Die nackte Haut und das ehrliche Herz „Fleischeslust“ von und mit George Grosz und anderen Hochkarätern in der Berliner Galerie Deschler

George Grosz und andere frönen der "Fleischeslust" in der Galerie Deschler in Berlin

„Selbstportrait mit Akt“ – der Maler George Grosz zeigte sich und seine Fleischeslust auf diesem Bild aus dem Jahr 1937 ganz unverschämt – und mit Rubens-Anklang. Abbildung: Galerie Deschler

Wir haben alle nur eine Haut. Ob ehrlich oder nicht: Diese eine Haut muss halten, ein Leben lang. Sie nackt zu zeigen – ob die eigene oder die von anderen – ist immer ein Affront für die Gewohnheit, oft auch eine sexistische Attacke aufs Gemüt. Von manchen erwünscht, von anderen missachtet. Für manche ein Geschäft. Auch in der Kunst. Der von den Nazis gehasste Maler George Grosz hatte in New York einen Lehrauftrag für Akt. Was ihm die Existenz gerettet hat. Die Galerie Deschler im Scheunenviertel in Berlin zeigt jetzt unter dem Titel „Fleischeslust“ mehr als ein Dutzend dieser Werke, zusammen mit Nacktheitsbeiträgen lebender Zeitgenossen.

„Ich mache mir die Natur zum Freund“, notierte Grosz noch in Europa.

Ging es ihm einerseits um die äußere Natur, ums Grün und um alles Elementare, so kam andererseits ein starkes Verständnis der menschlichen, der inneren Natur des Menschen hinzu.

Nacktheit, das ist Schönheit, Eros, Selbstverständlichkeit. Natur pur.

Auch: Harmonie ohne Kampf darum, meist ohne aufwändiges Styling, sogar ohne Ironie – Grosz’ Ideal dessen ist verständlich, auch unkompliziert, aber nicht unbedingt gesellschaftlicher Mainstream.

George Grosz und andere frönen der "Fleischeslust" in der Galerie Deschler in Berlin

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Schamlosigkeit kann auch positiv gemeint sein.

Dabei galt gerade ihm der menschliche, vor allem der weibliche Körper nicht als ungebrochen schön.

Da wabert das Fleisch zuhauf, es legt sich in Dellen und Falten, und die Geschlechtsorgane sind mitunter so drastisch betont, dass so ein Akt eher wie eine Karikatur wirkt denn als erotische Zeichnung. Darin liegt der große Wert der Grosz’schen Obszönität.

Unser Verständnis von Individualität und Offenheit hat das stark geprägt.

George Grosz und andere frönen der "Fleischeslust" in der Galerie Deschler in Berlin

Sven Marquardt inszeniert, ohne sich einzumischen: Das Portrait „Rummelsnuff“ stammt von 2007. Abbildung: Galerie Deschler

Nachfolgende Künstler greifen die Freiheit zum nicht geglätteten, dennoch sinnlichen Ideal auf – und rücken die Körper ihrer Zeitgenossen in einen sozial fasslichen Kontext.

Wie Sven Marquardt.

Sein Muskelprotz und seine Kurvenkönigin:

Sie faszinieren gleichermaßen, sind wie aus dem alltäglichen Leben gegriffen, zugleich aber auch penibel inszeniert. Sie stellen sich selbst dar. Ihre Requisiten, wie die schwule Matrosenmütze und die mondäne Zigarettenspitze, betonen ihre Geschlechtlichkeit – ohne diese zu enthüllen.

Der Maler Rainer Fetting ist auch da. Und mit „Angelika“ bestens vertreten, dieser propperen Miederschönheit, deren dunkelrotes Kopfhaar den Blickfang bildet. Es handelt sich um eine Rückenansicht. Das Umfeld ist durch ein eckiges, weißes Feld vor Angelika ausgelotet – ansonsten ist der Raum leer, olivgrau in der Farbe, wie eine abgenutzte Tapete, aber durchaus anheimelnd. Das Weiße, es könnte eine Heizung vor einem Fenster sein.

Angelika stünde dann, sich gleichermaßen mit dem Dekolleté zur Schau stellend, mit dem Blick nach draußen in einem Innenraum, in den uns der Maler wie insgeheim mitnimmt. Die da draußen, vielleicht auf der Reeperbahn in Hamburg, sind für uns zwar unsichtbar. Aber Angelikas Absicht, mit ihrem drallen Körper Lust gegen Geld zu geben, scheint offenbar.

George Grosz und andere frönen der "Fleischeslust" in der Galerie Deschler in Berlin

Ohne Titel kommt diese Kurvenschönheit aus – in Sven Marquardts fotografischer Fantasie von 1987. Abbildung: Galerie Deschler

Auch das „Mädchen auf Stuhl“ von Jörn Grothkopp sieht man von hinten. Aber das Szenario ist ein ganz anderes!

Ganz zart ist dieses Aquarell. Von der Wespentaille der Frau erkennt man nur die weiße Silhouette. Sie ist eher eine Liebende denn eine, die sich anbieten würde.

Das China-Papier, auf das sie gemalt ist, ist zerknittert.

Die rot getupfte Decke unter ihrem Po ist verblasst.

George Grosz und andere frönen der "Fleischeslust" in der Galerie Deschler in Berlin

Rainer Fetting malte „Angelika“ im Jahr 1993, mit Öl auf Leinwand. Abb.: Galerie Deschler

Aber hinter ihr scheint die schwarze Rückenlehne vom Stuhl eine Umarmung zu erwarten.

So ist das Herz nicht auszuschließen, wenn die Haut nackt zu sehen ist.
Gisela Sonnenburg

Bis 8. Juli 2017 in der Galerie Deschler, Auguststraße 61, Berlin-Mitte

 www.deschler-berlin.de

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