aber ihr Vorgesetzter Zelensky verabsäumt ja auch nicht, sie mit E-Mails und Videobotschaften bei der Stange zu halten. Dass er darin darauf hinweist, dass die Teilnahme für Tänzer freiwillig sei, wirkt nicht gerade abschreckend.

"Coppélia" im Original in Wien - und verhunzt in München

Ballett ist schweißtreibend! Hier ist Virna Toppi im Spagatsprung zu sehen, in „Coppélia“ n der Version von Roland Petit beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Tanzen ist schweißtreibend und verlangt sehr viel Konzentration und Körperbeherrschung. Normalerweise leben sowohl Unterricht als auch Training als auch Proben als auch Aufführungen vom Körperkontakt.

Der ist nun weitestgehend untersagt.

Aber geht es nicht auch ums Prinzip? Was für einen Vorsprung verschafft sich Bayern durch diese Vorgänge vor anderen Opernhäusern und Balletttruppen?

Und was ist mit der Münchner Bevölkerung?

Folgendes Szenario ist durchaus realistisch: Ein Künstler oder technischer Mitarbeiter kann das Covid-19-Virus in sich tragen. Während der Proben oder auch in den Umkleiden kann er es verbreiten. Schließlich steckt jemand vom Opern- oder Ballettpersonal – und sei es auf dem Weg nach Hause in der Tram– jemanden an, der wiederum jemanden ansteckt, der daran stirbt.

„Spiel mir das Lied vom Tod!“ Ist das die neue Lieblingsweise der Oper in München?

Man muss mal deutlich sagen:

Ein Opernhaus ist schön, aber nicht systemerhaltend.

Sein Trumpf ist die soziokulturelle Utopie: Hochkultur muss durchgeprobt und wohl durchdacht, aber auch sozial verträglich sein.

Die Halbheiten, die nun trotz der Ansteckungsgefahren serviert werden, haben mit dem eigentlichen – auch sozial anspruchsvollen – Sinn eines Opernhauses nichts mehr zu tun.

Wo der Supermarkt und die Apotheke, das Krankenhaus und das Gartencenter hilfreich sind, ist das live singende, klingende, tanzende Opernhaus nurmehr lächerlich.

"Ein Sommernachtstraum" ist ein Traum der LIebe.

Ein Foto aus guten Tagen: Das Münchner Nationaltheater mit aus der Pause wieder einschwärmendem Publikum. Dieses Feeling gibt es derzeit nicht. Foto: Gisela Sonnenburg

Man muss kein Kritiker sein, um das zu sehen.

Letzten Montag gab es eine ebenso verkrampfte wie klägliche Show online: ohne Programmkonzept, ohne Zusammenhalt der einzelnen Nummern zu einem Ganzen.

Mit Grabesstimme sangen Sänger ohne jeden Schwung und ohne die notwendige Vitalität Lieder von Hugo Wolf und Richard Strauss, als stünden sie auf einer Totenfeier. Wenn man bedenkt, dass ihre Arbeit wegen des Grassierens des Corona-Virus für Ansteckungen sorgen könnte, passte allerdings ihre rein schwarze Kostümierung.

Anschließend wirkte das völlig konzeptlos dargebotene Ballett der Tänzer – erst Soli aus der „Kameliendame“ von John Neumeier, dann ein Pas de deux aus John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ (durch ein Ehepaar dargeboten) – wie ein völlig deplatziertes, krampfhaftes Gewinnenwollen.

Ehrgeiz über alles?!

Auch für heute ist das Programm alles andere als konzeptuell tragfähig.

 Drei Soli aus zwei Balletten – aus „Coppélia“ von Roland Petit und aus „Der Nussknacker“, einmal von Vasily Vainonen, dann von John Neumeier – sollen die Stimmung in schwierigen Zeiten beim Publikum aufhellen.

Wären da Ballett- und Probenaufzeichnungen aus dem Archiv nicht besser geeignet?

Muss man für ein bisschen Spaß und Angeberei Menschenleben riskieren?

Außer dem Ballett-Journal  kritisieren auch der Münchner Merkur und der jüngste Newsletter von Crescendo die ihr vorgeworfene Fahrlässigkeit der bayerischen Staatskultur.

Dass die SZ und danceforyou für dieselbe blind sind, zeigt, dass Ruhmsucht immer irgendwelchen Beifall findet. Fragt sich nur, welchen.
Gisela Sonnenburg

ballett journal