Sie kam vom Indischen Ozean über England nach Deutschland. Und bot mit ihrer weiblich-schlanken Figur, den großen Kulleraugen, den zarten Händen und ausnehmend schönen Füßen ein Bild von einer Ballerina! Colleen Scott, am 6. September 1945 geboren – also wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – vermittelte immer etwas Spirituelles, ebenso aber auch extreme Sinnlichkeit. Ihre flammroten Haare, ihr Porzellanteint und ihre durchaus energisch hervorstechende Nase machten sie schon auf den ersten Blick unverwechselbar. Auf den zweiten dann bezauberte ihr Tanz, den ihr späterer Gatte, Münchens Ex-Ballettdirektor IvanLiška, nach einer Aufführung 1969 in Düsseldorf spontan so bezeichnete: „Poesie“! In die mehr als nur wohlhabende Oberschicht von Durban in Südafrika geboren, hatte Colleen Scott – die ihren Mädchennamen nie als Künstlerin ablegte – einen sozialen Background, von dem viele träumen. Ihr Talent konnte sich frei entfalten, im wahrsten Sinne des Wortes: Es war nicht nur der Ballettunterricht von Eileen Keegan in Durban, der aus ihr eine Tänzerin machte.
Einem frühen Engagement in Johannesburg ließ Colleen nochmals zwei Studienjahre folgen, und zwar an der Royal Ballet School in London.
Damit bestimmte sie selbst den Stil, der sie nochmals „schleifen“ und prägen sollte.
Das Verspielte, das Liebliche, das Lyrisch-Hingegebene lag ihr, das Feenhafte, die Noblesse.
Später, als sie bei John Neumeier in Hamburg tanzte, sah ich sie in vielen Rollen. Aber als die „Gute Fee“ in Neumeiers modernisierten Version von „Dornröschen“ habe ich sie besonders in Erinnerung: So gar nicht kitschig-niedlich, sondern urst feminin und selbstbewusst tanzte sie da den Traum von der Liebe oder vielmehr die Beschützerin dieses Traumes.
Auch in der „Artus-Sage“, ebenfalls von John Neumeier, sah ich sie und fand sie unvergesslich. Als Königin Ginevra tanzte sie die Liebe erst mit Francois Klaus als dem königlichen Gemahl Artus, um dann mit Kevin Haigen als Lancelot vom See durchzubrennen.
Leidenschaft, gepaart mit Feinheit und Raffinesse – das war die Startänzerin Colleen Scott.
Und doch konnte sie, wie jede außergewöhnliche Künstlerin, auch genau das Gegenteil dieses Profils auf der Bühne zeigen: So als Katharina in „Der Widerspenstigen Zähmung“ von John Cranko. Der sie so besetzte, war – wer sonst – John Neumeier, der die Härte und gelegentliche Sturheit der gebürtigen Südafrikanerin erkannt hatte und für bühnenreif befand.
Die „Zähmung“ tanzte sie, wie so viele andere Rollen, an der Seite ihres Ehemannes Ivan. Mit ihm, dem aus Prag in den Westen gewechselten Ballerino, verließ sie 1974 das Düsseldorfer Ballett, um zunächst beim Bayerischen Staatsballett in München und dann – ab 1977 – in Hamburg bei Neumeier zu höchster Tanzqualität zu erblühen.
Ob als Hippolyta / Titania in „Ein Sommernachtstraum“, als Dulcinea in Neumeiers „Don Quixote“-Fantasie, als Mutterfigur in seiner „Vierten Sinfonie von Gustav Mahler“ oder als Celia in „Wie es euch gefällt“: In Hamburg zeigte und entwickelte Colleen Scott ihr Talent als Muse, als anregende Interpretin, als inspirierende Schönheit.
Als Ihr Gemahl IvanLiška, der auch der Vater ihrer beiden Söhne wurde, in München zum Ballettdirektor berufen wurde – was er bis 2016 blieb – avancierte sie zur Trainings- und Ballettmeisterin. Und bewies auch in diesem neuen Beruf ihre Berufung zur Pflege des Aristokratisch-Edlen, des Poetisch-Sinnlichen.
Colleen Scott war die Hüterin des Schönen in Person!
Und auch in den letzten Jahren war sie so fleißig wie unersetzlich.
Mit dem „Triadischen Ballett“ studierte sie beim Bayerischen Junior Ballett, das ihr Mann leitet, ein experimentell modernes Stück Tanz mit ein, das sie selbst einst mit uraufgeführt hatte.
Aktuell war sie damit beschäftigt, den bayerischen Junior-Künstler*innen den Stil von Isadora Duncan, der antiballettösen Tanzpionierin, nahe zu bringen.
Eine filmische Dokumentation, die dieses enthält, ist beim digitalen Festival „Dance 21“ unter dem Titel „Dance History Tour“ zu sehen.
Am letzten Sonntag, dem so genannten „Muttertag“, verstarb sie nach einem Unfall im privat-häuslichen Bereich.
Behalten wir sie so in Erinnerung, wie sie war: schön und immer etwas spirituell, trotz aller Weiblichkeit und Gediegenheit. Farewell, Colleen!
Gisela Sonnenburg
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