Aus Gründen der Köstlichkeit „Jewels“ von George Balanchine warten mit Lebensfreude und Festlichkeit beim Bayerischen Staatsballett auf

Lyrisch, sanft, akkurat: Das Ensemble und die Solisten der „Emeralds“, der Smaragde, in den „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Dieser Stücktitel verspricht nicht zuviel: Die Juwelen, also die „Jewels“, von George Balanchine (1904 – 1983) widmen sich ganz dem Genuss des Schönen und Kostbaren. Drei Juwelenarten werden betanzt und vergöttert, ihr Fluidum und ihre Wirkung werden zu lebenserhaltenden Prinzipien erhoben. Smaragde, Rubine, Diamanten… Wie Pralinensorten werden sie tänzerisch lecker gemacht, vom Corps und von Solisten temperamentsmäßig verkörpert. Pistazien, Kirschen, weiße Trüffel… Angeregt wurde der russisch-amerikanische Choreograf von glitzernden Schmuckauslagen in New York City – und dass seine eigenen Geldgeberinnen für teures Geschmeide womöglich noch höhere Ausgaben hatten als fürs Ballett, mag Balanchine darin bestärkt haben, es auf einen Vergleich ankommen zu lassen. Tatsächlich lockt dieser Tanz die Reichen an wie bestimmte Haufen auf der Wiese die Fliegen. Endlich mal was Käufliches statt immer nur die Liebe im Titel! Wer also einen Sponsor braucht, sollte es hiermit versuchen. Aber auch das sonstige Ballettpublikum zeigt sich glücklich und beschwingt durch die Köstlichkeit dieser „Jewels“, die seit 1967 mit den Originalentwürfen der „Oscar“-bekrönten Kostümdesignerin Barbara Karinska zum international bekannten Repertoire gehören. Jetzt auch beim Bayerischen Staatsballett in München, das einen großartigen Erfolg damit verbuchen kann.

Der Abend beginnt mit – Szenenapplaus!

Denn der Anblick der smaragdgrünen Ausstattung auf der Bühne treibt einem Tränen der Freude in die Augen. Was ist schon Weihnachten gegen diese tanzenden „Emeralds“?

Prisca Zeisel und Emilio Pavan bilden zudem ein vollendet passendes Paar, das den superben Figuren von Balanchine vollauf gerecht wird.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Elegant und wie in Form gegossen: Prisca Zeisel (hinten) und Emilio Pavan im ersten Teil der „Jewels“ – so zu sehen beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Es ist ohnehin ein Abend der gebürtigen Wienerin Zeisel, die sowohl im ersten als auch im zweiten Teil dieses Abends führende Partien einnimmt. Endlich kann sie, die ein ganz bestimmtes, im Ballett seltenes, nachgerade mephistophelisch schillerndes Temperament hat, mal so richtig zeigen, was sie alles drauf hat!

Dass sie im zweiten Teil einen kleinen Ausrutscher hat, ist der Premierenaufregung geschuldet und überhaupt nicht schlimm. Wir müssen lernen, Menschen wertzuschätzen, auch wenn sie keine Roboter sind – gerade deshalb!

Als harte Arbeiterin an sich selbst gilt Prisca Zeisel sowieso in der Ballettwelt, in München konnte sie das bisher zum Beispiel als Aegina in „Spartacus“ zeigen – und jetzt rentiert sich die jahrelange Mühe, indem sie in gleich zwei Premierenbesetzungen brilliert.

In den „Emeralds“, den Smaragden, wirkt ihr ureigenes Naturell unterschwellig hitzebildend, indem die Oberfläche des Tanzes ganz sanft, ganz lyrisch, ganz wie dahingegossen ist.

Balanchine verwendet hier Musik des französischen Fin-de-siècle-Komponisten Gabriel Fauré, nicht ohne Absicht: die „Emeralds“ sollen dem französischen Ballettstil gewidmet sein.

Romantisch und elegisch zugleich ziehen hier denn auch zwei Paare, ein gemischtes Trio sowie eine zu wechselnden geometrischen Formationen organisierte Damentruppe vorüber.

Die geraden Linien und Ovale, Halbkreise und Reigen, in denen sich hier bewegt wird, speisen sich sowohl aus der Ästhetik des Balletts als auch aus jenen Mustern, nach denen Schmucksteine geschliffen und gesetzt werden.

Der Hintergrund in Form eines Vorhangs und die romantischen Tutus sind von jenen blaugrünen Nuancen, die den so genannten Jardin, den „Garten“, eines Smaragds ausmachen. Denn während bei anderen Edelsteinen die Einschlüsse im Stein als Makel gelten, verhelfen die grünlichen Punkte und Schlieren dem Smaragd zu einem Innenleben mit Tiefenschärfe.

Es sind ja vor allem die Farben der Steine, die für Balanchine hier inspirierend waren. Da steht Grün für eine anregende, lebhafte, aber keineswegs zu quirlige Stimmung.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Jeanette Kakareka in den Armen von Henry Grey – erhaben und sanft in den „Emeralds“, dem ersten Teil der „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Jeanette Kakareka und Henry Grey bilden in diesem Outfit das zweite Paar, das von der Lebendigkeit und Hoheit der Smaragden tänzerisch zu erzählen weiß.

Kakareka stammt aus den USA und tanzt seit einem Jahr unter Ballettchef Igor Zelensky in München. Sie ist noch sehr jung, dem Rang nach Ensembletänzerin – aber sie hat die Anmutung einer so grazilen und dennoch starken Persönlichkeit, dass man nicht umhin kommt, sich ihren baldigen Aufstieg zu wünschen.

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Jeanette Kakareka in ihrer „fliegenden“ Solopose in den „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Ben Huis ist hier für die Einstudierung zuständig – wie immer hat seine gestrenge Hand bestmögliche Resultate erzielt.

Solange das Urheberrecht gilt, sind die Werke von Kreativen und Künstlern, also auch von Choreografen, ja geschützt. Zum Einen finanziell durch fällige Lizenzgelder, zum Anderen aber auch in ihrer Reinheit und Richtigkeit. So dürfen keinerlei Balanchine-Stücke öffentlich aufgeführt werden, ohne dass der Balanchine Trust hierüber wacht. Nur bestimmte Ballettmeisterinnen und Ballettmeister – zumeist ehemalige Balanchine-Interpreten – dürfen die Einstudierungen vornehmen; Experten wie Huis tingeln durch die ganze Welt, um die Balanchine-Choreografien zu lehren und stilistisch prägnant tanzen zu lassen.

Auch Patricia Neary zählt zu den Auserwählten, die der Balanchine-Trust auf Reisen schickt. Ihr Spezialgebiet sind die „Rubies“, die Rubine, also der zweite Teils in den „Jewels“. Neary tanzte selbst die zweite Solo-Partie bei den Damen in der Uraufführung beim New York City Ballet – und mit passendem Funkeln in den Augen übt sie lustvoll bei den renommierten Compagnien dieser Ballettwelt ihre Aufgabe der Einstudierungen aus.

Die einstige Neary-Partie wird in München in der Premierenbesetzung wiederum von Prisca Zeisel getanzt, und hier darf sie mal so richtig das Zeisel’sche Temperament zeigen: dynamisch, agil, von fast teuflischer Freude auch am Schauspielerischen beseelt. Nun gibt es in „Jewels“ keine Personagen, wohl aber Charaktere.

Und – das ist das vor allem Schöne daran – hier haben die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer durchaus Gestaltungsspielraum.

Zwar nicht im Was, aber im Wie!

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Dieser Trailer führt auf youtube exzellent hin zu den „Jewels“ beim Bayerischen Staatsballett. Hier erklärt Prisca Zeisel, wie sie das Stück „Jewels“ empfindet: als jazzig und Broadway-like. Faksimile: Gisela Sonnenburg

Prisca Zeisel lässt hier das Sportive der Partie eher außer Acht, betont aber dafür das Quirlige, Erotische, Irrwischige, Lebenslustige – sodass sie wie ein Kugelblitz immer wieder über die Szene tollt, die eher kantigen Bewegungen des Corps karikierend.

Aber da ist ja noch das Hauptpaar der Rubine!

Der sprungstarke Osiel Gouneo, einer der Publikumslieblinge der Münchner, tanzt diese Partie mit einer Gastsolistin an seiner Seite: mit Nancy Osbaldeston, die seit letztem Jahr Erste Solistin beim Royal Ballet of Flanders ist.

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Igor Zelensky ist nur zu beglückwünschen, dass er die Möglichkeit hat, sich für diese knifflige Partie sozusagen eine Fachkraft holen zu können. Denn in der Tat erfordert diese Mädchenrolle eine ungeheure Schnelligkeit bei gleichzeitiger Präzision – und all das muss dann auch noch Keckheit und spielerische Ironie im Ausdruck haben, was ohnehin nicht oft im Ballett unserer Tage zu finden ist.

Nancy hat ein entsprechend originelles Flair, sie wirkt keineswegs wie eine typische Primaballerina. Runde Formen und ein relativ großer Kopf verleihen ihr Munterkeit, ja sogar Lustigkeit im Ausdruck, was sie mit ihrem Tanz verstärkt.

Zu dem von der Statur her eher wuchtigen als grazilen Osiel passt sie vorzüglich – die beiden machen aus der virtuosen Klamauk-Nummer der „Rubies“ einen irdischen Riesenspaß!

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Spritzig: Osiel Gouneo und Nancy Osbaldeston in den „Rubies“ in „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Allerdings wird sich wohl auch die Alternativbesetzung sehr lohnen, denn wie man hört, werden Laurretta Summerscales (die hoch begabte Allzweckwaffe der Münchner, um es scherzhaft zu sagen) und Yonah Acosta (ihr charmanter Ballettgatte) die wichtigen Rubine tanzen.

Leider sind die entsprechenden Termine noch nicht bekannt, und mit hundertprozentiger Sicherheit kann man die Casts auch nicht vorher sagen. Aber kommt Zeit, kommt Rat – und bis dahin erfreut in jedem Fall die hervorragende Premierenbesetzung.

Die Musik kommt hier übrigens von Igor Strawinsky, der wie George Balanchine aus Russland kam, um in Amerika zu bleiben.

Die beiden Wahl-New-Yorkiner waren denn auch gute Freunde, stets bemüht, das kreative Schaffen des anderen zu verstehen und zu befördern.

Balanchine, der sich als extrem amerikanischer Künstler verstand und manchmal geflissentlich übersah, dass seine ganze Stilart auf dem russisch-klassischen Ballett gründete, nahm auch den im Herzen stets russisch gebliebenen Strawinsky mit auf ins Boot seiner Wünsche.

Und so geriet „Rubies“ zur Hymne zweier Einwanderer an die amerikanische Broadway-Kunst: an das aberwitzige, schräg-ulkige Business der Unterhaltung auf hohem Niveau – ohne dem Publikum moralisch allzu viel abzuverlangen.

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Die „Rubies“ sind besonders frivol, quick, lebenslustig: So zu sehen beim Bayerischen Staatsballett in München. Foto: Wilfried Hösl

Die Farbe, die hier die Spritzigkeit des Tanzes unterlegt, ist ein leuchtendes, weinrotes Rubinrot, also nicht jenes blaustichige Rot, das manche Rubine so einzigartig, aber auch melancholisch macht. Vielmehr entschieden Balanchine und Karinska sich für das fast Blutrote in dunkler Ausführung – Koketterie und Charme, Witz und Chuzpe spielen hier im Flair wie in der Choreografie eine Rolle.

Jede Frau eine Prinzessin – diese Parole hätte Balanchine ohnehin schon lange vor diversen Modemachern in seiner „Sinfonie in C“ ausgeben können, die als „Le Palais de Cristal“ in Paris in den 40er Jahren entstand. Und auch in „Jewels“ tragen alle Damen ein Diadem oder Krönchen, denn so geistreich ihr Tanz auch sein mag, so sind sie doch vor allem von Noblesse und Hoheit geprägt. Ihr Kopfschmuck steht dabei symbolisch für mehr als nur adelige Würde: Er verströmt eine fast avantgardistische, in jedem Fall aber delikate Aura.

Seinen Gipfel erreicht dieses Schönheitsideal in „Diamonds“, dem diamantenen Schlussteil der „Jewels“.

Die bildschöne, zudem exquisite, feminin-expressive Ksenia Ryzhkova heimst hier die Beifallsstürme ein, als handle es sich um eine Uraufführung.

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Majestätisch: Ksenia Ryzhkova als Königin der „Diamonds“ in „Jewels“ beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Und natürlich ist ihr Königinnentanz dem Russischen gewidmet, mit Musik von Peter I. Tschaikowsky: Balanchine sprang über seinen Schatten und gönnte sich und dem Publikum eine Liebeserklärung an die russische Kultur, an den russischen Tanzstil. Sogar Volkstanzelemente sind darin zu erhabener Festlichkeit erhoben, um dem ballettösen Geschehen seine Leidenschaft zu verleihen!

Der Stil des Ganzen ist indes so majestätisch, dass man sich niemals in einem Zirkus oder dergleichen wähnen könnte.

Alexey Popov sprang hier bei der Premiere in München ganz kurzfristig, aber sehr erfolgreich für den leider verletzten Jinhao Zhang (gute Besserung!) ein.

Elegant und doch furios wirken Ksenia und Alexey als Bühnenpaar, und dass das Ensemble dazu so synchron wie makellos seinen geführten Spitzentanz wie aus einem Hofball-Zeremoniell vorzeigen kann, steigert die gute Stimmung nur noch mehr.

Jewels" beim Bayerischen Staatsballett

Die klassische Schönheit in Weiß triumphiert mit dem Ensemble in den „Diamonds“ bei den „Jewels“ von George Balanchine. Ob der nachtblaue Himmel auch an Saphire erinnern darf? So fein zu sehen beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Elyse Borne hat hier als Balanchine-Coach sensationelle Arbeit geleistet!

Von Borne stammt auch die Bemerkung, die „Jewels“ seien wie ein Drei-Gänge-Menü aufgebaut: mit einer superben Vorspeise, einem Hauptgericht mit Steak und Hummer und einem Soufflé als Nachspeise.

Für ein Soufflé sind die „Diamonds“ vielleicht ein bisschen zu hochkarätig – aber ihr gestochen scharfer Schliff und ihr strahlendes weißes Feuer treten in dieser Inszenierung noch stärker hervor als in den Schaufenstern der Juweliere.

Für die Beurteilung einzelner Diamantsteine braucht man indes eine Lupe – für den Genuss dieses Balletts hingegen genügt ein passioniertes, für zeitlos-klassische Schönheit empfängliches Gemüt. Nicht umsonst gilt Balanchine als der Choreograf schlechthin der Neoklassik, die aus den klassischen Grundlagen eine Moderne mit klassischem Esprit erschuf.

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Schöner als jeder Opernball: Die Paare in „Diamonds“ aus den „Jewels“ von George Balanchine beim Bayerischen Staatsballett. Foto: Wilfried Hösl

Der uns heute so geläufige Brillantschliff wurde übrigens erst ab 1910 entwickelt. Diamanten waren aber auch vorher schon sehr begehrt als Schmucksteine, zählen sie doch zu den härtesten Materialien, die die Natur hervorbringt. Zudem verbreiten sie auch mit weniger aggressiv geschliffenem Facettenreichtum einen unvergleichlichen Schimmer.

Apropos Facettenreichtum: Herzlichen Glückwunsch an Robert Reimer, der hiermit sein Debüt als Dirigent beim Bayerischen Staatsballett gab!

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Robert Reimer, der den Fans vom Staatsballett Berlin bereits ein Begriff ist, dirigiert jetzt auch für das Bayerische Staatsballett mit höchster musikalischer Kunst. Glückwunsch! Auch ans Münchner Publikum für den Zugewinn! Foto: Bayerisches Staatsballett

Seit Jahren wird das Ballett-Journal nicht müde, ihn zu preisen, denn Reimer beglückt etwa beim Staatsballett Berlin mit seiner unikat feinfühligen, dennoch willensstarken Art, ein Orchester in den Einklang mit den Tänzern sowie zu melodischen Bestleistungen zu bringen.

Jetzt profitiert auch das Bayerische Staatsorchester davon – und vollbringt wahre Wunder, indem es so unterschiedliche Kompositionen wie die von Fauré, Strawinsky und Tschaikowsky bravourös für den Ballettabend zu neuem Leben erweckt.

Für Fans wie für Neulinge in der Ballettkunst ist dieser Abend darum besonders geeignet: Weder wird man von schwer verständlichen Inhalten bedrückt noch von geistloser Inhaltsleere gelangweilt. „Jewels“, und das mag das eigentliche Geheimnis dieses Programms sein, besticht mit jener sinnenhaften Köstlichkeit, die vor allem die Fantasie beflügelt.
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

www.staatsballett.de

 

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