Da lachen ja die Hühner! Das Bayerische Staatsballett fährt Zweit- und Drittbesetzungen in „La Fille mal gardée“ auf: so putzmunter wie solide

Wenn der Hahn kräht

Vittorio Alberton (mittig), früher festes Mitglied beim Bayerischen Staatsballett, heute als Gast für diese Rolle da – tänzelt und holpert stattlich en travestie als Witwe Simone durchs Stück: „La Fille mal gardée“ in München. Foto: Wilfried Hösl

Wenn der Hahn kräht, ist alles schon zu spät. Dann hat „La Fille mal gardée“, das neckisch-ländliche Ballettdrama vom „schlecht behüteten Mädchen“, unwiderruflich angefangen – und ist mit all den lieblichen Albernheiten, die typisch sind für eine Komödie von Sir Frederick Ashton (1904 – 1988), nicht mehr zu stoppen. Zu tanzen ist das Ballett in dieser Version von 1960 aber nicht nur einfach: Zahlreiche technische Raffinessen und Verspieltheiten machen es zu einem Parcours der Ungewohntheit. Das Bayerische Staatsballett hat dennoch mehrere Besetzungen parat – und kann mit Ksenia Ryzhkova und Alexander Omelchenko als Liebespaar Lise und Colas durchaus punkten. Vielleicht ist das Ganze ein wenig bieder, sogar ein bisschen zu solide geraten – hier hilft vergleichsweise ein Blick nach London in den Covent Garden. Dort tanzt man Ashton zwar ganz auf der Zielgeraden, gesteht ihm aber zusätzlich noch jenen Schuss stylische Frivolität zu, den man in München derzeit etwas vermisst.

Die Spielfreude der Bolschoi-Moskowiterin Ksenia Ryzhkova macht indes viel wieder wett. Zu Beginn ihrer Debütvorstellung musste sie sich allerdings selbst ein wenig ausbremsen – sonst wäre sie unfreiwillig in den Seitenkulissen gelandet oder hätte sich in den langen Seidenbändern, die für diese Choreografie mit gepushten Volkstanz-Elementen typisch sind, rettungslos verheddert.

Wenn der Hahn kräht

Ksenia Ryzhkova macht sich langsam, aber sicher in München einen guten Namen: Die Primaballerina aus Moskau entzückt auch als Titelheldin in Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“. Foto: Bayerisches Staatsballett

Aber dann weicht der hektische Habitus dem sicheren, flüssigen und darstellerisch talentierten Tanzstil, den man von Rhyzhkova in München schon gewohnt ist. Bravo!

Auch die besonders waghalsige Passage, in der sie sich, auf einem Spitzenfuß stehend, wie ein lebender Maibaum von den Ensemble-Girls mit Bändern im Kreis drehen lassen muss, meistert sie tadellos.

Wenn der Hahn kräht

Alexander Omelchenko ist ein Colas mit Schwung – in München in „La Fille mal gardée“. Foto: Bayerisches Staatsballett

Alexander Omelchenko (der noch sehr junge Weißrusse in München) ist ihr ein ebenbürtiger und temperamentvoller Partner. Die Chemie zwischen beiden stimmt – und Omelchenko weiß, wie er mit tollkühnen Sprüngen und komödiantischer Deutlichkeit dem Affen Zucker gibt.

Wenn der Hahn kräht

Vittorio Alberton kostet die Rolle der Witwe Simone in „La Fille“ aus – es ist ein choreografischer Bubenstreich für echte Bühnentalente, den Frederick Ashton damit schuf. Foto: Bayerisches Staatsballett

Da ist ganz klar, dass die Witwe Simone (Vittorio Alberton, an der Mailänder Scala ausgebildet), die köstlich mit Klackern und Schlittern und Kopfschütteln beim Holzschuhtanz dabei ist, den guten Draht zu ihrer Tochter Lise nie aufgibt. Auch wenn sie zunächst gegen die Liebesheirat ist und ihr Mädchen mit dem dümmlichen Sohn eines Großbauern verkuppeln will.

Wenn der Hahn kräht

Der gebürtige Leningrader Konstantin Ivkin tanzt den jung vertrottelten Außenseiter Alain in „La Fille“ mit Schmackes – zu sehen beim Bayerischen Staatsballett. Foto: von eben da

Dieser reiche Dorfdepp wiederum wird von Konstantin Ivkin, gebürtigem Leningrader, einerseits mit einem publikumswirksamen Höchstmaß an Trottelei dargestellt und weckt andererseits gar ehrbare Mitleidsgefühle. Was für ein Pechvogel, der Junge!

Da lachen ja sogar die Hühner! Die haben in Ashtons „La Fille“ aber sowieso ihre witzigen Glanzauftritte. Sind sie doch Passé-freudige, mit den Krallen scharrende Parodien auf ganz menschliche Gockeleien.

Aber das Pony namens Pünktchen ist echt – Ashtons Inszenierung besteht auf einem lebenden Paarhufer auf der Bühne. Damit es für die Kinder im Publikum auch einen Rührfaktor gibt.

Die Tänzer haben somit ganz schön Konkurrenz, denn lebende Tiere im Bühnenlicht sind wahre Aufmerksamkeitsweltmeister. Darauf einen Fuder Hafer!

Das Amüsement kommt jedenfalls nicht zu kurz. Und unter dem geübten Dirigat von Myron Romanul schwellen die putzmunteren Klänge von Ferdinand Hérold aus dem 19. Jahrhundert zu einem akustischen Fest.

Wenn der Hahn kräht

Da lachen die Hühner: In Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ hat das liebe Federvieh Glanzauftritte. Foto: Wilfried Hösl

Und auf den Tiefsinn der Geschichte muss man sich dann im Nachhinein einlassen, wenn das furiose, an ballettösem Glamour satte Finale berauschend sein Ende fand – und die Langzeitwirkung einsetzt.
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

tanzt seit 1994 in Hamburg

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Mehr über „La Fille mal gardée“ bitte hier:

www.ballett-journal.de/bayerisches-staatsballett-la-fille-mal-gardee/

Termine siehe „Spielplan“

www.staatsballett.de

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