Liebe, Herz, Verstand – und Flucht Mit „George Grosz in Berlin“ zeigt das Berliner Bröhan-Museum, wie der kritische Künstler und Hitler-Zeitgenosse überlebte

George Grosz in Berlin

Der Künstler George Grosz auf dem Kurfürstendamm in Berlin, wenige Wochen vor seinem Tod 1959. Die Fotografie entstammt dem Archiv Ralph Jentsch

Er hatte diesen politischen Instinkt. Der bedeutende Maler George Grosz, von starken Gefühlen beseelt und mit seinen Gegnern in den künstlerischen Arbeiten nicht gerade zimperlich, zeichnete „Siegfried Hitler“ – so nannte er den späteren Massenmörder Adolf Hitler – erstmals bereits 1923, kurz nach dem erfolglosen Hitler-Putsch: als narzisstischen, größenwahnsinnigen Diktator. Grosz muss den faschistischen Braten sozusagen gerochen haben – und schon 1932, im Jahr, bevor Hitler die Wahlen gewann, nahm der sensible Grosz eine Professur in den USA an, um dem dräuenden deutschen Wertewahn zu entkommen. Die Ausstellung „George Grosz in Berlin“ zeigt im Bröhan-Museum in Berlin-Charlottenburg die Entwicklung eines Mannes, der sich nie den Mund verbieten ließ – und dessen bildnerischen Werke sowohl von auserwählter moderner Schönheit als auch von bissigem, nachgerade aktuell zu nennenden Sarkasmus sind.

Anlass ist das 100-jährige Jubiläum der Novemberrevolution in Deutschland, der im übrigen die Frauen ihr hiesiges Wahlrecht verdanken.

Zu entdecken ist aber zudem die oft versteckte zarte Seite von George Grosz – er ist in der Ausstellung als zärtlicher Vater mit einem gemalten Brief an seinen Sohn ebenso präsent wie als Landschaftsliebhaber.

Seine erste Liebe galt gar dem feinfühligen Jugendstil, weshalb Grosz auch so vorzüglich in das einstmals private Bröhan-Museum passt, dessen eigener Bestand in der Dauerausstellung Pretiosen aus der Zeit der Belle Époque zeigt.

Bei Grosz kommt alles der Reihe nach: In Zeichnungen, die von seiner jungmännlichen Lektüre der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ inspiriert sind, huldigte Georg Ehrenfried Groß – wie er mit Geburtsnamen hieß – der Schönheit der edlen Linie und dem romantischen Flair der Natur. Fast könnte man glauben, er sei ein Schüler von Alfons Mucha gewesen!

Aber bald schon mischen sich sarkastische Ideen unter die heimelige Anmutung der Zeichnungen. Da wird ein glatzköpfiger, schnurrbärtiger Kopf, dem von Bismarck nicht unähnlich, wie ein gebratener Schweinskopf auf dem Tablett serviert.

Was in diesen Anfängen noch unausgegoren, aber bereits von genialischer Kraft geprägt ist, wird bald – dank konsequentem Fleiß und ebenso konsequenter Urteilskraft – zu Kunst auf höchstem Niveau heranreifen.

Den Sinn für weibliche und auch männliche Schönheit wird er sich stets bewahren, ihn sozusagen aus dem Jugendstil mit sich tragen, auch wenn Grosz Menschen eher als Typen denn nur als formale Figuren zeigt.

Liebe, Herz, Verstand: Nur wenige Künstler hatten von all dem soviel wie Grosz im Leib, und zudem auch noch jede Menge Talent.

Grosz, der seinen Namen internationalisierte, wurde denn auch bald eine der wichtigsten Stimmen im Kunstbetrieb der Weimarer Republik.

Sein Profil als sinnlich gewitzter Meckerpott stand ja schon früh fest. Und das mag nicht nur rein künstlerisch, sondern auch in seinem Charakter begründet sein.

1893 geboren, musste er als Teenager die Schule verlassen, weil er einen Lehrer, der ihn geohrfeigt hatte, zurück ohrfeigte.

Soviel Chuzpe muss man als Schulbub erstmal aufbringen!

Als Sohn eines Gastwirts, der früh verstarb, wuchs er, in Berlin geboren, in Polen auf, wo seine Mutter ein Offizierskasino führte. Sein bildnerisches Talent fiel auf, er wurde gefördert und gefordert, arbeitete früh an Illustrationen von literarisch-dramatischen Szenen.

In Dresden erwarb er 1912, fast wie nebenbei. ein Diplom der Kunstgewerbeschule, ohne, dass die Arbeit mit Nutzgedanken seinen künstlerisch-kritischen Antrieb verdarb. Auch in Berlin studierte er – im Anschluss – an der Kunstgewerbeschule, immerhin mit einem staatlichen Stipendium. Er begann, mit Ölfarbe zu arbeiten. Vor allem aber erlebte er in Berlin durch den Kunsthandel die erste Blütezeit der damaligen Avantgarde, sah Werke von Cézanne, van Gogh, Picasso, Matisse.

1913 reiste er nach Paris, nahm wieder Malunterricht, zeichnete aber auch schon im Sinne seiner typischen Verschmelzung von Karikatur und Poesie.

Um sich nicht zwangsweise an die Front schicken zu lassen, trat er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 als Freiwilliger dem Militär bei. Bald wurde er, ein Glück für ihn, als dienstuntauglich entlassen. 1917 wurde er, der im Grunde ein Sensibelchen war, als „dauerhaft kriegsuntauglich“ eingestuft. Das hatte weniger organische als seelische Gründe.

Wichtig war für ihn die Freundschaft mit den Brüdern Wieland und Helmut Herzfelde. Helmut wurde unter dem Künstlernamen John Heartfield weltberühmt – seine berühmte Collage über den Faschisten Hitler, der sich von den Industriellen das Geld geben lässt, mag heute so aktuell sein wie damals.

Aber auch viele Werke von Grosz brennen heute wieder unter den Nägeln, als seien sie soeben erst erschaffen. Ungerechtigkeit, Gewalt, Groteskes – Grosz deckt mit spitzen Zeichenstrichen auf, was die Gesellschaft unter den Teppich kehren möchte.

Maßgeblich war er auch am ersten Dada-Abend in Berlin beteiligt, und die pazifistische Ausrichtung dieser rebellischen Kunstbewegung war für Grosz so sinn- wie werkstiftend.

Nicht wenige seiner Arbeiten bezeugen seinen starken Gerechtigkeitssinn.

Da wird ein flüchtender Gefängnisinsasse vom gewaltgeilen Wärter totgeschlagen.

Da bettelt ein fast verhungertes, nacktes Kind am überladenen Tisch eines schamlos reichen Fressers, der gar nicht weiß, wohin mit seinem Vermögen.

George Grosz in Berlin

„Brillantenschieber“ sind finstere Typen – und sehen 1920 so aus. George Grosz hat sie als Aquarell und Collage aufs Papier gebannt. Copyright: Estate of George Grosz / VG Bild-Kunst

Da werden Brillanten von finsteren Typen verschoben, und man kann sich beim besten Willen nicht entscheiden, wer in dieser begüterten Werteverklopperei der größte Gauner ist.

Da wünschen sich Kapital und Militär schließlich im Januar 1920Ein gesegnetes Neues Jahr!“ – und hängen doch beide, personifiziert von Glatzköpfen, schon am Galgen, denn Grosz war damals ein gläubiger Kommunist.

1918 war er der KPD beigetreten, und als die Novemberrevolution die Abdankung des Kaisers bewirkte – hundert Jahre ist sie nun her – wurde er Mitglied im „Arbeitsrat für Kunst“.

Das Crossover, so würde man es heute nennen, mit den Theater-Künsten inspiriert ihn. Er entwirft Puppen und Marionetten, unter anderem für Max Reinhardt und Walter Mehring. Als Mitveranstalter und Künstler der „Ersten Internationalen Dada-Messe“ erhält er aber auch sein erstes Gerichtsverfahren: wegen „Beleidigung der Reichswehr“ in seiner satirischen Mappe „Gott mit uns“.

Drei Gerichtsverfahren muss Grosz im Laufe der Jahre vor seiner legalen Flucht aus Deutschland über sich ergehen lassen. Wegen Beleidigung (siehe oben), wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral – und wegen Gotteslästerung. Es ging stets um seine kritische Haltung. In der Ausstellung gibt es einen Hörraum, in dem man sich prägnante Zitate aus den Verfahren zu Gemüte führen kann.

Maulkörbe verteilt die Justiz auch heute. Wo aber beginnt Faschismus?

Wenn der erste Meilenstein die Überempfindlichkeit der herrschenden Klasse ist, dann sollten wir aufpassen. Denn auch heute gibt es bereits wieder Personen, Institutionen und Firmen, bei denen offenbar kein kritischer Beitrag mehr rechtlich Bestand hat.

Wohin wäre George Grosz, der das frühzeitig bemerkt hätte, wohl heute getürmt?

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Es ist unwahrscheinlich, dass er seinen naiven American Dream – den er vor seiner Auswanderung sehr wohl hatte und den er dann in den USA angesichts der dortigen Realität bald zerstört sah – auch heute noch geträumt hätte. Zu deutlich sind die Manöver eines Donald Trump in Richtung Nationalismus, Sexismus, Volksverblödung.

Damals aber, bevor es Fernsehen und Internet gab, schien für den desillusionierten Linken Grosz, der 1923 aus der KPD ausgetreten war, aber weiterhin in linken Verlagen publizierte, Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Das berufliche Glück in seinem Werdegang – so nahm er an – würde sich dort schon fortsetzen. Die Fotografien, die er auf der Überfahrt in die USA macht, bezeugen sein Interesse an konkreten Gegenständen und Situationen. Grosz als Fotograf – auch das ist eine Entdeckung, die diese Ausstellung einem verschafft.

George Grosz war in der Weimarer Republik zu einem der am meisten anerkannten Künstler in Deutschland avanciert. Er verdiente gut mit der künstlerischen Anprangerung kapitalistischer Auswüchse innerhalb des kapitalistischen Kunsthandels – und er erreichte mit seinen Mappen, die hohe Auflagen erzielten, zugleich einen weiten Kreis an Adressaten, die sich somit preiswerte Kunstwerke von ihm auch leisten konnten.

Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass die soziale Ungerechtigkeit, die er oftmals in seinen Zeichnungen und Gemälden so ergreifend zu schildern wusste, ihn in den Vereinigten Staaten selbst erwischen würde.

So wurde er zwar auch in den USA als einer der bedeutendsten lebenden Zeitgenossen der bildenden Kunst gefeiert. 1941 richtete ihm das renommierte Museum of Modern Art (MoMA) in New York sogar eine Einzelausstellung aus.

Aber überleben konnte Grosz als freier Künstler in den USA mitnichten.

Er war gezwungen, unliebsame Lehraufträge an unbedeutenden Hochschulen anzunehmen – und seine Frau Eva, die ihm treu und geduldig in allem folgte, arbeitete als Putzmacherin, um die familiäre Haushaltskasse aufzubessern.

Hatte der kluge Grosz denn ernsthaft geglaubt, die weiten Gräben zwischen Arm und Reich seien in den USA geringfügiger in ihren Auswirkungen als in Europa? Hatte er gedacht, die gesellschaftliche Schizophrenie, die dazu führt, dass Talent bestraft wird, wenn es nicht der Obrigkeit nützt oder ihr gar entspringt, sei in Übersee weniger ausgeprägt als in Deutschland?

Zumindest hatte er wohl gehofft, einen ähnlichen Spagat wie im Berlin der 20er Jahre vollbringen zu können und als gewiefter Salonkritiker ein sattes Oberschichtenleben zu führen.

Das klappte nicht. Grosz malte zur Erholung Landschaften, ergötzte sich künstlerisch an den sanften Rundungen der amerikanischen Stranddünen und bald auch an köstlich deftigen erotischen Sujets (die in der kindgerechten Ausstellung im Bröhan-Museum allerdings fehlen).

Aber seine künstlerische Macht, die sich aus der engmaschigen Kritik am politischen Tagesgeschäft in Deutschland gespeist hatte, musste er in Amerika teilweise einbüßen.

Und doch waren die USA seine Rettung. 1938 wurden seine Konten in Deutschland konfisziert, er wird ausgebürgert – und erhält zum Glück für ihn die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Als der Krieg vorbei ist, reizt es ihn überhaupt nicht, nach Deutschland zurückzukehren. Zu verletzt ist er, zu wenig Vertrauen mochte er in ehemalige Nazis setzen wollen.

Aber auch in den USA brauchte er nochmals Glück, nämlich um den Fängen des McCarthyismus (siehe „Hexenjagd“-Kritik) als ehemaliger Kommunist zu entkommen.

Was in Deutschland mit kalter Grausamkeit hinter den Polit-Kulissen der Nazis vor sich ging, hatte Grosz immerhin als einer der Ersten begriffen.

So findet sich in der Ausstellung auch eine Zeichnung zu Ehren des bereits 1934 im KZ Oranienburg ermordeten Dichters Erich Mühsam. Sie zeigt den Poeten mit ausgeschlagenem linken Auge fest im Griff der Nazi-Schergen, während im Hintergrund Folterszenen das weitere KZ-Geschehen andeuten.

Wenn Grosz so früh wusste, was in den KZs abgeht, warum konnten dann so viele andere behaupten, sie hätten nichts davon geahnt? Weil die selektive Wahrnehmung schon immer die schlimmsten Taten übergehen konnte.

Grosz ließ das weder sich noch anderen durchgehen. Dem Geist nach blieb er dabei Berliner, auch wenn er als Amerikaner längst in den Staaten lebte. Insofern ist der Titel der Ausstellung „George Grosz in Berlin“ berechtigt, auch wenn etliche der gezeigten Exponate in Übersee entstanden.

George Grosz in Berlin

„Cain or Hitler in Hell“ von George Grosz, gemalt 1944, also schon im Jahr vor Kriegsende: Grosz, hellsichtig wie immer, wusste, was für Schlachtfelder und Rachegeister Hitler hinterlassen würde. Copyright: Estate of George Grosz / VG Bild-Kunst

Einen Höhepunkt seines Schaffens bildet das gezeigte Gemälde „Cain or Hitler in Hell“ von 1944. Was für ein Witz, was für eine Bildermacht geht von diesem Werk aus!

Kummervoll wie ein gescheiterter germanischer Riese sitzt Adolf Hitler alias Kain, der seinen Bruder erschlug, da: auf dem Schrotthaufen der Geschichte, hinter sich expressive blutrote Schlachtschlamassel, unter sich die an seinen Beinen hochtanzenden menschlichen Skelette. Dazu hatten die Nazis die Menschen gemacht: zu winzigen Überresten ihrer selbst.

Es gibt keinen Grund, stolz auf den Nationalsozialismus zu sein.

Heute, da man das wieder in aller Deutlichkeit sagen muss, weil so viele es angesichts aktueller Probleme vergessen wollen, ist diese Ausstellung wirklich ein Muss für alle, die sich mit Malerei, mit Kultur, mit Kunst in Deutschland befassen.

Und weil Grosz allgemein der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wird, ergibt sich hier auch die Gelegenheit zu fragen, ob das nicht korrigiert oder ergänzt werden müsse.

Ist er nicht vielmehr ein ungewöhnlicher Vertreter des deutschen Expressionismus? Gar – mit einigen Werkserien – auch des Surrealismus? Ist der stilistische Mix, den er sich mitunter erlaubt, mit „Neuer Sachlichkeit“ nicht nachgerade falsch bezeichnet? Kühl und mit Understatement gewürzt kommen seine Bilder jedenfalls nie einher. Im Gegenteil: Die Überspitzung war sein Element.

Das Spätwerk Grosz’ erblüht dann auch noch einmal ganz groß in der kleinen Form: mit Collagen, die an seine Anfänge als Polit-Künstler mit John Heartfield erinnern.

Schärfer als jede Veggi-Campagne von heute stellt Grosz darin die Absurdität der massenhaften Fleischvernichtung durch die menschliche Esskultur dar.

Die Collage „Kochschule“ von 1958 türmt eklige Tierfleischberge auf einen adrett gedeckten bürgerlichen Tisch, der umgeben ist von gelehrigen künftigen amerikanischen Hausfrauen. Die Haushaltsschule, die gedankenlos Gerichte vom Schwein und anderen an den Menschen gewöhnten Nutztieren predigt, wird von Schultafeln im Hintergrund dingfest gemacht.

Das ist falsches Wissen, das ihr hier lehrt! Das ist die nonverbale Aussage dieser Satire, die klar stellt: So krass die gegensätzliche Wirkung der Tierleichenreste zu den sauber frisierten Doris-Day-Verschnitten auch ist, es besteht eine Beziehung zwischen der heuchelnden Menschheit und den armen Viechern, die sie sich massenhaft brachial schlachtet.

George Grosz in Berlin

Ein kongeniales Selbstbildnis, schonungslos, tiefgründig und witzig zugleich: „Myself and New York“ von 1957 von George Grosz. Die Collage auf Karton gehört zum George Grosz Estate, der auch zusammen mit der VG Wort das Copyright hat.

Aber auch sich selbst konnte George Grosz mit Satire und Kritik begegnen.

Seine Collage „Myself and New York“ (1957) ist ein Geniestreich auf eigene Kosten, schonungslos und erotisch zugleich, sarkastisch und selbstentblößend dazu.

Sie zeigt Grosz mit roter Clownsnase im sexy Oberteil eines Ziegfeld-Mieders (mit dickem Busen und Glitzerfransen!) und mit einer Flasche „Four-Roses“-Whiskey in der anmutig-tänzerisch – oh ja! – gehaltenen Hand.

Solchermaßen posiert er hier in seiner eigenen Fantasie fürs Publikum – vor der gefährlich schönen Silhouette der Straßenschluchten von Manhatten, in rundum ehrlicher, feucht-fröhlicher Manier.

Hätte man das von Grosz erwartet? Aber von wem sonst?

Vielleicht hat er seinen nahenden Tod auch erahnt. Nur zwei Jahre später, 1959, stirbt George Grosz. Dass es ihn in Berlin erwischt, ist fast Zufall: Nur um die Krebserkrankung seiner Frau behandeln zu lassen, hatte er sich mit ihr wieder nach Deutschland begeben.

An sich aber konnte und wollte er dem Land, das all seine Werte so sehr abgelehnt hatte, nicht wieder nahe kommen. Dass man ihm das frühere Berliner Atelier des NS-Künstlers Arno Breker als Arbeitsstätte angeboten hatte, empfand er als bodenlose Geschmacklosigkeit.

Diese empfindsamen Seiten an Grosz gehören auch zu seinem Werk – und endlich kann man sich diesen ausgiebig widmen. Denn statt George Grosz als zynischen, die Zähne fletschenden Macker auszustellen, geht man hier in die Tiefe seiner Gedanken, zeigt, was ihn bewegte.

Dass die Ausstellung im Bröhan-Museum so viel Wert auf scheinbar private Details legt und sogar einen gemalten Brief des Künstlers an seinen Sohn ausstellt, den Grosz während der Überfahrt 1932 in die USA verfasste, lässt einen ohnehin bei jedem Bild zwei Mal hingucken.

George Grosz in Berlin

Die „Cookery Class (Kochschule)“ enstand als Collage 1958. George Grosz stellt hierin eine Beziehung mit  scharfem Kontrast zwischen sauberen Hausfrauen und brachial getöteten Tieren her. Was für eine Avantgarde, schon Ende der 50er Jahre auf den Fleischwahn des Massenkonsums hinzuweisen! Copyright: Estate of George Grosz / VG Bild-Kunst

Das ist genau die richtige Haltung für Kunst, die wir heute, so scheint es, oftmals wieder neu lernen müssen.

Der leider nur auf Deutsch verfasste, dafür umfangreiche und lehrreiche Katalog zur Ausstellung hilft dabei und ist mit 22 Euro wirklich nicht zu teuer.

Zudem gibt es – für jene, die heftig sparen wollen oder müssen – an jedem 1. Mittwoch im Monat um 16 Uhr eine kostenlose öffentliche Führung, bei freiem Eintritt.

Das sonstige Eintrittsgeld von 8 Euro (ermäßigt 5 Euro) lässt sich aber wohl von den meisten ganz gut berappen, und man sollte sich mindestens eine runde Stunde Zeit nehmen, um hier zwischen den verschiedenen Räumen zu wandeln.

Dabei erfährt man, ganz nebenbei, liebenswerte Petitessen wie die, dass George Grosz öffentlich getanzt hat: bei einer Lesung zu Beginn seiner Karriere in Berlin, in der es Musikeinlagen gab und eben auch die Tänze des Künstlers.

Sieht man die Körper in seiner Kunst genau an, entdeckt man darin denn auch so viele tänzerische Bezüge, so viele ausdrucksstarke und doch anmutige Gesten und Bewegungslinien, dass man glatt Lust bekommt, sich ihm auch tänzerisch zu nähern. Schließlich war Grosz‚ Geist so scharfsinnig wie anmutig – sichtlich!

Zuvor sei aber noch darauf hingewiesen, dass sich ein George-Grosz-Museum in Gründung befindet, das zwar noch seinen Standort sucht – in Berlin, wo sonst – das aber vor Startenergie nur so strotzt.

Ralph Jentsch, der im Bröhan-Museum gemeinsam mit dessen Direktor Tobias Hoffmann und der Mitarbeiterin Inga Remmers diese tolle Grosz-Ausstellung kuratierte, betreut auch den für das Museum grundlegenden George Grosz Estate.

Kein Werk von Grosz, das als echt gelten will, kommt an Jentsch vorbei. Interessant ist hierbei, dass laut Jentsch kaum eine Woche vergeht, ohne dass mindestens eine Fälschung, die sich gern als echtes Werk von George Grosz ausgeben würde, auf seinem Schreibtisch zur Prüfung landet.

Man muss also feststellen, dass die Fälscherwerkstätten florieren und auch vor kritischer Weltkunst, wie Grosz’ Werke es sind, nicht Halt machen.

Gut, dass Grosz einen so wachsamen posthumen Wächter wie Ralph Jentsch hat. Andere Künstler sind da weit weniger gut geschützt.
Gisela Sonnenburg

Bis 6. Januar 2019 – nahe Schloss Charlottenburg

www.broehan-museum.de

 

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