Die ersten zehn Jahre Goyo Montero feiert seine ersten zehn Jahre als Ballettdirektor in Nürnberg mit der Gala „Dekade“

In Nürnberg wird Ballett gemacht

Küsse gehören ins Ballett wie die Liebe zu „Romeo und Julia“ oder zu Prinz und Prinzessin oder auch zu Albrecht und Giselle… Foto vom Staatstheater Nürnberg: Jesus Vallinas

Mit vielen Pas de deux und etlichen Soli, mit Ensembleszenen und originellen Tänzen zu gesprochenen Gedichten als Leitfaden wartet die Gala „Dekade: Zehn Jahre Ballett Nürnberg“ auf. Und alles hier ist aus einer choreografischen Hand. Nun gab es zwar auch vor dem Ballettchef Goyo Montero staatlichen Bühnentanz in Nürnberg, aber dieser stand im Zeichen des Tanztheaters. Der in Kuba ausgebildete Spanier Montero baute dann seit 2008/2009 eine Balletttruppe in der fränkischen Metropole auf, die er als Chefchoreograf mit seinem eigenen Stempel prägte. Die diesjährige Jubiläumsgala gibt über sein Schaffen einen Überblick – und feiert den modernen Stil Monteros als sinnvolle Erneuerung.

Und die muss keineswegs eindimensional sein. Da schwingt beim verliebten Tanz von „Monteverdi“ aus „Desde Otello“ bereits das destruktive Element ganz fein, ganz dunkel mit. Esther Pérez und Luis Tena zeigen das, ohne die Innigkeit dieser Bühnenfiguren zu verlieren.

Im fließenden Übergang, ganz ohne Pausen, reihen sich den ganzen Abend über weitere Montero-Stücke aneinander, wie Perlen auf eine Kette.

Zur Blüte kultiviert hat übrigens John Neumeiers Hamburger Bundesjugendballett diese collagierende Art der abendfüllenden Präsentation mit verschiedenen Ausschnitten. Montero hat da ganz offensichtlich gelernt.

Mit viel Poesie, fantastischen Sängern, origineller Choreografie und einem hervorragenden Live-Orchester hat sich das Musical „Die Schöne und das Biest“ in die Herzen aller getanzt, die es gesehen haben. Kein Grund, es sich nicht nochmal anzuschauen – oder endlich zum ersten Mal hineinzugehen! Viel Spaß! Und die Tickets gibt es hier auf einen Klick! Faksimile: Anzeige

Aber um nun keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Als Choreograf ist Goyo Montero, so verdienstvoll man sein Nürnberger Wirken auch finden kann, keineswegs mit einem Genie wie Neumeier zu vergleichen. Eher töpfert Montero fleißig-redlich vor sich hin, als hochgradig inspiriert zu sein, und als Ballettdirektor in der – ja, das muss so gesagt werden – kulturellen Provinz ist das durchaus auch erlaubt.

Es kann ja nicht nur First class Künstler geben. Es darf und soll auch jene geben, die recht unterhaltsam und auch manchmal originalistisch sind, ohne dabei jene Marken zu reißen, die zur Weltkunst führen.

Genau so einer ist Goyo Montero, und man sollte ihn weder unterschätzen noch überschätzen. Er passt nach Nürnberg, zwar nicht wie die Faust aufs Auge, aber wie die berühmten „Sauren Zipfel“ (eine aus in Essigwasser mit Zwiebelringen gebrühten, kleinen Weißwürstchen bestehende lokale Spezialität). „Sechs Saure“ waren zwar noch nie was für Vegetarier, für alle anderen in Nürnberg aber ein absolutes Must.

Mit Montero hat Nürnberg sozusagen seinen siebten Zipfel: Wer der Tanzkunst nicht ganz abhold ist, der muss sich als Nürnberger von diesem modernen Ballett wie magisch angezogen fühlen.

Die begabten, ausdrucksstarken Tänzerinnen und Tänzer vor Ort tun da ein Übriges.

Die japanische Ballerina Natsu Sasaki – in der Schweiz und im Institut von Rosella Hightower in Frankreich ausgebildet – tanzt für Montero seit seinem Amtsantritt in Nürnberg. Sie kann als seine erste Muse gelten, für die er Stücke mit ganz bestimmtem Contemporary Flair kreierte. Wie die „Sarabande“ aus „Vasos comunicantes“. Formal prägnant, inhaltlich manchmal ein bisserl blutarm, gibt das Stück Sasaki dennoch Gelegenheit, sich facettenreich zu zeigen.

In Nürnberg wird Ballett gemacht

Ballettdirektor Goyo Montero in Nürnberg auf der Probe: smart und stets gut gelaunt. Foto vom Staatstheater Nürnberg: Jesus Vallinas

Einen wahren Publikumsrenner tanzt dann Alexsandro Akapohi mit „Come again“: kraftvolle, klassische Elemente lassen einen so viel Energie, wie für die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre nötig, tanken. Bravo!

Das „Ave Maria“ aus „Desde Otello“ hat es da schon schwerer, und auch ein getanztes Terzett zu den spanischen Gedichtzeilen aus „Benditos Malditos“ kommt über das Prädikat „bemüht“ nur schwerlich hinaus.

Da freuen sich die Nürnberger darauf, dass an manchen Abenden die Starballerina Alicia Amatriain vom Stuttgarter Ballett zu Gast in Nürnberg sein soll – ein unvermutetes Highlight mit hohem Unvergesslichkeitswert.

Das moderne „DornröschenMonteros – zur bekannten Weltmusik von Tschaikowsky – erinnert dann gar an die „Marquise von O.“ von Heinrich von Kleist. Bevor der Prinz sein Mädchen hier wachküsst, tanzt er mit der Scheintoten wie mit einer während ihrer Ohnmacht zu Beglückenden. Also, feministisch ist das nicht – und ob solche altbackenen Männerfantasien überhaupt noch notwendig sind, sollte man mal ernsthaft bei einer Podiumsrunde diskutieren.

In Nürnberg wird Ballett gemacht

„Dornröschen“ mal eher wie „Die Marquise von O.“: gerade noch nachvollziehbar – oder schon sexistisch? Das wäre zu diskutieren. Foto vom Staatstheater Nürnberg: Jesus Vallinas

Natürlich ist hier manches auch schlicht krude oder sogar unfreiwillig komisch.

Wenn etwa das silbrige Ganzkörperkondom einen „Don Quijote“ beziehungsweise eine Cervantes-Figur schmückt, dann kann man auch darüber schmunzeln. Zumal im final gesetzten Stück „Treibhaus“ dann lauter solche Kondombekleideten auf die Bühne stürmen.

Menschenaufzucht als rein labortechnische Frage? Wer weiß…

Zuvor aber werden „Romeo und Julia“ zur ballettösen Trivialliteratur, indem der Tod als Person immer dann auftauchen darf, wenn es sonst droht langweilig zu werden. Das nennt man „dramaturgisch unmotiviert“ – aber es ist absolut typisch für das fränkische Provinztheater, dass solche Dinge inszeniert und in vollen Zügen ausgelebt werden. Man darf das mit einiger Sympathie belächeln, aber nicht bewundern.

Da hilft übrigens auch ein Showeffekt mit Spotlight für die beiden Liebenden nur ganz wenig. Aber immerhin tanzen Isidora Markovic und Ivan Delgado mit viel Verve und Elan diese betont zeitgenössisch-moderne „Romeo“-Choreo.

Weiter geht es mit anderen weltliterarisch bestens bekannten Helden…

Ein fast sexistischer „Don Juan“ – voll knallharter Anspielungen statt voll raffinierter Erotik – hilft allerdings im Grunde auch niemandem. Aber man hat mal wieder was gesehen, das die Gedanken auf bestimmte Verführungskünste lenkt – und so etwas mögen gerade die Abonnenten in einer nicht ganz so großen Stadt zumeist doch ganz gern.

Sofie Vervaecke und Luis Tena bewähren sich zudem als äußerst tapferes Paar bei diesen wie vorbestellt wirkenden gymnastischen Deftigkeiten.

Die Uraufführung des Abends kommt dann, von wem sonst, ebenfalls vom Ballettboss Goyo Montero. Die niedliche Spanierin Esther Pérez und der schöne Brasilianer Alexsandro Akapohi tanzen das Duett „Interval“, in dem das Paar in van Manen’scher Manier aufeinander zu und voneinander weg strebt.

Es ist eine Art Anti-Pas-de-deux, durchaus von sehr delikatem Geschmack und funkenstiebend angefüllt mit Spannungen. Ein Happy End bekommt so ein modernes Pärchen allerdings natürlich nicht; nacheinander verschwinden sie von der Bühne, ohne sich im Auge zu behalten. Erst er, dann sie: So verlassen die (Nicht-)Liebenden die Arena der Leidenschaften, in der sie sich immerhin nicht gegenseitig zerfleischt haben. Yes, solche Paare gibt es – das ist feinsinnig beobachtet und passend umgesetzt.

Doch auch wenn Goyo Montero ab und an zu solchen künstlerischen Höhepunkten fähig ist – es wäre ein großer Fehler, ihn aus seinem gewachsenen Nürnberger Umfeld mit gerade mal 22 Tänzerinnen und Tänzern im Ensemble herauszureißen, um ihn zum Beispiel zum Kopf einer als hochkarätig bekannten, über 70-köpfigen Truppe wie dem Semperoper Ballett in Dresden zu machen.

Genau das ist seit geraumer Zeit im Schwange, und manche sächsischen Experten sehen Montero tatsächlich als optimalen Nachfolger von Aaron S. Watkin als Ballettdirektor an der Semperoper.

In Nürnberg wird Ballett gemacht

Das Ballett ist in Nürnberg eine eigene, auch eigenwillige Größe – zweifelsohne dank Goyo Montero. Foto vom Staatstheater Nürnberg: Jesus Vallinas

Was dabei nicht bedacht wird: All das, was im kleinen Rahmen in Nürnberg aufgrund einer gewissen Originalität immer noch Spaß machen kann, obwohl es schrecklich missraten ist – wie dieser „Don Juan“, wie dieses „Treibhaus“ – wird in der prachtvoll-großartigen Semperoper zutiefst bitter aufstoßen. Ganz zu schweigen davon, dass es keine Fingerübung ist, mal eben 50 Tänzerinnen und Tänzer mehr zu führen.

In diesem Sinne wünscht man dem smarten, stets gut gelaunten Goyo Montero und den ihn ganz offenkundig liebenden fränkischen Zuschauern von Herzen alles Gute: für die nächsten zehn Jahre miteinander!
Franka Maria Selz / Gisela Sonnenburg

Wieder am Freitag, 29.06.2018, und am Montag, 02. Juli 2018!

www.staatstheater-nuernberg.de

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